Papas beste Freunde?
Der Martin Luther der 95 Thesen von 1517 hatte noch kein Problem mit dem Amt des Papstes in Rom. Der Mönch und Professor aus Wittenberg hoffte anfangs ja sogar, dass der Papst selbst die Mißstände im Ablasswesen beseitigen würde. Die ablehnende Haltung seiner Kirche brachte Luther aber bald zum Umdenken.
Schon 1519 zielte der Reformator auch auf den Kern der römischen Kirche nämlich auf die Überzeugung, der Apostel Petrus und seine Nachfolger, die Päpste, seien der Fels, auf dem die Kirche Christi stehe. „Der Glaube nämlich ist der Fels, von dem Petrus seinen Namen hat“, so Luther in den Erläuterungen zu seiner 13. These über die Gewalt des Papstes. Der fest Grund ist nicht „Jurisdiktion und Gewalt des Petrus und des römischen Bischofs“. „Standen etwa nicht alle Apostel auf dem festen Grund, auf dem Petrus stand?“ Da alle Apostel und alle Verkündiger des Evangeliums nach ihnen „einerlei Botschaft bringen, kann keiner von Amtes wegen über den anderen sein“, so Luther ein Jahr später in Vom Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romartisten zu Leipzig.
Der Rauswurf Luthers aus der Kirche im Jahr 1521 ließ den Ton auf beiden Seiten weiter verschärfen. In seiner Antwort auf das Buch des Ambrosius Catharinus aus dem Jahr der Exkommunikation nennt Luther die Dekrete des Papstes „ruchlose Dogmen des Antichristen“. „Nun endlich, da der Schleier eurer Vollkommenheit gelüftet ist, können wir in einen Abgrund von Lüge, Irrtum, Hinterlist, krummen Machenschaften und überhaupt aller Verbrechen blicken, die ihr unter dem dünnen Blatt dieses eitlen Papsttums versteckt habt.“ Auch hier betont Luther, dass der Felsen aus Mt 16 Christus bzw. „der Glaube an Christus im Geiste“ sei. „Niemals kann der ‘Fels’ für den Papst als solchen stehen. Was gibt es da noch zu kläffen, du elender Thomist [gemeint ist Ambrosius]?“ Und ganz evangelisch: „Nur Liebe kennt die Kirche und Dienst, nicht Macht und Tyrannei. Deshalb: Wer das Evangelium lehrt, der ist Papst und Nachfolger des Petrus; wer es nicht lehrt, der ist Judas und verrät Christus.“
Schon 1521 hatte Luther also seine Position zum Papsttum gefunden, die er im Grunde bis zu seinem Lebensende nicht mehr änderte. In den vom Reformator verfassten Schmalkaldischen Artikeln von 1537 fand sie wieder Niederschlag. In dem Text, der in lutherischen Kirchen bis heute Bekenntnisrang hat, ist ebenfalls vom Papst als einem „Antichristen“ die Rede; Luther verwirft darin die Herrschaft der Päpste in scharfen Worten.
Jahrhunderte später hat sich der Ton zwischen den christlichen Konfessionen gewandelt. Inzwischen redet man auf allen Seiten mit Respekt im Hinblick auf den Glauben der anderen Kirchen. In der Sache gab es jedoch kaum Fortschritte. So betont Kardinal Gerhard Ludwig Müller in Der Papst: Sendung und Auftrag (2017) erneut, das Bischofsamt sei „eine göttliche Institution“ und der Primat des Petrus „sicherlich göttlichen Rechts“. Der ehemalige ‘Cheftheologe’ des Vatikans ist überzeugt, „dass es nur in der Gemeinschaft mit dem römischen Papst und niemals ohne und gar gegen ihn die Verwirklichung der Einheit und Gemeinschaft aller Kirchen in der einzigen katholischen Kirche geben kann.“ Für die sichtbare Kirche seien ein sichtbares Haupt und ein „universales Hirtenamt“ unbedingt notwendig.
Es ist Müller hoch anzurechnen, dass er die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten nicht wegbügelt, im Gegenteil. Sehr richtig schreibt er, „dass reformatorisch gedacht die Einheit der Kirche sich eigentlich in der Gemeinschaft der Heiligen aufgrund des rechtfertigenden Glaubens vollzieht…“ Evangelische verstehen christliche Einheit in erster Linie als Einheit des Glaubens. Daher gibt es bei uns „das Modell der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft bei bleibender Getrenntheit im Bekenntnis und in der Kirchenverfassung.“ Rom betont dagegen weiterhin, dass „die Einheit eigentlich in der pilgernden Kirche sichtbar… verwirklicht sein muss“; daher „kann die Einheit der Christen sich nur als communio ecclesiarum [kirchliche Gemeinschaft] im Bekenntnis des einen Glaubens, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft vollziehen.“ Einheit muss in den Augen Roms immer noch Einheit in und mit der einen Kirche sein. Daher gilt weiter: „Für alle, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, ist es für ihre Rettung unumgänglich, dass sie dem sichtbare Verband mit Christus angehören, der durch den Papst und die Bischöfe geleitet wird.“ Einfacher gesagt: Wer als Katholik getauft ist, muss in der Kirche Roms bleiben, um gerettet werden zu können.
Franziskus im Land Mariens
Man ist sich also zumindest in Rom sehr klar darüber, dass das jeweilige Kirchenverständnis von Katholiken und Evangelischen ein wesentlich anderes ist. Auch Annäherungen in manch anderen Fragen können darüber nicht hinwegtäuschen. In der Öffentlichkeit gewinnt man allerdings oft einen anderen Eindruck. In Deutschland tun die Kirchenoberen mitunter so, als ob die Konfessionen im Grunde nichts Wesentliches mehr trennt. Und in Litauen üben sich manche Evangelische eifrig in Selbstverleugnung. Anlass dazu bot der jüngste Besuch des „Stellvertreters Christi“ im Baltikum.
Am 22. September kam Papst Franziskus für zwei Tage nach Litauen (anschließend bereiste er noch Lettland und Estland). Dies war erst die zweite Visite eines Oberhauptes der römischen Kirche im Land. Anfang September 1993 war Johannes Paul II sogar eine knappe Woche in Litauen. Dieses Mal beehrte der Papst nur Vilnius und Kaunas und absolvierte ein sehr strammes Programm. Das ganze Land stand Kopf.
Auch unser Generalsuperintendent Tomas Šernas war in einem Brief der beiden Erzbischöfe Litauens persönlich eingeladen worden – zur Teilnahme an der großen Messfeier unter freiem Himmel in Kaunas. Wohlgemerkt: zur Messe, nicht zu einem ‘neutralen’ Treffen mit Kirchenvertretern und auch nicht zu einem ökumenischen Gottesdienst o.ä. Das Konsistorium der ev.-reformierten Kirche hat diese Einladung jedoch einhellig abgelehnt, denn einer Messteilnahme können wir nicht zustimmen. Der Heidelberger Katechismus setzt mit Fr. 80 zur römischen Messe gerade den Reformierten eine recht klare Grenze. Die reformierte Kirchenleitung zeigte Flagge und bewies in dieser Frage Mut, denn auf all zu viel Verständnis in der katholischen Kirche und auch der Öffentlichkeit stößt so eine Ablehnung sicher nicht.
Der Bischof der ev.-lutherischen Kirche, Mindaugas Sabutis, nahm hingegen wie selbstverständlich an der Messe teil. Mit Familie traf er den Papst auch vor dem Tor der Morgenröte in Vilnius, einem der wichtigsten Marienschreine in ganz Europa. Mit Frau und Kindern nahm er den Segen des Papstes sowie eine Gedenkmedaille seines Besuchs im Baltikum entgegen (s.o. Foto). Darauf wird Litauen in lateinischer Sprache „Land Mariens“ genannt.
Bei einer Radiosendung des christlichen Senders XFM mit Vertretern verschiedener Konfessionen bestätigte der Bischof, dass der Papst Repräsentant der westlichen Christenheit und damit auch der Lutheraner sei. Dass und warum Lutheraner den Papst bis heute nicht als Oberhaupt anerkennen, wurde mit keinem Wort deutlich. Der junge Vertreter der orthodoxen Kirche fand dagegen im Ton nüchterne, aber klare Worte.
Sabutis Frau Vilma, auch studierte Theologin, äußerte sich im Interview mit dem katholischen Radioprogramm „Mažoji studija“ ebenfalls nur positiv über den Papst. Angesprochen auf die konfessionellen Unterschiede hieß es aus ihrem Munde nur lapidar: Bekenntnisse ändern sich nicht, doch Zeiten und Praktiken sind nun andere. Wie das zusammenpassen soll und wie diese Papstnähe zum ausgesprochen konservativen Bild der Kirche von sich selbst passt, bleibt rätselhaft.
„Mažoji studija“ interviewte auch Nerija Putinaitė, die Leiterin des Kirchenvorstandes der lutherischen Gemeinde Vilnius. Putinaitė ist eine bekannte Philosophin, Buchautorin und ehemalige Vizeministerin für Bildung und Wissenschaft. Wieder musste der Zuhörer den Eindruck gewinnen, dass Lutheraner nichts, aber auch gar nichts am Papst und dessen Amt auszusetzen haben. Sind die Lutheraner wirklich Papas (papa – lat. u. ital. für den Papst) beste Freunde? Was würde Luther wohl dazu sagen, der seit einem Jahr im Hof der lutherischen Kirche von Vilnius in Bronze gegossen steht?
Katholische Journalisten und aktive Christen in Litauen diskutieren den aktuellen Papst und seine Rolle z.B. in den weltweiten Mißbrauchsskandalen durchaus kritisch. Dies ist tatsächlich vor allem ihre Aufgabe, die der Katholiken. Evangelische haben aber auch etwas zu sagen: dies ist nicht unser Papst, denn wir brauchen keinerlei Stellvertreter Christi. Die grundlegenden theologischen und im Kern exegetischen Argumente Luthers wie auch der anderen Reformatoren haben nämlich bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Theologen und Verantwortliche in der Kirchenleitung müssen die Schlachten von damals nicht erneut führen. Aber wenn Pastoren, also Hirten, ihren Mitgliedern nicht sagen und erklären, warum der Bischof von Rom für Evangelische keinerlei besondere Bedeutung hat und uns eben nicht repräsentiert, dann ist dies nichts anderes als eine Preisgabe des reformatorischen Erbes.