Eine kurze Theologie der Zeit

Eine kurze Theologie der Zeit

Du bist mein Gott! In deiner Hand sind meine Zeiten; rette mich aus der Hand meiner Feinde… (Ps 31,15b–16a)

Wir leben in einer in der Weltgeschichte noch nie dagewesenen schnellen Zeit. Uhren umgeben uns in jedem Raum, an jedem Ort, am Telefon, Computer, an der Hand. Unser Alltag wird bestimmt, ja oftmals diktiert von Kalendern, Terminen, Zeitnot. Besonders unsere Kommunikation hat sich mit dem Internet und dem Mobiltelefon explosionsartig beschleunigt. Die Zeit ist für viele der moderne Sklaventreiber – unerbittlich, gnadenlos, nicht abzuschütteln. Leben wir in Wirklichkeit in der Chronokratie, unter dem Diktat der Zeit? Ist die Zeit einer unserer Feinde? Was sagt die Bibel zur Zeit? Wie sollen wir als Christen mit ihr umgehen?

I. Gott und die Zeit

Die Zeit wurde von Gott geschaffen

Die Zeit hatte einen Beginn. Obwohl wir es uns nicht vorstellen können, gab es eine ‘Zeit’ vor der Zeit, und wird es einmal eine Zeit ohne Zeit in unserem heutigen Sinne geben – in der Ewigkeit bei Gott. Mit der ganzen Schöpfung schuf Gott alle Dimensionen von Raum und eben auch Zeit. Der erste Satz der Bibel lautet: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ (Gen 1,1)

Die Zeit als solche ist also von Gott geschaffen und ein Geschöpf. Wie alles Geschaffene ist daher auch die Zeit grundsätzlich „sehr gut“ wie es gleich mehrfach im Schöpfungsbericht heißt (z.B. Gen 1,31).

Gott selbst steht über der Zeit, ist ewig und unveränderlich

Gott hat die Zeit geschaffen und steht deshalb über ihr, ist nicht durch die Dimension Zeit gebunden. Gott ist vielmehr ewig, was in der Bibel an zahllosen Stellen und in vielerlei Weise betont wird. So heißt es in Ps 90,2: „Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Gott hat daher auch eine andere ‘Zeitvorstellung’ wie der vielzitierte Vers im gleichen Psalm deutlich macht: „Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der vergangen ist, und wie eine Nachtwache.“ (Ps 90,4)

Gottes Ewigkeit spiegelt sich auch in seinen Namen wieder. Dem Volk Israel stellt er sich vor mit „Ich werde sein, der ich sein werde…“ (Ex 3,14). Auch auf der ‘Visitenkarte’ Jesu wird mehrfach sehr bewußt die Ewigkeit akzentuiert: „Ich bin das A und O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.“ (Off 1,8) oder Heb 13,8: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.“

Gott beherrscht souverän die Zeit und bestimmt Zeiten

Gott hat die Zeit geschaffen, weshalb sie ihm ‘gehört’ und er in ihr handeln kann. Gott ist der Herr über die Zeit: „Dein ist der Tag und dein ist die Nacht; du hast Gestirn und Sonne die Bahn gegeben.“ (Ps 74,16).

Gott hat den Rahmen und den Rhythmus der Zeit gesetzt, aber er kontrolliert darüberhinaus auch alle Zeitabläufe und -abschnitte innerhalb der Zeit. Er setzt Völkern Zeiten: „Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen.“ (Apg 17,26) Den Mächtigen: „Er ändert Zeit und Stunde; er setzt Könige ab und setzt Könige ein; er gibt den Weisen ihre Weisheit und den Verständigen ihren Verstand.“ (Dan 2,21) Genauso hat er aber auch die Zeiten von uns allen in der Hand: „Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.“ (Ps 139,16)

In Ps 102 ringt David mit Gott, dem Ewigen, um seine Lebenszeit: „Er demütigt auf dem Wege meine Kraft, er verkürzt meine Tage. Ich sage: mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage! Deine Jahre währen für und für. Du hast vorzeiten die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, du aber bleibst; sie werden alle veralten wie ein Gewand… Du aber bleibst wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende.“ (Ps 102,25–28) Es ist Gott, der uns unsere „Tage“ gibt, läßt oder auch nimmt!

Gott handelt in der Zeit – zu unserem Heil

Da die Zeit Gottes gute Schöpfung ist und wir in der Zeit leben, ist es nur natürlich, dass er für uns auch in der Zeit handelt. Gott griff oftmals in den normalen Zeitverlauf, in die Geschichte ein, so dass daraus Heilsgeschichte wurde. So berief er zu einem konkreten Zeitpunkt Abraham (Gen 12 hält sein damaliges Alter fest), machte mit ihm Geschichte. Rund 2000 Jahre später hat Gott dann seinen Sohn in diese Welt, in die Zeit kommen lassen. Lukas betont nicht zufällig, dass dies ein Ereignisse in konkreter Geschichte war: „Zu der Zeit des Herodes…“ (Lk 1,5) „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausginge, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.“ (2,1)

Dass zeitliche, geschichtliche Ereignisse etwas mit unserem Heil zu tun haben, erscheint uns heute vielleicht schon selbstverständlich, war jedoch in der Antike geradezu revolutionär. Die Sumerer, Abrahams Landsleute, schauten zum Himmel, zu den Gestirnen, wo sie die ewigen Muster des Heils entdeckten. Die irdischen Zeitabläufe waren für das Heil bedeutungslos. In der Bibel dagegen werden die Gestirne radikal entgottet (bloße ‘Lampen’). Das Heil kommt natürlich von Gott, aber es manifestiert sich in der Geschichte. So schauen die Juden im AT ständig zurück auf die historische Befreiung aus Ägypten. Und die Christen blicken auf die Geschehnisse in Palästina vor 2000 Jahren: Geburt, Tod und Auferstehung Jesu. Thomas Cahill schreibt: „Unser heutiger Zeitbegriff war für alle archaischen Völker (außer für die Israeliten) irreal. Das Reale war das Himmlische und das Archetypische. Für uns, die Erben der jüdischen Auffassung, trifft das Gegenteil zu: Die irdische Zeit ist die reale Zeit.“ (Abrahams Welt – Wie das jüdische Volk die westliche Zivilisation erfand)

Die Zeit verläuft planmäßig, auf ein Ziel zu und wird einmal aufhören

Blickt der Mensch gen Himmel, sieht er astronomische Wiederholungen, Ryhthmen (Mondphasen etc. etc.). Sind die Gestirne Götter, kommt der Mensch zu dem Schluß, dass sich alles wiederholt und die Wirklichkeit letztlich in Zyklen verläuft. Der Gott der Bibel dagegen ist, wie gesagt, Herr über die Gestirne. Deren Zyklen sind real und oftmals gut und nützlich für den Menschen (Tag und Nacht, Jahreszeiten; s.u.). Diese Zyklen werden aber umfaßt von einem großen Plan Gottes. Die Zeit schreitet Schritt für Schritt und linear nach diesem Plan weiter. Und Gott bestimmt alles gemäß dieses Planes: „Ich habe von Anfang an verkündigt, was hernach kommen soll, und vorzeiten, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Was ich beschlossen habe, geschieht, und alles, was ich mir vorgenommen habe, das tue ich.“ (Jes 46,10)

So kam z.B. zu einem bestimmten, von Gott festgesetzten Zeitpunkt Jesus auf diese Welt: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn…“ (Gal 4,4). Noch schreitet die Zeil linear fort, doch eines Tages – Gott weiß wann – wird auch die Zeit nicht mehr sein: „Die Sonne soll nicht mehr dein Licht sein am Tage, und der Glanz des Mondes soll dir nicht mehr leuchten, sondern der Herr wird dein ewiges Licht und dein Gott wird dein Glanz sein.“ (Jes 60,19; s. auch Off 21,23)

II. Wir Menschen und die Zeit

Der Mensch lebt auf Erden in der Zeit

Als geschaffenes Wesen lebt der Mensch verworben in der gesamten Schöpfung und daher auch in der Zeit. Wir können die Zeit nicht anhalten und auch nur in Filmen wie „Timeline“ (2003) Zeitreisen begehen. Hier auf Erden ist unser Leben an die Zeit gebunden. Seit dem Sündenfall ist dieses Leben zeitlich noch weiter begrenzt nämlich durch den Tod. Mehrfach wird in der Bibel unser Leben als kurz, äußerst kurz bezeichnet: „Das macht seinen Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen… Unser Leben währt 70 Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es 80 Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.“ (Ps 90,7.10)

Der Mensch weiß die Zukunft nicht – Leben im Jetzt

Das Leben in der Zeit hat eine weitere, eher negativ erscheinende Konsequenz. Anders als Gott kennen wir als Geschöpfe die Zukunft nicht. Sie steht geradezu wie eine Mauer vor uns. Spr 27,1: „Rühme dich nicht des morgigen Tages, denn du weißt nicht, was der Tag bringt.“ (s. auch Jak 4,13–15). Natürlich kann Gott uns etwas über die Zukunft mitteilen, doch ist dieses Wissen auch nur begrenzt und so gut wie nie zeitlich exakt bestimmt. So wissen Christen z.B. nicht den Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu: „…Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat.“ (Apg 1,7).

Gott selbst hat diese Grenze gesetzt, weswegen er natürlich auch streng jedes Schauen in die Zukunft mit Wahrsagerei, Hellseherei verboten hat (z.B. Dt 18,10). Nun stehen Christen wohl selten in der Gefahr sich der Zauberei zu bedienen (man denke aber an die Popularität der Astrologie). Dafür tendieren Christen dazu die Zukunftsbarriere ‘frömmer’ zu durchbrechen: Man ist fest überzeugt von Gott in bestimmter Weise geführt und geleitet zu sein – als ob Gott uns persönlich die Zukunft offenbart hätte. Im Einzelfall mag dies geschehen (s. z.B. Paulus und sein Schicksal). In der Regel gilt jedoch, dass wir uns zwar Gedanken über die Zukunft machen sollen, aber die Barriere bleibt bestehen.

Die Gläubigen im AT und NT schauen auf die Heilsereignisse in der Vergangenheit zurück, blicken mit Hoffnung in die Zukunft. Noch viel mehr sind sie jedoch in der Gegenwart verwurzelt. Gerade in diesem Kontext, gerade wegen der großen Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicks, haben die Gebote so eine wichtige Rolle im Judentum-Christentum.

Thomas Cahill: „Während die Vergangenheit unwiderruflich ist, ist die Zukunft ein unbeschriebenes Blatt. Erstere ist unveränderlich, letztere unbekannt. Der Vergangenheit kann ich nur mit Bedauern gegenübertreten, vor der Zukunft muß ich mich fürchten. Tatsächlich in der Zeit, in der Geschichte zu leben, kann eine schreckliche Erfahrung sein. Und es darf uns kaum erstaunen, dass die archaischen Völker alles daran gesetzt haben, dieser Qual zu entgehen, indem sie einen zyklischen Zeitbegriff und das immer wiederkehrende Rad erfanden, was in den ewigen Frieden des Todes führen mußte. Doch das Geschenk der 10 Gebote erlaubt es uns, in der Gegenwart, im Hier und Jetzt zu leben. Mein Verhalten in der Vergangenheit kann ich nicht korrigieren; Sorgen um die Zukunft machen keinen Sinn, da ich sowieso nicht voraussehen kann, was als Nächstes geschehen wird. Den gegenwärtigen – und keinen anderen – Augenblick jedoch kann ich kontrollieren; in diesem Moment habe ich die Wahl, mit dem Messer zuzustechen, den Schatz an mich zu reißen, mein Lügennetz auszuwerfen oder nicht.“

Es sei hier allerdings schon erwähnt, dass es natürlich auch ein falsches Leben in der Gegenwart gibt – das gedankenlose in-den-Tag leben voller Vergnügen wie es bei Jesaja zitiert wird: „Kommt her, ich will Wein holen, wir wollen uns vollsaufen, und es soll morgen sein wie heute und noch viel herrlicher.“ (Jes 56,12) Allerdings ist auch hier wieder der Fehler, dass man meint die Zukunft zu kennen (alles bleibt so wie es ist, nichts Böses geschieht).

Die Zeit soll dem Menschen dienen – Rhythmen für ein Leben in der Zeit

Der Mensch ist die ‘Krone’ der Schöpfung in dem Sinne, dass die Erde ihm zu Verwaltung, ‘Beherrschung’ oder besser: Pflege übergeben ist (Gen 1,28). Wie wir sahen beherrscht der Mensch nicht die Zeit wie er z.B. die Pflanzenwelt weitgehend kontrollieren kann – die Zeit herrscht über uns. Dennoch muß aber auch betont werden, dass diese Herrschaft der Zeit nur begrenzt ist und von der Bibel selbst relativiert wird. Die Zeit ist nicht nur ‘gegen’ uns, sondern auch für uns.

Schon bei der ersten Erwähnung von konkreten Zeitabschnitten in Gen 1,14 wird deutlich, dass diese zeitlichen Ordnungen für uns Menschen gemacht sind: „Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheinen Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre.“ Noch radikaler wird die Herrschaft der Zeit dann durch den siebten Tag eingeschränkt. Am Sabbat bleibt die gewöhnliche Aktivität, die Hektik und Arbeit gleichsam in der Zeit stehen. Gen 2,3: „Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken…“ (s. Ex 20,8–11; Dt 5,12–15).

Gott hat für uns die Zeit in Zeitabschnitte eingeteilt (Tag und Nacht, Woche, Jahreszeiten). Denn ohne diese Rhythmen, ohne diese Regelmäßigkeiten wäre es sehr schwierig sich im Leben zurecht zu finden. Die Zukunft ist zwar offen, es ist aber eben doch nicht alles vollkommen ungewiß – nach dem Tag kommt die Nacht, nach dem Winter ein Frühling. Begrenzte Vorhersagen der Zukunft und damit Planen, Arbeiten und Wirtschaften sind daher möglich. Dieser geordnete Zeitverlauf ist ein Segen für uns und nach der Sintflut auch von Gott garantiert (bis zum Ende der Zeiten): „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (Gen 8,22)

Zeit des Glaubens und der Buße

Im göttlichen Heilsplan von Ewigkeit zu Ewigkeit nimmt unsere Zeit „nach Christus“ sicher nur einen äußerst kurzen Zeitabschnitt in Anspruch. Dennoch ist diese unsere Epoche äußerst bedeutsam. Hier fallen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Ewigkeit haben. Unser Denken und Handeln in dieser Zeit stellt Weichen in Ewigkeit. Jeder Mensch ist jetzt, hier und heute gefordert, Buße zu tun und zu glauben:
„Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweg gesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Ende Buße tun. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten…“ (Apg 17,30–31)

Wir wissen nicht, wann dieser „eine Tag“ sein wird – vielleicht morgen, heute. Daher schreibt auch Paulus dringlich: „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist die Zeit des Heils!“ (2 Kor 6,2) Dieses Jetzt ist immer. Wir riskieren sehr viel, wenn wir meinen: „Ein Leben mit Gott? Das hat noch Zeit bis später. Wenn ich einmal älter bin… Aber jetzt möchte ich das Leben genießen!“ Wir wissen eben nicht, wieviele Tage uns gesetzt sind und wann es einmal zu spät ist.

Ein Leben mit Gott ist das Zeiteffektivste

Unser Handeln in dieser Zeit ist bedeutsam. Wie wir noch sehen werden, sollen wir die Zeit in jeder Hinsicht sinnvoll ausnutzen. Viel kann z.B. im Hinblick auf Effektivität und Zeitersparnis auch von ‘weltlichen’ Experten und Ratgebern gelernt werden. Doch sollten wir nicht vergessen, dass es ‘langfristig’, nämlich im Blick auf die Ewigkeit, darauf ankommt, schon hier mit Gott zu leben. Gerade die Geschichte vom reichen Kornbauern in Lk 12,16f unterstreicht dies. Ähnlich auch Ps 127,1–2: „Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es ist umsonst, dass ihr früh austeht und hernach lange sitzt und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.“

III. Was sollen wir tun?

Vertrauen

Gott ist der Herr über die Zeit. Er bestimmt Zeiten. Als seine geliebten Kinder können wir daher mit Vertrauen wie in Ps 31,16 sagen: „Meine Zeiten stehen in deinen Händen“ (so wörtl.). Peter Strauch hat diese Haltung sehr schön in einem Lied beschrieben:

Meine Zeit steht in Deinen Händen
Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in Dir
Du gibst Geborgenheit, Du kannst alles wenden
Gib mir ein festes Herz, mach es fest in Dir

Geduld

Unsere Vorstellung von Zeit erscheint uns als die allernatürlichste. Schnell geht uns etwas nicht schnell genug, warten können gehört meist nicht zu unseren Tugenden – gerade in dieser schnelllebigen Zeiten. „I want it all – and I want it now“ sang Queen. Ein Blick in die Bibel zeigt uns jedoch, dass die meisten Glaubenshelden oftmals viele Jahre, Jahrzehnte warten mußten, um Geduld und Glauben zu lernen.

Gott verspricht Abraham einen Sohn, läßt ihn dann aber noch sehr lange bis ins hohe Alter auf Isaak warten. Jakob muß viele Jahre für seine geliebte Rahel arbeiten, bis er sie endlich heiraten kann. Joseph sitzt im Gefängnis in Ägypten, dient sich zum Aufseher hoch – und wird dennoch viele Jahre vergessen. Mose flieht in die Wüste, heiratet und wird 40 Jahre lang Hirte bis Gott ihn beruft. Jesus arbeitet viele Jahre als Handwerker, bevor er seinen öffentlichen Dienst antrat. Dies bedeutet nicht, dass wir immer lange warten müßten oder die Dinge nicht beschleunigen dürften. Aber diesen ‘göttlichen langen Atem’ sollten wir im Hinterkopf behalten und lernen zu warten – vielleicht will Gott ja, dass ich dabei etwas lerne.

Flexibilität

Wir dürfen in demütiger Weise für die Zukunft planen, aber wir müssen dabei eben auch offen für das souveräne Handeln Gottes sein: „In eines Mannes Herzen sind viele Pläne; aber zustande kommt der Ratschluß des Herrn.“ (Spr 19,21) Konkret bedeutet dies, dass wir uns nicht auf unsere Visionen, Ideen, Pläne und Träume versteifen – nur dieses Studienfach und kein anderes; nur dieser Freund und kein anderer; nur dieser Job und kein anderer; genau zwei Kinder und keines mehr… Wir wissen die Zukunft nicht, und wir wissen letztlich auch nur begrenzt, was gut für uns ist. Wenn wir Gottes Planen wirklich ernst nehmen, müssen wir in gewissem Grade auch flexibel sein und lernen uns auf neue Situationen einzustellen.

Zwei Beispiele aus der Kirchengeschichte: Nach dem Reichstag 1521 in Worms mußte Martin Luther vor staatlicher und kirchlicher Verfolgung fliehen und wurde von seinen Freunden auf der Wartburg versteckt – fast ein Jahr lang. Luther nutzte diese Zeit und übersetzte das Neue Testament in (damals) hochmodernes Deutsch. John Wesley, der Vater des Methodismus, erhielt Predigtverbot in den anglikanischen Kirchen und begann daher ab 1739 (auch inspiriert von G. Whitefield) im Freien zu predigen – wodurch die methodistische Bewegung erst richtig aufblühte.

Weisheit

Eine Art Haupt-Tugend für unseren Umgang mit der Zeit ist Weisheit. Wir sollen weise mit ihr umgehen wie Paulus die Epheser ermahnt: „So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit.“ (Eph 5,15–16) John Stott kommentiert diese Verse: „Kluge Menschen wissen genau, dass Zeit eine wertvolle Ware ist. Jeder von uns hat die gleiche Menge zur Verfügung, 60 Minuten in jeder Stunde und 24 Stunden an jedem Tag. Niemand unter uns kann Zeit verlängern. Aber weise Menschen verwenden sie nach großtmöglichem Vorteil… Darum ergreifen sie jede flüchtige Gelegenheit, wenn sie da ist. Denn wenn sie einmal vorüber ist, können auch die Verständigsten sie nicht zurückholen.“ (Die Botschaft des Epheserbriefes)

Wachsamkeit

In Röm 13,11–13 fordert Paulus dazu auf, die „Zeit zu erkennen“ – die Zeit der Gnade (s.o.) läuft ab, Jesu Wiederkunft (wann auch immer) rückt näher. Wir sollen daher, so der Apostel, vom „Schlaf“ aufstehen, wach sein, bewußt leben, die „Waffen des Lichts“ gebrauchen. Zu grundsätzlicher Wachsamkeit drängen auch z.B. 1 Pt 5,8, 1 Thes 5,6, Ef 6,18. Wir dürfen unser Leben als Christen nicht einfach so verpennen, dahin treiben im Halbschlaf. Es gilt, Möglichkeiten zu nutzen, etwas aus dem Leben zu machen – gerade in evangelistischer Hinsicht. Tiefer Schlaf ist oftmals ein ernstes Problem unter Christen.

Effektivität

Nur wer wach ist, kann auch etwas bewirken, aktiv und effektiv sein. Wie schon Stott sagte, sollen wir die Zeit, die wir haben, bestmöglich ausnutzen, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen. Diese Effekte dürfen wir oft nicht nach nichtchristlichen Kriterien beurteilen, denn da zählt mehr und mehr nur noch das Geld als Maßstab – wer wenig verdient, hat aus seinem Leben nichts gemacht. Was Gott aber von uns fordert ist, dass wir unsere Gaben und Geistesgaben sinnvoll, treu und effektiv einsetzen. Unmißverständlich klar macht dies das Gleichnis von den anvertrauten Zentnern in Mt 25,14f.

Hindernis zur Effektivität sind Zeitverschwendung und klassische ‘Zeitkiller’ wie es heute wohl vor allem das Internet geworden ist. Man kann ohne Probleme stundenlang im Internet verbringen… Und neuste Statistiken haben ja gezeigt, dass es dabei nur sehr selten wirklich um Information und Bildung geht, sondern meist nur um Zerstreung und Unterhaltung.

Den Rhythmus finden

Wie oben beschrieben hat Gott unsere Zeit in verschiedene Abschnitte unterteilt. Sich in diesen Rhythmen bewegen macht das Leben einfacher. Sechs Tage Arbeit und ein freier Tag in der Woche ist auch für Studenten eine sinnvolle Vorgabe, an der man sich orientieren sollte. Es empfiehlt sich auch, regelmäßig sonntags einen Gottesdienst zu besuchen. Denn wer diese Gewohnheit als Student nicht entwickelt, der wird später – Kinderstreß! – den Rhythmus nicht mehr finden. Je nach Persönlichkeit, Kräften und Gaben sollte jeder seine Zeit in Abschnitte einteilen: So viel will ich in diesem Rhythmus (dieser und jener Abend in der Woche) der Gemeinde widmen, so lange mit meinen Freunden Zeit verbringen, und so viel Zeit widme ich dem Studium. Hat man so etwas im Groben festgelegt, kann man die jeweilige Zeit besser und konzentrierter ausnutzen. Übrigens kann ich auch nur dazu raten, schon als Student rhythmisch, d.h. regelmäßig die Bibel zu lesen und zu beten – später im Leben wird diese Gewohnheit nur noch schwierig zu entwickeln sein.

Ziele und Prioritäten

Klare Ziele und Prioritäten im Leben sind eine Grundlage, um weise und sinnvoll mit der Zeit zu haushalten. In säkularer Literatur erscheint es jedoch teilweise, als ob es so ziemlich egal wäre, welche Ziele sich jeder setzt. Natürlich gibt es hier viel Freiraum. Bestimmte Grund-Ziele sind aber dem Christen vorgegeben. Da wäre einmal die berühmte Regel aus der Bergpredigt, Mt 6,33: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch all das [Nahrung, Kleidung] zufallen“. Noch konkreter und ebenfalls sehr einfach formuliert ist das höchste Gebot bzw. die höchsten Gebote: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzen Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Verstand… Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt 22,37.39) Hier geht es um Beziehungen – zu Gott und zu den Mitmenschen. Sie haben die höchste Priorität!

Nick Spencer: „Zeit ist die Hauptwährung von Beziehungen. Weil sie anders als Geld begrenzt und rar ist, kommuniziert unser Zeiteinsatz sehr effektiv, was für uns im Leben Wert hat.“ Wir sollen, so Spencer, uns fragen, ob wir effektiv und produktiv im Hinblick auf Beziehungen sind: „Sind wir bereit Zeit mit Menschen außerhalb unseres bevorzugten Freundeskreises zu verbringen? Bewerten wir manche Treffen als ineffizient, nur weil sie uns direkt nichts gebracht haben? Wie weit sind wir bereit zu reisen, um mit jemandem in Kontakt zu bleiben? Wie oft kommunizieren wir mit denen, die wir nicht sehen? Neigen wir dazu, Geld in Menschen zu investieren anstatt Zeit?“ (The Measure of All Things?)

Jeder von uns wird und kann hier unterschiedliche Prioritäten setzen. So gilt für einen Verheirateten, daß in die Beziehung zum Ehepartner und zu den Kindern primär investiert werden sollte. Andere haben mehr Zeit, um sich um einen breiteren Kreis von Menschen zu kümmern. Auch vom Charakter ist abhängig, wie genau diese Beziehungspflege aussehen kann („sachorientierte“ Menschen pflegen z.B. Beziehungen einfach nur anders als „Beziehungsorientierte“ – letztere müssen nicht unbedingt besser abschneiden!). In jedem Fall gilt: Beziehungen haben hohe Priorität.

(Deutsche Version eines Vortrages aus dem Jahr 2004)