Gefangen im patriarchalischen Denken?
Skandal im Baltikum
„Frauen auf der Kanzel sind heute in der evangelischen Kirche eine Selbstverständlichkeit. Pastorinnen sind aus den Gemeinden, aus kirchenleitenden Ämtern sowie aus den Diensten und Werken nicht mehr wegzudenken. Daneben sind sie auch gesamtgesellschaftlich Wegbereiterinnen für die Gleichberechtigung, die heute vielen als selbstverständlich erscheint.“
Sätze von Kirsten Fehrs in der Kieler Universitätskirche. Dort sagte die Hamburger Sprengelbischöfin am 15. Februar ein Grußwort anlässlich der Veröffentlichung der Handreichung „Zusammen_wachsen – Wege zur Frauenordination auf dem Gebiet der heutigen Nordkirche“. Schlagzeilen machte aber nicht die Lage und Analyse der eigenen Nordkirche, sondern die Kritik der lettischen Schwesterkirche: „Bischöfin Fehrs protestiert gegen die Abschaffung der Frauenordination in Lettland“.
„Es ist ein Skandal, Frauen vom Pastorinnen- oder Pfarrerinnenamt auszuschließen“, so Fehrs, die seit einigen Monaten auch Mitglied im Rat der EKD ist. Die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands ordinierte ab 1975 Frauen zu Pastoren. 1993 wurde die Frauenordination jedoch ausgesetzt. Theologinnen können seitdem nur durch die Auslandskirche der lettischen Lutheraner ordiniert werden. Ende Oktober 2015 fand nun eine Pfarrerversammlung der etwa 250.000 Mitglieder zählenden Kirche statt. Es wurde der Beschluss gefasst, der lettischen Synode im Juni 2016 die Neuformulierung von Artikel 133 der Kirchenverfassung vorzuschlagen. Danach soll die lettische Kirchenordnung so geändert werden, dass künftig nur Männer Pfarrer werden können.
Gegen diesen Plan protestierte die Vereinigung der Theologinnen in der lettischen lutherischen Kirche. Die Vereinigung blickte im vergangenen Jahr auf ihr zwanzigjähriges Bestehen und vierzig Jahre Frauenordination zurück Der Protest der Hamburger Bischöfin wurde in diesen Tagen auf der Internetseite der Vereinigung ebenfalls gemeldet.
Laut „idea Spektrum“ könne Erzbischof Janis Vanags (s.o. Bild) die Verwunderung mancher lutherischer Schwesterkirchen nachvollziehen. Er lehne es aber ab, als Auslöser eines Skandals wahrgenommen zu werden. Er fragte die Kritiker: „Was in der längsten Zeit der Kirchengeschichte und heute noch weltweit die am häufigsten praktizierte Haltung ist, soll ein Skandal sein?“
Auch die lutherische Kirche Litauens ordiniert z.Z. keine Frauen. Einen Beschluss dazu gibt es nicht, und auch das Kirchenstatut regelt die Geschlechterfrage nicht. Ähnlich wie die nördliche Nachbarkirche sieht man sich aber der Kritik und dem Druck gerade deutscher Lutheraner ausgesetzt.
Übrigens geht die polnische Kirche „Augsburgischen Bekenntnis“ wohl den umgekehrten Weg. Dort ist die Frauenordination laut Kirchenverfassung bisher nicht möglich. Nun steht in diesem Jahr auf der Synode eine Änderung an. Bischof Samiec befürwortet die Frauenordination. Er betont, dass es theologisch keine Gründe gegen sie gäbe. „Wir brauchen den gleichberechtigten Dienst von Frauen und Männern in der Kirche!“ Mehr hier.
Ein sündhaftes System
Die Kirchen im Baltikum sind Mitglieder des Lutherischen Weltbundes (LWB). 77% der Mitgliedskirchen ordinieren Frauen. Zu den verbliebenen 23% gehören aber nur 7% der Mitglieder. Diese Zahlen sollen den verbliebenen Kirchen mit einer ‘konservativen’ Ämterpolitik signalisieren, dass sie sich ins Abseits setzen. Der Weltbund als ganzer will eine „Vision der Inklusivität“ verwirklichen wie es im „Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB“ von 2014 heißt.
Der LWB hat sich selbst verpflichtet, „eine inklusive Gemeinschaft zu sein und Männern und Frauen die volle und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in Kirche und Gesellschaft sowie seinen Entscheidungsprozessen, Aktivitäten und Programmen zu ermöglichen.“ Im Abschnitt „Biblische Grundlage und Argumentation“ des Dokuments ist zu lesen:
„Die Heilige Schrift bietet die Grundlage für einen inklusiven Ansatz. In den Evangelien lesen wir von offenen, inklusiven, annehmenden und wiederherstellenden Beziehungen Jesu zu Frauen. Das biblische Zeugnis unterstreicht, dass Gottes Wort vom Leben in Fülle allen gilt – Frauen wie Männern. Als Gemeinschaft von durch die Taufe Gleichgestellten ist die Kirche berufen, Inklusivität prophetisch zu verkünden und zu praktizieren.“ Anschließend wird Galater 3,27f („nicht Jude noch Grieche,… nicht Mann noch Frau“) zitiert.
So viel zum „biblischen Konzept von Gleichheit und Gerechtigkeit“. Im nächsten Kapitel: „Menschen – Mann und Frau – sind Ebenbilder Gottes: Sie sind unterschiedlich, aber gleichwertig. Frauen und Männer haben gemeinsam Anteil an dem Privileg und der Verantwortung, für die ganze Schöpfung Gottes Sorge zu tragen.“ Es wird behauptet, das „Thema Gendergerechtigkeit“ habe „theologische Grundlagen im biblischen Zeugnis und in der christlichen Tradition“.
Wie diese Fundierung aussehen soll, bleibt weitgehend unklar. Es finden sich dagegen zahlreiche schwammige Aussagen, die aber eine sehr moralische Spitze haben. Ein Beispiel: „Wo immer der Wert einer Gruppe Menschen höher angesetzt wird als der einer anderen, haben wir es mit Sünde zu tun, denn werden Andere abgewertet, wird ihnen damit geschadet. In diesem Sinne ist ein auf Unterordnung und Unterdrückung aufbauendes System, das den Wert von Männern höher ansetzt als den von Frauen, ein sündhaftes System.“
Den Kirchen, die keine Frauen ordinieren, wird also vorgeworfen, Frauen als solche abzuwerten und so an einem sündigen System festzuhalten. Harte Anschuldigungen, für die man eine solide Begründung vergeblich sucht. An einer Stelle des Dokuments wird deutlich, dass die „Gendergerechtigkeit“ das Neue Testament so recht nicht auf ihrer Seite hat: „Zweifellos unterstützen, aufgrund des historischen Kontexts, in dem sie jeweils verfasst wurden, die neutestamentlichen Texte nicht einmütig die Gleichstellung der Geschlechter. Texte, die eine Geschlechterhierarchie als gegeben annehmen (etwa die Forderung, dass sich Frauen ihren Ehemännern unterzuordnen haben, Eph 5,21-24 und Kol 3,18), sollten im Licht der in der Tradition der Aussagen Jesu und der Paulusbriefe stehenden Lehre kritisch überprüft werden.“
Das Grundsatzpapier enthält wenig substantielle theologische Argumente. Dass durch die Taufe eine „Gemeinschaft von Gleichgestellten“ entsteht und damit die Frauenordination begründet sei, vertritt auch Margot Käßmann wiederholt wie im Interview mit der „Zeit“ im vergangenen Jahr: „Frauenordination ist nicht Zeitgeist, sondern lutherische Tauftheologie. Die Taufe bedingt die Berufung ins Amt. Nach Luther ist jeder Getaufte Priester, Bischof, Papst… Es dauerte 450 Jahre, bis uns auffiel: Frauen sind ja auch getauft! Also steht ihrer Ordination und ihrer Berufung ins Bischofsamt nichts entgegen.“ Es ist kaum zu glauben, dass dies Argument Katholiken und Orthodoxe überzeugen wird. Aber dann steht ja als Erklärungsmuster immer die Blendung durch patriarchalische Denkmuster bereit.
2010 verabschiedete die Elfte Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes eine Resolution zur Geschlechterquote in Ausschüssen und Arbeitsgruppen auf allen regionalen Ebenen – mindestens 40 Prozent Frauen und mindestens 40 Prozent Männer. Bei seiner Tagung 2013 beschloss der Rat des LWB „die Grundsätze zur Gendergerechtigkeit und ihre Empfehlungen als ein Rahmenwerk anzunehmen, um die Umsetzung der Verpflichtungen zu Gendergerechtigkeit auf alle Ebenen der Kirchengemeinschaft auszurichten“.
„Begegnungen sind meine Leidenschaft“, sagte Fehrs bei ihrer Vorstellung als Kandidatin für den Rat der EKD. Wir brauchen, so die Bischöfin, vor allem den interreligiösen Dialog: „verschieden bleiben und trotzdem zusammen kommen“; darin müssen wir unbeirrbar sein, denn „in der Begegnung liegt das Geheimnis des Friedens“; sie wolle „Kontroversen voranbringen“. Den renitenten Letten (und Litauern) wird das „verschieden bleiben“ in der Frage der Frauenordination sicher nicht mehr zugestanden. Auf Seiten des LWB wird unbeirrbar daran festgehalten, dass die „Inklusion“ umgesetzt werden muss. Das Voranbringen dieser Kontroverse bedeutet nur eins: die 7%-Minderheit soll sich endlich dem Mainstream fügen.
Um Gottes willen: leite!
Das Thema ist natürlich auch längst bei den Evangelikalen angekommen. Beim „Willow Leadership Summit“ im Jahr 2014 meinte John Ortberg gegen Ende seines Vortrags: „Und nur nebenbei bemerkt, wenn du eine Frau bist und dir Gott die Gabe der Leitung gegeben hat – um Gottes Willen, um der Kirchen willen, um der armen und dunklen Welt willen: leite!“
Zahlreiche Ansprachen des Leiterschaftsgipfels werden seit einigen Jahren jeweils im November auch in Litauen bei Veranstaltungen in Klaipėda und Vilnius vorgeführt. Für das katholische Internetportal bernardinai.lt schrieb Gražina Bielousova einen Beitrag zu der Veranstaltung vor eineinhalb Jahren unter der Überschrift „Gute Nachricht für die Frauen“. Darin meinte die in der methodistischen Kirche Litauens ordinierte Dozentin am EBI: „Ich war noch nie in einer von evangelischen Kirchen organisierten öffentlichen Veranstaltung, in der so offen und direkt diese Botschaft an Frauen erklang: Die Welt und die Kirche braucht nicht nur eure Teilnahme, sondern auch eure Leitung!“
Ortberg sprach zum Buch Esther. Es ist davon auszugehen, dass er durchaus hilfreiche Einblicke in die Geschichte von Esther am persischen Königshof gegeben hat. Die Frage ist nur, welche Schlüsse im Einzelnen für die heutige Praxis daraus zu ziehen sind. Ortberg hat sicher bewusst nicht eindeutig zugespitzt: leitet auch in den Kirchen! In allen! Es kann hier offen bleiben, inwieweit andere Redner wie Bill Hybels diese klare Konkretisierung vorgenommen haben. Entsprechend der Politik der Willow Creek Association ist aber davon auszugehen, dass die Besucher dies auch hören sollten. Denn die „Willow Creek Community Church“ praktiziert von der Gründung 1974 an die völlige Gleichberechtigung von Frauen, d.h. alle Dienste stehen uneingeschränkt auch ihnen offen. Seit etwa 1997 muss diese egalitäre Position von allen Mitarbeitern voll mitgetragen werden. Insofern überrascht dieser Akzent beim Leadership Summit keineswegs.
Allerdings hilft der plakative Stil a la Ortberg ganz und gar nicht weiter. Frauen, leitet! Lasst die Frauen leiten! Was will man zu solchen Sätzen, die so allgemein vorgetragen werden, groß sagen? Aus dem Handeln Esthers sind Schlüsse für Leiterschaft abzuleiten; Esther zeigte gewiss persönliche Leitungsqualitäten. Ist aus diesem Buch im AT nun aber zu folgern, dass Frauen ‘überall’ leiten können und sollen? Sind daraus auch direkte Schlüsse für die Struktur der kirchlichen Leitungsämter zu treffen?
Wir finden im AT Geschichten von Leiterinnen wie z.B. der Richterin Deborah. Eine deutliche Mehrheit der evangelikalen Theologen geht daher auch davon aus, dass Frauen in Staat und Wirtschaft Leitungsämter innehaben können. Natürlich ist auch dies historisch umstritten gewesen (man denke an John Knox wahrlich böses Buch über die Herrschaft von Elisabeth II in England). Was die Kirche betrifft, so ist jedoch keinerlei Konsens anzutreffen; die Positionen der Theologen, die der Bibel treu sein wollen, gehen hier auseinander.
Sollen Frauen in kirchliche Leitungsämter berufen werden (wie z.B. Pastorinnen)? Hier werden heute unter Evangelikalen im Wesentlichen zwei Positionen vertreten: Anhänger des Egalitarismus wie eben „Willow Creek“ vertreten die Öffnung ausnahmslos aller Ämter für Frauen; Komplementaristen ziehen irgendwo eine Linie, d.h. bestimmte Ämter werden Männern vorbehalten. Diese Linien werden durchaus unterschiedlich gezogen (verschiedene Antworten auf die Frage, ob Frauen predigen und wo sie genau im Lehr- und Verkündigungsdienst tätig sein sollen oder eben nicht). Einer der bekanntesten ‘Linienzieher’ war John Stott. In Issues Facing Christian Today schreibt der 2011 verstorbene anglikanische Theologe: „Ich bin immer noch der Meinung, es wäre, biblisch betrachtet, unangemessen, wenn eine Frau zm Pfarrer oder Bischof ernannt würde.“ Er spricht sich für männliche Teamleiter aus, genauso aber auch für „Ordination“ von Frauen zu bestimmten Diensten. Andere wie John Piper oder Wayne Grudem (vom „The Council on Biblical Manhood and Womanhood“, CBMW) ziehen die Linien enger. Die Ordination von Frauen zum pastoralen Dienst lehnen auch Timothy Keller und die ganze „Gospel Coalition“ in den USA ab, die in ihrer theologischen Grundlage eine komplementaristische Position festgeschrieben hat.
Hier kann nicht vertieft werden, wo Linien zu ziehen sind und wie dies im Einzelnen biblisch begründet wird. Dies sind sehr ernste theologische Fragen, die vor allem die Exegese, Hermeneutik und historische Theologie betreffen. Nun will der Leiterschaftsgipfel aber alles andere als eine theologische Konferenz sein. Dies ist in gewisser Weise verständlich, spräche man doch sonst kaum so ein breites Publikum an. Doch wenn man sich nicht besonders um die Theologie schert, dann sollte man nicht Sätze in die Welt setzen, die so verstanden werden: lasst Frauen endlich in den Kirchen überall leiten! Solche Aufforderungen sind theologisch gewaltig aufgeladen; doch 2014 fehlte die ordentliche, saubere, tragfähige Begründung. Und das ist enttäuschend.
Ortberg zog weitreichende Schlüsse aus dem Buch Esther. Letztlich geht es darum, ob er bzw. die Zuhörer aus dem Text die richtigen Schlussfolgerungen für Leitung in der Kirche heute getroffen haben. Hier sollte eingestanden werden, dass die Briefe hier direkter antworten als das Buch Esther. Jede theologische Position hat ihre biblischen Texte, und auch die Irrlehrer haben sie. Die Frage ist, wer die Texte richtig deutet, und diesen mitunter komplexen Fragen muss man sich stellen, will man denn klare Handlungsanweisungen für Leitung in Kirchen geben.
Fallen patriarchalischen Denkens
Leider nehmen gerade Egalitaristen nur zu gerne Abkürzungen und beschränken sich weitgehend auf Appelle wie auch Elke Werner beim dritten Kongress für Weltevangelisation in Kapstadt 2010 („Lausanne III“). Die Deutsche kritisierte in ihrem Vortrag recht deutlich die evangelikale Bewegung: „Wir haben Frauen aus Leitungspositionen ausgeschlossen – einzig weil sie Frauen sind“. Der Heilige Geist, so gab die Leiterin der Frauenarbeit der internationalen „Lausanner Bewegung“ zu verstehen, verteilt alle Gaben auch an Frauen, und daher sollten wir in den Kirchen diese Gaben in vollem Umfang nutzen. Wenn also, konkret gesprochen, Gott auch den Frauen die Gabe des pastoralen Lehr- und Leitdienstes gegeben hat, warum sagen viele dann, dass diese Gabe nicht benutzt werden soll? So sah ihr gesamtes Argument aus.
Auch in Bielousovas Artikel ist so gut wie kein theologisches Argument zu finden außer der Behauptung, dass Gott Frauen ruft und benutzt und die Kirchen entsprechend handeln sollen. Nun ist es unbestritten, dass Gott Frauen ausrüstet, zu Diensten beruft und zum Bau seines Reiches nutzen will. Doch aus dieser Tatsache in ihrer Allgemeinheit darf eben nicht wie selbstverständlich abgeleitet werden, dass er daher gewiss auch zu tatsächlich allen Diensten beruft, die auch Männer innehaben. Schnell werden Prämissen untergeschoben, die erst einmal belegt werden müssten. Wenn einfach davon ausgegangen wird, dass Gott zu allen Diensten wie als Pastorin und Lehrerinn beruft, dann stehen diejenigen, die das nicht so sehen, prompt als diejenigen da, die Gott nicht seine Arbeit machen lassen; die Gott ins Handwerk fuschen; ja die sich so gegen Gott stellen. Gott muss dann die patriarchalischen Männer austricksen. So sind diejenigen, die (noch) meinen, dass man irgendwelche Linien ziehen sollte, ganz schnell in der Ecke der patriarchalischen Bösewichte.
Dies ist keineswegs übertrieben. Denn man beachte, dass mit diesen falschen Unterstellungen leider auch Keith G. Jones in dem vor einigen Jahren in Litauen erschienenden Tikinti bažnyčia: ko galime pasimokyti iš anabaptistų ir baptistų (Kirche der Gläubigen: Was wir von Anabaptisten und Baptisten lernen können) arbeitet. Der englische Theologe, Pastor und langjährige Leiter des Europäischen Baptistischen Seminars in Prag betont den Antiklerikalismus seiner Tradition, die Kritik der autoritären Leitung durch Täufer und Baptisten, behauptet darüber hinaus aber auch: „das anabaptistische Modell stellt einer Herausforderung für patriarchalische Strukturen dar“. Jones bezieht sich auf die baptistische Theologin Rut Guldborn und fragt, ob wir nicht „in den Fallen des patriarchalischen Denkens gefangen sind“. Es folgt ein überflüssiger Seitenhieb auf die Kirchen der Reformation wie Lutheraner und Reformierte, die diese Fallen hinterlassen hätten, denn die „weltliche Christenheit“ habe eben nicht genug reformiert. Am Ende des Abschnitts wird fett hervorgehoben, dass sich die 60%-Mehrheit von Frauen in der Mitgliedschaft doch wohl auch in den Leitungsstrukturen der Gemeinden und Bünde der Baptisten widerspiegeln müsse.
Entweder wir lassen Frauen bis in die höchsten Leitungsämter zu oder wir sind im patriarchalischen Denken gefangen. Diese Art des Aufstellens falscher Alternativen und der geradezu manipulativen ‘Argumentation’ ist alles andere als hilfreich. Und eines ehemaligen Rektors einer angesehenen theologischen Ausbildungsstätte ist so ein verdeckter Schlag unter die Gürtellinie der Komplementaristen einfach nicht würdig. Das Problem ist, dass die Egalitaristen mehr und mehr im Stil von Werner und Jones ihren Standpunkt versuchen durchzudrücken – und nicht sauber und mit Respekt argumentieren.
Im Hinblick auf die Geschlechterfrage ist dies leider auch von „Willow Creek“ zu sagen. Die Kirche ist, wie wir sahen, eindeutig auf egalitaristischer Linie. Das ist ihr gutes Recht. Wayne Grudem wies jedoch in „CBMW News“ (December 1997) darauf hin, dass nicht nur Leiter, sondern auch Mitglieder der Kirche faktisch eine egalitaristische Position einnehmen müssen, denn von ihnen wird gefordert, sich „freudig“, d.h. von ganzem Herzen, ohne innere Vorbehalte, sich der Lehre und dem Dienst auch von Frauen zu unterstellen (joyfully submit). In einem Dokument der Kirche zu der Frage aus dem Jahr 1996 werden bei Literatur zur Vertiefung einzig egalitaristische Bücher genannt, der von Grudem (mit John Piper) zusammengestellte Bestseller Recovering Biblical Manhood and Womanhood wird nicht einmal erwähnt und schon gar nicht empfohlen. Dieses Buch ist auch in der Buchhandlung der Kirche nicht zu erhalten. All dies zeigt nur, dass die konkurrierende Position schlicht und einfach ignoriert wird. Und es ist nicht davon auszugehen, dass sich dieser Standpunkt seitdem geändert hat.
Grudem, wahrlich kein theologischer Hitzkopf und ein echter theologischer Brückenbauer, berichtet dort auch von einer Episode aus dem Frühjahr 1997. Bruce Ware, damals Leiter des Lehrstuhls für systematische Theologie an der angesehenen „Trinity Evangelical Divinity School“, unterrichtete einen Kurs zur Dreieinigkeit in Willow Creek im Vorort von Chicago. Das Lehrbuch zum Kurs, Grudems Systematic Theology, durfte er jedoch nicht im Gebäude an die Teilnehmer verkaufen – weil Grudem darin in 19 von 1262 Seiten die komplementaristische Position darlegt! Dies ist einfach lächerlich, leider aber auch vielsagend. Von einem echten Pluralismus der evangelikalen Standpunkte ist in der Willow-Leitung nichts zu sehen. Die Art und Weise, wie man Theologie betreibt, sollte man von Hybels und allgemein von Willow Creek nicht lernen.
Wie sollen wir über die Geschlechter denken? Welche Ämterstruktur soll es in der Kirche geben? Welche Vollmachten sollen den Amtsträgern gegeben werden? Und welcher Dienst soll von wem ausgeübt werden? Welche Dienste sollen und können Frauen übernehmen? Über all diese Fragen muss ernsthaft und tief nachgedacht werden; man muss sich mit den verschiedenen Antworten vertraut machen und darf missliebige Standpunkte nicht einfach ignorieren; die Argumente sind abzuwägen, ihre biblische Begründung zu diskutieren.
Die evangelischen Kirchen Litauens haben hier sehr viel Nachholbedarf. Klare und begründete Positionen zu Frage des Frauenordination hat kaum eine formuliert. Es reicht heute nicht mehr, sich einfach auf seine Konservativität zu berufen: wir machen so etwas eben traditionell nicht. Es reicht aber genauso wenig, einfach pragmatisch mit dem Strom zu schwimmen.
Paradigmenwechsel
Fehrs, die Leitung des LWB und natürlich auch die Spitzen der EKD-Kirchen nehmen keinerlei Blatt vor den Mund und sprechen mutig von Skandal oder gebrauchen andere Kraftausdrücke, weil man die andere Seite gar nicht überzeugen will. Man setzt auf das Aussterben der Vertreter des alten, exklusivistischen, die Frauen angeblich unterdrückenden Paradigmas. Ein argumentative Auseinandersetzung erübrigt sich da. Tony Jones, einer der Vordenker der „emerging church“, rief sogar zu einem Schisma d.h. zu einer Trennung der Inklusivisten von den unverbesserlichen Exklusivisten auf.
All das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass weltweit gesehen das alte Paradigma ganz und gar nicht ausstirbt, im Gegenteil. Die große Mehrheit der Christenheit verweigert sich dieser Art von Inklusion. Und auch Fehrs sollte besser vor der eigenen Haustür kehren. Die Nordkirche gehört zu den in Deutschland am stärksten schrumpfenden, was von der lettischen nicht gesagt werden kann.
Ruft man in diesen Tagen die Meldung über Fehrs Grußwort auf evangelisch.de auf, steht daneben der Beitrag „Lesben und Schwule in der Jugendarbeit: ‘Wir sind da noch nicht final durch’“. „Gerade in der Kinder- und Jugendarbeit sind Homosexuelle mancherorts nicht erwünscht“ schreibt dort Autorin Anne Kampf am 22. Februar. Homosexuell Lebende seien in der evangelikalen Jugendarbeit meist nicht als Mitarbeiter erwünscht. Noch nicht. Die Pressesprecherin der Verbands christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder wird zitiert: „Das geht überhaupt nicht, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in irgendeiner Form ausgeschlossen werden.“ Hat man sich erst einmal auf die Inklusion voll eingelassen, gibt es kaum noch ein Halten mehr. Die Ordination von Frauen ‘ist [in Deutschland] durch’, die der LGTB-Orientierten noch nicht final. Aber das Ende ist in Sicht. Wer als Evangelikaler die Frauenordination mit Verve verfechtet, sollte wissen, wohin das inklusivistische Gleis über kurz oder lang führt.
(Zur Frauenordination s. hier, zur lutherischen Kirche Lettlands s. hier.)