Riese im Anmarsch
Vor zwanzig Jahren bereitete das Einkaufen in Litauen für Westeuropäer kaum Vergnügen. Das Warenangebot war noch recht begrenzt, und Selbstbedienungsläden und Supermärkte im bekannten Stil – weitgehend Fehlanzeige. In den meisten Geschäften musste man sich die Waren umständlich über die Ladentheke reichen lassen.
1993 machten in den Großstädten einige Läden der „Naktigonė“-Kette auf: 24 Stunden geöffnet mit westeuropäischem Warenangebot. Die jungen Unternehmer verprassten jedoch die Gewinne, und im Jahr 2000 musste das letzte Geschäft schließen.
Diesen Fehler machte eine Gruppe junger Medizinstudenten nicht. 1995 entstand „Vilniaus prekyba“ (Vilnius Handel, heute VP-Gruppe) aus dem Zusammenschluss von sieben Firmen und stieg in den Einzelhandel ein. Anfangs kopierte man frech das Logo von „Aldi Nord“. Später benannte die neun Unternehmer die Geschäfte in „Maxima“ um. Einen Sprung nach vorn machte die Kette nach dem gewinnbringenden Verkauf von drei Zuckerfabriken an „Danisco Sugar“. Den Erlös investierte man in den Ausbau der Kette: Von 1999 bis 2001 erweiterte „VP Market“ die Zahl der Geschäfte von 34 auf 107. Um die Jahrtausendwende schossen die Supermärkte westlichen Stils auch sonst wie aus dem Boden.
Heute betreibt die „VP-Gruppe“ 231 „Maxima“-Läden im Land. Hinzu kommen noch einmal so viele in anderen Staaten Osteuropas, vor allem in Lettland. Daneben unterhält die Gruppe Apotheken, Baumärkte und die Einkaufspaläste „Akropolis“. Der inzwischen mit Abstand wichtigste Aktionär der Gruppe ist Nerijus Numavičius, nach Vermögen der einzige Euro-Milliardär Litauens.
Hauptkonkurrent von „Maxima“ ist die „IKI“-Kette mit 234 Supermärkten, die von „Palink“ betrieben werden. Das Unternehmen wurde 1992 von drei belgischen Brüdern gegründet, seit 2008 hält die REWE-Gruppe Anteile (weitere Aktienpakte sind im Besitz von Firmen aus der Schweiz und Frankreich). Ganz in litauischen Händen ist „Norfa“ (136 Geschäfte). 52 Märkte unterhält „Rimi“, das inzwischen mehrheitlich zur schwedischen „ICA gruppen“ gehört. Schließlich ist der „Aibė“-Verbund mit kleinen Geschäften gerade auf dem flachen Land gut vertreten.
Für litauische Verhältnisse sind all diese Unternehmen recht groß. Die „Maxima“-Märkte machen einen jährlichen Umsatz von 1,5 Mrd; mit 17.000 Mitarbeitern (die ganze Gruppe hat 31.500) ist die „VP-Gruppe“ einer der wichtigsten Arbeitgeber im Land. „IKI“ macht einen Umsatz von 0,6 Mrd.
Der Einzelhandelsmarkt ist also gut aufgeteilt, aber nun macht sich erstmal auch ein big player aus dem Westen breit: 2016 wird die „Schwarz“-Gruppe, immerhin die viertgrößte Einzelhandelskette der Welt, etwa 30 „Lidl“-Märkte im Land eröffnen. In zahlreichen Orten entstehen zurzeit einstöckige Märkte mit immer ähnlichem Aussehen. Platz gibt es in den Städten Litauens eigentlich noch genug, aber inzwischen sind interessante Lagen schon etwas rar geworden. In Šiauliai erkämpfte sich „Lidl“ einen guten Bauort direkt neben der Konkurrenz von „Akropolis“ und „Maxima“ (s.o. Bild).
Erstmals wird es also in Litauen recht schmucklose Discounter geben. Denn das Warenangebot der „Lidl“-Märkte wird wie üblich begrenzt sein und meist nur um die 2000 verschiedene Produkte umfassen. Die größeren litauischen Märkte haben bisher von 8.000 bis 50.000 Artikel im Laden. Man vermutet, dass „Lidl“ die Konkurrenz preislich unterbieten wird. Tatsächlich erhoffen sich 80% der Litauer von den neuen Geschäften günstigere Preise. Mit Billig-Ablegern experimentierten auch die hiesigen Ketten schon, kein Konzept konnte sich aber bewähren. Insofern blickt nun alles gespannt auf die Geschäftspolitik von „Schwarz“, von der in der Öffentlichkeit noch so gut wie nichts bekannt ist.
„Lidl“ ist für viele Litauern kein Unbekannter mehr, kennen sie die Märkte doch oft aus Großbritannien und Irland. Die Läden mit dem gelben Kreis sind in 26 Ländern Europas vertreten; in ganz Europa hat „Lidl“ immerhin um die zehntausend Geschäfte und macht einen Umsatz von etwa 70 Mrd Euro – 30 Mal mehr als die „VP-Gruppe“ in Litauen!
„Lidl“ geht zurück auf die „Specerei und Südfrüchten-Handlung A. Lidl & Cie.“ in Heilbronn. Nach Eintritt von Josef Schwarz in das schwäbische Unternehmen nannte man sich „Lidl und Schwarz Sortimentsgroßhandlung“. 1973 wurde ein erster Disounter in Ludwigshafen eröffnet – um „Schwarz-Markt“ zu vermeiden, griff man auf „Lidl“ zurück. Nun geht die Expansion also in Litauen weiter, und mit den 30 Läden im kommenden Jahr wird wohl nicht Schluss sein. Anfangs wird sicher nur ein recht kleiner Marktanteil drin sein, doch das Logistikzentrum bei Kaunas hat stattliche 40.000 m2 Fläche – das deutet auf weitere Expansion hin, womöglich auch nach Lettland.