„25 Jahre auf dem Weg der Freiheit“
1990 begann in Litauen der große Systemwechsel: von einer staatlich gesteuerten hin zu einer freien Wirtschaftsordnung. Die Herausforderungen waren gewaltig. Um diesen Prozess zu begleiten und voranzubringen, gründeten im November des Jahres sechs Ökonomen das „Litauische Institut für freie Marktwirtschaft“ (Lithuanian Free Market Institute, lit. Lietuvos laisvosios rinkos institutas, LLRI). Es war das erste und ist bis heute das einzige Institut für Wirtschaftsforschung in ganz privater Trägerschaft in Litauen.
Der Volkswirtschaftsprofessor Kęstutis Glaveckas, Jahrgang 1949, war noch mit Abstand der älteste unter den jungen Idealisten von sonst Mitte Zwanzig. Glaveckas ging in die Politik, gehörte bis 2012 dem Parlament an. Petras Auštrevičius schlug erst eine diplomatische Laufbahn ein, leitete die Verhandlungen zum EU-Beitritt Litauens. Nun ist er einer der Führer der „Liberalen Bewegung“ im Seimas. Darius Mockus leitet heute den Konzern „MG Baltic“, eine der größten Firmengruppen des Landes.
Erste Präsidentin des LLRI wurde mit Elena Leontjeva (Jg. 64) eine weitere Mitgründerin. Unter ihrer Regie konnte das Institut nicht unerheblichen Einfluss auf die Gestaltung des Währungs- und Bankensystems in Litauen nehmen. Privatisierung, Steuerpolitik, Reformen im Sozial- und Gesundheitssektor wurden und werden begleitet. Leontjeva wechselte 2001 in den Vorstand des LLRI, den sie bis heute leitet. Ihr Nachfolger wurde Ugnius Trumpa (der 2011 plötzlich verstarb), 2006 übernahm Remigijius Šimašius die Führung des LLRI. 2008 wurde dieser Justizminister in der liberal-konservativen Regierung. Im Frühjahr gewann Šimašius mit der „Liberalen Bewegung“ die Wahl zum Bürgermeister der Hauptstadt Vilnius. Seit 2011 steht Žilvinas Šilėnas (Jg. 1981) dem LLRI vor, der aus Šiauliai stammt.
Das LLRI ist ideologisch dem klassischen Liberalismus zuzuordnen, was sich ja auch im Namen wiederspiegelt. Außerdem orientiert man sich an der Österreichischen Schule der Nationalökonomie (Menger, Mises, Hayek, Rothbard), weshalb auch mit Mises-Instituten in verschiedenen Ländern zusammengearbeitet wird. Zum „Acton Institute“ in den USA bestehen ebenfalls gute Beziehungen. Mit ähnlich ausgerichteten think tanks ist das LLRI im „Atlas network“ verbunden. Im vergangenen Jahr wurde das Institut für seine seit 2011 durchgeführte Bewertung der Politik der Kreisverwaltungen mit dem „Templeton Freedom Award“ ausgezeichnet.
Das LLRI vertritt klare Positionen und kommuniziert sie nicht weniger klar. Vor allem Präsident Šilėnas und sein Vize, Vytautas Žukauskas, schreiben regelmäßig Kolumnen für litauische Magazine wie „IQ“ und „Veidas“. Neben den Chefvolkswirten der großen Banken (SEB, Swedbank, DnB) gehören die Mitarbeiter des LLRI zu den beliebtesten Wirtschaftserklärern im Fernsehen und den Medien allgemein. Natürlich ist auch der Einfluss in der Politik nicht gering vor allem in der „Liberalen Bewegung“ und bei den Konservativen.
Ist die Professorenschaft für Wirtschaft an den litauischen Hochschulen überaltert, so ist das 15-köpfige LLRI-Team jung – und mehrheitlich weiblich. Kaum einer der Mitarbeitenden ist über 40, viele unter 30. So liegt auch ein besonderer Schwerpunkt nah: Bildung und Material für Schulen. Das LLRI bietet Kurse und Veranstaltungen für Schüler an („Wirtschaft aktiv“) und brachte jüngst ein selbst verfasstes Lehrbuch für Wirtschaft im Schulunterricht auf den Markt. Zahlreiche Bücher wurden bisher verlegt wie z.B. auch Roland Baaders Geldsozialismus.
In Deutschland laden selbst evangelikale Veranstalter gerne Tomáš Sedláček ein. Der Volkswirt aus Tschechien streift in seinem Buch Die Ökonomie von Gut und Böse auch das Alte Testament und hat keinerlei Berührungsängste mit Religion und Glaube, integriert Ethik und Werte in sein Verständnis von Wirtschaft. Beim LLRI macht dies weniger Eindruck, denn dort wird schon lange über Religion und Moral gesprochen. Schließlich sitzen im Vorstand gleich vier engagierte Katholiken, neben Leontjeva die Geschäftsführerin des wichtigen Fleischverarbeiters „Nematekas“, der junge Bischof Kęstutis Kėvalas aus Kaunas sowie Paulius Subačius, Sprachwissenschaftler, Lituanist und Journalist von der Vilniuser Universität, seit kurzem auch im Vorstand der ältesten Hochschule des Landes.
Gerne wirft man Ökonomen einen engen Horizont und verengte, nur auf Materielles ausgerichtete Sichtweise vor. Und da ist oftmals viel Wahres dran. Aber auch hier scheren die Litauer vom LLRI aus der Reihe. Vorstandsleiterin Leontjeva initiierte vor einem Jahr ein Projekt zum Thema „Knappheit“ (engl. scarcity, lit. stoka). Das für die Wirtschaft zentrale Thema wird darin von einer breiten Reihe von Experten aus ihrer jeweiligen Sicht durchleuchtet: Psychologen, Philosophen, Anthropologen usw. Gleich mehrere Theologen arbeiten mit. Ich lieferte im Sommer einen Text zur Knappheit aus biblisch-theologischer Perspektive ab. Nun gab das LLRI noch eine zweite Arbeit in Auftrag: die Ontologie der grundlegenden wirtschaftlichen Phänomen – aus theologischer Sicht. Im kommenden Jahr werden Ergebnisse veröffentlicht werden.
Das LLRI geht Dingen gerne auf den Grund, begeht dabei schon mal Neuland und schätzt Expertenwissen von außen. Die Offenheit, auch für christliche Sichtweisen ist groß, der Orientierungspunkt bleibt aber immer die Freiheit.
„25 Jahre auf dem Weg der Freiheit“ war daher auch das Motto der Geburtstagsfeier des LLRI am 10. September. Jeden Herbst lädt das LLRI seine Freunde und Förderer zu einem Abend ein. Bei diesem Mal wurde es gar nicht pompöser, nur inhaltlich bot man noch mehr. Leontjeva sprach sehr engagiert zum Knappheitsprojekt, nach einigen Minuten fielen die Begriffe Gott, Schöpfung und Fall. Gut erläuterte christliche Vorstellungen brauchen sich eben nicht zu verstecken. Passend dazu erhielten alle Gäste ein kleinen Booklet mit dem Titel: „Der Mensch auf dem Markt: zwischen Freiheit und Moral“.
Hauptredner im großen Saal des RadissonBlu in Vilnius war Charles Murray vom „American Enterprise Institute“ aus den USA. Seine Ansprache ist hier zu hören. Sehr interessant, gerade auch für Westeuropäer, waren die Rückblicke von Politikern aus Zentraleuropa auf die Reformprozesse der letzten Jahrzehnte. Neben einem Ungarn und einem Bulgaren sprach Ivan Mikloš, der frühere Finanzminister und Vizepremier der Slowakei und einer der Konstrukteure des slowakischen Erfolgsmodells: eine konsequente und klare Reformpolitik (in Deutschland von vielen gerne als „neoliberal“ verunglimpft) brachte das Land innerhalb weniger Jahre gewaltig nach vorne. Aus der vormals rückständigen Gegend in der Tschechoslowakei wurde ein Vorreiter in der ganzen Region, der sogar das benachbarte Ungarn überholte (Mikloš spricht auf englisch nach der litauischen Moderation von R. Valatka in „Ko mus išmokė nueitas reformų kelias“ ab der vierten Minute).
IfW, DIW, RWI und Ifo – in Deutschland gibt es gleich eine Reihe „führender“ Wirtschaftsforschungsinstitute, und die vier genannten sind nur die bekanntesten. Ist das eine „gewerkschaftsnah“, so steht ein anderes für „Marktliberalismus“. In Litauen gibt es natürlich auch bekannte Ökonomen, die einen sozialdemokratischen Ansatz verfolgen wie z.B. Prof. Romas Lazutka von der Uni Vilnius. Eine Institution wie das LLRI auf dem eher linken Spektrum gibt es jedoch nicht. Daher wünschte Egidijus Aleksandravičius, bekannter Historiker von der Vytautas-der-Große Universität in Kaunas, am Ende seines engagierten Beitrags während einer fast rein litauischen Podiumsrunde vor allem eines: „sehr gute Konkurrenz“ (von den Wirtschaftsliberalen ja großgeschrieben), d.h. eine Wirtschaftsforschungseinrichtung, die dem LLRI andere Positionen entgegensetzt. Ob es dazu kommt, ist fraglich. Denn im linken Lager wird eben gerne auf den Staat geschaut, der helfen soll.