„Warum brauchen Sie dann noch Jesus?“
Jesus und sein „schwerer Charakterfehler“
An Büchern über das angebliche Elend des Christentums mangelt es nicht. Joachim Kahl (geb. 1941) brachte sein Plädoyer für eine „Humanität ohne Gott“ schon 1968, bald nach seiner ‘Entkehrung’, heraus. Kurt Flasch (geb. 1930) wartete bis ins hohe Alter, bis er Warum ich kein Christ bin schrieb. Darin blickt der Philosoph und Experte des mittelalterlichen Denkens mit recht viel Ruhe und Gelassenheit auf sein Leben zurück. Der aggressive Ton eines Richard Dawkins oder Sam Harris, zwei führende Köpfe der Neuen Atheisten, fehlt ihm. Die Weisheit des Alters eben.
Flaschs Buch liest sich anders als viele der Abrechnungen mit dem Christentum, weil er nicht auf die Kirchen eindrischt oder Christen pauschal vorwirft, sie wüssten nicht, was sie glauben (wie Franz Buggle in einem Buchtitel). Denn an der Kritik von Glaubensgemeinschaften und ihrer Mitglieder mangelt es in atheistischen Schriften ja nicht. Hier findet sich genug bei Dawkins, aber der deutsche Autor Karlheinz Deschner (1924–2014) ragt sicher heraus, der in Werken wie Abermals krähte der Hahn oder der Kriminalgeschichte des Christentums (10 Bände!) die letzten 2000 Jahre durchpflügte und die Kirche geradezu zerpflückte. Bei dieser Masse an gerechtfertigten und ungerechtfertigten Vorwürfen darf man aber eins nicht übersehen: Das schlimmste, was Deschner Jesus selbst vorwerfen konnte, war jedoch einzig, dass dieser sich geirrt hätte, was seine baldige Wiederkunft betrifft.
Dies hielt auch schon Bertrand Russell in Why I am not a Christian Jesus vor – ein Buchtitel, den auch Flasch wegen seiner Klarheit übernommen hat. Nach der Analyse der Gottesbeweise kommt Russell (1872–1970) dort auf Jesus zu sprechen und fragt, „ob Christus der beste und weiseste der Menschen war“. Der berühmte Philosoph meint nicht unbescheiden: „Ich stimme mit ihm weit mehr überein als die meisten Bekenntnischristen“. Indirekt zeigt er damit schon, dass selbst für einen Atheisten die Maßstäbe Jesu gelten. „Geschichtlich gesehen ist es ziemlich zweifelhaft, ob Christus überhaupt jemals gelebt hat, und wenn ja, so wissen wir nichts über ihn“, so der berühmte Satz des Philosophen. Gut hundert Jahre zuvor hatten französische Aufklärer wie Voltaire und d‘Holbach diesen Gedanken in die Welt gesetzt.
Sein Hauptargument ist, Jesus habe einen „schweren Charakterfehler“ gehabt. Russell glaubt, dass niemand, „der zutiefst menschenfreundlich ist, an eine ewigwährende Strafe [in der Hölle] glauben kann.“ Und Christus „glaubte ganz gewiß an eine ewige Strafe“. „Rachsüchtige Wut“ finde sich in den Evangelien, aber nicht bei Sokrates. Die ganze Lehre von der Hölle sei eine „grausame Lehre“, ja sie habe sogar „die Grausamkeit in die Welt gebracht“. Und Jesus sei mitverantwortlich dafür.
Im Englischen beginnt der entscheidende Satz jedoch so: „I do not myself feel that any person…“ Russell beruft sich letztlich auf sein Empfinden. Und natürlich hat gerade diese Lehre von der Ewigkeit eine emotionale Komponente. Wen könnte ewiges Glück oder ewige Strafe kalt lassen? Nun wirft aber Russell den Christen vor, dass sie nur aus Gewohnheit, wegen ihrer Erziehung und Gefühlen der Unsicherheit und Angst glauben, und nicht wegen vernünftiger Argumente. Und was tut er hier? Letztlich gefällt ihm die Lehre von der Hölle nicht; er lehnt sie aus emotionalen Gründen ab. Echte Argumente bringt er hier nicht vor, er stellt einfach fest: Freunde der Menschheit müssen die Hölle ablehnen, Punkt.
Man bedenke: substantiell hat Russell gegen das Vorbild Christi eigentlich nicht mehr vorzubringen als seine emotionalen Eindrücke. Atheisten wie auch Dawkins und Deschner können Jesus im Nebel der Geschichte verschwinden lassen (oder versuchen dies), oder sie machen ihn zu einem etwas naiven Dummkopf. Aber tatsächlich haben sie nichts wirklich Hartes gegen ihn in der Hand.
Endgültig entmythologisiert
Auch bei Flasch geht es recht bald um die Identität Jesu. Er berichtet von einem „Sonntagnachmittag bei Herbert Braun“. Als junger Mann besuchte er den bekannten liberalen Theologen:
„Ich wollte wissen, was er vom historischen Jesus wisse. Es war fast nichts. Hingegen malte er aus, Jesus seien im Lauf der urchristlichen Geschichte Aussagenschicht um Aussagenschicht aufgetragen worden, erst die jüdischen Prädikate wie Messias und Menschensohn… Die Prädikate wurden im Lauf der Zeit immer mächtiger. Und nur wer sie zustimmend nachsprach, war ein ‘wahrer’ Christ. Sie streiften alles Geschichtlich-Relative ab. Braun stöhnte: Nicht was ein Christenmensch im Leben tat, sondern welche Titel er Jesus zusprach, wurde zum Charakteristikum der Christen… Das Elend des Christentums sei: die Christusformeln überdeckten die Jesus-Erfahrung.“
Flasch weiter: „Das vollständige, das unbeschnittene Christentum sah Herbert Braun als ein Unglück für die Menschheit an. Er beklagte dessen Dogmatismus. Ich fragte: ‘Ja, warum brauchen Sie dann noch Jesus?’ Die Antwort lautete etwa: ‘Er ist mir vertraut. Er zeigt mir, wie ich leben soll. Er leitet mich zur Selbsterforschung, ohne mich zu demütigen. Er gestattet mir Selbsterkenntnis, mit der ich ‘getrost’ weiterleben kann’.“ Flasch dagegen: „Dafür brauche ich diesen Jesus nicht“. Flasch zog seine Konsequenzen: „Es war das letzte Mal, daß ich einen Theologen um Rat in Glaubenssachen fragte. Ich war endgültig ‘entmythologisiert’.“
Die offene Suche nach Orientierung bei einem Theologen – Geschichten dieser Art finden sich nicht bei Deschner und Dawkins. Flasch hatte immer Respekt vor dem „alten“ oder eben „unbeschnittenen Christentum“. Und er betont sogar: „Der Gott der Philosophen verdient ein ehrendes Gedenken.“ Diesen will er „gegen die Kritik der Unkundigen“ verteidigen, denn er „ist noch jedes Nachdenken wert“. Seitenhiebe bekommen dagegen die modernen Theologen ab: „Ich kann hier die Bemerkung nicht unterdrücken, daß ich mich oft gewundert habe, wie inhaltsarm große Theologen des 20. Jahrhunderts von ihrem Gott gesprochen haben. Selbst der feine Bultmann schrieb: ‘Die Macht, die den Menschen in die letzte Einsamkeit stößt, ist Gott’.“ Auch Barth, der von Gott als dem „ganz Anderen“ sprach, habe einen „merkwürdigen Gottesbegriff“ gehabt: „Dieser Ausdruck klingt tiefsinnig und drückt doch nur Gedankenlosigkeit aus.“
Theologe ist eben nicht gleich Theologe, und Atheisten gibt es auch ganz unterschiedliche (Flasch meidet aber diese Selbstbezeichnung). Dennoch gerät auch Flasch auf den Pfad Russells und setzt sich auf immerhin über 250 Seiten kaum ernsthaft mit der Person Jesu auseinander. Noch am intensivsten diskutiert er die Auferstehung, aber auch hier geht es nicht um Jesus selbst.
Natürlich behandelt Flasch auch das Problem des Bösen und die These der Christen, es werde „dadurch gelöst, daß Gott selbst mit uns leide“. Das will ihn jedoch nicht überzeugen: „Auch wenn Gläubige sich gestärkt fühlen, wenn sie einen göttlichen Leidensgenossen sehen, bleibt die Frage, ob man es der Welt ansieht, daß ein guter und allmächtiger Gott sie weise erschaffen hat. Danach sieht es aber nicht aus; geschichtliche Berichte über das Leiden eines Gerechten taugen nicht zur Rechtfertigung Gottes. Außerdem: Wenn Jesus gekreuzigt worden ist, hat er gewiß gelitten, aber ob Gott dabei gelitten hat und ob Gott am Kreuz gestorben ist, das wirft so viele Fragen auf, daß die einfachere Frage nach dem Grund der Leiden in der Welt noch unlösbarer wird.“
Flasch macht sich hier, an einer wirklich wichtigen Stelle, überhaupt nicht die Mühe einer auch nur annähernd soliden Analyse des Arguments. Natürlich sieht man es der Welt nicht direkt im Sinne von eindeutig an, dass sie von einem guten und allmächtigen Gott geschaffen wurde. Es ist nach dem Fall nicht mehr offen-sichtlich. Gerade das aber schafft ja überhaupt nur das „Problem“ des Bösen und des Leids. Flasch dekretiert nun einfach: der Kreuzestod taugt nicht zur Rechtfertigung. Ein Argument kann ich hier nicht erkennen.
Und dann fragt er, ob Gott am Kreuz gelitten hat. Dies würde viele, zu viele, zu komplizierte Fragen aufwerfen. Der Grund des Leidens würde noch unlösbarer. Wieso das? Flasch schiebt hier die Prämisse unter, dass die Lösung des Problems einfach und elegant sein muss, und vor allem: er schiebt die Antwort der Christen einfach vom Tisch. „Wirft mir zu viele Fragen auf“ – das kann man immer behaupten, wenn man sich mit etwas nicht näher beschäftigen will. Die Frage ist doch einfach, ob dies wahr ist oder nicht, ob Gott selbst in irgendeiner Weise am Kreuzesgeschehen beteiligt war – Kompliziertheit hin oder her.
Flasch arbeitet sich fast an der ganzen Dogmatik und Ethik des Christentums ab. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass der Profi-Philosoph (auch hier wieder Russell folgend) es dabei gerne einfach hat. Zumindest findet sich nicht selten Spott, wenn der christliche Glaube differenzierte Lehren vorlegt.
„Christentum der Unvernunft“
Im Kapitel „Opfer“ fragt Flasch: „Aber gehört er [der universale Heilswille] nicht zum Wesen des Christentums? Ist der Gott des Neuen Bundes nicht die Liebe? Manche Menschen bekommen glasige Augen, wenn sie das Wort ‘Liebe’ hören. Deswegen muss man etwas genauer hinsehen. Daß das Christentum die Religion der Liebe sei, ist eines der stärksten Werbemittel der christlichen Kirche. Können sie sich auf das Neue Testament berufen?“ Zu den Stellen in 1 Joh, wo es um den Gott der Liebe und die Liebe der Christen geht: „Er [der zitierte Abschnitt] sagt unmißverständlich, daß Gott seine Kinder liebt… Es gibt Kinder des Teufels, und es gibt Kinder Gottes“. Er hat Sympathie für den Beginn des Johannesevangeliums – der Logos, der „das Licht Gottes über den ganzen Kosmos und über alle Menschen“ breitet. „Er erleuchtet alle Menschen, nicht nur die Christen. Diese Botschaft klingt menschenfreundlich und universalistisch. Aber dann folgen ganz ander Töne…“ Bei Johannes wird ein „schroffer Gegensatz zwischen Christengruppe und ‘Welt’“ unterstrichen.
Auf der einen Seite kritisiert Flasch gerne das ständige Gefasel von der Liebe, das Baden in einer Rhetorik der Liebe, auf der anderen hätte er es aber auch gerne, wenn die Liebe Gottes wie mit einer Gießkanne über alles und jeden gleich ausgegossen wird. Es hat, bitte schön, ganz einfach zu sein. Dabei ist die Lehre von der Liebe Gottes ein komplexe und schwierige (s. D.A. Carsons sehr gutes Büchlein The Difficult Doctrine of the Love of God, wo dieser fünf Arten der Liebe Gottes unterscheidet). Einen Philosophen sollte eigentlich nicht überraschen, wenn Antworten auf grundlegende Frage auch mal komplexer ausfallen. Dass man eine allgemeine Liebe zu allen Menschen und eine besondere Liebe zu seinem Volk und seinen Kindern biblische begründen kann und dass sich diese ‘Arten’ der Liebe in keinem Widerspruch befinden müssen, diskutiert Flasch überhaupt nicht.
So wird auch nachvollziehbar, warum Flasch dem Gott der Philosophen mehr abgewinnen kann als dem biblischen. „Der Philosophengott war immer gleichbleibend neidlos gut; er tobte nicht; er bereute nichts.“ Das ist wohl war. Aber das liegt daran, dass dieser Gott eben eine Konstruktion ist (zumindest in Teilen); der biblische Gott hat sich selbst offenbart – mit allen Ecken und Kanten. Und zu allem Überfluss auch noch auf verschiedene nämlich trinitarische Weise. Mit der Dreieinigkeit kann Flasch überhaupt nichts anfangen. In III,3 behauptet er zum Mission- und Taufbefehl in Matthäus 28,16–20: „Das ist die einzige Stelle im Neuen Testament, die von der Trinität redet.“ Und am Ende im Kapitel „Christentum der Unvernunft“: „Die theologische Spekulation… konnte nicht einmal ihre Lehre von der Trinität… kohärent formulieren… Die Trinitätslehre von Nicea, Augustinus und der Scholastik steht nicht im Neuen Testament. Sie ist eine inkongruente Konstruktion des 4. und 5. Jahrhunderts.“
Der schlaue Philosoph bescheinigt den Theologen der Jahrtausende Totalversagen. Man müsste dann eigentlich zurückfragen: Entweder waren sie zu dumm dazu, einfach unfähig ordentlich zu denken – das würde der Experte Flasch dann aber doch nicht wagen zu behaupten, schließlich weiß er es besser. Oder sie hatten täuschende Absichten, wollten den Gläubigen bewusst mit hochgeistigen und nicht zu verstehenden Lehren den Kopf verwirren, von sich als der intellektuellen Elite der Kirche abhängig machen usw. usf. In manchen Fällen war dies sicher so, aber als pauschale Erklärung für die „inkongruente Konstruktion“ reicht auch dies nicht. Flasch zieht nicht einmal in Erwägung, dass der Charakter der Trinitätslehre ihren Grund eben im Wesen Gottes und unserer begrenzten Kenntnis von diesem Wesen hat. Wenn Gott als der Schöpfer und Urgrund des Universums, als der Erhalter, Lenker, Erlöser und Vollender der Welt existiert, haben wir dann Grund zur Annahme, dass wir ihn mit unseren menschlichen Aussagen ganz einfach erfassen und begreifen können? Wir können einiges über Gott wissen, noch bleibt vieles aber Geheimnis. Und dass dies so ist, lässt sich durchaus rational begründen. Die Lehre von der Dreieinigkeit nähert sich in verantwortungsvoller Weise und nur so weit, wie es nötig und erlaubt ist, dem Geheimnis Gottes an. Hier mit dem pauschalen Vorwurf der Inkohärenz zu kommen, wird der Sache nicht gerecht. Genauso gut kann sich ein Mechaniker von Rasenmähern beschweren, dass ihm der Bauplan einer Mondrakete zu kompliziert erscheint.
Flasch kann mit Trinität nichts anfangen, und so wundert es auch nicht, wenn er im Abschnitt „Loskauf“ schreibt: „Christus soll doch Gott sein. Wenn es aber Gott war, dann versöhnte er sich durch sienen Kreuzestod mit sich selbst. Die zweite Person der Trinität mit der ersten? Oder bot Christus sein Blut der ganzen Trinität, darunter sich selbst? Ein Abgrund tut sich hier auf.“
Der Philosoph steht hier vor dem Zentrum des Erlösungsgeschehens. Er glaubt nur einen Abgrund zu erkennen. John Stott sieht die Dinge ganz anders: „Es ist Gott selbst, der in seinem heiligen Zorn besänftigt werden muss; Gott selbst ist es, der in seiner heiligen Liebe diese Sühne ausführte; und es ist Gott selbst, der in der Person seines Sohnes zur Sühne unserer Sünden starb. Gott ergriff also seine eigene liebende Initiative, um seinen eigenen Zorn zu besänftigen, indem er selbst in seinem Sohn ihn auf sich nahm, als dieser unseren Platz einnahm und für uns starb.“ (The Cross of Christ)
Warum ich kein Christ sein will
Flasch fehlen keine Informationen, schließlich besitzt er profunde Kenntnisse der Theologie. Er ist auch nicht traumatisiert oder sonst wie vorbelastet durch schlechte Erfahrungen mit der Kirche und ihren Dienern; es ist sein „gedanklicher Rahmen“, der bestimmte Einsichten einfach nicht zulässt.
Mit diesem Begriff umschrieb der britische Philosoph Antony Flew (1923–2010) seinen Wandel von Atheismus zu Theismus. Flew gehörte zu den profiliertesten Atheisten, hatte sich intensiv und gründlich mit Religion und Theologie auseinandergesetzt. Sein Essay „Theology and Falsification“ (1950) gehört bis heute zum Besten in der Religionsphilosophie; es folgten wichtige Bücher wie God and Philosophy und The Presumption of Atheism. Doch ausgerechnet Flew, lange ein philosophischer Kopf des Atheismus, glaubte seit 2004 an die Existenz Gott: „Ich glaube nun, dass das Universum durch eine unendliche Intelligenz ins Leben gerufen wurde.“ (There Is A God) Keine irrationale Vision hat ihn zu dieser Erkenntnis geführt, vielmehr das neue Nachdenken über die „Beweise der Natur“ selbst. Immer ging es ihm darum, „alle relevanten Informationen zu sammeln und im Kontext zu untersuchen“. Es haben ihn nicht ganz neue Argumente zum Glauben an Gott geführt, sondern ein langsamer Wandel seiner grundlegenden Weltanschauung oder eben des „gedanklichen Rahmens“.
Bei Flasch ist wenig Raum für solch einen Wandel zu erkennen. Er hat einen festen Glauben an die historisch-kritische Methode, wie er früh im Buch deutlich macht. Diese habe sich nicht nur eindeutig bewährt. Die Methode sei absolut grundlegend für das geschichtliche Wissen. Sie duldet „ihrer Natur nach in Faktenfragen keinen Kompromiß“. Für Flasch ist sie schlicht ein Faktum, und er ist auch vor allem deshalb kein Christ mehr, weil er aus dieser Methode und der neuen Lage im Zuge der Aufklärung die Konsequenzen gezogen habe – anders als viele Theologen. Wer behauptet, die Bibel habe doch recht, „muss scheitern“.
Die historischen Wissenschaften, so Flasch, ließen vom „historischen Jesus“ kaum etwas übrig. Wenn aber die Methode selbst, an die er so fest glaubt, keine übernatürlichen Eingriffe und schon gar keinen Gott-Menschen zulässt, dann kann nur ein ungläubiges „diesen Jesus brauche ich nicht“ herauskommen. Christen, die an die historische Wahrheit und Faktizität ihrer wichtigen Heilsereignisse glauben, arbeiten nach anderen Prinzipien. Ihnen deswegen Unvernunft vorzuwerfen, ist unredlich. Thomas Nagel (geb. 1937), Philosoph aus den USA und ebenfalls Atheist, ist da viel ehrlicher und gesteht im letzten Kapitel von The Last Word (1997) ein: „Ich will, dass der Atheismus wahr ist… Es ist nicht nur so, dass ich nicht an Gott glaube und daher natürlich hoffe, dass ich in meinem Glauben recht habe. Es ist vielmehr so, daß ich hoffe, daß es keinen Gott gibt! Ich will nicht, daß ein Gott da ist: Ich will nicht in solch einem Universum leben.“
Vielleicht hätte Flasch den von Russell übernommen Buchtitel doch etwas abändern sollen: Warum ich kein Christ sein will.