Die Balten machen’s vor

Die Balten machen’s vor

Das Drama um Griechenland geht vorerst weiter, Ausgang offen. Bei den ewigen Verhandlungen in den europäischen Gremien steht oft der Konflikt zwischen der deutschen Geldbörse, repräsentiert durch Merkel, und dem griechischen Fass ohne Boden, auf dem Tsipras sitzt, im Zentrum des Interesses. Die hartnäckigsten Kontrahenten der Regierung in Athen kommen aber nicht aus Berlin. Es sind die kleinen, postkommunistischen Staaten Zentraleuropas wie die Slowakei und die baltischen Länder. Gerade die Letzteren haben aus eigener Einsicht in der Krise gekürzt, gespart und harte Reformen eingeleitet. Nun ernten sie die Früchte guter Politik. Sie können am allerwenigsten verstehen, wenn schlechtes Staatsmanagement mit Großzügigkeit belohnt werden soll. Als es nötig war, haben sie den Gürtel enger geschnallt. Dennoch ist „Austeritätspolitik“ fast schon zu einem Schimpfwort verkommen.

Hauptstadtbrief

Im aktuellen „Hauptstadtbrief“ vergleicht Philipp Bagus in „Die Tragik Griechenlands – es verlieren beide, Retter und Gerettete“ (S. 8–13) Griechenland und die baltischen Staaten. Bagus lehrt in Madrid Volkwirtschaft und ist ein deutscher Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Eine Hauptursache der Krise ab 2007 sieht er in der Schwemme billigen Geldes, die zu gewaltigen Blasen führen musste. Bagus:

„In einem künstlichen durch expansive Geldpolitik erzeugten Boom, wie wir ihn in den 2000er-Jahren erlebten, kommt es zu Fehlinvestitionen. Knappe Ressourcen der Gesellschaft werden nicht dort verwendet, wo sie aus Sicht der Konsumenten und ihrer dringendsten Bedürfnisse sein sollten.“ Nur Unternehmer können „die verzerrte Produktionsstruktur“ effektiv „an die Konsumentenbedürfnisse anpassen“. Dafür benötigen sie „Freiheiten und Ressourcen“.  Die Forderung des jungen Professors: „Um die Krise rasch zu überwinden, sollten Staaten daher alle künstlichen Hindernisse für die menschliche Kooperation soweit es geht beseitigen und beispielsweise die Arbeitsmärkte liberalisieren. Außerdem sollten die Staatsausgaben verringert werden. Denn alles, was der Staat ausgibt, nimmt er zunächst der Zivilgesellschaft ab… Das beste Konjunkturprogramm besteht mithin in einer Reduzierung der Staatsausgaben kombiniert mit einer Beseitigung von Kooperationshindernissen.“

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Prof. Dr. Philipp Bagus von der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid

Alle mit dem Herzen auf dem linken Fleck riechen hier das Gift des Neoliberalismus. Bloß nicht zu Tode sparen! Die Fakten sprechen jedoch ihre eigene Sprache, und tatsächlich kann die Entwicklung in einzelnen europäischen Staaten in den vergangenen sieben Jahren gut verglichen werden. Bagus geht im Beitrag nun auf Estland, Lettland und Litauen ein. Vor fünf, sechs Jahren gerieten durch die Lehman-Pleite angestoßen auch diese Länder in eine tiefe Krise:

Als diese „ausbrach, antworteten die baltischen Staaten mit Strukturreformen. Vor allem bei den Staatsausgaben reagierten die Balten drastisch. Estland reduzierte seine Ausgaben von 2008-2010 um knapp 5 Prozent, Litauen um über 9 Prozent und Lettland sogar um über 12 Prozent. Als direkte Folge dieser Sparsamkeit und der darauffolgenden Anpassungsrezession fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2010 in Litauen um 11 Prozent, in Estland um 17 Prozent und in Lettland um 19 Prozent.“

Das sind Horrorzahlen, denen durchaus auch soziale Not entsprach, die aber in Westeuropa wenig Schlagzeilen machte. Es fehlte hier ja auch der Bösewicht, der Menschenmassen in einem anderen Land in die Armut stürzt, also die Troika im Falle Griechenlands. Ganz anders als dort leiteten die Regierungen und Parlamente in Tallinn, Riga und Vilnius selbst die harten Maßnahmen ein. Von einem Diktat Brüssels sprach dort niemand. Bagus:

„Den Balten wurde die Sparsamkeit also nicht von außen aufgezwungen. Sie werteten ihre Währungen auch nicht ab. Die baltischen Regierungen verschrieben sich der Sparsamkeit aus eigener Einsicht. Sie konnten 2008 zudem nicht darauf spekulieren, dass Deutschland und andere Eurostaaten sie bei einer Überschuldung retten würden.“

Die Regierungschefs Ansip, Dobrovolskis und Kubilius muteten ihren Bürgern Hartes zu, doch diese schluckten die bittere Pille. Die Genesung folgte recht bald: „Nach diesem harschen Rückgang beim BIP setzte jedoch eine rasante Erholung ein. Schon 2011 wuchs Estland um über 8 Prozent, Litauen über 6 Prozent und Lettland 5 Prozent. Von 2010-2014 wuchsen die drei Balten etwa gleich stark, um beeindruckende 17 Prozent. Parallel zum nachhaltigen Wirtschaftswachstum entwickelte sich die Arbeitslosigkeit.“

Um dieses Kunststück zu erreichen, war eine Ankurbelungspolitik der Wirtschaft gar nicht nötig. Budgetdefizit, Staatsverschuldung und Inflation mussten ja auch gering bleiben, um in den Euro-Klub zu gelangen. Auch diese Perspektive disziplinierte gewaltig. „Schon 2012 hatten Estland und Lettland einen praktisch ausgeglichenen Haushalt, Litauen ein Defizit von 3 Prozent. Die finanzwirtschaftliche Stabilität förderte Investitionen und Wachstum.“ 2011 führte Estland den Euro ein, 2014 gefolgt von Lettland, in diesem Jahr packte es auch Litauen im zweiten Anlauf (2007 war man knapp am Inflationskriterium gescheitert).

Im Süden verlief die Entwicklung anders. Bagus: „Als die Balten 2011 schon wieder kräftig wuchsen, steckten die Südländer aufgrund der fehlenden Sparsamkeit noch in tiefer Rezession, lediglich Italien stagnierte. Während die Balten wuchsen, fiel das BIP von 2010-2014 in Griechenland um 17,5 Prozent, in Spanien um 2 Prozent, in Italien um 4,2 Prozent und in Portugal um 6,4 Prozent. Auch die Arbeitslosigkeit stagnierte auf hohem Niveau… Als in den Balten 2012 die finanzpolitische Stabilität schon gesichert war, konnte sich Griechenland dank Beistand der Euroländer ein Staatsdefizit von 8,7 Prozent des BIP leisten.“

Bagus fasst zusammen: „Wie die Entwicklung der baltischen Staaten illustriert, führen Sparsamkeit und Freiheiten – Austerität und Strukturreformen im Politjargon – aus der Krise.“ Im Falle Lettlands half auch noch der IWF, doch ansonsten gab es keinerlei Rettungsschirm oder ähnliches. Wir müssen es selber packen, so die Überzeugung damals und heute in den baltischen Hauptstädten. Im Süden wurde mit dem Euro-Stabilitätsmechanismus ein Hilfssystem geschaffen, das die Anpassungsprozesse eher noch in die Länge zieht: „Der Anreiz, aus eigenem Antrieb die Ausgaben zurückzufahren und die Staatsfinanzen zu ordnen, wurde für die Südstaaten durch die Eurorettungspolitik systematisch unterhöhlt. Sich auf eine Sozialisierung der Staatsschulden verlassend, setzte Südeuropa auf eine Steigerung der Staatsausgaben und Staatsdefizite.“

Damit ist es nun auch vorbei. Aber gerade im Baltikum fragt man sich, wie im Fall Griechenlands eine Reformpolitik ohne Einsicht der Regierenden und der Bürger umgesetzt werden soll.

(Bild o. von T. und C. Ratzel: Tallinn, die estnische Hauptstadt)