Gnade statt Karma
Bonos Evangelium
Dass Bono und einige Mitglieder von U2 Christen sind, war schon immer in den Songs der Gruppe zu erkennen. Vor nun schon über 30 Jahren schufen sie mit „40“ ihre Vertonung dieses Psalms. In „I Will Follow“ von der ersten Platte der Iren heißt es: „I was blind, I could not see… I was lost, I am found“ (Einst war ich blind, konnte nicht sehen… Ich war verloren, doch nun bin ich gefunden) Die Zeilen erinnerten schon an „Amazing Grace“, das bekannte Lied aus dem 18. Jhdt. und erklärtes Lieblingslied von Bono. Dort dichtete John Newton: „Amazing grace! – how sweet the sound – / That saved a wretch like me! / I once was lost, but now I am found / Was blind, but now I see.“ Über ihren Glauben sangen sie immer – bis hin zu „Grace“, „Yahweh“ oder „Magnificent“ auf „No line on the horizon“.
Seltener äußerte sich Bono auch in Büchern und Interviews zum Christentum. In Bono: In Conversation with Michka Assayas formulierte er den Kern des Evangeliums aber so klar (wenn auch teilweise mit Slang), dass selbst viele Pastoren davon lernen können.
Bono: Die Vorstellung, dass Gott, der das Universum geschaffen hat, Gemeinschaft, echte Beziehungen mit Menschen sucht, sprengt den Rahmen unseres Verstandes. Was mich aber auf den Knien hält, ist der Unterschied zwischen Gnade und Karma…
Im Zentrum aller Religionen steht die Idee des Karma. Alles, was du tust, hat Folgen für dich: ein Auge für ein Auge, ein Zahn für einen Zahn, oder in der Physik, wo jede Kraft auf einen Widerstand stößt… Aber dann kommt da diese Idee, die Gnade heißt, um all diesem ‘Du erntest, was du säst’-Zeug ein Ende zu bereiten. Gnade steht über Verstand und Logik. Die Liebe unterbricht, wenn man so will, die Konsequenz deiner Taten, was in meinem Fall eine sehr gute Nachricht ist, denn ich habe eine Menge Quatsch angestellt… Ich hätte große Probleme, wenn das Karma mein letzter Richter wäre. Ich würde ganz schon in der Sch… stecken. Ich will meine Fehler nicht schönreden, ich halte mich vielmehr an die Gnade. Ich halte mich daran fest, dass Jesus meine Sünden ans Kreuz getragen hat; ich weiß eben, wer ich bin und ich hoffe, dass ich nicht auf meine Religiosität bauen muss.
Assayas: Der Sohn Gottes, der die Sünden der Welt fortnimmt. Ich wünschte, ich könnte daran glauben.
Bono: Ich jedoch liebe die Idee des Opferlamms. Ich liebe es, dass Gott sagt: Schaut her, ihr Blödköpfe, wenn wir so sind, wir sind, nämlich egoistisch, hat das bestimmte Folgen, und Teil unserer sündigen Natur ist die Sterblichkeit. Und wir müssen zugestehen, dass wir kein besonders gutes Leben führen oder etwa doch? Taten haben Folgen. Das entscheidende am Tod Christi ist, dass er die Sünden der Welt auf sich nahm, so dass das, was wir vermasselt haben, nicht auf uns zurückfällt, und dass unsere sündige Natur nicht den Tod erntet. Darum geht‘s. Das sollte uns demütig machen… Unsere guten Taten werden uns nicht durch die Himmelspforten bringen.
Assayas: Eine große Idee, zweifellos. So eine große Hoffnung ist wunderbar, obwohl es, so glaube ich, nicht weit vom Aberglauben weg ist. Christus hat seinen Platz unter der größten Denkern der Welt. Aber Gottes Sohn? Ist das nicht zu weit hergeholt?
Bono: Nein, das glaube ich gerade nicht. Schau, die säkulare Antwort auf die Christus-Story ist in etwa immer diese: Er war ein großer Prophet, offensichtlich ein interessanter Typ, er hatte viel Interessantes zu sagen wie schon andere dieser Propheten, sei es nun Elia, Mohammed, Buddha oder Konfuzius. Aber tatsächlich lässt Christus genau dies nicht zu. Er lässt dich nicht so einfach davon kommen. Christus sagt: Nein, ich sage nicht, dass ich ein Lehrer bin, nenn mich nicht Lehrer. Ich sage nicht, ich sei ein Prophet. Ich sage dies: Ich bin der Messias. Ich bin der inkarnierte Gott. Daraufhin meinen die Leute: Nein, nein, bitte – sei doch ein Prophet, mit dem könnten wir auskommen. Aber du bist ein wenig exzentrisch. Wir hatten schon Johannes, der Heuschrecken und wilden Honig aß, damit kämen wir noch zurecht. Aber erwähne bitte nicht das „M“-Wort! Denn dann, ja dann müssen wir dich leider kreuzigen. Und er daraufhin: Nein, nein. Ich weiß, dass ihr von mir erwartet, dass ich mit einer Armee komme und euch von diesen widerlichen Typen befreie, aber ich bin nun mal der Messias.
An dieser Stelle beginnt jeder auf seine Schuhe zu starren und sagt sich: O mein Gott, er sagt so etwas wirklich! Wir stehen also vor der Alternative: Entweder war Christus, der er zu sein behauptete, der Messias, oder er war der totale Spinner. Also Spinner auf dem Niveau von Charles Manson [der 1934 geborene Manson, Musiker, gilt vor allem wegen des grausamen Mordes von Mitgliedern seiner „Family“ an u.a. der schwangeren Sharon Tate, der Frau von Roman Polanski, 1969 geradezu als Inkarnation des Bösen und hat bei vielen Okkultismus- und Satanismus-Fans Kult-Status]. Wie einer, der sich eine Bombe um den Bauch geschnallt hat und ein Stirnband mit der Aufschrift „König der Juden“ trägt. Und als sie ihn ans Kreuz brachten, hieß es: O Märtyrertum, ich komme! Her mit der Qual! Ich nehm‘s auf mich. – Ich übertreibe hier nicht. Die Vorstellung, dass das Schicksal der gesamten Zivilisation durch einen Spinner auf den Kopf gestellt worden sein soll, das wäre dann für mich weithergeholt…
Wenn wir nur ein wenig wir Er sein könnten, würde die Welt verwandelt werden… Wenn ich zum Kreuz Christi schaue, sehe ich da oben all meine Sch… und die von jedermann. Dann frage ich mich wie schon viele Menschen zuvor: Wer ist dieser Mensch? Und war er wirklich der, der er zu sein behauptete, oder war er ein religiöser Spinner? Das ist die Frage. Jeder muss sie selbst beantworten.