Liebet eure Feinde!
Unter der Herrschaft des Satans?
Ist die Lehre Jesu relevant für die Politik, den Staat, die Gestaltung der Gesellschaft? Hat die Bergpredigt den Machthabern und Menschen mit Waffengewalt, Regierenden und Soldaten, etwas zu sagen? Kann man in den Spitzen des Staates und im Apparat des Militärs Christ sein? Wie kann dort christliches Verhalten aussehen?
Von einem Buch mit dem Titel The Politics of Jesus / Die Politik Jesu erwartet man wohl nicht zu Unrecht einige Antworten. Der Autor, John H. Yoder (1927–1997), gehörte im 20. Jahrhundert zu den bekanntesten Verteidigern der pazifistischen Tradition im Christentum. Das Werk des mennonitischen Theologen wird in den verschiedenen Vorworten der deutschen Ausgabe geradezu in den Himmel gelobt („eines der zehn wichtigsten theologischen Bücher des letzten Jahrhunderts“). Interessanterweise kommen dort aber nur Fachkollegen zu Wort, Theologen, die allesamt – wie schon Yoder selbst – fern von den Schlachtfeldern, denen der Waffen und denen der Worte in Parlamenten, wirken.
Yoder meint, dass sich durch die Evangelien „ein starker Strang zieht, der die säkulare Obrigkeit unter der Herrschaft des Satans sieht.“ Gewiss hat der Satan als Fürst dieser Welt (Joh 12,31) Macht, viel Macht, doch das Auftreten des Widersachers in Mt 4 bestätigt gewiss nicht (wie Yoder glaubt), dass Obrigkeit als solche vom Satan beherrscht wird. Wäre das wahr, müssten Christen hohe Verantwortungsposten im Staat in jedem Fall meiden.
Im Hinblick auf Römer 13 („Die Stellung zur staatlichen Gewalt“) stellt Yoder außerdem dar, dass Gott die bestehenden Mächte nur „ordne, in die richtige Ordnung bringe, ihnen souverän sage, wo sie hingehören“. Damit hieße Gott aber ihre Tätigkeit als solche nicht moralisch gut. „Sie sind eben da“, so der Theologe. Gott übernehme weder für ihre Gestalt, noch für ihre Identität irgendwelche Verantwortung. Gott gebraucht die staatliche Gewalt, lässt sie gewähren, ja kontrolliert sie; doch Yoder meidet um jeden Preis eine Aussage, dass staatliche Gewalt von Gott selbst gewollt und menschliches Handeln in Regierungen als solches nicht verwerflich ist. Yoder sieht, ja er betont sogar, dass es in Röm 12,19 und 13,4 beide Male um Rache und Zorn geht, aber ein Christ dürfe eben keine Straffunktion im Staat ausüben, was auch aus diesem Satz hervorgeht: „Die Regierung hat eine andere Funktion als die Christen“.
Korrekt müsste es heißen: Die Regierung hat eine andere Funktion als die Kirche. Deshalb wird ja auch nicht mit der Bergpredigt als Hand- oder Lehrbuch Politik gemacht. Die Kapitel in Matthäus 5–7 umreißen die Ethik des Reiches Gottes, das sich nun in erster Linie in der Kirche Christi manifestiert. Da Yoder keine Zwei-Reiche-Lehre kennt, verbaut er sich aber die Möglichkeit, dass ein Christ sowohl im Reich Gottes als auch im säkularen Reich wirklich gottgefällig leben kann.
Nun ist es sicher vorstellbar, dass sich ein Christ von staatlichen Ämtern fernhält. Das Neue Testament zwingt nicht zur Karriere in Staat und Militär. Auf der anderen Seite grenzt sich Yoder von der Rückzugsmentalität seiner anabaptistischen Tradition ab. Doch wie soll denn nun ein Politiker in den Fußstapfen Jesu Politik machen? Wie gestaltet sich Jesus-Nachfolge für einen Soldaten? Trotz all des Lobes für Yoders Buch scheint es mir letztlich doch sehr überschätzt zu sein, denn wie politische Verantwortung konkret werden soll, bleibt unklar. Eine tatsächliche Hilfestellung für diejenigen, die täglich mit Gewalt und Macht zu tun haben, kann ich darin beim besten Willen nicht erkennen. Vielleicht soll sie ja auch gar nicht gegeben werden.
„Ein anderer hätte längst zurückgekeilt“
Evangelikale Sozialethik soll heute meist „gesellschaftsrelevant“ sein; man will sich keinesfalls auf den engen Kreis der Kirche und ihrer Anliegen begrenzen. Gut so, doch man verheddert sich meist im Streben nach einem radikalen Umbau der „sündigen Strukturen“, wie es oft heißt. Diese Strukturen, das große Ganze, das Problem der Mächte und der Macht, sollen verändert werden. Die individualethische Spitze der biblischen Ethik geht damit schnell aus dem Blick, und dies vor allem auch wegen der allgemeinen Verachtung des Individualismus in weiten Teilen des heutigen Christentums.
Dabei gibt es durchaus eine Botschaft der Bergpredigt an die Regierenden, und diese Botschaft ist präzise und persönlich: vergelte nicht Böses mit Bösem; zahle nicht mit gleicher Münze heim; liebe deine Feinde. Drei konkrete Beispiele.
In den vergangenen Woche skizzierte der „Spiegel“ in „Biedermann und Biest“ (22/2015) das Verhältnis zweier Minister der Bundesregierung: Innenminister Thomas de Maizière und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Am 8. Januar 2014 hielt diese beim Großen Zapfenstreich zu Ehren des scheidenden Verteidigungsministers de Maizière eine Ansprache an die Adresse des Amtsvorgängers. Dazu heißt es treffend: „Ihre ganze Rede ist überzogen mit zuckersüßer Herzlichkeit, eine Kaskade von Komplimenten, vorgetragen mit einem Dauerlächeln und aller Wärme, die ihrer Stimme zur Verfügung steht. Die Rede ist persönlich und voller Pathos – gerade das macht sie so demütigend.“ Schließlich hatte von der Leyen durch ihre Intervention bei der Kanzlerin de Maizière aus dem Amt gedrängt.
Von der Leyen will ganz an die Spitze, sie hat den unbedingten Machtwillen, lässt dafür Köpfe rollen und schiebt Konkurrenten wie eben de Maizière zur Seite. Wird alles auch noch in süße Worte gepackt, die das Gerangel um Macht schönfärben, wird es einem langsam zu viel. Was tut de Maizière? „Was soll er entgegnen? Auch de Maizière spricht eine Viertelstunde. Er bedankt sich artig für die ‘berührende Rede’. Er fühle sich ‘ziemlich gut’ getroffen, sagt er. Dann hält er eine sachliche Ansprache, geht hart mit der Bundeswehr ins Gericht, kritisiert die Bündnispartner Großbritannien und Frankreich. Und dann, ein ganz klein wenig, sogar die Kanzlerin.“
De Maizière übt ebenfalls Macht aus und will dies sicher auch. Von prinzipieller und allgemeiner Gewaltlosigkeit hält er in Ministerien, die mit der inneren und äußeren Sicherheit befasst sind, sicher nichts. Obwohl ihm Charisma fehlt, verkörpert er das Christdemokratische viel besser als die Konkurrentin aus Niedersachsen. „Er sei ein anständiger Mensch. So wird er seit Jahren beschrieben: integer, korrekt, glaubwürdig, loyal.“ Und dann zitiert der „Spiegel“ einen hochrangigen Unionspolitiker zu den Attacken der Kollegin: „Ein anderer hätte längt zurückgekeilt“. De Maizière zahlt es von der Leyen eben nicht mit gleicher Münze heim. Genau so geht Christsein in der Politik, wo leider solch einem Verhalten das Etikett „nicht hart genug“ aufgeklebt wird.
Am Ende des Beitrags wird von einer jüngsten Pressekonferenz berichtet. Der Innenminister hat allen Grund nervlich angespannt zu sein, sitzt einem vollen Saal kritischer Journalisten gegenüber. Doch er zeigt großes Verständnis für die Arbeit der Journalisten und stellt sich auf deren Bedürfnisse ein – „Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient“ (1 Kor 10,24). „Der Moderater quält ihn mit der Frage, wie lange er denn noch Minister bleibe. De Maizière antwortet ruhig und lächelt dabei freundlich. Liebet eure Feinde. Er ist einfach anständig, er kann nicht anders.“
Versöhnung den Peinigern
Christsein und Krieg? Angelina Jolies zweite Regiearbeit, der Film „Unbroken“ (2014), erzählt die Geschichte von Louis Zamperini (1917–2014). Der amerikanische Läufer und Olympia-Teilnehmer gehört im II Weltkrieg zur Besatzung eines US-Bombers an der Pazifikfront. Abgeschossen dümpeln Zamperini und zwei Kameraden sechs Wochen in einem Schlauchboot auf dem Ozean bis sie von Japanern ‘gerettet’ und gefangengenommen werden. In verschiedenen Lagern werden die Soldaten und besonders Zamperini auf alle möglichen Weisen gequält und gedemütigt. Der sadistische Lagerchef Watanabe hat es dabei vor allem auf den athletischen Olympioniken abgesehen. Doch Zamperini zerbricht nicht, was dem Film auch den Titel gab: Ungebrochen.
Zamperini wächst in einer frommen katholischen Einwandererfamilie auf, entfremdet sich aber vom Glauben seiner Eltern. In einem Sturm auf dem Ozean, angesichts des nahen Todes, schwört der Soldat, er wolle Gott wieder dienen – wenn er ihn den rette. Diese christliche Linie wird ihm Film erst wieder gegen Ende aufgegriffen. In der Kritik in „EPD-Film“ heißt es:
„Der Film endet mit der Befreiung aus dem Lager. Dabei fängt dort, wie man aus dem Abspann erfährt, eigentlich eine viel interessantere Geschichte an. Denn nach psychologischer Betreuung und seiner Hinwendung zum christlichen Glauben engagierte sich Zamperini für die Versöhnung mit dem ehemaligen Kriegsgegner und traf sich mit vielen seiner Peiniger in Japan. Über diesen Prozess des Umdenkens hätte man gern mehr erfahren und dafür auch auf ein paar Folterminuten verzichtet.“
Auch andere Christen bemängelten, dass die Bekehrung Zamperinis nach dem Krieg am Ende fast nur noch beiläufig erwähnt wird (s. hier). Was sollte man aber von Jolie anderes erwarten, die sich zu allem möglichen bekennt, nur nicht zum christlichen Glauben? Man sollte auch nicht vergessen, dass Zamperini den Rohschnitt des Films für gut befunden hat (er starb vor der Premiere). Wie auch immer: der Film steuert dramaturgisch auf Rache zu; der Japaner Watanabe muss doch büßen für seine Gewaltorgien! Doch die Spitze der persönlichen Vergeltung kommt eben nicht. Keiner der Soldaten zahlt es seinen Übeltätern heim. Zamperini streckt später seinen Peinigern die Hand der Versöhnung aus, nur Watanabe ergreift sie nicht. Ein Pazifist wurde er nicht; und auch der Film will bestimmt nicht aussagen, dass der Krieg gegen die Japaner grundsätzlich verkehrt war. Kampf gegen aggressive Staaten und persönliche Nichtvergeltung gehen eben zusammen.
Ansteckende Barmherzigkeit
„To End All Wars“ von David Cunningham spricht den Glauben direkter an, schließlich ist der Regisseur Sohn der Gründer von „Youth With A Mission“, einer der größten christlichen Organisationen (auch Drehbuchautor Brian Godawa ist bekennender Christ). Der Film beruht auf der Erzählung von Ernest Gordon, der im II Weltkrieg in japanische Kriegsgefangenschaft geriet. Der berühmte Film „Bridge on the River Kwai“ von 1957 wurde ebenfalls von Gordons Bericht inspiriert. Die Japaner schaffen es in ihrem Kriegsgefangenlager alle sozialen Strukturen unter den Briten zu zerstören, so dass unter diesen bald jeder gegen jeden ums Überleben kämpft und aus den Menschen fast Tiere zu werden drohen. Die Briten werden sich selbst zu Feinden. Doch der selbstlose Dienst zweier Christen (eines Evangelischen und Katholiken), die ihre Mitgefangenen pflegen, ihre Rationen mit ihnen teilen und von Hoffnung erzählen, wendet das Blatt. Gordon schreibt:
„Barmherzigkeit wirkte ansteckend… Die Männer begannen weniger an sich selbst zu denken, an ihre eigenen Schwierigkeiten und Nöte, sondern vielmehr an ihre Verantwortung für die anderen… Der Tod war uns immer noch nahe, doch er hatte seinen zerstörerischen Griff verloren. Wir sahen nun den scharfen Kontrast zwischen den Kräften, die zum Leben und die zum Tod führen. Egoismus, Hass, Neid, Eifersucht, Gier, Zügellosigkeit, Faulheit und Stolz erwiesen sich als gegen das Leben gerichtet. Liebe, Mut, Selbstopfer, Einfühlungsvermögen, Gnade, Integrität und Glaube zeigten sich als die Bausteine des Lebens. Sie verwandelten unsere bloße Existenz in Leben. Sie waren Geschenke Gottes an uns.“
Die Beziehungen zwischen den Gefangenen heilen, und selbst die Japaner werden gleichsam angesteckt und lassen die Briten nun ihren vielfältigen Aktivitäten (wie der „Dschungel-Universität“) nachkommen. Trotz Krieg, Haß und Gewalt wächst auf geradezu wundersame Weise Frieden im Lager. Viele Menschenleben wurden so gerettet und verändert. Gordon selbst wurde nach dem Krieg reformierter Pastor. Die beiden Christen starben in der Gefangenschaft.
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