Christliche Literatur: halbleeres oder halbvolles Glas?
Am Donnerstag vor einer Woche wurde wieder der Welttag des Buchs begangen. Das Lesen wird gefeiert, zum Lesen will man anregen. Dabei ist die Lesebereitschaft in Litauen nicht so sehr ein Problem, was die Menschenmassen bestätigen, die sich jedes Jahr auf der Buchmesse in Vilnius drängeln. Als kleines Land mit gerade gut zwei Millionen potentiellen Lesern steht Litauen aber vor dem Problem der kleinen Auflagen. Für so eine kleine Leserschaft druckt man einfach keine riesige Menge von Büchern. Marktführer „Alma littera“ gibt Bücher in einer Auflage von zwei-, drei- oder manchmal fünftausend Exemplaren heraus (die aber wie am Fließband). Bei Sachbüchern ist eigentlich noch weniger Standard.
Die christliche Literatur ist von dieser Herausforderung noch stärker betroffen. Im riesigen russischen Markt gibt es so gut wie alles, aber auch wirklich fast alles; für einen Gesamtmarkt von über einhundert Millionen lohnt sich nämlich so gut wie jede Übersetzung. An theologischen Büchern herrscht daher in Russland, so der Eindruck, keinerlei Mangel. Dort können Christen und Gemeinden mit zahlreichen Hilfsmitteln arbeiten, und auch jeder 1000-Seiten-Schinken von N.T. Wright wird herausgegeben.
Verglichen mit Deutschland oder Russland ist das Glas in Litauen wahrlich nicht voll. Dennoch hängt alles natürlich von der Perspektive ab. Vieles wurde schon erreicht, manches gute Buch gedruckt. Eine Skizze der christlichen Literaturlandschaft.
Seit zwanzig Jahren liegt die Bibel mit AT und NT vor (bis dahin war nur das NT zu haben). Den Anfang macht die „Wort des Glaubens“-Kirche, die die Übersetzung von Kostas Burbulis herausbrachte und bis heute verlegt. Ein Jahr später folgte die Litauische Bibelgesellschaft mit der überarbeiteten Rubšys/Kavaliauskas-Übersetzung. Beide Ausgaben können nun in verschiedenen Größen und Einbänden in so gut wie jeder Buchhandlung gekauft werden. Umschlagdesign und Typographie sind inzwischen recht attraktiv. Studienbibeln mit Kommentarteil oder Übersetzungen in eine modernere Sprache gibt es allerdings nicht (nur eine „Bibel für Frauen“ gibt es seit kurzem).
Arbeitsmittel zum Bibelstudium sind jedoch immer noch ein großes Problem. Eine Evangelien-Synopse liegt vor, seit fünf Jahren auch eine sehr gute Bibelkonkordanz (zur Ausgabe der Bibelgesellschaft). Bibellexika in litauischer Sprache? Fehlanzeige. Das bekannte Rienecker-Lexikon ist aber in russischer Sprache auf dem Markt. Bei den Bibelkommentaren beginnt sich die Situation ganz langsam zu bessern. Die katholischen Verlage sind hier wenig oder genauer: gar nicht engagiert. 2004 brachte LKSB John Stotts Bergpredigtkommentar heraus. Vor ein paar Jahren erschien W. Hendriksens dicker Römer-Kommentar. Und erst kürzlich kam nun der erste Band (Evangelien bis einschließlich Römer) von William MacDonalds auch in Deutschland populären NT-Kommentar in den Handel, Auflage 500 Stück. Bei diesen Zahlen wären die Herstellung deckende Verkaufspreise astronomisch hoch, und dies zeigt schon, dass solch große Projekte nur mit Hilfe von Spenden zu realisieren sind.
Kommentare zur Bibel (und weitere Hilfsmittel) sind also weiter rar. Ähnliches gilt für Hilfen zur täglichen Bibellese. Andachtsbücher gibt es schon einige; auf mehrere Auflagen brachte es zum Beispiel Max Lucados Gnade für den Augenblick, auch Klassiker wie Thomas Chalmers My Utmost for His Highest oder Andachten von Spurgeon wurden gedruckt. Kann man aber in Deutschland unter zahlreichen Bibellesehilfen wählen, so ist in Litauen nichts dergleichen auf dem Markt (also kein Buch oder Heft, das den täglichen Bibelabschnitt erläutert). Der Bibellesebund des Landes druckt die Bibelstellenangaben für das Jahr in einem kleinen Heft, und das war’s. Hier müsste dies Werk unbedingt aktiver werden. Die Herrnhuter Losungen werden übrigens seit etwa zehn Jahren in Litauen herausgegeben.
Im Bereich Einstiegsliteratur und Gesamtüberblicke zur Bibel bessert sich die Lage Schritt für Schritt. Die Bibelgesellschaft gab vor vielen Jahren schon einen schönen Band mit einführenden Erläuterungen zu den biblischen Büchern heraus. Nun ist gerade eine Testauflage von The Stranger on the Road to Emmaus (dt. Bist du der Einzige, der nicht weiß, was geschehen ist?) von John R. Cross im Umlauf – eine evangelistischer Überblick der gesamten Heilsgeschichte. Etwas knapper gehalten und vor allem an Christen richtet sich God’s Big Picture (dt. Die Bibel im Zusammenhang erklärt) von Vaughan Roberts. Die Übersetzung haben wir von LKSB nun abgeschlossen.
Evangelistische Glaubenskurse gibt es inzwischen zwei, wobei sie beide aus anglikanischen Gemeinden in London stammen. Der „Alpha-Kurs“ wird in Litauen schon eine ganze Weile von Katholiken vertrieben, zumeist wohl auch von katholischen Gemeinden und Gruppen genutzt. Im vergangenen Jahr hat LKSB „Christsein entdecken“ (Christianity Explored) herausgegeben und bisher in drei Städten den Gemeinden und anderen Interessierten vorgestellt (die Studentengruppen arbeiten schon eine Weile mit dem Material).
Markführer im christlichen Sektor ist der mit Abstand größte katholische Verlag, „Katalikų pasaulis“ (Katholische Welt), der eine breite Angebotspalette hat. Inzwischen hat man dort übrigens alle wichtigen Bücher von C.S. Lewis im Programm (nur die Essay-Bände wurden noch nicht übersetzt). Den Anfang machten übrigens wir 1999 bei Neues Leben/Nova Vita mit der litauischen Ausgabe von Mere Christianity (dt. Pardon, ich bin Christ).
Von Dietrich Bonhoeffer erschienen bisher Widerstand und Ergebung sowie die Nachfolge, letzteres Buch im Verlag „Wort des Glaubens“-Kirche. Dieser ist schon seit langem tätig und wird sich wohl auch halten, da eine große evangelische Kirche hinter ihm steht (so mancher evangelikaler Verlag existiert nicht mehr). Von den Klassikern evangelikaler Literatur ist noch Jim Packers Knowing God sowie John Stott The Contemporary Christian erschienen, diese beiden übrigens dank einer großen Spende von nordirischen Christen an den Bund Freier christlicher Gemeinden.
Von Martyn Lloyd-Jones und Francis Schaeffer wurden bisher keine Bücher verlegt, dafür kam aber aus der ‘L’Abri-Familie’ Being Human von Ranald Macaulay und Jerram Barrs heraus. Vor ein paar Wochen wurde das erste Buch in litauischer Sprache von John Piper gedruckt, Don’t Waste Your Life. The Reason for God (dt. Warum Gott?) von Timothy Keller liegt nun ebenfalls vor, genauso wie das Ehebuch (mit Kathy Keller) des bekannten New Yorker Pastors (sein Center Church ist in Vorbereitung). Kirche bzw. Leben mit Vision aus der Feder von Rick Warren wurden schon vor einigen Jahren ins Litauische übersetzt. Vom bekannten anglikanischen evangelikalen Theologen Alister McGrath gibt es zwei Bücher in litauischer Sprache (über Glaube und Wissenschaft sowie Richard Dawkins und den Gotteswahn).
Seit vielen Jahren ist das Reformierte Literaturzentrum, gegründet von einer aus Australien stammenden Litauerin, recht aktiv. Der Verlag und Buchhandel ist mit unserer Kirche aber nicht direkt verbunden. Verlegt werden dort vor allem reformierte und baptistisch-calvinistische Klassiker wie von Bunyan, Spurgeon oder J.C. Ryle. Dort erschien auch Louis Berkhofs Summary of Christian Doctrine oder ein Kommentar zum Heidelberger Katechismus. Die reformierte Kirche selbst gab Ende 2011 das Zweite Helvetische Bekenntnis heraus, im vergangenen Jahr den Heidelberger Katechismus. Übrigens arbeitet nun der „Wort des Glaubens“-Verlag am Westminster-Bekenntnis.
Die verlegerischen Aktivitäten der Lutheraner sind eher enttäuschend, ist doch die Kirche die größte evangelische im Land. Stolz kann man dort aber auf das vor einigen Jahren gedruckte neue Gesangbuch sein. Die Luther-Biographie von Bainton ist zum Glück immer noch im Handel, die einst erschienenen Tischgespräche Luthers sind schon eine Weile vergriffen. Das Augsburger Bekenntnis mit dessen Apologie erschien vor einigen Jahren in einer neuen Übersetzung. Luthers Kleinen Katechismus bekommt man jedoch fast nirgendwo, nur hier und dort in einer lutherischen Gemeinde. Die Schmalkaldischen Artikel Luthers sind noch nicht übersetzt. Auch die pietistischen Klassiker warten auf eine Veröffentlichung. Das wohl einzige Beispiel von akademischer theologischer Literatur ist Wilfried Härles Anthologie Grundtexte der neueren evangelischen Theologie, im vergangenen Jahr etwas überarbeitet und ergänzt in Litauen erschienen.
Positiv erwähnt werden müssen die Siebenten-Tags-Adventisten, die offensichtlich den Bereich Medien nicht vernachlässigen. Viele Werke von Ellen G. White sind bisher erschienen, und auch für Kinder haben sie so manches Produkt im Programm.
Was sich im Westen sehr gut verkauft, wird oft auch hier gerne verlegt wie natürlich W.P. Youngs Die Hütte, in Litauen bei „Alma littera“ herausgekommen (wie auch Todd Burpos Den Himmel gibt’s echt). An Anselm Grüns Bücher kommt man auch in Litauen nicht vorbei, populär ist außerdem die Beratungsliteratur von John Eldredge, Gary Chapman, Peter Scazzero, Henry Cloud und John Townsend (Grenzen), John und Paula Sandford, nicht zu vergessen Joyce Meyer. Interessanterweise hat Joel Osteen hier noch keinen Verlag.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Angebot für Kinder schon gar nicht so schlecht ist; für Jugendliche gilt dies jedoch eindeutig nicht. Eine Art Gegengewicht zum Youcat der Katholiken gibt es bislang nicht, keine Glaubenskurse o.ä. und kaum gutes evangelistisches Material für Heranwachsende und solches für Konfirmanden. Hier besteht tatsächlich noch ein recht großes Defizit.
Im Bereich Kirchengeschichte kann man schon auf das eine oder andere gute Buch zurückgreifen, ähnliches gilt für die Themen Religionen und Sondergemeinschaften wie auch Esoterik und Satanismus. Apologetische Bücher stehen auch schon einige zu Verfügung (wie nun Kellers, s.o.). Vor fünfzehn Jahren kam Josh McDowells More Than a Carpenter (dt. Wer ist dieser Mensch) heraus, inzwischen leider vergriffen. Sein umfangreiches Evidence That Demands a Verdict liegt als pdf-Datei vor – immerhin. Peter Kreefts Zwischen Himmel und Hölle machte 1997 den Anfang (Neues Leben/Nova Vita) in dieser apologetischen Reihe. Von Kreeft gibt es nun auch eine ganze Reihe von Büchern bei „Kataliku pasaulis“. Von Thomas B. Tribelhorn kam letztes Jahr in litauischer Sprache My Professor Says: „The Bible Is A Myth“ heraus. Die Übersetzung von Werner Gitts Fragen, die immer wieder gestellt werden war lange im christlichen Buchhandel erhältlich.
Gute evangelistische Literatur ist leider immer noch Mangelware. Wilhelm Buschs Klassiker Jesus – unser Schicksal ist schon lange vergriffen. Heute kann man Studenten gut die Übersetzung von David W. Shenks Suprises of the Christian Way weitergeben (auch sein hevorragendes Global Gods, ein Überblick zu den Weltreligionen, ist noch auf Litauisch zu haben). Leider ist z.Z. kein einziges Buch zur Hand, das klipp und klar und kompakt das Evangelium darstellt (ähnlich wie Stotts Basic Christianity oder Greg Gilberts Was ist das Evangelium?).
Defizite gibt es außerdem im Bereich Hermeneutik (bisher erschien hier nur Heinrich Epps Kurs) und vor allem Predigtlehre (nichts bisher auf dem Markt!). Glaubenslehre, Dogmatik für Laien: hier steht nur der knappe Abriss Berkhofs (s.o.) und daneben Stanley Grenz‘ Created for Community zur Verfügung. Ethik und Heiligkeit aus protestantischer Sicht: hier bekommt man so gut wie gar nichts.
Das Archiv des Journals „Prizmė“ (1995–2005), an dem wir bis 2001 mitgearbeitet haben, ist fast komplett im Internet zugänglich. Die „Wort des Glaubens“-Kirche hat inzwischen ein großes Artikelarchiv im Netz, auch LKSB kann mit mehreren hundert Beiträgen aufwarten. Ein Stück weit kompensiert dies die Mängel im Druckbereich. Übrigens wird russische theologische Literatur im Land sehr schlecht vertrieben, obwohl die Generation der über 40-Jährigen oftmals gut und gerne russisch liest. Vielen Pastoren ist der Literaturmangel daher auch gar nicht so stark bewußt. Sie kommen irgendwie an ihre russischen oder englischen Bücher. Aber was soll das einfache Gemeindemitglied machen?
Es gibt also noch viel zu tun, und viele Kirchen, Werke, Verlage und Einzelpersonen, nicht zu vergessen die Übersetzer und Lituanisten, haben schon oft Erstaunliches geleistet. Hier muss natürlich „Licht im Osten“ genannt werden; wohl keine andere deutsche Mission hat über Jahrzehnte hinweg so viele Buchprojekte gefördert. Auch die „Kontaktmission“ hat einige der genannten Projekte großzügig gefördert. Für Schwarzseherei besteht daher kein Grund. Doch voll ist das Glas wahrlich nicht! Ein zukunftsweisender Weg ist die bessere Zusammenarbeit von Kirchen, Verlagen und Missionen. Leider sind die Koordinationstreffen der evangelikalen Verleger (in den 90ern) eingeschlafen. Nun wird der New City Catechism von drei Kirchen herausgegeben, was ein hoffnungsvolles Signal ist.
[…] Zuerst erschienen auf lahayne.lt […]
[…] In den letzten 30 Jahren sind so auch schon zahlreiche christliche Bücher auf den Markt gekommen (hier ein Überblick über die christliche Verlagslandschaft). Das Glas ist wahrlich nicht voll; immer […]