Jonglieren mit dem Geist
Unter den Reformatoren war Johannes Calvin wohl derjenige, der am häufigsten und intensivsten über den Hl. Geist sprach und schrieb. Buch III seines Hauptwerkes, der Institutio (1559), ist insgesamt der Erlösungslehre und auch dem Geist zugeordnet („Auf welche Weise wir der Gnade Christi teilhaftig werden…“). Gleich im ersten Abschnitt heißt es dort:
„Solange Christus außer uns bleibt und wir von ihm getrennt sind, ist alles, was er zum Heil der Menschheit gelitten und getan hat, für uns ohne Nutzen und gar ohne Belang! Soll er uns also zuteil werden lassen, was er vom Vater empfangen hat, so muß er unser Eigentum werden und in uns Wohnung nehmen… Es ist freilich wahr, dass wir dies durch den Glauben erreichen; aber wir sehen doch auch, dass nicht alle unterschiedslos die Gemeinschaft ergreifen, die uns im Evangelium angeboten wird, und deshalb lehrt die Vernunft selbst, tiefer einzudringen und die Fragen nach der verborgenen Wirksamkeit des Heiligen Geistes zu stellen; denn durch sie kommt es dazu, dass wir Christus und alle seine Güter genießen…“ Das „Zeugnis des Geist“ ist „wie ein Siegel in unser Herz gedrückt“. Gläubige werden durch Christi Blut besprengt und gereinigt, dies wird durch die „verborgene Besprengung, die der Geist an uns übt“, für uns wirkungsvoll. „Ich fasse zusammen: der Heilige Geist ist das Band, durch das uns Christus wirksame mit sich verbindet.“ (III,1,1)
Michael Beintker dazu: „Ohne den Bezug auf den Heiligen Geist kann man nicht vom Heil und nicht vom christlichen Leben reden. Geisterfahrung ist die Voraussetzung aller Glaubenserfahrung, ja Glaubenserfahrung ist Geisterfahrung.“ („Calvins Theologie des Heiligen Geistes“).
Ähnlich schon im Genfer Katechismus (1545, Fr. 88–91) zur Frage „Was bringt uns der Heilige Geist?“: „Er zielt darauf ab, dass wir erkennen: So wie Gott uns durch den Sohn erlöst und gerettet hat, gibt er uns nun durch den Geist Anteil an dieser Erlösung und diesem Heil. Wie geschieht dies? Da das Blut Christi unsere Reinigung bewirkt, müssen unsere Gewissen durch den Geist damit besprengt und abgewaschen werden… Der Geist Gottes, der in unseren Herzen wohnt, bewirkt, dass wir die Kraft Christi fühlen. Dass wir Christi Wohltaten mit dem Verstand erfassen, wird von der Erleuchtung durch den Heiligen Geist bewirkt; seine Überzeugungskraft bewirkt, dass sie in unseren Herzen versiegelt werden. Er allein schafft dafür ins uns Raum. Er bewirkt unsere Wiedergeburt und macht uns zu neuen Geschöpfen. Alle uns in Christus dargereichten Gaben empfangen wir also durch die Kraft des Geistes.“
„Eine fade Soße, die zu allen Fleischsorten paßt“
Gleichzeitig wandte sich gerade der Geist-Theologe Calvin gegen eine falsche Lehre vom Hl. Geist. Denn es gab in der Kirchengeschichte immer wieder Zeiten, in denen im Übermaß vom Geist geredet wurde. In Genf sperrte sich zu Calvins Zeiten die Gruppe der sog. Libertiner gegen die Maßnahmen der Kirchenzucht; sie vertraten eine freizügige Auffassung der Moral, missbrauchten dabei das Wort „Geist“, nannten sich „Spirituelle“. Diebe, Wölfe, Giftmischer, Halunken, Feinde Gottes nennt der Reformator die Anhänger der in französischsprachigen Ländern verbreiteten Strömung. Calvin hielt die Sekte wegen ihres pantheistischen Gottesbildes und all der Folgen daraus für die damals gefährlichste religiöse Gruppierung. Freunde drängten ihn zu einer Schrift.
In Wider die Sekte der Libertiner (Contre la secte phantastique et furieuse des libertins qui se disent sprituels, 1545, Kap. 10) spottet Calvin, dass sie „kein Thema anschneiden können, ohne dass sogleich das Wort ‘Geist’ fällt, und dass sie keine zwei Sätze machen können, ohne es zu wiederholen“. Die „Lümmel“ wenden das Wort „auf alles an, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Indem sie Dinge vermischen, die auseinander zu halten sind, bringen sie das Urteilsvermögen ihrer Zuhörer durcheinander und betören sie noch dazu, indem sie ihnen einreden, sie seien allesamt spirituell und göttlich und beinahe so bezaubernd wie Engel.“ Bei ihnen hört man, „dass das Wort Gottes bloß Geist sei, dass Jesus ebenfalls bloß Geist sei, dass auch wir mit ihm Geist sein sollen und dass gar unser Leben Geist sein soll“. Dies führt dazu, dass sie als wahrhaftige Gläubige erscheinen. Doch ihre Rede ist „eine fade Soße, die zu allen Fleischsorten paßt“, ja und bald werden sie sogar „Gift versprühen“ und „viehische Lehre“ verbreiten.
Calvin will natürlich nicht das Wort „Geist“ grundsätzlich meiden. Es geht vielmehr darum „wachsam und argwöhnisch“ zu sein: „nicht, damit wir jenes Wort ablehnen oder uns darüber lustig machen, sondern um wahrzunehmen, in welchem Sinne es verwendet wird.“ Es geht also um die Klärung der Bedeutung und um Klarheit des Ausdrucks: „Wann immer wir hingegen jemanden auf obskure Art und Weise sprechen hören, muss man ihm das Wort abschneiden und ihn fragen, was er eigentlich meine.“ Diese gesunde Skepsis und das Ringen um Klarheit und rechte Unterscheidung ist natürlich auch heute noch gefragt, denn das Wort „Geist“ führen immer noch viele im Mund.
Wort und Geist
Calvin wandte sich einige Jahre zuvor auch gegen ein weiteres missbräuchliches Reden vom Geist: nicht die „charismatische“, sondern die „institutionelle“ Versuchung zum Missbrauch. Kardinal Sadoleto hatten den Genfern, die sich von seiner römischen Kirche abgewandt hatten, einen Brief geschrieben und sie zur Rückkehr aufgefordert. Calvin reagierte 1539 mit einem Antwortschreiben – einer der wichtigsten Texte der Reformation. Sadoleto argumentierte, dass seine Kirche vom Geist geleitet sei. Calvin entgegnete: „Weil der Herr nämlich voraussah, wie gefährlich es sein würde, ohne das Wort [der Schrift] mit dem Geist hin und her zu jonglieren, erklärte er zwar, dass die Kirche vom Heiligen Geist gelenkt werden. Aber er hat diese Leitung an das Wort gebunden.“ Er beruft sich auf Chrysostomos, „der uns mit Recht vor jenen warnt, die uns unter dem Vorwand des Geistes von der einfachen Lehre des Evangeliums abbringen wollen. Der Geist ist verheißen, nicht um eine neue Lehre zu offenbaren, sondern um den Menschenherzen die Wahrheit des Evangeliums einzuprägen.“
Sadoleto machte den Fehler, so Calvin, den Geist vom Wort zu trennen. Papst wie (einige) Wiedertäufer „lavieren mit dem Geist dreist hin und her“, und damit „streben sie bestimmt zu nichts anderem hin, als dass sie Platz schaffen für ihr eigenes Lügengewebe. Und Gottes Wort ist beiseitegeschoben und still beigesetzt.“ (Ähnlich argumentiert übrigens auch Luther in den Schmalkaldischen Artikel, Teil III, Art. 8.) Dagegen betont der junge Reformator: „der Geist leuchtet der Kirche voran, um ihr das Verständnis des Wortes zu öffnen. Das Wort gleicht einem Prüfstein für alle ihre Lehren… Lerne also aus Deinem Versuch, dass es ebenso ungünstig ist, ohne das Wort mit dem Geist zu jonglieren, wie es abgeschmackt ist, ohne den Geist das Wort einem entgegenzuhalten.“
„Von Ewigkeit her ist der Mensch Gott in Gott“
Norman Cohn (1915–2007) gibt in Die Sehnsucht nach dem Millennium – Apokalyptiker, Chiliasten und Propheten im Mittelalter interessante Hintergrundinformationen zum religiösen Umfeld im Mittelalter bis zur Reformation. Darin beschreibt er sehr gut die Wurzeln und die Kennzeichen der „Jünger des freien Geistes“. Sie haben, so der britische Kulturhistoriker, in Westeuropa „eine wesentlichere Rolle gespielt als das Katharertum“. Die Bewegung entsprang im Hochmittelalter der Mystik und war wie diese von der „Sehnsucht nach unmittelbarer Schau der Gottheit und der unmittelbaren Vereinigung mit Gott“ angetrieben. Anders als die meisten katholischen Mystiker wandten sich die Brüder des freien Geistes von der organisierten Kirche ganz ab, sie waren „kompromißlos subjektiv und beugten sich keiner Autorität außerhalb ihrer eigenen individuellen Erfahrung“. Ihr Hauptfehler: „Sie glaubten eine so absolute Vollkommenheit erreicht zu haben, daß sie nicht mehr sündigen könnten“. Eine der Folgen war der „Antinomismus, die Zurückweisung moralischer Normen“.
Ein frühes Zentrum der Bewegung war die Pariser Universität und der dortige Lehrer Amaury de Bène, der einen mystischen Pantheismus vertrat. Seine Anhänger wurden Amalrikaner genannt. Sie behaupteten, dass Wunder der Inkarnation wiederhole sich in jedem, weshalb sie in Anspruch nahmen, „jeder von ihnen sei Christus und Heiliger Geist“. Auch sie bezeichneten sich als „Spirituale“. Ende des 13. Jahrhunderts begann sich die ketzerische Bewegung rapide auszubreiten, wurde massiv verfolgt, schwelte aber im gesamten 14. Jahrhundert im Untergrund weiter. Um 1400 war die Lehre des freien Geistes in weiten Teilen Mitteleuropas verbreitet.
Cohn: „Hundert Jahre später erlebten die Niederlande und Nordfrankreich inmitten der Wehen der Reformation die Verbreitung einer Lehre, die sich ‘spirituelle Freiheit’ nannte, aber in allem Wesentlichen der alten Lehre des freien Geistes glich und die Reformatoren nicht weniger entsetzte als ihre katholischen Widersacher.“ Nun wurde gelehrt, dass die Seele in ihrem Wesenskern göttlich und ewig sei. In einem damaligen Traktat: „Von Ewigkeit her ist der Mensch Gott in Gott… Von Ewigkeit her ist die Menschenseele in Gott und Gott selbst… Der Mensch ist nicht erschaffen, sondern von Ewigkeit her unerzeugbar; und da er unerzeugbar ist, ist er absolut unsterblich“. Zu Recht sagte daher der Bischof von Straßburg: „Sie sagen, sie seien ihrem Wesen nach Gott.“
Auch hier ist die in Anspruch genommen Freiheit über alle moralischen das Anstößige. Cohn: „Was die Jünger des freien Geistes von allen übrigen mittelalterlichen Sektierern unterschied, das war gerade diese totale Amoral. Für sie lag das Kriterium der Erlösung darin, weder Gewissen noch Reue zu kennen.“ Und er zitiert einige ihre Sprüche: „Nichts ist Sünde, außer was man für Sünde hält“; „Man kann mit Gott so verbunden sein, dass man, was man auch tue, nicht sündigen kann“; „Der freie Mensch tut recht daran, alles zu tun, was ihm Freude macht“. Der Ehebruch hatte für sie „als Bekräftigung der geistigen Emanzipation symbolischen Wert.“
[…] Zuerst erschienen auf lahayne.lt […]