Nachfolge geht anders

Nachfolge geht anders

Das Evangelium ist anders, ja es ist ein radikal andersartiges System von Grundsätzen, Werten und Prinzipien als wir sie sonst in der Welt finden. Es stellt unsere Vorstellungen von Religion, vom Weg zum Heil, auf den Kopf. Es hinterfragt, was Menschen üblicherweise von Macht halten (s. dazu hier). Es führt außerdem zu einem neuen Verständnis von Leben und Dienst. Nachfolge als von Gott Berufene – was heißt das?

Gott griff so manches Mal radikal in das Leben von Menschen ein. Wir denken an Abraham, Mose nach seiner Flucht aus Ägypten. Oder an einen Propheten wie Jesaja. Der „Sohn des Amoz“ gehörte zur jungen Elite in Jerusalem, war wohl sogar mit dem Königshaus verwandt. Im Todesjahr von König Usija stellt Gott sein Leben auf den Kopf. Er schenkt ihm eine Vision von Gottes Herrlichkeit im Tempel; er sieht Seraphim, Engel, die „heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“ rufen – so mächtig, dass das ganze Gebäude bebt (Jes 6,3–4).

Im Angesicht Gottes erkennt Jesaja seine Schuld: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen.“ Er, der Meister des Wortes, der virtuose Redner, tut Buße für das, worauf er wohl am meisten Stolz war: seine Worte. Anschließend wird er symbolisch von einem Engel mit einer glühenden Kohle gereinigt, d.h. ihm wird seine Schuld vergeben. Die weitere Berufungsgeschichte des Propheten ab V. 8:

Danach hörte ich die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen? Ich antwortete: Hier bin ich, sende mich! Da sagte er: Geh und sag diesem Volk: Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen. Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopf ihm die Ohren, verkleb ihm die Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird. Ich fragte: Wie lange, Herr? Er antwortete: Bis die Städte verödet sind und unbewohnt, die Häuser menschenleer, bis das Ackerland zur Wüste geworden ist. Der Herr wird die Menschen weit weg treiben; dann ist das Land leer und verlassen. Bleibt darin noch ein Zehntel übrig – auch sie werden schließlich vernichtet, wie bei einer Eiche oder Terebinthe, von der nur der Stumpf bleibt, wenn man sie fällt. [Ihr Stumpf ist heiliger Same.] (Einheitsübers.)

Im ganzen zweiten Teil des Textes wendet sich Gott selbst an den Propheten. Auch das unterstreicht: Gott und Mensch sind dank der Vergebung wieder in direkter Gemeinschaft, eine Vermittlung durch einen Engel ist nicht mehr nötig. Gott fragt, wen er senden soll, und Jesaja stellt sich bereitwillig zur Verfügung. Allerdings kündigt ihm Gott an, dass sein Dienst nicht von Erfolg gekrönt sein wird: das Volk wird nicht hören wollen, sich innerlich verschließen, damit es „nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird“ (V. 10). Jesaja akzeptiert auch dies, fragt aber nach, wie lang diese Verstockung andauern wird: „Herr, wie lange?“

Die letzten Verse kündigen dann die Vertreibung der Israeliten an: gut einhundert Jahre später wurden (nach dem Nordreich) auch die Einwohner des Südreichs Juda in Etappen nach Babylon verschleppt. Der Auftrag endet aber mit einem Bild der Hoffnung: der Baum wird fallen, d.h. das Volk wird sein Land verlieren; doch aus dem Stumpf wird neues Leben wachsen, die Geschichte Gottes mit seinem Volk wird so nicht enden. Wir wissen, wie sich diese Prophezeiung dann erfüllte (Rückführung der Juden aus Babylon usw.). Sieben Dinge halten wir hier kurz fest.

Gott hat ein Recht uns zu senden

Jesaja stellte sich Gott zur Verfügung, denn er begriff: durch sein vergebendes Handeln hat Gott ein besonderes Eigentumsrecht an ihm erworben. Gott ist natürlich in einem weiteren Sinn Eigentümer seine gesamten Schöpfung.  Alle von Gott Geretteten sind jedoch in einem besonderen Sinn sein Besitz. Mehrfach heißt es dann im NT, dass Christen Gottes Eigentum sind (Eph 1,14; Tit 2,14; 1 Pt 2,9), denn wir sind „erkauft“ mit Christi Blut (Off 5,9). Und mit einem Besitz kann der Besitzer machen, was er will. Gerade das ist ja das wichtigste Merkmal von Besitz. Gott hat also als Besitzer ein besonderes Recht an uns und kann uns daher auch senden, wohin er will. Um so erstaunlicher ist, dass Gott Jesaja nicht einfach einen Befehl gibt, sondern ihn geradezu bittet, d.h. seine Zustimmung hören möchte.

Dies ist eine Herausforderung an uns, denn die säkulare Kultur sagt heute etwas ganz anderes: Du allein bist deines Lebens Steuermann, Kapitän, Besitzer; du hast dein Leben in der Hand und musst etwas daraus machen. Doch dies ist in Wirklichkeit keine gute Nachricht. Ein Trost oder genauer unser „einziger Trost im Leben und im Sterben“, wie der Heidelberger Katechismus in seiner ersten Frage sehr gut sagt, ist vielmehr folgender: „Dass ich mit Leib und Seele, sowohl im Leben als auch im Sterben, nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat…“

Gott benutzt den Nutzlosen

Der stolze junge Mann Jesaja musste erkennen, dass seine wunderbaren Gaben ihm vor Gott nichts bringen. Auch der Vertreter der Elite mit samt seinen Fähigkeiten vergeht vor Gott. Doch nach seiner Buße und Umkehr in der Gottesbegegnung wird er auf einmal von Gott gebraucht. Er, der Herr des Universums, der an sich keinerlei Hilfe nötig hat, verkündigt nun: ich habe hier eine offene Stelle; wer will den Job annehmen und mir helfen? Diejenigen, die sich vor Gott demütigen und sich von ihm helfen lassen, diese erhalten das große Privileg für ihn arbeiten zu dürfen.

Gott sendet jeden Christen

Im AT berief Gott einzelne Propheten, damit sie seine besondere Botschaft an das Volk richten. Im NT kann und soll dann jeder Christ die Worte Jesajas „Hier bin ich, sende mich!“ mitsprechen. Denn alle Christen sind von Christus gesandt (Jn 20,21). Die Worte des Missionsbefehls („geht hin“) in Mt 28,19–20 gelten allen Christen. Alle Glieder des „Volks des Eigentums [Gottes]“ (1 Pt 2,9) sollen Gottes „Wohltaten“ verkündigen, ob durch das Leben (1 Pt 2,12) oder durch Worte (1 Pt 3,15). Alle Christen sind zum Dienst im Reich Gottes berufen, alle sind für Gott nützlich – ob nun in einem vollzeitlichen Dienst in der Gemeinde, im Beruf, im Heimatland oder nicht.

Gott macht schwerhörig und verklebt die Augen

„Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopf ihm die Ohren, verkleb ihm die Augen…“ Gott will in gewissem Sinn, dass diese Menschen nun nicht umkehren. Hier ist in anschaulicher Sprache von Verstockung die Rede, von der die Bibel ja nicht so selten berichtet (das bekannteste Beispiel ist wohl der Pharao beim Auszug von Ägypten). Dies ist eine besonders harte Nuss für Christen, da auch Jesus hier keine Ausnahme bildet. In Mt 13,14–15 erläutert er den Sinn seiner Gleichnisreden und zitiert genau Jes 6,9–10. Jesus nannte sein Volk verstockt, und tatsächlich kehrten die Juden ja nicht als ganzes um. Aber immerhin Tausende folgten dem Ruf des Evangeliums. Paulus diskutiert diese Fragen dann in Röm 9–11. Gott hat sein Volk jedoch nicht verworfen, wie Paulus selbst kamen und kommen immer noch einzelne zum Glauben.

Gott bekräftigt hier nur, was auch sonst die ganze Bibel unterstreicht: Er lenkt souverän die gesamte Geschichte und somit auch die Geschicke der einzelnen Menschen. Das ist heute, in einer Zeit in der unsere Freiheit und Souveränität über das eigene Leben großgeschrieben wird, natürlich mega-out. Und tatsächlich läuft einem bei diesen Worten ein Schauer der Ehrfurcht über den Rücken. Doch positiv heißt dies eben auch: das Heil liegt wirklich in Gottes Hand, nicht in unserer. Es hängt letztlich von Gott ab, der dieses Heil schafft und garantiert.

Jesaja sollte trotz dieser düsteren Aussichten dennoch verkündigen. Heute gilt ja ähnliches. Wir sollen dennoch das Evangelium allen predigen, denn wir wissen ja eben nicht, wie viele und wer genau die Verstockten sind. Jeder Saulus kann auch heute zu einem Paulus werden. Gott muß ‘nur’ die verklebten Augen öffnen. Das gibt eine gewisse Ruhe und Gelassenheit. Wir müssen nichts ‘auf Teufel komm raus’ produzieren. Es ist unsere Verantwortung, klar, verständlich und überzeugend das Evangelium weiterzusagen, doch wir brauchen uns nicht verrückt zu machen, wenn keine Massen in unsere Gemeinde strömen und keine Erweckung ausbricht. Immer ist zu beten: Gott, öffne du dem Menschen die Augen und Ohren.

Gott beruft zum erfolglosen Dienst

Man könnte ja denken, dass Gott mit diesem Vertreter der jungen Elite nun gleich Großes vorhat – eine kleine Erweckung oder Bußbewegung muss ja mindestens drin sein. Aber nein, im Gegenteil. Die Demütigung Jesajas geht weiter. Gott lässt ihn wissen, dass seine Botschaft nicht zu einem großen geistlichen Aufbruch führen wird. Die Menschen haben bisher nicht gehört, sie werden auch in Zukunft nicht hören. Das war sicher ungeheuer schwer für Jesaja, denn er wollte in seiner Heimat sicher etwas bewegen. Daher auch seine verständliche Rückfrage: Und wie lange soll das so gehen??

Heute ist dies umso mehr eine Provokation fast ohnegleichen. Denn wir lieben die Erfolgreichen; wir lesen die Massen von Büchern, die uns unfehlbare Wege zum Erfolg weisen; wir huldigen dem Erfolgs-Kult. Glänzende Resultate müssen her, und das möglichst schnell. Neben „Glück“ ist „Erfolg“ wohl einer der großen Götzen unserer Zeit.

Auch im kirchlichen und geistlichen Bereich hat sich dieser Virus weit verbreitet. Expandiert eine Gemeinde, muss der Segen Gottes auf ihr liegen; verkauft sich ein Buch bestens, muss die Theologie darin irgendwie stimmen. Der Dienst im Reich Gottes wird viel zu sehr an säkularen Erfolgskriterien gemessen; schnell müssen gut sichtbare Ergebnisse her. Nicht selten hört man: tue dies und jenes, was Gott verlangt, und er wird dich segnen und gewiss Erfolg schenken.

Ich kann nicht sehen, dass uns dies so klar versprochen ist. Christen ist vielmehr eindeutig zugesagt, dass sie Verfolgung erleiden müssen (2 Tim 3,12), dass sie also ganz gewiss Widerstand, Verachtung, Spott usw. erfahren werden; dass sie „viel Schweres durchmachen“ werden, bevor sie in das himmlische Reich Gottes gelangen werden (Apg 14,22). Ganz anders als unsere Erfolgsprediger erinnerte Johannes Calvin daran: „Wen der Herr zum Kind angenommen und der Gemeinschaft mit den Seinen gewürdigt hat, der muss sich auf ein hartes, mühseliges, unruhiges Leben gefasst machen, das von gar vielen und vielerlei Übeln erfüllt ist.“ (Inst. III,8,1)

Sicher müssen wir in der Bewertung von Erfolgen und Misserfolgen genau hinsehen und dürfen nicht zu vorschnellen Urteilen kommen. Manche Misserfolge sind auf unsere Dummheit, auf unseren Mangel an Weisheit und auch Kenntnissen, auf unsere Taktlosigkeit oder auch darauf, dass wir nicht entsprechend unserer Gaben arbeiten, zurückzuführen. Daher sind so manche Misserfolge auch vermeidbar. Aber es kann eben auch sein, dass Gott zu einem erfolglosen Dienst beruft – für eine kurze oder lange Weile. Dieser Misserfolg ist jedoch ein relativer, d.h. ein Versagen aus unserer menschlichen Perspektive und zu unseren Lebzeiten. Man kennt die Geschichte von Missionaren, die während ihres Dienstes so gut wie keine Früchte sahen – diese wuchsen dann erst Generationen später. Was in ihrem Leben ein Scheitern war, benutzte Gott auf seine souveräne Weise.

Gott beruft zum treuen Dienst

Gott kann Erfolg, Früchte, Segen schenken. Aber er wird unseren Dienst nicht am Erfolg messen, sondern ob wir seinem Auftrag treu waren. Und dies gilt grundsätzlich für unser Tun und Handeln als Christ. Wir sind aufgefordert, seinen klaren und eindeutigen Geboten zu folgen, egal welche Folgen dies in der Zukunft hat. Wir sollen die Aufgaben tun, die er uns vor die Füße legt – nicht mehr und nicht weniger. Dies gilt nicht nur für den Dienst in der Gemeinde. Gott erwartet nicht, dass ich meine Kinder zu Mathematikgenies und Vorbildmissionaren erziehe. Und wenn alle Kinder ein Hochschulstudium beenden und tolle Karrieren hinlegen, heißt dies noch lange nicht, dass die Eltern in der Erziehung Gott treu waren. Es kann sein, dass die Eltern vorbildliche, missionarische, eben treue Christen sind, und der Nachwuchs eine Laufbahn als Punker einschlägt.

Immer ist zu fragen: Was fordert Gott wirklich von uns? Und was ist Forderung unserer Kultur, der Gesellschaft, der Medien usw.? Gott erwartet, dass Mann und Frau in einer Ehe sich ein Leben lang treu sind, sich lieben und achten und in schweren Zeiten einander beistehen. Ein Herz und eine Seele, immer Harmonie und eitel Sonnenschein, die Liebe pur – das ist heute das Ideal. Und wenn man sich eben nicht mehr so phantastisch versteht und auseinandergelebt hat und die Liebe irgendwie verflogen ist, dann kommt eben der nächste Lebensabschnittspartner dran. Wir sind aber nicht zum ehelichen Erfolg, auch nicht zum höchsten ehelichen Glück, sondern zur ehelichen Treue, zu aktiver Liebe berufen. Auch hier gilt: eine besonders erfüllte, glücklich und harmonische Ehe ist ein Geschenk Gottes. Ist uns aber nicht so ein ‘Erfolg’ geschenkt (und das ist natürlich in gewisser Weise auch ein Geschenk, das erarbeitet ist), heißt dies noch lange nicht, dass man ein schlechter Christ ist.

Gott gibt Hoffnung

Wie kann man so einen frustrierenden Job wie Jesaja ihn erhielt aushalten? Ist dies nicht völlig unmöglich? Herr, wie lange – muss man dies nicht fragen? Doch nicht zufällig endet die Berufungsgeschichte mit einem Bild der Hoffnung: die Bäume werden abgehackt, aber aus dem Stumpf wird ein neuer Trieb wachsen. Diese Hoffnung ist von Gott gegeben, er selbst ist letztlich diese Hoffnung. Nichtgläubige haben nur eine äußerst begrenzte Hoffnung: „Wenn der Gottlose stirbt, ist seine Hoffnung verloren“ (Spr 11,7). Christliche Hoffnung beruht darauf, dass Gott wirklich da ist und tatsächlich tun kann und wird, was er vorhersagt.

Die Verbannten in Babylon waren auch ganz frustriert: „Der Herr kümmert sich nicht um uns; unser Gott lässt es zu, dass uns Unrecht geschieht“ (Jes 40,27). Ja, er lässt Unrecht in gewissem Rahmen zu, hat damit aber ein positives Ziel: Wir sollen in Schwierigkeiten, Leid, Misserfolgen Hoffnung und Glauben lernen, wie in Jesaja in 40,12s als den Schöpfer der Welt und Herrn der Geschichte beschreibt. Und den Juden – und auch uns – in Babylon ruft er ermahnend und tröstend zugleich zu (V. 28–31):

Habt ihr denn nicht gehört? Habt ihr nicht begriffen? Der Herr ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, seine Macht reicht über die ganze Erde; er hat sie geschaffen! Er wird nicht müde, seine Kraft lässt nicht nach; seine Weisheit ist tief und unerschöpflich. Er gibt den Müden Kraft und die Schwachen macht er stark. Selbst junge Leute werden kraftlos, die Stärksten erlahmen. Aber alle, die auf den Herrn vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft, es wachsen ihnen Flügel wie dem Adler. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und brechen nicht zusammen.

(Bild o.: Michelangelos Darstellung des Propheten Jesajas in der sixtinischen Kapelle)