Republik oder Königreich?
Litauen hat gleich drei wichtige Staatsfeiertage, so dass Ausländer leicht den Überblick verlieren können: Am 11. März wird der Wiederherstellung der Unabhängigkeit im Jahr 1990 gedacht; am 6. Juli blickt man auf die Gründung des Staates zurück, für die die Krönung von König Mindaugas im Jahr 1253 steht. Wichtigster Nationalfeiertag ist aber der 16. Februar, der Tag der Wiederherstellung des Staates. Uns als Famlie ist er sicher auch der liebste, da dieser Tag auch Holgers Geburtstag ist (und so an dem Tag immer frei ist).
Mitte Februar 1918 unterschrieben die zwanzig Männer auf dem Foto oben die folgende Erklärung (im Zentrum “Patriarch” Jonas Basanavičius):
Der Litauische Rat hat in seiner Sitzung vom 16. Februar 1918 einstimmig beschlossen, sich mit folgender Erklärung an die Regierungen Russlands, Deutschlands und anderer Staaten zu wenden:
Der Litauische Rat als einziger Vertreter der litauischen Nation beruft sich auf das anerkannte Recht auf Selbstbestimmung der Völker und auf den Beschluss der Vilniuser Konferenz der Litauer vom 18. bis 23. September 1917 und erklärt hiermit die Wiederherstellung eines unabhängigen Staates auf demokratischer Grundlage mit der Hauptstadt Vilnius und die Beendigung aller staatlichen Beziehungen mit anderen Völkern.
Der Litauische Rat erklärt, dass die Grundlagen des litauischen Staates und seiner Beziehungen zu anderen Ländern so bald wie möglich durch die Einberufung eines Konstituierenden Seimas, der demokratisch von allen seinen Bewohnern gewählt werden muss, endgültig festzustellen sind.
Der Litauische Rat gibt dies der [deutschen] Regierung bekannt und bittet um die Anerkennung des unabhängigen Staates Litauen.
Im Ersten Weltkrieg eroberten deutschen Truppen zwischen März und September 1915 das gesamte litauisch besiedelte Gebiet. Dies machte erst eine Loslösung vom russischen Zarenreich möglich, zu dem Litauen ja über einhundert Jahre gehörte. In einem guten Überblick im Wiener Der Standard heißt es:
“Die Taryba [der Litauische Rat] proklamierte am 16. Februar 1918 den demokratischen Staat Litauen; Berlin anerkannte ihn erst nach einer neuerlichen Bündnisverpflichtung und nach Zustimmung der Litauer zu einer konstitutionellen Monarchie. Die Taryba wählte im Juli 1918 den württembergischen Herzog Wilhelm von Urach als „Mindaugas II.“ zum litauischen König, doch er wurde nicht mehr inthronisiert. Am 2. November 1918 gab die Taryba unter maßgeblicher Beteiligung der nach Lenins Putsch in Petrograd nach Litauen zurückgekehrten Politiker Martinas Yčas und Augustinas Voldemaras dem Land eine westlichem Vorbild nachgebildete Verfassung, am 11.November hob sie den Monarchie-Beschluss auf. Litauen konstituierte sich als demokratische Republik.”
Zu einem Königreich Litauen kam es also wegen des Untergangs des Kaiserreichs im November 1918 nicht. Der Nationalstaat Litauen wurde zwar mit gewisser deutscher Hilfe aus der Taufe gehoben, aber die deutsche Niederlage verhinderte eine Art Protektorat.
Zu den Vätern der Unabhängigkeit gehörte auch der Reformierte Jokūbas Šernas (im Foto ganz o. in der 2. Reihe der zweite von rechts; der Urgroßonkel des heutigen Generalsuperintendenten der ref. Kirche Tomas Šernas). Sein Bruder, der reformierte Pfarrer Adomas Šernas, schuf übrigens nur ein paar Jahre zuvor das litauische Wort für Unabhängigkeit: “nepriklausomybė”.
Die Unabhängigkeitserklärung wurde in der Zeitung “Lietuvos Aidas” veröffentlicht (s.o.); allerdings konfiszierten die deutschen Behörden die meisten Exemplare. Das Original der Erklärung und die einzige Kopie sind leider verschollen. Dennoch gibt es natürlich genug Exponate im Museum “Haus der Unterzeichner” in der Altstadt von Vilnius (s.u.), wo damals die Unterschriften unter das Dokumente gesetzt wurden.
Im April 1918 wurden dann die Diskussionen um die litauische Flagge abgeschlossen: der Entwurf einer neuen Trikolore aus gelb, grün und rot setzte sich durch. Zum gtoßen Leidewesend er Litauer wehte die Flagge zwei Jahre später nur noch über einen Rumpfstaat mit der provisorischen Haupstatdt Kaunas. Die Rote Armee war abgewehrt worden, aber ganz Ostlitauen mit Vilnius wurde von Polen besetzt. Und nach dem II Weltkrieg waren in der litauischen Sowjetrepublik der 16. Februar und die Trikolore absolut tabu. Heute ist allgemeine Beflaggungspflicht an Wohnhäusern.
Ausführliche Informationen zum Unabhängigkeitstag gibt auf dem englischen Wikipedia-Eintrag. Hier noch ein Dokumentarfilm des litauischen Fernsehens, natürlich auf Litauisch, aber mit guten Bildern: