In den guten Grenzen Gottes leben
Hier ein Beitrag, der für die kommende März-Nummer von “SMD-transparent” (Thema: mit Grenzen leben) geschrieben wurde:
Der Gott der Bibel ist ein Gott der Grenzen. Er ist unterschieden von seiner Schöpfung, die er ins Leben gerufen hat und der er gegenüber steht. Ganz anders als in den polytheistischen Religionen des antiken Heidentums geht Gott nicht in der Welt auf. Er hat sich gleichsam selbst eine Grenze gesetzt, indem er sein Wesen nicht auf den ganzen Kosmos ausdehnte. Die Welt ist nicht Gott – eine jüdisch-christliche Überzeugung, gegen die die heutige esoterische und pantheistische Welle Sturm läuft.
Der Mensch ist Teil von Gottes guter Schöpfung. Wir sind berufen, Gott – und konkret: Christus, dem vollkommenen Abbild des Vaters – immer ähnlicher zu werden (Kol 3,10). Doch wir sollen nicht Gott werden und werden immer Geschöpfe bleiben. Auch wenn wir einmal bei Gott sein werden (Off 21,3), wird die Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf nie aufgehoben werden. Ich bin nicht Gott, und das bedeutet genauso: ich brauche nicht Gott sein. Die Unterscheidung von Gott, Mensch und Welt ist zuallererst eine große Befreiung zur Würde und Persönlichkeit jedes Menschen, auch eine Befreiung zur moralischen Verantwortlichkeit.
Sündersein drückt sich vor allem auch dadurch aus, dass wir nicht als begrenzte Geschöpfe leben wollen. Dies führte US-Theologe Reinhold Niebuhr (1892–1971) in The Nature and Destiny of Man aus. Der sündige Mensch will „die Grenzen seiner menschlichen Geschöpflichkeit überschreiten“. Er ignoriert seine Grenzen und gibt vor, er sei nicht begrenzt. Er glaubt, er könne „nach und nach die endlichen Begrenzungen übersteigen, bis sein Geist mit dem universellen Geist [mind] eins wird.“ Der Mensch nimmt den Platz Gottes ein und verfällt dem Stolz, der all sein kulturelles Handeln infiziert.
Gott hat uns als Geschöpfen auch die Grenzen seiner Gebote gesetzt, in deren Rahmen wir gut leben können. Er hat uns Schöpfungsordnungen wie Staat, Kirche, Familie und Wirtschaft gegeben, die jeweils begrenzte Aufgaben und Vollmachten haben. Er hat jedem Einzelnen in seiner Geschöpflichkeit mit Körper und Geschlecht, Charakter und Herkunft, Kultur und Sprache Grenzen gesetzt. Diese sind natürlich nicht immer absolut und unveränderbar (so lässt sich z.B. am eigenen Charakter Gott sei Dank arbeiten), weil auch dem historischen Wandel unterworfen (man denke an frühere feste Standesgrenzen). Sicher gilt, dass manche schlicht zu verwerfen, weil unbiblisch sind (Stichwort Rassismus). Aber auch wenn sie oftmals im Schatten der Sünde stehen, bleiben sie dennoch Ausdruck von Gottes Vorhersehung.
Diese Begrenzungen bedeuten negativ, dass ich längst nicht alles machen kann – vielleicht auch nicht alles, was ich gerne möchte. Positiv gilt aber, dass ich nicht alles machen muss. Gott hat uns mit begrenzten Möglichkeiten und Gaben ausgestattet, und das ist gut so. Er legt deshalb jedem nur begrenzte Aufgaben vor die Füße. Habe ich z.B. die geistlichen Gaben des Lehrens oder der Leitung nicht, macht es wenig Sinn, sich in diesen Bereichen abzuquälen. Bin ich ganz sprachunbegabt, so will Gott wohl nicht von mir, dass ich Missionar in Japan werde. Und selbst wenn ich der geborene Evangelist bin, setzt z.B. die Verantwortung für die eigene Familie meinem Dienst Grenzen.
Konkret ist auch das Gebot der Nächstenliebe zu nennen, das meist irgendwie als grenzenlos aufgefasst wird. Und in gewisser Hinsicht ist es dies ja auch: über alle Grenzen von Nationalität, Religion, Rasse, Entfernung hinweg sind unter Umständen die Bedürfnisse des Nächsten über die eigenen zu stellen. Oder anders formuliert: jedem, der meine Hilfe braucht, kann ich zum Nächsten werden. Aber es heißt in der Bibel ja nicht: liebt die ganze Welt, alle Menschen oder liebt ‘maximal’ – und dann konkret: tu alles, was in deinen Möglichkeiten steht, damit kein Kind in Afrika mehr vor Hunger umkommt usw. Das ist eine klare Grenzüberschreitung, denn Gott verlangt gar nicht von mir, die weltweite Armut ganz auszumerzen (im übrigen hat auch die Kirche als ganze nicht diesen Auftrag). Ich soll den Nächsten lieben – so viel, mehr aber auch nicht. Auch die Nächstenliebe hat in sich Grenzen (auch der barmherzige Samariter hatte sicher einen begrenzten Geldbeutel!). Werden Grenzen wie diese missachtet, führt dies schnell zu schlechtem Gewissen, Überforderung und Scheitern.
Fazit: Heute wird überall nur noch von „Ganzheitlichkeit“ geredet; und man hört in christlichen Kreisen oft, dass Grenzen zu überwinden sind. Tatsächlich mag das häufig der Fall sein. Doch darüber vergesse man nicht: Grenzen sind grundsätzlich gut, oft von Gott gewollt und meist ein Segen. Daher ist die Verwischung der biblischen Grenzlinien eines der großen Übel unserer Zeit, das – wie Abraham Kuyper vor hundertzwanzig Jahren bemerkte – Gesellschaften nur ins Dunkel führt und Einzelne in Verwirrung stürzt.
Illustration oben: Mit diesen Kreisen veranschaulichte Cornelius Van Til (1895–1987) den Unterschied zwischen einer christlichen (l.) und nichtchristlichen (r.) Weltsicht. In der christlichen Sicht steht der große Kreis für Gott, den Schöpfer, und der kleine für die Schöpfung, die von Gott unterschieden ist. Mit ihr besteht jedoch eine Verbindung durch Gottes Offenbarung und Bundesschlüsse, wofür die beiden Linien zwischen den Kreisen stehen. In der nichtchristlichen Weltsicht sind Gott und Welt letztlich eins.