Die Kirche mit dem „anderen Zugang“
In einem Eintrag vom 4. Januar weist Ron auf TheoBlog auf die lutherische Kirche in Lettland hin.
Die Lutheraner des Landes bilden die größte evangelische Kirche im Baltikum: noch immer rechnen sich ihr mehrere hunderttausend Gläubige von den gut 2 Millionen Einwohnern zu; die 288 Gemeinden sind auf drei Bistümer und ein Dutzend Dekanate verteilt. Seit über 20 Jahren wird die Kirche von Erzbischof Janis Vanags (Jg. 1958, Foto o.) geleitet. Ein langes Interview mit Vanags, leider schon zehn Jahre alt, findet sich hier.
Die lutherische Kirche des Landes ist eine der ältesten protestantischen Glaubensgemeinschaften, denn wie in Ostpreußen (dort 1525) bildeten sich auch in Kurland, Livland und Riga bald nach Beginn der Reformation evangelische Kirchen (ab 1521). Ähnlich wie in Litauen waren auch in Lettland die Deutsch-Balten lange die dominierende Gruppe in der Kirche (s. auch hier). Und wiederum wie beim südlichen Nachbarn ist die lutherische Kirche Lettlands heute sprachlich praktisch homogen. 50 Jahre Kommunismus haben leider zu einer starken Entkirchlichung geführt: nur noch 60% gehören einer Kirche an (in Litauen über 80%; in Estland nur um die 30%). Inzwischen hat die katholische Kirche mit der lutherischen fast gleichgezogen.
In Litauen gibt es nur eine lutherische Kirche, zu der seit einigen Jahren auch die Auslandsgemeinden in den USA gehören. Die lettische Kirche teilt sich in drei rechtlich getrennte Einzelkirchen auf: die von Vanags geleitete, die lettische lutherische Kirche im Ausland und die Deutsche Ev.-luth. Kirche in Lettland. Letztere bietet deutschsprachige Gottesdienste in Riga und einigen anderen Orten an und wird z.Z. von dem Württemberger Pfarrer Markus Schoch betreut.
Lettische wie litauische Kirche sind Mitglieder im Lutherischen Weltbund (LWB) und unterhalten vielfältige Kontakte mit Schwesterkirchen im Westen. Wohl am engsten kooperiert man jedoch mit der konservativen Missouri-Synode der Lutheraner aus den USA, die aber nicht zum LWB gehört. Beide Kirchen im Baltikum bezeichnen sich in theologischen und ethischen Fragen als konservativ. Die nicht praktizierte bzw. abgelehnte Frauenordination und die Stellung von Homosexuellen haben immer wieder zu Druck von Seiten des LWB und einzelner Kirchenvertreter auf die Balten geführt. So wundert es nicht, dass auf der Seite der deutschen lutherischen Kirche in Lettland diese Klarstellung zu finden ist:
„Im Blick auf den geistlichen Dienst von Männern und Frauen in der Kirche sehen wir uns den Grundsätzen verpflichtet, die für die Gliedkirchen der EKD gelten. Das gilt auch für den Umgang mit Homosexualität. Homosexuelle Menschen sind bei uns nicht von Sakramenten und kirchlichen Handlungen ausgeschlossen. Gleichgeschlechtliche Paare segnen wir gleichwohl nicht ein.
In Bezug auf Frauenordination finden wir in der Schrift keinen Grund, diese abzulehnen.“
Auch im DLF-Beitrag, der auf TheoBlog anzuhören ist, werden diese beiden heißen Eisen angesprochen. Die lettische Kirche habe, so Schoch dort, in der Frage der Homosexualität einen „sehr strikten Kurs“ eingeschlagen, von „scharfer Ablehnung“ ist die Rede. Er behauptet, dass auch Menschen mit „homosexueller Neigung“, also nicht nur die ihre Gleichgeschlechtlichkeit auch Auslebenden, aus der Kirche ausgeschlossen werden. Der Sprecher formuliert dann korrekt, dass praktizierte Homosexualität einen Lebensstil darstellt, der nicht von der Kirche akzeptiert werden könne. In diesem englischen Interview erläutert Vanags die Position der Kirche seit Mitte der 90er Jahre:
„If a person openly lives in a homosexual relationship and if he announces that this is a normal alternative to the biblical partnership between man and woman, and also proposes this behavior to others, such people we should consider as unrepentant sinners, and therefore they cannot hold office in our church, nor take part in Holy Communion, until they repent.“
Schoch drückt sich – wenig überraschend – gepflegt aus und spricht von einem „anderen Zugang“, den seine – mit der EKD verbundene Kirche – entsprechend der „deutschen Tradition“ habe. Die lettische Kirche unter Vanags hat nun tatsächlich einen anderen Zugang, wenn er im eingangs genannten Interview meint: „Wenn eine Kirche anfängt, Sünde zu segnen, erfolgt eine ungeheure Veränderung der Perspektive, wie eine Kirche sich zur Sünde verhalten soll.“ Schoch dagegen ist überzeugt, dass in der Diskussion um gleichgeschlechtliche Partnerschaften keine Bekenntnis- und Glaubensfrage berührt wird; das Thema gehöre in die Seelsorge. Letzterem ist sicher zuzustimmen, doch selbst dort taucht natürlich die Frage auf, wie Homosexualität theologisch und ethisch zu bewerten ist; und schon ist man automatisch gleich wieder wie bei Glauben und Bekenntnis.
Übrigens steht in mancher Hinsicht die lettische Kirche besser als die litauische dar. Es gibt eine Theologische Fakultät an der staatlichen Universität Lettlands; sie ist kirchlich nicht gebunden und vertritt eine „kritische, wissenschaftliche Sicht“ auf die Theologie. Daneben unterhält die Kirche selbst aber auch eine eigene Ausbildungsstätte, die Luther-Akademie, die einige Jahre vom deutschen Theologen Reinhard Slenczka geleitet wurde.
In Litauen hingegen gibt es einzig das Zemtrum für ev. Theologie an der Uni Klaipėda, und auch dieses ist eher liberal geprägt (Pfarramtsanwärter am EBI gibt es bisher nicht, und es sieht nicht danach aus, dass sich dies schnell ändert). So ist Dogmatiker Dr. Tomas Kiauka ganz gewiss kein Konservativer. Remigijus Šemeklis aus Šilutė, Dozent für AT in Klaipėda, lehrt die klassische Quellenscheidungstheorie im Hinblick auf die Mosebücher und hat auch sonst wenig Probleme mit der historischen-kritischen Methode. Dr. Darius Petkūnas, Pfarrer in Palanga und nun sogar habilitiert, vertritt dagegen eine klar orthodoxe Theologie, unterrichtet aber nirgends in Litauen. Bischof Sabutis mag die Kirche für konservativ erklären, aber hier tun sich doch manche Gegensätze auf, die nicht so recht zusammen passen. Hier fehlt die Lehre aus einem Guss. (Petkūnas‘ Abriss der Geschichte der litauischen Kirche in den vergangenen Jahrzehnten in deutscher Sprache, Wiedergeweiht, ist hier zu beziehen.)
Frauen werden nicht ordiniert, Homosexuelle nicht gesegnet; doch man sucht in der litauischen Kirche vergeblich nach irgendwelchen Beschlüssen oder gar ausführlichen Begründungen für solche Positionen. Und die müssten dringend her! Denn es reicht ja nicht, die eigene Kirche zu etwas zu erklären. Das Etikett „konservativ“ (oder welche andere auch immer) muss ja mit konkreten Inhalten gefüllt werden. Einfach im Angestammten verharren, wird kaum Zukunft haben. Dies könnte sich noch einmal rächen, wenn die Kirchenleitung wechselt. Hier ist die reformierte Kirche schon einen Schritt weiter.
Erzbischof Vanags bloggt übrigens hier, und auf den Seiten des Gemeindenetzwerks findet sich dieser aktuelle Text in deutscher Sprache.
[…] (Zur Frauenordination s. hier, zur lutherischen Kirche Lettlands s. hier.) […]