Wilna – Wilno – Vilnius – Vilne
Vor siebzig Jahren, am 23. September 1943, wurde das Ghetto von Vilnius liquidiert und damit das letzte Kapitel der Judenvernichtung in Litauen eingeleitet. Die meisten Juden der Stadt wurden erschossen – viele Zehntausend sind im Wald von Paneriai (Ponar) südlich der Stadt verscharrt. Im ganzen Land waren die meisten der vor dem Krieg über 200.000 Juden schon im Sommer und Herbst 1941 ermordet worden. Hunderte Massengräber zeugen bis heute davon. Nun geht man durch die Hauptstadt Litauens und muss oft genug sagen „Hier stand einmal…“, „Hier war einmal…“, „Dies gehörte früher zu…“
Mit der fast vollständigen Auslöschung der litauischen jüdischen Kultur ging ein reiches Erbe verloren. Schließlich wurde Vilnius (polnisch Wilno, deutsch Wilna, jiddisch Vilne) das „Jerusalem des Nordens“ genannt. Die Stadt war eines der Zentren der jiddischen Sprache (oben in der Wort-Wolke bekannte jiddische Wörter). Jiddisch war die Mundart der osteuropäischen Juden: basierend auf dem Deutschen wurden zahlreiche Begriffe aus dem Slawischen und Hebräischen aufgenommen. Geschrieben wurde meist mit hebräischer Schrift. Heute ist das Jiddische vor allem die Alltagssprache der ultra-orthodoxen Juden in Israel, die das Neuhebräische ablehnen (schließlich sei Hebräisch eine heilige Sprache, der Theologie und dem Gottesdienst vorbehalten).
Nun widmet sich eine Ausstellung im Foyer des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität in Berlin dem Thema: “Wilna – Wilno – Vilnius. Das jiddische Vilne – Eine Topografie zwischen Moderne und Mythos”. Zu sehen sind u.a. Werke deutschsprachiger Autoren, die in Vilniuser Verlagen in jiddischer Sprache publiziert wurden. Darunter sind viele Erstausgaben, die die litauische Nationalbibliothek in Vilnius zur Verfügung stellt.
Zur Eröffnung fand Ende Oktober eine mehrtägige internationale Konferenz in der deutschen Hauptstadt statt. Der litauische Kulturminister Birutis nahm teil. In der Pressemeldung heißt es: „Er kündigte an, dass die litauische Regierung das jüdische Viertel in den kommenden Jahren umfangreich rekonstruieren wird. Herausragend ist dabei der teilweise Wiederaufbau der Großen Synagoge. Diese war einst auf Befehl Stalins zerstört worden. Für Arturas Zuokas, Oberbürgermeister von Vilnius, soll die Synagoge wieder zu einem der wichtigsten Orte jüdischer Kultur werden. Mit dem Vorhaben der Ronald Lauder Stiftung, die in einer angeschlossenen Bibliothek auf 600 Quadratmetern Schüler in jiddischer Sprache unterrichten will, sei hierzu ein wichtiger erster Schritt gemacht worden.“
Der umtriebige Zuokas, Stadtoberhaupt mit einem Draht für Kunst und Kultur: “Wir wollen die jüdische Kultur zurück in unsere Stadt holen.” Bei der Konferenz sprach auch Julius H. Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien: “Litauen und Vilnius waren Jiddischland schlechthin.” Aus Litauen war natürlich Emanuelis Zingeris anwesend, seit vielen Jahren Mitglied des Litauischen Parlaments (für die Konservativen). Sein Bruder, Schriftsteller Markas Zingeris, leitet übrigens das Jüdische Gaon-Museum in Vilnius (sehenswert ist dort vor allem die Ausstellung im Toleranz-Zentrum, Naugarduko-St.). Eine weitere bekannte Jüdin Litauens kam schließlich zu Wort: Die 85-jährige Irena Veisaite berichtete als Zeitzeugin von der Entwicklung ihrer Heimatstadt Vilnius und dem jüdischen Leben. Das Naziregime habe das jüdische Leben physisch vernichtet und anschließend habe die Sowjetunion es versucht geistig zu zerstört.
Die Ausstellung, hinter der das Moses Mendelssohn Zentrum, die Botschaft der Republik Litauen in Deutschland, das Kulturministerium der Republik Litauen und die Konrad-Adenauer-Stiftung stehen, läuft noch bis zum 17.November. Mehr Infos hier.