„Respekt vor dem alten Christentum“
Der „Berg der Kreuze“, gut zehn Kilometer von unserem Wohnort entfernt, hat es mit einem großen Bild in den „Spiegel“ der vergangenen Woche (43/2013) geschafft. Unter dem geradezu surrealen, mystisch wirkenden Foto heißt es in der Überschrift: „Gott gesucht und nicht gefunden“. Es folgt ein Interview mit dem emeritierten Philosophieprofessor Kurt Flasch, Augustinus-Experte und „Spezialist des mittelalterlichen Denkens“. Vor einem Monat erschien die zweite Auflage seines Buches Warum ich kein Christ bin. Dieser Titel ist natürlich kein Zufall, heißt doch Bertrand Russells berühmte atheistische ‘Bibel’ ebenso. (Dass der letzte Blog-Eintrag hier Russell zum Thema hatte, ist aber Zufall.)
Der Ton in dem Interview (und vermutlich auch in Flaschs Buch) ist ein ganz anderer als der von Russell. Dem Mainzer Flasch, jahrzehntelang Professor in Bochum, ist das Militante in seinem Unglauben fremd. Anders als Russell (und auch Dawkins) weiß er zu differenzieren und gibt offen zu: Der Unterricht der Geistlichen unter seinen Lehrern „war interessanter und hatte ein höheres kulturelles Niveau als die meisten übrigen Schulstunden.“
Flasch betont: „Ich bin nie das Opfer von Missbrauch geworden, Geistliche haben mich weder gedemütigt noch bedrängt noch gequält. Im Gegenteil, die Kirche hat mich in meiner Jugend verwöhnt. Sie hat mir nach dem Krieg zu essen gegeben, wenn ich hungrig war, physisch ebenso wie geistig.“ Deswegen hegt er keinen Groll, hat eine „wohlwollende, klare, freundliche“ Distanz zur Religion.
Das Christentum habe sogar „Gewaltiges, Herrliches hervorgebracht“. So hat Flasch auch nichts „gegen die Präsenz des Christentums“, denn „die christliche Tradition ist auch ein Bildersaal produktiver religiöser Erfindungen.“ – Bei Russell und Dawkins sind solche Aussagen nirgends zu finden!
Da überrascht es wenig, dass sich Flasch auch nicht als Atheist bezeichnen will, denn „ein Atheist traut sich zu, er könne beweisen, dass kein Gott sei. So zuversichtlich bin ich nicht.“ Aber die Gottesfrage ist für ihn abgehakt: Er will eindeutig kein Suchender mehr sein – „Ich habe Gott gesucht und nicht gefunden“. „Kulturkatholik“ nennt sich der 83-jährige, „langsamer Nestflüchter“ aus Kirche und Religion, nun, dem Tod nicht mehr allzu fern, in einem Zustand „heiterer Gelassenheit“.
Flasch ist, anders als Russell, ein wirklicher Kenner des Christentums, seiner Geschichte und Lehre. So hat seine Kritik ganz anderes Gewicht, wenn er z.B. meint, „etliche theologische Redner“ sind „unpräzise“ in ihrem Ausdruck, oder sie wissen zu wenig „von dem, worüber sie reden“. Und er stellt die richtige Frage: „Ist das Christentum wahr?“ Genau! Schon der große christliche Apologet Francis A. Schaeffer (1902–1984) betonte immer wieder: Es gibt nur einen Grund, warum man Christ sein sollte: Weil das Christentum wahr ist.
Flasch beobachtet aber etwas anderes: „Die Christenheit von heute badet gern in einer Rhetorik der Liebe. Gottes Liebe wird in Zusammenhänge gestellt, in die sie argumentativ nicht gehört.“ Und weiter: „Viele Gläubige wollen am Christentum nicht rütteln wegen der Nächstenliebe. Die Menschheit, so denken sie, muss zur Liebe erzogen werden… Die Kirche habe die Aufgabe, die Nächstenliebe zu lehren, Schluss. Dafür schlucken Gläubige alles andere.“
Diese Leben-wollen-wie-Jesus imponiert ihm. „Aber so einfach kommt man damit nicht durch“, denn „als Glaubender kann man sich nicht einfach das aussuchen, was einen beeindruckt, und alles andere beiseiteschieben. Dann verkommt die Liebe zum Ausverkaufsangebot der Kirche.“ Und noch einmal ein Treffer! Wir können die Wahrheitsfrage nicht einfach ignorieren und uns ganz allein auf die Liebe konzentrieren. „Mein Tun ist mein Glaube“ – Flasch hat Respekt für diese Haltung, doch „kann man damit keine Kirche bauen.“
„Am Lehrgebäude muss man nachbohren, und diese Bretter habe ich auch immer angebohrt.“ Früh weckten grundlegende Fragen bei Flasch Zweifel: „Gibt es Gott? Ist Jesus Christus Gott? Ist Gott gut zu den Menschen? Funktioniert die Vorsehung?“ Doch die Beweise für den Glauben „sind mir unter der Hand zerkrümelt“. Dies zeigt nur, wie wichtig heute die Apologetik ist, die denkerische Rechtfertigung und Verteidigung des christlichen Glaubens. R. Kubsch und T. Schirrmacher schreiben in diesem Buchauszug sehr gut:
„Apologetik ist keine Disziplin für Spezialisten. Bei allen denkbaren Gelegenheiten und gegenüber jedermann (vgl. 1Petr 3,5) sollen Christen zur Rechenschaftslegung bereit sein. Somit ist nicht nur die akademische Auseinandersetzung Forum für die Apologetik, sondern das gesamte Gemeindeleben einschließlich der Katechese, Verkündigung, Seelsorge oder Evangelisation.“ (Übrigens wird in diesem Semester am EBI im Studienzentrum in Vilnius erstmals Apologetik unterrichtet.)
Die Verteidigung der Lehren des Christentums kann aber nicht darin liegen, dass alle Probleme durch „bildliche Deutung“, wie Flasch sagt, weginterpretiert werden. Dabei kommt nur ein „willkürliches, persönliches Christentum“ heraus. Die moderne Theologie geht überwiegend diesen Weg, der den Philosophiehistoriker aber nicht anspricht: „Ich habe einen gewissen Respekt vor dem alten Christentum, das sagt, entweder du glaubst, oder du kommst in die Hölle. Damit kann ich etwas anfangen, mit dem heutigen Drumherumreden vieler Theologen nicht. Die wissen ja noch nicht einmal mehr, ob es die Hölle gibt.“ Und auch „die Vorstellung des Himmels ist derart ausgedünnt, dass christliche Prediger darüber lieber schweigen.“
Schließlich weist Flasch auf einen interessanten Aspekt hin: Alles ruft in Deutschland nun nach dem Papst, der den Limburger Bischof zur Räson bringen oder rauschmeißen soll. Der mächtige Papst soll und muss es richten! „Da sieht man mal, was das ganze Zweite Vatikanische Konzil für ein Bluff war!“ Von Gleichberechtigung der Ortskirchen, so Flasch, keine Spur. „Was ist denn das für eine Monarchie?“ Das Konzil brachte Neuerungen, doch an der monarchischen Verfassung der Kirche änderte es so gut wie nichts. Das Kirchenrecht von 1983 schrieb die Stellung des Papstes mit umfassenden Vollmachten dann ja weiter fest. Die „universale Gerichtsbarkeit des Bischofs von Rom“ nennt Flasch einen Pyrrhussieg.
Fazit: ein lesenswerter Beitrag.