„EXPOSED“ offengelegt

„EXPOSED“ offengelegt

„Korruption ist eindeutig mehr als Bestechung“

Die Aktionswoche der Micha-Initiative in diesen Tagen ist dem wichtigen Thema Korruption gewidmet. Dies ist natürlich grundsätzlich zu begrüßen ist, da die Vorteilsnahme durch Geld und Geschenke tatsächlich in vielen Ländern ein wichtiges soziales und wirtschaftliches Problem darstellt. Auch in die Bibel wird es öfter als man denkt behandelt.

Doch leider beginnt die „Sprachverwirrung im politischen Denken“, die F.A. von Hayek immer wieder beklagte, schon bei dem zweiten Teil des Themas: Es soll gegen Korruption und Steuerflucht angegangen werden. Was haben die beiden Aspekte nun miteinander zu tun? Im Materialheft heißt es im theologischen Beitrag ab S. 9 nur kurz, dass Steuerflucht „in diesem Zusammenhang auch eine Form von Korruption ist, da man sich selbst korrumpiert und der Gemeinschaft schadet“. Sich selbst korrumpiert und der Gemeinschaft schadet man jedoch auf vielerlei Weise. Eine rechte Verbindung sehe ich da nicht.

EXPOSED2013-Facebook-Titelbild

Markus Meinzer ist da im Interview mit dem „Salzkorn“ der OJC, nun ebenfalls im Materialheft, schon ausführlicher: „Korruption ist eindeutig mehr als Bestechung oder Bestechlichkeit.“ Er nennt hier also die Kerndefinition von Korruption, und bei der Bestechung hätte man ruhig etwas verweilen können. Aber Meinzer will in dem Interview offensichtlich direkt zu ‘seinem’ Thema kommen: „Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sind Spielarten der Korruption.“ Wie aber sind denn Bestechung (Zahlung bzw. Annahme von Geld oder Geschenken) und Hinterziehung von Steuern verbunden? Wo besteht genau der Zusammenhang? Warum und wie ist Steuerhinterziehung „eindeutig“ eine Spielart der Korruption? Und warum wird dann in einem Atemzug auch noch die (legale) Steuervermeidung genannt? Meinzer nennt „ähnliche Tarn- und Verschleierungstricks“, und das war‘s aber auch.

Im Materialheft heißt es weiter unten unter der Überschrift „Warum setzt sich EXPOSED [der Name der int. Kampagne, getragen von mehreren Verbänden und Initiativen] gegen Korruption und Steuerflucht ein?“:  „Korruption und Steuerflucht sind nicht dasselbe, hängen aber eng miteinander zusammen. Die Anti-Korruptionsorganisation Organisation Transparency International (TI) definiert Korruption eher eng als ‘Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil’.“ Diese vermeintlich enge Definition ist jedoch eher weit, da darunter vieles wie z.B. auch die private Nutzung von Dienstwagen u.a. fällt. Wo aber der zu verwerfende private Vorteil von anvertrauter Macht anfängt, ist nur schwer abzugrenzen. (Ein hoher Amtsträger im Staat hat dadurch sicherlich so manche Vorteile, auch im Privatleben; man denke z.B. nur an Politiker, die sich privat in Kirchen engagieren: ihr Vorteil ist, dass ihre Stimme leichter gehört wird, weil sie bekannt sind; Vorteile dieser Art müssen daher nicht alle moralisch verwerflich oder Kennzeichen von Korruption sein.)

Welches ist nun die weite Definition im Materialheft? Als korrupt gelten „vor allem die Länder des globalen Südens, während die nördlichen eher als ‘sauber’ wahrgenommen werden“. Genau. (Wobei es natürlich auch im Norden Nachzügler gibt wie Russland, Italien, Griechenland, Bulgarien usw. und im Süden korruptionsarme Staaten wie Chile, Botswana, Singapur.) Dann wird der „Schattenfinanz-Index“ des „Tax Justice Network“ angeführt: „Dieser Index misst, wie transparent oder intransparent ein Land in Finanzfragen ist.“ Nun wird festgestellt, dass in diesem Index einige der „sauberen“ Länder im Korruptionsindex nicht gut abschneiden:

„Deutschland und die Schweiz zählen nach diesem Index zu den zehn am wenigsten transparenten Ländern der Welt. Je intransparenter ein Land, umso leichter ist es für korrupte Eliten, dort ihr Geld zu verstecken. Sowohl bei Korruption als auch bei Steuerflucht geht es um Intransparenz, die dazu führt, dass dem Gemeinwesen Geld verloren geht – und am Ende vor allem den Ärmsten der Armen.“

Das Stichwort ist schon das richtige: Intransparenz. Doch dass hier mal so eben die Schweiz mit ihrem finanzpolitischen Modell massiv kritisiert, ja mit nun wirklich korrupten Staaten in einen Topf geworfen wird, ist schon ein starkes Stück. Sind die genannten Länder (die USA, Luxemburg, Liechtenstein, Singapur, Deutschland, Österreich, Japan usw.) Meister im Verschleiern und Tricksen? Stiften sie dazu an? Auch die Schweiz vergeht sich indirekt an den Armen, so wird unterstellt. Was soll man dazu sagen? Man hat sich leider vor die politische Agenda des „Tax Justice Network“ spannen lassen; und leider vergessen, dass schließlich Intransparenz nicht gleich Intransparenz ist!

Welcher Zusammenhang in erster Linie zwischen Korruption und Transparenz besteht, wird viel besser in einer Veröffentlichung der Friedrich Naumann-Stiftung erläutert. Dort wird wird sehr gut ausgeführt, dass die Marktordnung durch das Preissystem transparent ist, eine Transparenz, die durch staatliche Bürokratie oftmals verschwindet:

„Das Übel der Korruption besteht darin, dass durch sie die Markt- und die Rechtsordnung außer Kraft gesetzt werden. Die Korruption gedeiht aber auch da besonders, wo diese Markt- und Rechtsordnung ohnehin in erheblichem Maße eingeschränkt oder sogar nicht vorhanden sind. Sie gedeiht zum Beispiel dort besonders, wo politisch geschaffene Knappheit vorherrscht. In einem Marktsystem wird Knappheit durch den  Preismechanismus geregelt.“

Hier wird zu Recht auf die Bedeutung einer stabilen Marktordnung, einer freien Marktwirtschaft hingewiesen. Und diese funktioniert nur in einem rechtsstaatlichen System, weitgehend ohne Korruption. Daher besteht auch eine enge Korrelation zwischen wirtschaftlicher Freiheit und Abwesenheit von Korruption. Anschließend wird betont, dass „ein korruptes politisches System damit jene sozialen Verwerfungen [schafft], die Marktkritiker gemeinhin der Marktwirtschaft an sich zuschreiben. Die transparente Wettbewerbsordnung ist aber das Gegenteil des politischen Faustrechts… Nicht der Wettbewerb führt zu sozialen Verwerfungen, sondern die Kartellbildung und Monopolbildung. Diese Vermachtung von Märkten wird durch Korruption – gerade auch in der subtilen Form des politischen Lobbyismus – erst ermöglicht.“

Steuern und Nächstenliebe?

Kommen wir zur theologischen Dimension. „Gibt es eine christliche Steuerpolitik?“ fragt das Begleitheft. „Wie bei vielen anderen ethischen oder politischen Fragen haben beim Thema Steuern Christen sehr unterschiedliche Meinungen“, heißt es dann. Ein paar Sätze später: „Uns wird durch Steuern nicht einfach Geld ‘weggenommen’, das uns eigentlich zusteht. Im Idealfall geben wir mit Steuern einen Teil des von uns verwalteten Geldes ab, damit es am Ende dem Allgemeinwohl – und vor allem auch Schwächeren in der Gesellschaft – zugute kommt.“

Ähnlich argumentiert auch Meinzer in „Armut aus der Oase: Systematische Steuerhinterziehung und christliche Ethik“, wo er unter der Überschrift „Nächstenliebe ist auch: Steuerpflicht“ betont, dass es mit der Nächstenliebe nicht zu vereinbaren sei, „meinen steuerlichen Beitrag unter enormem Aufwand und unter Ausnutzung aller Winkelzüge zu minimieren“. Und weiter:

„Vielmehr darf ich meinen Steuerbeitrag als Dividende an die Gesellschaft begreifen, als Ausdruck tätiger Nächstenliebe. Denn die Option in unserer Welt ist nicht die Abschaffung des Staates, sondern die Durchdringung aller unserer Lebensbereiche, auch des Staates, mit dem Reich Gottes, so wie Jesus das am Bild des Sauerteigs verdeutlicht. Meinen Nächsten wie mich zu lieben ist kaum möglich, wenn ich grundsätzlich Eigentum gegen andere Menschen verteidige und nicht gutheiße und zulasse, dass auch andere von meinem Eigentum abbekommen und selbst Eigentümer werden. Gott setzt dem (allzu menschlichen) Selbsterhaltungsprinzip das Prinzip entgegen, dass Gottes Segen für uns immer als Multiplikator gedacht, immer auch für andere gemeint ist. ‘Unser’ Geld oder Gewinn ist vielleicht eben weniger ‘unser’ als vielmehr Gottes, weil letztlich auch die Arbeitskraft, durch die wir Geld verdienen, von seiner Gnade abhängt (vgl. etwa 5. Mose 8:18; 3. Mose 25:23).“

Hier offenbart sich das ganze Elend dieser Art von Sozialethik, und die Verwirrung ist geradezu perfekt. Von der Tatsache, dass alles Eigentum letztlich Gott gehört, uns anvertraut ist und dass wir zur Nächstenliebe verpflichtet sind, wird Haarsträubendes abgeleitet. Steuern seien eine „Dividende an die Gesellschaft“ – hier beginnt die Konfusion. Es ist zu betonen, dass man dem Gemeinwohl und der Gesellschaft nicht erst durch Steuern dient, und auch nicht in erster Linie. Beispielsweise dient ein Unternehmer dem Gemeinwohl hauptsächlich durch seine Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze, die er schafft. Kommt das Gemeinwohl erst dann ins Spiel, wenn es ans Zahlen von Steuer geht? Ist nur derjenige dem Gemeinwesen wohlgesonnen, der ohne Murren die höchste Steuerlast erträgt? Das Argument, dass man sich immer für Steuern, ja für möglichst hohe Steuern einsetzen muss, wenn einem das Gemeinwohl am Herzen liegt, ist Unsinn.

Außerdem ist die Vermengung von Steuern und Nächstenliebe zu werfen, ja in höchstem Maße gefährlich. Natürlich besteht hier eine Art Zusammenhang, und zwar in negativer Hinsicht: Wer Steuern hinterzieht, handelt in gewisser Weise lieblos (denn andere müssen dann diese Last übernehmen). Doch Steuern sind eben nicht um der Nächstenliebe wegen da! Denn schon Frederic Bastiat hat Mitte des 19. Jhdt. klar dargestellt: die Brüderlichkeit oder Nächstenliebe kennt keine Grenzen (s. ausführlich hier). Hier gibt es kein Zuviel. Trennt man dies nicht klar vom staatlichen Handeln und den Steuern, kommt man schnell zu dieser Schlussfolgerung: um so viel Armut wie möglich zu bekämpfen, um so viel Gutes wie nur möglich zu tun, um so viel Liebe wie denkbar zu verwirklichen, treibe ich so viel Steuern wie möglich ein. Verführerisch heißt es dann: „Steuer gegen Armut“ (gemeint ist die Transaktionssteuer; Meinzer empfiehlt diese Seite). Wie kann man dagegen sein?! Armut bekämpfen ist doch gut! Doch die Hauptaufgabe von Steuern ist keineswegs, die Armut zu bekämpfen oder zu beseitigen. Wird dies nicht beachtet, kommen wir in die sozialistische Teufelsküche.

Wenn dann aber von der „Durchdringung aller unserer Lebensbereiche, auch des Staates, mit dem Reich Gottes“ die Rede ist, dreht sich einem im Magen alles um. Natürlich sollen wir mit christlichen Werten und Prinzipien die Gesellschaft und auch den Staat prägen. Doch lasst uns doch Äpfel und Birnen auseinanderhalten! Gott bewahre uns vor so einem Staat, durch den Menschen ihre Visionen der Volksbeglückung verwirklichen wollen – und sei es unter dem Banner der Nächstenliebe oder des Reiches Christi!

Dass der Begriff Gefahr nicht fehl am Platze ist, zeigt dieser äußerst brisante Satz, s.o.: „Meinen Nächsten wie mich zu lieben ist kaum möglich, wenn ich grundsätzlich Eigentum gegen andere Menschen verteidige und nicht gutheiße und zulasse, dass auch andere von meinem Eigentum abbekommen und selbst Eigentümer werden.“ So wie dies dort steht, ist es ja noch halbwegs wahr (wer den Nächsten liebt, gibt ab), obwohl schon missverständlich (was soll an der grundsätzlichen Verteidigung von Eigentum eigentlich schlecht sein?). Doch man beachte den Kontext: Steuern. Diese sind ihrem Wesen nach eine Zwangsabgabe. Es ist tatsächlich moralisch geboten, anderen Menschen abzugeben, doch dies kann – wenn es denn echte Nächstenliebe sein soll – nur freiwillig geschehen. Zur Freizügigkeit gehört Freiheit!

Meinzer sagt also implizit, dass ich moralisch verpflichtet bin, mir möglichst viel Geld vom Staat abnehmen zu lassen. Das klare biblische Gebot des Schutzes und der Verteidigung des Eigentums, von ihm ja sogar angesprochen, wird auf den Kopf gestellt. Dass führt dann dazu, dass mein Geld eigentlich anderen „zusteht“ und irgendwie der Allgemeinheit gehört oder auch gehört oder ein bisschen gehört…

Die Allgemeinheit kann nur durch den Staat vertreten werden. Die eben geschilderten Gedanken öffnen einer Obrigkeit, die durch Steuern und in großem Maße aktiv Eigentum abnimmt, Tür und Tor. Im Materialheft wird durchaus gesehen, dass viele vor so einer Entwicklung gewarnt haben und warnen: „Dennoch gibt es theologische Strömungen, die jeder Art von Steuern grundsätzlich skeptisch gegenüber stehen. Man misstraut einem starken Staat, sieht gar die Gefahr von ‘Staatsgläubigkeit’.“ Tatsächlich ist es ein verfehlter Glaube, wenn man meint, das Problem der Armut können durch den Staat gelöst werden. Dann heißt es jedoch nur: „Häufig übersehen Christen, die eine solche Haltung haben, dass es auf der anderen Seite aber auch eine ‘Marktgläubigkeit’ gibt, der sie möglicherweise unbewusst aufgesessen sind.“

Aber was soll das für ein Gegenargument ein? Natürlich gibt es auch ein falsches Vertrauen auf den Markt. Der Markt gehört nicht in alle Lebensbereiche wie jüngst Michael Sandel in What Money Can’t Buy gezeigt hat. Es gibt Staatsgläubigkeit und Marktgläubigkeit. Und was soll aus diesem bloßem Faktum geschlossen werden? Die Frage ist doch vielmehr, welche konkreten Aufgaben Markt und Staat wahrnehmen können und sollen und wie dies irgendwie theologisch-biblisch zu rechtfertigen ist. (Wo dabei unser Hauptproblem – bei Staatsquoten von 40–50% in Europa! – ist, liegt auf der Hand.)

Man zieht sich im Materialheft etwas aus der Affäre, wenn es heißt: „Im Zusammenhang mit EXPOSED erheben wir daher keinen Anspruch auf den ‘einen richtigen Weg’“. Doch von einem echten Positionspluralismus ist man ja leider meilenweit entfernt. Denn es wird eben doch nur bekräftigt, dass man festhalten will am „Prinzip der Haushalterschaft“, „Gottes Sympathie für Armenfürsorge“ und der „Umverteilung im Sinne der Armen“; dies seien „zentrale Referenzpunkte bei der Frage nach Steuern“. Anders formuliert: Gott will, dass wir Armenfürsorge betreiben (dem ist zuzustimmen); dies soll nun aber durch steuerliche Umverteilung geschehen (dies ist kaum theologisch zu begründen – der stereotype Hinweis auf das Erlassjahr ist hier viel zu billig).

Die durch diese Texte wabernde Polemik gegen den konsequenten Eigentumsschutz ist zutiefst absurd. Es müssten, so heißt es immer wieder, Gelder für die Bekämpfung der Armut her. Der peruanische Ökonom Hernando de Soto hat jedoch festgestellt, dass es vielmehr klare, festgeschriebene und durch einen Rechtsstaat geschützte und garantierte Eigentumsrechte sind, die aus der Armut führen (s. sein The Mystery of Capital). Eine Steuerpolitik im Sinne des Enteignens um der Armen willen ist da nur kontraproduktiv. Steuern sind demnach keineswegs der „einzige Weg“, um wirtschaftlich auf die Beine zu kommen; sie sind nicht der „Schlüssel“, um die Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen (all das behauptet das britische Hilfswerk „Christian Aid“ in „Death and Taxes“, 2008).

Wofür steht das TJN?

Es wäre sinnvoll gewesen, man hätte sich in der Redaktion des Materialheftes und auch schon in der „Salzkorn“-Redaktion einmal angesehen, was das „Tax Justice Network“ (TJN), das ja auch Meinzer vertritt, so alles gut findet und fordert. Im Internet wird man da schnell fündig (s. z.B. hier), und es treibt einem nur die Haare zu Berge!

Ganz schrecklich findet man beim TJN die flat tax, eine (weitgehend) einheitliche, flache Steuerquote – alle zahlen den gleichen (rel. niedrigen) Steuersatz. Zahlreiche Staaten in Zentral- und Osteuropa orientieren sich jedoch in gewisser Weise an dem Prinzip, denn wirtschaftspolitisch ist es auch das vernünftigste (je einfacher, desto transparenter!). Das TJN spricht sich aber für die progressive Steuer aus – je reicher, desto höhere Sätze sind zu zahlen. Doch gerade diese immer höheren Sätze treiben ja in die Steuerhinterziehung! Auch Umsatzsteuerausnahmen soll es unbedingt um der Ärmeren willen geben, Sozialbeiträge dürfen nicht gedeckelt werden, und sicherlich muss eine Vermögens- und Erbschaftssteuer her.

All diese Punkte passen übrigens hervorragend zu den Parteiprogrammen der Grünen und der Linken, sie führen jedoch am Kernproblem, einer gewaltigen Steuerlast, die historisch ihres gleichen sucht, vorbei. In Deutschland hat sich das Steueraufkommen von 10 Mrd 1950 (im Westen) zu knapp 600 Mrd heute entwickelt, seit 1982 sogar fast verdreifacht (natürlich auch in Teilen wegen der deutschen Wiedervereinigung). Gutes Material ist bei der Stiftung Marktwirtschaft hier zu finden (s. hier). Dort wird ganz ausgezeichnet mit vielen Steuerlegenden aufgeräumt wie z.B. „Ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz ist unsozial“ (was auch das TJN behauptet) und  festgehalten: „Die obersten fünf Prozent der Steuerpflichtigen zahlen 41,5% am Einkommensteueraufkommen.“ Die Hauptsteuerlast (in diesem Bereich) wird schon seit vielen Jahren von den Wohlhabenden getragen. Die Stiftung hält fest, „dass die Steuerehrlichkeit deutlich gesteigert werden könnte, wenn das Steuersystem einfach, transparent und nachvollziehbar wäre, sowohl was die Erhebung als auch die Verwendung der Steuermittel betrifft. Dies gilt sowohl für die Steuerhinterziehung als auch für die Schwarzarbeit, das ‘Liechtenstein des kleinen Mannes’.“

So ein einfaches, transparentes und auch niedrigeres Steuersystem steht aber gar nicht auf der Agenda des TJN (man erinnere sich, wie im Wahlkampf 2005 Paul Kirchhof ein deutlich vereinfachtes Modell vorschlug; dafür wurde er dann nicht zuletzt durch unsachliche und geradezu diffamierende Vorwürfe u.a. vom damaligen Kanzler Schröder aus dem Team von Merkel gemobbt, s. auch Kirchhofs Essay zum Christentum hier).

Gerecht sei natürlich eine Vermögensteuer, doch die bedeutet, so die Stiftung,… „grundsätzlich eine Bestrafung der Leistungsträger, die sich in der Vergangenheit aus bereits ordnungsgemäß versteuerten Einkommen und Erbschaften ein Vermögen aufgebaut haben. Bei den derzeit vorherrschenden niedrigen Zinsniveaus ist die Erwirtschaftung ausreichender Erträge nicht selbstverständlich und häufig mit der Eingehung höherer Risiken verbunden. Wenn aus dem Vermögen keine ausreichenden Erträge erzielt werden, um die doppelte Besteuerung von Einkommensteuer auf den Ertrag und Vermögensteuer auf die Substanz zu kompensieren, verringert sich die Vermögenssubstanz und es kommt zur Enteignung.“

Stichwort Enteignung: Was ist es sonst, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung beschließt, man solle den Wohlhabenderen noch mehr und noch mehr und noch mehr wegnehmen? Natürlich – für die ‘Allgemeinheit’, aber das heißt meist ja: für uns, die untere Hälfte; oder für „die“ Armen; oder für sonstwelche Interessengruppen.

Libertäre Denker bezeichnen die heutige Steuerpolitik schon lange als legalen Diebstahl, und es ist nur zu empfehlen, ihre Argumente einmal zu studieren (Murray N. Rothbard sei hier genannt oder auch Hans-Hermann Hoppe, s. hier; provokant auch Hoppes aktueller Beitrag hier: “Steuerhinterziehung ist darum nichts anderes als Selbstverteidigung gegenüber einer Räuberbande”). Roland Baader prägte diesen Spruch: „Das Wort ‘Steuergerechtigkeit’ ist genauso absurd wie die Wörter ‘Raubgerechtigkeit’ oder ‘Diebstahlsgerechtigkeit’.“

Auf seinem Blog (hier im Kommentarteil) setzt Meinzer jedoch Anhänger einer „libertären, staatsfeindlichen Ideologie“ mit Rechtsradikalismus gleich – ein starkes Stück, wissen wir doch, dass Rechtsradikalismus für Skins und Neonazis steht. Mit Rassismus und Nationalismus haben Rothbard, Hoppe und Co. jedoch rein gar nichts zu tun. Sie stehen diametral jedem Sozialismus gegenüber, das ist wohl wahr, und sie sind tatsächlich radikal (Baader lehnte aber, anders als Rothbard und Hoppe, den Staat und Steuern nicht so vehement ab; es gibt libertäre Anarchisten, Staatsgegner, und Staatsminimalisten wie Baader, Hülsmann, Nozick u.a.). Aber wo steht dann Meinzer und das TJN? Eben weit in der linken Ecke, aber das darf dann eben nicht so deutlich werden…

Unser Sozialstaat ist ein Steuerstaat“

Zur Steuer sei noch auf einen Artikel in der gar nicht rechtsradikalen „Welt“ hingewiesen. Dort schreibt Andrea Seibel: „Die aktuelle Diskussion um eine Vermögensabgabe zeigt wieder einmal, dass Erfolg und Wohlstand in Deutschland unter Generalverdacht stehen. Wen wundern da noch Steuerflucht und Gier?“ Dann führt sie gut aus:

„Unser Sozialstaat ist ein Steuerstaat. Je mehr er umverteilen will, desto mehr Einnahmen braucht er, und die holt er sich bei seinen Bürgern. Er ‘braucht’, und er ‘holt’. Bei den einen mehr, bei den anderen weniger. Und bei denen, von denen er mehr holt, will er immer noch mehr holen. Denn die haben’s ja. Und denen, die weniger haben, ist das recht. So einfach wie fatal ist diese Rechnung. In dieser schlichten Beschreibung liegt die ganze Weisheit unserer politischen Kultur, und in ihr manifestiert sich auch ihr Elend.“

Es wird laut Seibel oft so getan, „als sei Reichtum nur auf kriminellem Wege zu erlangen und unterliege daher der Enteignungspflicht, um Gerechtigkeit herzustellen. Das ist marxistisches Denken und steht im Widerspruch zu einer freien demokratischen und dynamischen Gesellschaft, die Vielfalt braucht und natürlich auch individuelle Ungleichheit aushalten muss. So wird die soziale Spaltung, jene Entsolidarisierung, die Linke gern bemühen, um noch mehr Druck auf ‘die da oben’ auszuüben, eher wachsen. Denn ‘die da oben’, das sind jene zehn Prozent der Steuerpflichtigen, die 55 Prozent des Steueraufkommens der Bundesrepublik tragen. Wer solcherart stigmatisiert wird, und hier geht es von Unternehmern bis in weite Kreise der Mittelschicht, hat irgendwann keine Lust mehr und wendet sich ab.“

Und solche flüchten sich dann, ob nun legal oder auch illegal, in Steueroasen. Natürlich sind die Machenschaften von Zumwinkel, Hoeneß und wie sie alle heißen, abzulehnen, doch das Kernproblem ist und bleibt, dass der Staat in Sachen Steuern eine Abgreifmentalität entwickelt hat – was soll eigentlich daran gerecht sein, dass in den mitteleuropäischen Staaten (aufs Jahr umgerechnet) bis zum Juni oder Juli für den Staat und die gesetzlichen Sozialkassen gearbeitet werden muß und man erst dann selbst in den Genuss der Früchte der eigenen Arbeit kommt? (s. hier) Frucht der Arbeit ist Eigentum, und die Hälfe soll einem nicht gehören? Steuerfreiheit ist ein klares Konzept, Steuergerechtigkeit ist weitgehend ein Blender.

Mord an Millionen von Kindern?

Alles wäre einfacher zu diskutieren, wenn es nicht so oft zu fragwürdigen Hochrechnungen käme wie unter „Häufig gestellte Fragen“ im Materialheft. Dort heißt es:

„Das britische Hilfswerk Christian Aid hat auf Basis einer anonymen Umfrage unter Unternehmern erhoben, dass Entwicklungsländern pro Jahr ca. 160 Milliarden US-Dollar durch Steuervermeidung von Konzernen verloren gehen… Christian Aid schätzt, dass pro Tag 1.000 Kleinkinder – also Kinder unter fünf Jahren – weniger sterben würden, wenn Steuerflucht eingedämmt werden würde“.

Im Trailer zu Kampagne wird das dann für den Zeitraum von 15 Jahren auf 5,6 Millionen hochgerechnet. So auch in einer idea-Meldung: „Man hätte 5,6 Millionen Kindern in Entwicklungsländern das Leben retten können, wenn in der ganzen Welt Unternehmen zwischen 2000 und 2015 keine Steuern vermieden oder hinterzogen hätten.“

Solche ‘Argumente’ halte ich für äußerst fragwürdig, ja manipulativ. Damit nähert man sich der Argumentationsweise Jean Zieglers an, dessen berühmter Satz lautet: „Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet“.

Wie viele Kinder hätte man retten können, wenn alle evangelikalen Christen in Deutschland keine Schwarzarbeit in Anspruch nehmen würden? Der in Deutschland ja nun sicher bald eingeführte flächendeckende Mindestlohn wird ja auch dazu führen, dass die Schwarzarbeit zunimmt. 83% der Deutschen sind für diesen Mindestlohn, der jedoch zu geschätzt einer Million zusätzlichen Arbeitslosen führen wird – mit entsprechenden Ausfällen und Kosten in Milliardenhöhe. Wie viele Kinder hat die Mindestlohn-Mehrheit da auf dem Gewissen?

Diese alternativen Rechnungen sollen nur zeigen, wie fragwürdig dieses Vorgehen grundsätzlich ist. Sinnvoll ist es nur dann, wenn klare und direkte Zusammenhänge im Blick sind (z.B. die Polizei in einem bestimmten Land könnte die Aufklärungsquote um soundsoviel  erhöhen, stünden ihr diese und jene Mittel zur Verfügung). Die Steuergerechtigkeits-Fans machen gerne die Rechnung auf, wie viele Mittel durch Hinterziehung verloren gehen, nach dem Motto: hätte der Staat diese Gelder doch bloß! Da ist natürlich etwas dran, doch wie viele Milliarden ‘verliert’ die Allgemeinheit durch Steuerverschwendung gerade dieses Staates? Wie leicht sich Geld, das nicht das eigene ist, ausgeben läßt, zeigt jedes Jahr das Schwarzbuch „Die öffentliche Verschwendung“ des Bundes des Steuerzahler (das Jahrbuch 2013 kam in diesen Tagen, am 17. Oktober, heraus).

Steuerhinterziehung ist ein Vergehen, für das Personen und Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Doch im Zitat oben wird auch Steuervermeidung in Richtung von Mord gerückt. Wer als Normalbürger Steuern hinterzieht und damit u.U. eine Straftat begeht, ist hier gar nicht im Visier. Große Unternehmen, die legal Schlupflöcher suchen und finden – um die geht’s. Der Trailer zur EXPOSED-Petition ist eindeutig in seiner Hauptaussage: die Üblen sind die Konzerne; gegen die „mächtigen Wirtschaftsinteressen“ (Meinzer) gilt es zu kämpfen.

Naivität ist hier nicht am Platz. Wer würde z.B. nach dem Skandal um Korruption im Siemens-Konzern meinen, hier ginge es immer sauber zu? Und, wie gesagt, große Konzerne suchen natürlich nach Möglichkeiten, ihre Abgabenlast zu reduzieren. Aber ist z.B. IKEA mit seinem Sitz in den Niederlanden und seinen verschachtelten Stiftungen – oft deswegen angegriffen – damit schon ein korrupter Laden? Macht sich ein IKEA-Kunde vielleicht auch noch mitschuldig an den 5,6 Millionen? Und wird eine Steueroase wie Monaco somit von einer korrupten Clique regiert? Und was ist mit Staaten wie Irland, die mit niedrigen Steuersätzen immer noch zur ‘Steuerflucht’ einladen? Sollte die Regierung von Estland – der baltische Staat ist auch so eine Niedrigsteuerland – aus moralischen Gründen schleunigst das Steuersystem umstellen?

Nehmen wir einmal an, es werden Zig Milliarden mehr Gelder eingetrieben, indem Steueroasen geschlossen werden. Mehr Mittel stehen zur Verfügung – werden auch mehr Kinder gerettet? Natürlich kann das sein. Doch betrachten wir das Beispiel Indiens. In dem riesigen Land gibt es in absoluten Zahlen mit Abstand die meisten Hungernden weltweit (immer noch hunderte Millionen). Wäre ihnen dort geholfen? Wohl kaum. Amartya Sen, selbst Inder, sieht vor allem das „Versagen der Behörden“, erstickende Bürokratie und Korruption. Indiens Landwirtschaft ist immer noch viel zu rückständig, sage und schreibe 40% der Lebensmittel erreichen nicht den Konsumenten. Das Land leidet immer noch unter dem Erbe einer sozialistischen Wirtschaftspolitik. Ein Geldsegen von Oben würde an all dem nur wenig ändern.

Forster und sein „kosmischer Christus“

Internationaler EXPOSED-Direktor ist Dion Forster (im Materialheft immer nur „Foster“ geschrieben), Theologe aus Südafrika. Der Methodist rechnet sich der Bewegung der Emerging Church zu, was noch nicht viel heißen muss. Aber damit nicht genug: er vertritt eine „integrale Spiritualität“ im Sinne von Ken Wilber, hat Sympathien für Pierre Teilhard de Chardins spirituelle Evolution (s. hier). Den „kosmischen Christus“ entdeckte er auch im Werk des britischen Mystikers Bede Griffiths (1909–1993), einem Grenzgänger zwischen Hinduismus und Christentum, der sich später Swami Dayananda nannte (s. hier).

Nun müssen sich solche Anschauungen natürlich nicht direkt auf die Arbeit in der Kampagne auswirken. Aber man fragt sich dennoch: Forster verbindet mit den Evangelikalen einzig ein Bekehrungserlebnis; inhaltlich entdecke ich bei ihm so gut wie gar nichts, was das Label „Bibeltreue“ o.ä. verdient. Warum sollte jemand wie die Weltweite Evangelische Alianz (Mitträger der Kampagne) sich mit so jemandem gemein machen? Haben wir mit solchen Inklusivisten irgendetwas zu schaffen?

Die Micha-Initiative scheint sich zu einem evangelikalen Ableger von „Attac“ zu entwickeln. Leider. Dies dient der wichtigen Sache – Kampf gegen Armut, Korruption usw. – in keiner Weise. Man schippert ganz im Fahrwasser von Jim Wallis und anderen Links-Evangelikalen. Gott sei Dank gibt es auch noch katholisch geprägte Oragnisationen wie das „Acton Institute“. Dessen Initiative „Povertycure“ schlägt ganz andere Töne an und hat hier zum Thema viel zu sagen. Zu empfehlen ist auch das Buch des bekennenden Katholiken Samuel Gregg zum Thema.

Das letzte Wort soll ein Nichtchrist haben. Der anthroposophisch aufgewachsene Andreas Kaufmann, einst selbst Waldorf-Lehrer, früher mal Mitglied der Grünen und nun Leica-Chef, brachte es in einem Interview („Der Spiegel“ 37/2013, „Das Vermögen ist die Firma“) erfrischend auf den Punkt:

„Ist es gerecht, dass Sie so viel Geld geschenkt bekommen haben [Kaufmann hat viele Millionen geerbt]? Kaufmann: Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit ist ein Euphemismus, weil er gern für etwas ganz anderes verendet wird: Steuern. Jede Partei, die mehr Gerechtigkeit verspricht, will – was? Spiegel: Sicher nicht nur Steuern erhöhen. Kaufmann: Doch. In Wahlkampfzeiten wie jetzt geht es immer um die Frage: Wie kann ich anderen Leuten Geld wegnehmen, damit ich eine höhere Verteilungsmacht habe? Spiegel: Und… ist das schlimm? Dass Sie Ihr Vermögen geerbt haben, muss man nicht gerecht finden. Kaufmann: Aber ist es ungerecht? Solange wir eine freie Gesellschaft haben, gibt es Eigentum, kann jeder wirtschaftich erfolgreicher sein, als ein anderer. Es wird also Wert entstehen, den andere Reichtum nennen.“

Nachtrag vom 24. Oktober:

Der Leiter des Acton-Instituts, Pfr. Robert Sirico, hat im Journal von Acton, “Religion&Liberty”. einen hervorragenden Beitrag geschrieben: “Ideology vs. Reality” (hier das Original, hier die litauische Übersetzung). Dort geht es auch um das Allgemeinwohl. Die Sozialisten haben es sich groß auf die Fahne geschrieben und tragen es in moralischem Stolz vor sich her. Sirico erinnert aber an dieses:

“When we speak of the common good, we need also to be clear-minded about the political and juridical institutions that are most likely to bring it about. Let me list them: private property in the means of production, stable money to serve as a means of exchange, the freedom of enterprise that allows people to start businesses, the free association of workers that permits people to choose where they would like to work and under what conditions, the enforcement of contracts that provides institutional support for the idea that people should keep their promises, and a vibrant trade within and among nations to permit the fullest possible flowering of the division of labor. These institutions must be supported by a cultural infrastructure that respects private property, regards the human person as possessing an inherent dignity, and confers its first loyalty to transcendent authority over civil authority. This is the basis of freedom, without which the common good is unreachable.”