Religionen und Kirchen
Die litauischen Stämme wurden erst Ende des 14. Jahrhunderts christianisiert, die Schemaiten in Niederlitauen als allerletzte Heiden Europas sogar erst 1413. Die Herrscher entschieden sich für den römisch-katholischen und nicht den orthodoxen Glauben der Russen im Osten. Damit wurde der gesamte Staat auf den lateinischen Westen ausgerichtet, was bis heute prägt.
Im 16. Jahrhundert verbreitete sich auch in Litauen der evangelische Glaube schnell. Um 1600 rechnete sich etwa die Hälfte der Bevölkerung dem Protestantismus zu. Die polnisch-litauischen Herrscher gingen jedoch nicht auf die Seite der Reformation über; im Zuge der Gegenreformation wurden die evangelischen Gemeinden immer weiter zurückgedrängt. Anders als das protestantisch geprägte nördliche Baltikum (Lettland und Estland) wurde Litauen wieder rekatholisiert.
In Litauen bezeichnen sich knapp 90% der Einwohner auf die eine oder andere Art „gläubig“ (als „Atheisten, Agnostiker oder Freidenker“ outeten sich bei der Volksbefragung 2011 insg. nur 382 Personen!). Mehr als 80% rechnen sich einer Kirche zu. In den beiden nördlichen baltischen Ländern ist die Säkularisierung weit deutlicher fortgeschritten. Gehörten vor einhundert Jahren in Lettland noch fast Zweidrittel zur lutherischen Kirche, so ist es heute nur noch ein Fünftel der Einwohner. In Estland glaubt nicht einmal jeder Sechste an einer persönlichen Gott (in Litauen um die 50%); etwa 70% rechnen sich keinerlei Religion zu. War das Land um 1900 noch zu über 90% protestantisch, so ist diese Zahl heute auf ca. 15% geschrumpft. Estland gehört damit neben den neuen Bundesländern, Tschechien, Schweden und Frankreich zu den weltweit am stärksten entchristlichten Ländern.
Heute rechnen sich 77% der Einwohner der römisch-katholischen Kirche zu (unter den ethnischen Litauern ca. 83%). Der regelmäßige Messbesuch ist jedoch deutlich seltener als z.B. im benachbarten Polen. Im Land der Kreuze und Marias (erste Marienerscheinung Europas 1608) ist das Ansehen der Kirche zwar recht hoch, doch in der Praxis kümmert man sich nicht besonders um sie. Allerdings dominiert diese Kirche allein schon wegen ihrer Größe in Medien und öffentlicher Wahrnehmung.
Zur orthodoxen Kirche (125.000) und der der Altgläubigen (23.000) gehören fast ausschließlich Angehörige der slawischen Minderheiten.
Die lutherische Kirche war über Jahrhunderte ethnisch gemischt. Sie war vor allem die Kirche der deutschen Minderheit in den Städten; und gerade im Norden Litauens wurde in vielen Gemeinden Gottesdienst in Lettisch abgehalten. Im Memelland unter preußischer Herrschaft dominierte die lutherische Kirche. Auch die dortigen Litauer waren Lutheraner. Hier erlebte die pietistische Gemeinschaftsbewegung (wie im gesamten Ostpreußen) um 1900 eine Blüte. Noch der Umsiedlung der allermeisten Deutschen und vieler Memelländer nach Deutschland ist die Kirche ethnisch weitgehend homogen. Immer noch befinden sich die meisten der 55 Gemeinden im ehemaligen Memelland und am Nordrand zu Lettland. Heute werden insg. etwa 18.000 Lutheraner gezählt.
Die reformierte Kirche blickt auf eine lange Geschichte zurück (erste Synode 1557). In nennenswerter Zahl konnten sich die Reformierten nur im Norden um Biržai halten. Wie auch den anderen religiösen Gemeinschaften setze die atheistische Sowjetherrschaft der Kirche besonders zu. Die demokratische Selbstverwaltung mit Presbyterien und Synoden war kaum möglich; es gab bald keinen Pfarrernachwuchs mehr. Heute besteht ein Dutzend Gemeinden, betreut von fünf Pfarrern. Knapp 7000 Litauer rechnen sich der reformierten Konfession zu; aktive Gläubige (Gottesdienstbesucher) sind aber wohl nur ein paar Hundert im ganzen Land.
Die erste Baptistengemeinde wurde schon 1841 in Memel/Klaipėda gegründet. Um 1900 gab es Gemeinden in den Großstädten und vor allem im Westen und Nordwesten. Nach dem I Weltkrieg wurde der Baptistenbund des Landes gebildet. Im unabhängigen Litauen ab 1990 kam es zu nicht wenigen Neugründungen (Freie christliche Gemeinden, bis 2003 im Bund; unabhängige Baptistengemeinden). Heute gibt es in und außerhalb des Bundes rund 1500 Anhänger der Baptisten.
Bald nach dem Beginn der Pfingstbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts kam es auch in Litauen zu Gründung von Pfingstgemeinden. Während der Sowjetzeit musste man eine Zwangsehe mit den Baptisten eingehen. Fast alle Gemeinden (über 30 mit etwa 2000 Mitgliedern) gehören heute zum Pfingstbund, der enge Beziehungen zu den „Assemblies of God“ unterhält. Unter den evangelischen Kirchen haben die Pfingstgemeinden den größten Anteil russischsprachiger Mitglieder.
Um 1900 kam auch die methodistische Bewegung nach Litauen. Zwischen den Weltkriegen entstanden zahlreiche Gemeinden. Nun zählt die Vereinigte methodistische Kirche Litauens zehn Ortsgemeinden (rund 400 Mitglieder). Die Heilsarmee wirkte in Memel/Klaipėda von 1892 bis 1944 und wieder seit 2001.
Zweitgrößte evangelische Kirche nach den Lutheranern (im Hinblick auf Gemeindezahl und Besuch) ist der Bund der „Wort des Glaubens“-Gemeinden, einer charismatischen Bewegung mit einem breiten Netz von etwa 35 Versammlungen, einigen Tausend Mitgliedern und einem bekannten Gospelchor (s. Foto). Mit „Word of Faith“ hat die Kirche nichts mehr zu tun. Auch die „Vineyard“-Gemeinschaft ist in Litauen mit zwei Gemeinden vertreten. Schließlich gibt es eine recht starke Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten mit über 25 Gemeinden.
Im Bereich der Sondergemeinschaften („Sekten“) bilden die Zeugen Jehovas die größte Gruppe (rund 3000 Anhänger). Seit einigen Jahren versuchen auch die Mormonen und die Neuapostolische Kirche Fuß zu fassen, jedoch mit eher mäßigem Erfolg (trotz beeindruckender Sakralbauten jeweils nur einige hundert Mitglieder).
Protestanten (laut Volksbefragung 2011 insg. etwa 33.000) bilden folglich eine kleine Minderheit von gerade 1,1%. Eine Evangelische Allianz gibt es in Litauen leider nicht.
In der Geschichte Litauens bildeten die Juden neben den Katholiken die größte Religionsgemeinschaft. Ende des 19. Jahrhunderts lebte die Masse der Litauer auf dem Land; in den Städten waren die Juden (und Deutschen) oft in der Mehrheit, dominierten manche Bereiche des Handels. Vilnius mit Zig Synagogen war eines der Zentren der jiddischen Kultur und wurde das „Jerusalem des Ostens“ genannt. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 kam das plötzliche Ende: viele der Hundertausenden litauischen Juden wurden noch im ersten Kriegsjahr erschossen. Hunderte Massengräber im ganzen Land zeugen bis heute von dieser Tragödie. Die große Mehrheit der heutigen Juden Litauens (einige Tausend) sind Zugereiste aus der Sowjetunion und ihre Nachkommen. Kaum einer von ihnen ist praktizierender Jude.
Seit dem späten Mittelalter leben Anhänger des Islam in Litauen. Sie gehören ethnisch zu den Tataren, angesiedelt und eingewandert von der Krim am Schwarzen Meer.
In Litauen gibt es keine Staatsreligion und keinerlei Kirchensteuersystem. Volle Religionsfreiheit ist garantiert und verwirklicht. Neun Religionsgemeinschaften gelten als „traditionelle“ Religionen, verwurzelt in Geschichte und Kultur des Landes (neben römisch-katholischer und orthodoxer Kirche auch die evangelisch-lutherische und reformierte). Den Status der „anerkannten Religionsgemeinschaft“ (er berechtigt z.B. zum Religionsunterricht an Schulen; in etwa vergleichbar mit einer deutschen „Körperschaft des öffentlichen Rechts“) haben die Baptisten (seit 2001) und die Adventisten (2008) erlangt. Über die Anträge der Pfingstler und Methodisten ist noch nicht entschieden.