Geschichte und Politik
1009 wird Litauen erstmals in den Quedlinburger Annalen erwähnt. Die südlichen baltischen Stämme wurden dann im 13. Jahrhundert von Fürst Mindaugas geeint. Dieser wurde 1253 zum König erhoben – der erste und letzte König in der Geschichte Litauens. Die folgenden Jahrhunderte waren gekennzeichnet vom Kampf gegen die Kreuzritter, die vom Norden (heutiges Lettland) und Westen (Preußen) aus versuchten, die heidnischen Litauer zu unterwerfen. Diesen gelang es aber, ihr Herrschaftsgebiet weit nach Süden und Osten auszudehnen. Um 1400 war sogar das Schwarze Meer erreicht.
1386 heiratete Fürst Jogaila (Jagiello) Jadviga (Hedwig) von Polen, nahm den katholischen Glauben an und verband die beiden Staaten für die kommenden vierhundert Jahre. 1410 besiegten Polen und Litauer die Ritter vom Deutschen Orden bei der Schlacht von Tannenberg und beseitigten für immer diese Bedrohung.
Litauen reihte sich damit in die Familie der christlichen Völker Europas ein. In der Kirche St. Pierre-le-Jeune in Straßburg ist dies auf einem Fresko aus der Renaissance gut dargestellt: die lange Reihe der europäischen Völker auf ihrem „Zug zum Kreuz“ werden durch gekrönte Häupter zu Pferd symbolisiert; den Abschluss bilden „Hungaria“ (Ungarn), „Polonia“ (Polen) und schließlich – zu Fuß – „Oriens“ (der Osten) und „Litavia“ (Litauen).
Im 16. Jahrhundert vereinigten sich Polen und Litauen endgültig. Die Bedrohung aus dem Osten vom Großfürstentum Moskau und dann dem russischen Zarenreich nahm immer mehr zu. Schließlich wurde der polnisch-litauische Staat Ende des 18. Jahrhunderts schrittweise unter den benachbarten Großmächten aufgeteilt. Litauen kam 1795 ganz zum russischen Reich.
Die relative Ruhe im Zarenreich war begleitet von der Unterdrückung der litauischen Sprache und des Katholizismus. Zeitweise wurde sogar die lateinische Schrift verboten. Mehrere bewaffnete Aufstände scheiterten.
Erst der I Weltkrieg und die deutsche Besatzung (ab 1915) schufen eine neue Situation. Am 16. Februar 1918 erklärte sich Litauen für unabhängig. Nach dem Abzug der Deutschen mussten die schnell gebildeten litauischen Streitkräfte die neue Freiheit gegen Rote Armee und polnische Heere erkämpfen und bewahren (Vilnius und der Osten des Landes gingen allerdings an Polen verloren; provisorische Hauptstadt war bis 1939 Kaunas).
Die junge Republik Litauen besetzte 1923 das Memelland und gewann so eine Hafenstadt. Demokratische Verhältnisse herrschten jedoch nur bis zu einem Putsch Ende 1926. Es folgte das autokratische Regime von Präsident Antanas Smetona und seiner Partei der „Völkischen“. 1940 gab man kampflos dem Druck der Sowjetunion nach – die drei baltischen Länder wurden Sowjetrepubliken und in den kommunistischen Staat eingegliedert.
Im II Weltkrieg besetzten deutsche Truppen im Sommer 1941 schnell das Land. 1944 kehrten die sowjetischen Einheiten zurück. Es begann ein grausamer Partisanenkrieg in den Wäldern gegen die neuen Herren, der bis 1953 Zehntausenden das Leben kostete.
Erst unter Gorbatschow konnten sich Unabhängigkeitsbestrebungen regen. Unter Führung des Musikprofessors Vytautas Landsbergis wurde die 1988 gegründete „Bewegung“ (Sąjūdis) immer stärker. Millionen demonstrierten 23. August 1989 für ihre Freiheit, am Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes. Fünfzig Jahre zuvor hatten sich die Diktatoren Osteuropa untereinander aufgeteilt. Die Menschenkette durchs gesamte Baltikum – der „baltische Weg“ – läutete das unvermeidliche Ende der kommunistischen Herrschaft ein.
Doch der Weg war steinig. 1990 wählten die Litauer schließlich in ersten freien Wahlen ein Parlament, das am 10. März die Unabhängigkeit von der UdSSR erklärte. Moskau blockierte Energie- und Warenzufuhr, versuchte im Januar 1991 sogar einen gewaltsamen Putsch. Doch die Bürger verteidigten ihr Parlament verbissen. Im Februar bestätigten in einer Volksabstimmung 85% der Litauer ihren Willen zur Unabhängigkeit. Der August-Putsch gegen Jelzin besiegelte die Freiheit der baltischen Republiken: Schnell wurden die Länder von der internationalen Gemeinschaft anerkannt, schon im September des Jahres UNO-Mitglieder. 1993 zogen die letzten Einheiten der Roten Armee aus Litauen ab, wurde die Währung Litas eingeführt.
Litauen gehört nun zur Familie der demokratischen europäischen Staaten, ist seit 2004 Mitglied von Nato und EU (in der zweiten Jahreshälfte 2013 übernimmt Litauen erstmals die Ratspräsidentschaft). Die Verfassung wurde 1992 in einer Volksabstimmung angenommen.
In der recht stabilen parlamentarischen Demokratie ist die Regierung den Abgeordneten des Seimas (s. Foto) verantwortlich und wird vom Premierminister geführt. Der von den Bürgern direkt gewählte Präsident ist aber ebenfalls recht einflussreich, leitet z.B. die Außenpolitik und ist auch sonst an wichtigen Entscheidungen beteiligt. Litauen war übrigens das erste Land in Europa, das in einem parlamentarischen und gerichtlichen Verfahren einen Präsidenten des Amts enthob (Rolandas Paksas, 2004). Heutiges Staatsoberhaupt (seit 2009) ist die ehemalige litauische Finanzministerin und Finanzkommissarin der EU Dalia Grybauskaitė. Im Mai 2013 wurde ihr in Aachen der angesehene Karls-Preis verliehen.
Das Parteienspektrum der Republik ähnelt dem klassischen europäischen: Auf der Linken die Partei der Sozialdemokraten (2001 hervorgegangen aus der „Demokratischen Arbeitspartei“, den Ex-Kommunisten, und einer 1989 wiedergegründeten sozialdemokratischen Partei); auf der Rechten die konservative „Heimatunion“, die 1992 aus der „Bewegung“ für die Unabhängigkeit hervorging, später die Christdemokraten aufnahm; daneben gibt es mehrere liberale Parteien, von denen heute nur die „Liberale Bewegung“ bei Wahlen gut abschneidet. Eine extreme Linke oder Rechte ist im Parlament nicht vertreten, auch keine Grüne Partei. Allerdings gibt es mit der „Arbeitspartei“ und „Recht und Ordnung“ weitgehend profillose populistische Parteien, die etwa ein Drittel der Wähler anziehen. An der derzeitigen Regierungskoalition (geführt von den Sozialdemokraten) ist neben diesen auch noch die Partei der polnischen Minderheit beteiligt.