Auferstehungswehen
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“, so Petrus in 1 Pt 1,3. Ein paar Verse weiter macht der Apostel aber deutlich, dass das Ziel des Glaubens noch nicht erreicht ist; dass die „letzte Zeit“ noch nicht gekommen ist; dass wir Christus noch nicht sehen. Noch sind Christen „traurig“ in „mancherlei Anfechtungen“. Wenn das Heil aber einst vollendet wird, dann „werdet [ihr] euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude“ (1 Pt 1,8).
Auch Paulus spricht im Römerbrief mehrfach von der Hoffnung und verbindet dies meist mit dem Heiligen Geist wie z.B. in Röm 5,5 („Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist…“) oder Röm 8,11: „Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ Der Geist in uns ist die Grundlage der Hoffnung, dass auch die Christen einst einen Auferstehungsleib erhalten werden. Christus ist der Erbe (Hbr 1,2), „in ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden“ (Eph 1,11), und der Geist ist „das Unterpfand unseres Erbes“ (Eph 1,14; 2 Kor 5,5). Der Geist gibt Kraft und macht Hoffnung erst möglich; durch ihn schenkt der „Gott der Hoffnung“ schon jetzt „Freude und Frieden im Glauben“ (Röm 15,13).
Der Heilige Geist im Leben des Christen ist das Thema in Römer 8. Wie auch in 2 Kor 4,17 und wie Petrus (s.o.) spricht Paulus in einem wichtigen Abschnitt direkt das Thema Leid und Last an (V. 18–25, NGÜ):
„Im Übrigen meine ich, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen, wenn wir an die Herrlichkeit denken, die Gott bald sichtbar machen und an der er uns teilhaben lassen wird. Ja, die gesamte Schöpfung wartet sehnsüchtig darauf, dass die Kinder Gottes in ihrer ganzen Herrlichkeit sichtbar werden. Denn die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, allerdings ohne etwas dafür zu können. Sie musste sich dem Willen dessen beugen, der ihr dieses Schicksal auferlegt hat. Aber damit verbunden ist eine Hoffnung: Auch sie, die Schöpfung, wird von der Last der Vergänglichkeit befreit werden und an der Freiheit teilhaben, die den Kindern Gottes mit der künftigen Herrlichkeit geschenkt wird. Wir wissen allerdings, dass die gesamte Schöpfung jetzt noch unter ihrem Zustand seufzt, als würde sie in Geburtswehen liegen. Und sogar wir, denen Gott doch bereits seinen Geist gegeben hat, den ersten Teil des künftigen Erbes, sogar wir seufzen innerlich noch, weil die volle Verwirklichung dessen noch aussteht, wozu wir als Gottes Söhne und Töchter bestimmt sind: Wir warten darauf, dass auch unser Körper erlöst wird. Unsere Errettung schließt ja diese Hoffnung mit ein. Nun ist aber eine Hoffnung, die sich bereits erfüllt hat, keine Hoffnung mehr. Denn warum sollte man auf etwas hoffen, was man schon verwirklicht sieht? Da wir also das, worauf wir hoffen, noch nicht sehen, warten wir unbeirrbar, bis es sich erfüllt.“
Seufzen – trotz oder wegen des Geistes?
Christen haben einen „ersten Teil des künftigen Erbes“ schon, aber sie seufzen noch mit der ganzen Schöpfung und hoffen auf die Vollendung der Erlösung. Denn die Erlösung des Körpers, die Befreiung von der „Last der Vergänglichkeit“, steht noch aus (in diesem Sinne ist auch die Vollendung der „Kindschaft“ [Luther] noch nicht vollendet). Gemeint ist mit Erlösung nicht Befreiung vom Körper, sondern seine Verwandlung. In 2 Kor 5,1f stellt Paulus das vergängliche „irdische Haus“ der „Behausung, die vom Himmel ist“ gegenüber. Der Mensch will „bekleidet“ sein, so Paulus dort, d.h. er will und soll einen Körper haben – im Himmel wird dieser eben ein unvergänglicher und in diesem Sinn vollkommener sein.
In 2Kor 5,2 spricht Paulus von einem Seufzen und Sehnen. Und auch in Röm 8,18f sind die Begriffe sehr nüchtern: „Leiden“, „Vergänglichkeit“, „Geburtswehen“, bei Luther das „ängstliche Harren“, Verben wie „unterworfen“, „warten“ und „seufzen“. Die Schöpfung allgemein leidet (Paulus personifiziert sie hier), ausdrücklich aber auch die Christen („sogar wir“, „auch wir selbst“ [Luther]).
Christen dürfen daher die Gefallenheit der gesamten Schöpfung keinesfalls leichtfertig übergehen. Im 19. Jahrhundert meinte der damals berühmte britische Wissenschaftler Adam Sedgwick: „Der Erforscher der Natur findet die natürlich Welt voll von Schönheit, Harmonie, Symmetrie und Ordnung vor“ – ein Leben voll Güte und Freude. Um 1800 schwärmte der Theologe und Wissenschaftler William Paley: „Dies ist eine glückliche Welt, erfüllt von Daseinslust“ – Überflüssiges, Grausames und Annomales fehlten in ihren Darstellungen. Zeichnet man ein einseitig idyllisches Bild von der natürlichen Welt, hat man jedoch nicht Paulus auf seiner Seite. Bei ihnen fand sich kaum eine Spur des ängstlichen Harrens. Calvin war da realistischer: Dieser sah natürlich auch Gottes Größe und Majestät in der Schöpfung widergespiegelt; doch er schwärmte eben nicht naiv von einer „glücklichen Welt“: „Unzählig sind die Übel, die unser menschliches Leben belagern, stets lauert in ihnen der Tod“, ja „der Mensch… führt sein Lebens sozusagen stets verwoben mit dem Tod“ (Inst. I,17,10) – eben die „Last der Vergänglichkeit“.
Bemerkenswert ist nun, dass Paulus die Christen in dies Sehnen nach Vollendung einschließt. Die NGÜ macht jedoch in V. 23 aus dem verstärkenden „aber“ (bei Luther „sondern auch wir“) eher einen Gegensatz („sogar wir, denen Gott doch bereits seinen Geist gegeben hat, den ersten Teil des künftigen Erbes, sogar wir seufzen innerlich noch“). Es wird also in der NGÜ etwa dieser Gedanke formuliert: Obwohl wir doch schon den Geist bekommen haben, seufzen wir dennoch…
Ich denke, dass diese Interpretation nicht trifft, was Paulus an dieser Stelle sagen wollte. Paulus sagt nicht: Oh ja, ihr leidet leider noch, doch der Geist macht’s euch leichter. Natürlich ist auch das nicht falsch, doch sein Akzent ist hier ein anderer. Weil der Geist ist uns ist, seufzen wir. Weil der Geist ist uns ist, sehnen wir uns überhaupt in dieser Intensität nach der Vollendung, nach etwas Besserem. Er erinnert uns an den Kontrast zwischen dem, was uns versprochen ist, und dem, was bislang noch die mehr oder weniger bittere Realität ist. Die Logik des Abschnitts ist also nicht: die Schöpfung harrt der Vollendung, und wir Christen sollten dies eigentlich nicht, weil wir ja den Geist haben. Vielmehr will Paulus sagen: Wenn schon die Schöpfung sich nach Vollendung sehnt, wieviel intensiver sehnt ihr euch, die ihr doch den Geist habt!
Zahlreiche Übersetzungen (NGÜ, EÜ, Elberfelder, Schlachter und Luther 75) sprechen in V. 22 von Geburtswehen. Die „Gute Nachricht“ sehr gut: „Wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis jetzt noch vor Schmerzen stöhnt wie eine Frau bei der Geburt“. Dem gerade geschilderten Gedanken folgend können wir daher sagen: Wenn schon die ganze Schöpfung in Wehen stöhnt, wieviel intensiver dann wir! Insofern kann man sogar sagen, dass der Geist in die Geburtswehen hineinführt – die wahrlich gute Nachricht ist, dass danach die Geburt folgt. Der Geist gibt also Hoffnung, aber es ist keine billige oder das Leid verharmlosende Hoffnung. Es ist eine Hoffnung, die die „Kraft seiner [Christi] Auferstehung“ und die „Gemeinschaft seiner Leiden“ (Phil 3,10) umfasst.
Christen sind schon mit Christus auferweckt (Eph 2,6), „unser Leben [ist] neu geworden“ (Röm 6,4, NGÜ). Daher die Aufforderungen an Christen zur Freunde (s. z.B. Phil 4,4). Petrus fordert dabei jedoch: „Freut euch, daß ihr mit Christus leidet“ (1 Pt 4,13). Denn so gewiss „wir jetzt mit ihn leiden“, so gewiss „werden wir auch an seiner Herrlichkeit teilhaben“ (Röm 8,13). Oder im Bild der Wehen: Freut euch über diese Schmerzen, denn bald enden sie und die Freude wird vollkommen sein (ähnlich ja auch Jak 1,2).
Seufzen, Sehnen und ein Leiden mit Christus kommt bei vielen heutigen christlichen Autoren kaum vor. Als Beispiel sei hier nur Joel Osteen genannt. Der Pastor der riesigen Lakewood Church in Houston, Texas, schreibt Bestseller mit vielsagenden Titeln wie Your Best Life Now – das beste Leben jetzt (aus der Feder seiner Frau Victoria: Love Your Life – Living Happy, Healthy and Whole). Natürlich ist der christliche Glaube in gewisser Hinsicht das Beste, was ein Mensch auf Erden erfahren kann, und er ist schon jetzt erfahrbare Wirklichkeit. Dennoch führt ein solcher Superlativ in die Irre. Mit Versen wie Röm 7,24 (Paulus: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?“) kann Osteen offensichtlich wenig anfangen.
Väter im Glauben wie Calvin hielten besser die Balance. Wir werden von einem „gewaltigen Berg von Elend… fast erdrückt“, so der Reformator, hinzu „kommt noch der Spott unfrommer Menschen“. Es scheint so, dass „wir ja nach der Seligkeit, die uns doch verborgen ist, wie nach einem Schatten haschen“. Weiter: „von oben und unten, von hinten und von vorn umlagern uns heftige Versuchungen“, und wir sind „bei weitem nicht fähig, sie auszuhalten“ – ähnlich den Geburtswehen! Alles wäre hoffnungslos, wenn nicht „unsere Herzen… an jenes himmlische Leben gebunden wären, das freilich dem Anschein nach weit von uns weg ist“. Wir müssen uns deshalb an die „beständige Betrachtung der seligen Auferstehung“ gewöhnen (Inst. III,24,1). Christus ist „die Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kol 1,27), unserer Herrlichkeit, eben weil er tatsächlich auferstanden ist.
(Bild o.: Hans Memling, Auferstehung, frühes 16. Jhdt. )
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