„Mit eigenen Augen habe ich das Heil gesehen…“
»Herr, nun kann dein Diener in Frieden sterben, denn du hast deine Zusage erfüllt. Mit eigenen Augen habe ich das Heil gesehen, das du für alle Völker bereitet hast – ein Licht, das die Nationen erleuchtet, und der Ruhm deines Volkes Israel.« (Lukas 2,29–32, NGÜ)
Schon zwei Mal hatte Rembrandt die Begegnung von Simeon mit Jesus und seinen Eltern bildlich dargestellt. Die dritte Interpretation des Ereignisses im Tempel von Jerusalem, nicht lange nach der Geburt Jesu, war ganz anders. Nur noch drei Personen sind zu sehen: Simeon, das Kind auf seinen Armen und neben dem alten Mann eine weitere Person, wahrscheinlich Maria. Vom Tempelgebäude und all den übrigen Menschen dort wie in den ersten beiden Werken ist nichts mehr zu erkennen. Ein Bild, das in seiner Konzentration auf das Wesentliche eine persönliche, ja intime Atmosphäre ausstrahlt.
„Simeon im Tempel“ war das letzte Werk des großen holländischen Künstlers. Man fand es nach seinem Tod im Oktober 1669 auf seiner Staffelei; es war war unvollendet geblieben. Rembrandt hatte früh als Maler Ruhm erlangt, war zu Geld und Wohlstand gekommen. Doch nach und nach ging sein Leben in die Brüche. Seine geliebte (und oft in Bildern portraitierte) Frau Saskia starb nach weniger als zehn Ehejahren. Drei ihrer Kinder starben sehr jung, nur Sohn Titus erreichte das Erwachsenenalter, und auch ihn überlebte der Vater. Hinzu kamen immer größere finanzielle Schwierigkeiten. Rembrandt ging brankrott, verlor seine Bilder und sein Haus, starb schließlich verarmt im reichen Amsterdam.
Rembrandt hat diese Geschichte aus Lukas 2 sicher nicht zufällig noch einmal künstlerisch verarbeitet. Er sah den Tod nahen und fand, ganz tief im Leben gesunken, in den Worten des biblischen Textes Trost. Denn der „Trost Israels“ (V. 26), den Simeon erwartet hatte, war auch seine Hilfe. Die beiden Erwachsenen im Bild blicken auf Jesus und erkennen in diesem schwachen Kind das Heil aller Welt. Nur im Glauben an Ihn kann ein Mensch „in Frieden sterben“. Wir können davon ausgehen, dass auch Rembrandt durch Jesus nicht zu Fall kam, sondern „aufgerichtet“ wurde (V. 34).
Simeon und Maria blicken auf Jesus. Der Säuglinge auf den Armen des alten Mannes blickt aber auch herauf zu ihm – ein Detail, das gewiss nicht Zufall ist. Jesus ist nicht nur derjenige, auf den im Glauben zu schauen ist. Er, „das Licht, das die Nationen erleuchtet“ (V. 31), blickt gleichsam jeden an, schaut ins Innere der Menschen, durchleuchtet Herz und Sinn, so dass „die Gedanken… an den Tag kommen“ (V. 35). Weihnachten lädt ein, sich diesem durchdringenden, aber freundlichen und gnädigen Blick auszusetzen – dem Kind wie Simeon in die Augen zu schauen und von ihm angeschaut werden.
Wir wissen nichts von Rembrandts Gefühlslage bei seinem letzten Christfest. Doch wir können sicher sein, dass der Heilige Geist auch in ihm wirkte und er in Frieden mit Gott seinem irdischen Ende entgegen sah. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!
Die zweite Darstellung aus dem Jahr 1631