Homo faber
[Der zweite Vortrag über Gott, Mensch und Technologie, Teil 1 s. hier]
Deus faber
„Groß sind die Werke des HERRN; wer sie erforscht, der hat Freude daran.“ Vers 2 aus Psalm 111 in lateinischer Sprache ziert die schwere Eichentür zum Innenhof des Cavendish Laboratory in Cambridge: „Magna opera Domini, exquisita in omnes voluntates ejus.“ Das Laboratorium wurde 1874 als Teil der Universität Cambridge gegründet und war ganz der experimentellen Physik gewidmet. Zum ersten „Cavendish professor of physics“ war 1871 James Clerk Maxwell ernannt worden, einer der bedeutendsten Physiker in der Wissenschaftsgeschichte und ein gläubiger Christ. Einhundert Jahre später zog das Cavendish Laboratory in moderne Gebäude am Stadtrand um. Der Bibelvers befindet sich wieder über dem Eingang, nun in englischer Sprache: „The works of the Lord are great, sought out of all them that have pleasure therein.“
In der Tradition von Maxwell steht Denis Alexander, ehemaliger Direktor des Faraday Institute for Science and Religion, das ebenfalls in Cambridge ansässig ist. „Gott selbst ist der Erztechnophile und letztlich derjenige, der menschliche Technologie möglich macht“, schreibt der Molekularbiologe in „Worshipping God with technology“ (Cambridge Paper, 4/2003). Technologie sei daher sogar unsere „moralische Verpflichtung“, implizit in der geschaffenen Ordnung; ohne sie „hätten wir gar keine Möglichkeit, uns die Erde untertan zu machen“.
Gott selbst ist die letzte Grundlage aller Wissenschaft und Technologie, aller angewandter Wissenschaft. Denn die geschaffene Natur, Objekt von Wissenschaft und Technologie, ist „Gottes Werk“ wie es in den Versen 2 und 7 von Psalm 111 heißt. Das ganze Universum ist seine Schöpfung, „sein Werk“ (Gen 2,2). Einen guten Überblick über die vielen Dimensionen der Schöpfung geben in der Bibel Hiob 38 und Psalm 104.
„Werk“ bedeutet, dass Gott etwas geschaffen hat, das objektiv existiert und das sich von ihm unterscheidet. Gottes Werke sind daher erstens real: Die Schöpfungsgeschichte in Genesis 1–2 macht völlig klar, dass das Universum einst nicht existierte und dann objektiv da war. Gott hat ein wirkliches Universum geschaffen, das außerhalb von ihm existiert und nicht bloß ein Traum oder eine Ausdehnung seiner Gottheit ist.
Die Werke sind und bleiben Gottes Werke, es ist seine Schöpfung. Das bedeutet, dass die Schöpfung nicht unabhängig von ihm im Sinne von autonom existiert. Das Universum wurde von Gott geschaffen und wird jeden Moment von ihm erhalten. Ohne Gottes erhaltendes Handeln würde nichts im Universum auch nur eine Sekunde weiterexistieren (s. z.B. Hbr 1,3). Das Universum ist kein Gott, aber genauso wenig eine selbständige Maschine, die ohne Gott von allein läuft.
Zweitens sind Gottes Werke gut. In Genesis 1,31 bewertet Gott seine Schöpfung, das physische Universum. Und er kommt zu dem eindeutigen Urteil, dass alles sehr gut sei. Die Schöpfung ist gut, weil sie von einem guten Gott geschaffen wurde. Materie ist nicht zu niedrig für ihn, weshalb er direkt die Schöpfung ausführte. Er schaltete keine halbgöttlichen Wesenheiten dazwischen, der die weniger vollkommenen physischen Dinge formte wie der „Demiurg“ im Platonismus oder Gnostizismus.
Die Gutheit der geschaffenen, materiellen Welt wird nicht zuletzt durch die Inkarnation Jesu bekräftigt (Joh 1,14; 1 Joh 4,2; Phl 2,7; Hbr 2,17). Die zweite Person der Dreieinigkeit, Gott selbst, nahm menschliche Gestalt und einen menschlichen Körper an. Jesus litt, starb und auferstand körperlich (1 Pt 4,1; 2,24; Joh 20,24–29).
Gut bedeutet außerdem, dass das Universum uns nicht feindlich im Sinne von verschlossen, völlig fremd und abweisend gegenüber steht. Es ist kein geheimnisvolles Buch mit sieben Siegeln. Unserer Erkenntnis, Forschung und Bearbeitung ist es zugänglich. Wir können es verstehen, begreifen und gestalten.
Drittens sind die Werke zwar Gottes, aber nicht Gott oder göttlich – ein äußerst wichtige Differenzierung. Hier unterscheidet sich der jüdisch-christliche Glaube von allen antik-heidnischen Weltanschauungen. So waren Sonne und Mond in heidnischen Religionen Gegenstände der religiösen Verehrung. Dagegen lehrt die Genesis, dass diese nichts anderes sind als am Himmel aufgehängte Lampen, um am Tag und in der Nacht Licht zu spenden – keine Götter, sondern nur Schöpfungen des wahren Gottes (s. Gen 1,14f).
Die Bibel unterscheidet klar zwischen Gott und allen nichtgöttlichen Geschöpfen, zwischen Schöpfer und Geschaffenem. Der Ägyptologe Jan Assmann erinnert daran, dass die „Nichtunterscheidung von Gott und Welt“ das Wesen des antiken Heidentums ausmachte. Dessen Polytheismus nennt er in Die Mosaische Unterscheidung lieber „Kosmotheismus“, denn in diesem lässt sich „das Göttliche nicht aus der Welt [dem Kosmos] herauslösen“.
Die Schöpfung ist also wirklich oder objektiv existierend, außerdem nicht göttlich, aber dennoch gut. Schließlich ist zu beachten, dass alles geschaffen wurde und erhalten wird durch den dreieinen Gott. Traditionell (wie z.B. im Apostolikum) werden den drei Personen der Gottheit jeweils drei Handlungsschwerpunkte zugeordnet: dem Vater die Schöpfung, dem Sohn die Erlösung, dem Geist die Heiligung. Da die drei aber so eng verbunden sind, nehmen sie an den Handlungen der anderen teil, so dass diese in gewisser Weise auch ihre sind.
An der Schöpfung der Welt waren Vater, Sohn und Geist beteiligt. So heißt es in Kolosser 1,16: Durch ihn, den Sohn, „wurde alles erschaffen, was im Himmel und auf der Erde ist… Das ganze Universum wurde durch ihn geschaffen“. „Alle Dinge“ sind durch das Wort, den Logos, durch die zweite Person der Dreieinigkeit, gemacht (Joh 1,2; s. auch Ps 33,6; zur Rolle des Geistes s. Gen 1,2; Job 26,13). So kann daher die Schöpfung des Menschen dem Vater (Gen 2,7), dem Sohn (Kol 1,16) und dem Geist (Job 33,4) zugesprochen werden.
Schon im zweiten Jahrhundert betonte Irenäus von Lyon, dass Gott durch den Sohn und den Geist erschafft. In Gegen die Häresien (um 180) bekräftigt der Kirchenvater die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf: „Darin freilich unterscheidet sich Gott von dem Menschen, dass Gott macht, der Mensch aber gemacht wird.“ (IV,11,2) Irenäus vergleicht „Logos“ (Wort) und „Sophia“ (Weisheit) mit den Händen Gottes; sie sind gleichsam Instrumente oder Werkzeuge seines Handelns. Gott gebraucht diese Mittel, aber Gott selbst ist dabei schaffend tätig, da alle drei Personen der Gottheit eben ganz Gott sind:
„Die Engel also haben uns nicht gemacht, noch gebildet, noch konnten sie uns nach dem Bilde Gottes machen… Auch bedurfte Gott keiner solchen Hilfe, um das zu machen, was er bei sich beschlossen hatte, gleich als ob er selbst keine Hände hätte. Denn immer ist bei ihm das Wort und die Weisheit, der Sohn und der Geist, durch die und in denen er alles aus freiem Willen und Entschluss geschaffen hat.“ (IV,20,1)
Es ist daher nur durch die Trinität möglich die Welt richtig zu verstehen: Diese ist einerseits von Gott geschaffen und damit außerhalb oder getrennt von ihm, eben nichtgöttlich; andererseits war und ist sie immer durch die Vermittlung des Wortes und des Geistes auf Gott bezogen und in Beziehung zu ihm, nicht autonom. Gott ist Geist, also kein materielles Wesen, aber er ist nicht fern von uns (Apg 17,27) und macht sich, salopp formuliert, gerne die Hände schmutzig.
Gott benutzt auf vielerlei Weise Mittel, um seine Pläne in Schöpfung und Erlösung zu verwirklichen. So gibt Er uns das tägliche Brot, sendet Regen und lässt alles gedeihen, aber allermeist tut Er dies durch die Naturvorgänge und unser menschliches Handeln. Auch in der Erlösung nutzt Er als Mittel Sohn und Geist; bei der Ausbreitung des Evangeliums ist sein Hauptmittel das verkündete Wort Gottes; in der Stärkung der Christen sind u.a. Brot und Wein des Abendmahls seine Mittel.
Instrument von Gottes Handeln ist auch der Mensch, geschaffen zum Ebenbild Gottes. Dazu gleich mehr. Das Ebenbild Gottes (Kol 1,15) ist dabei der ewige Sohn selbst, Er ist gleichsam das Hauptwerkzeug in Schöpfung und Erlösung. Es ist daher sicher kein Zufall, dass der inkarnierte Gottessohn Jahrzehnte als Handwerker arbeitete. Das gr. „tekton“ (Mk 6,3) wird traditionell mit „Zimmermann“ übersetzt, doch die Bedeutung des Wortes ist eigentlich deutlich breiter. Es leitet sich von „techne“ ab und meint einen Handwerker, der seine „techne“, seine Handwerkskunst, zur Bearbeitung verschiedener Materialien einsetzt. Jesus ist der „homo faber“ schlechthin (die Übersetzung von „tekton“ ins Lat. ist „faber“!). Dass er schließlich mit den Früchten der Werkzeugkunst (seiner „techne“!) gequält und getötet wird (Ledergeißel, Holzkreuz, Metallnägel) und in einem bearbeiteten Steingrab bestattet wird, ist sicher ebenso wenig Zufall.
Der Gott der Bibel liebt Werkzeuge, so dass auch der Sohn Werkzeug der Erlösung ist und durch menschliche Werkzeuge umkam. Man vergleiche diesen Gott mit dem des Aristoteles. Dessen Gott ist überhaupt kein „deus faber“, sondern ein reiner Denker, ja er ist eigentlich das Denken des Denkens. Sein höchstes, eigentlichstes Handeln ist die reine Schau seiner selbst; höchster Gegenstand des Denkens ist das Göttliche selbst. Gott schaut sich also selbst und sonst nichts.
Da Gott in den Augen der Griechen kein Handwerker ist, ist auch das menschliche Handwerk minderwertig. Aristoteles behauptet in seiner Politik, es sei „unmöglich, tugendhaft zu handeln, wenn man das Leben eines vulgären Handwerkers oder Lohnarbeiters führt“. Dieses Denken prägte die ganze Antike, so dass auch Cicero, der römische Politiker, Schriftsteller und Philosoph, in Von den Pflichten für Handarbeit (außerhalb der Landwirtschaft) nur Verachtung übrig hatte. Händler, aber auch „alle Handwerker“ bilden eine „unsaubere Zunft“, so dass er rhetorisch fragt: „Was kann schon eine Werkstatt Edles an sich haben?“
Homo faber
Der Mensch wurde von Gott zu seinem Ebenbild geschaffen (Gen 1,27). Er erhielt den Auftrag zur Arbeit in Gottes Schöpfung: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (Gen 2,15) An die Menschen erging der Befehl, sich zu vermehren und sich die Erde untertan zu machen (Gen 1,28). Denn als Ebenbild Gottes ist der Mensch Repräsentant des Schöpfers in der Schöpfung, Gottes Vizeregent auf der Erde. Der Mensch hat Anteil an Gottes fortgehendem Schöpfungswerk.
Der Mensch war gut geschaffen. Sein Nicht-Gott-Sein, sein Dasein als Geschöpf unter Gott, war kein Mangel. In metaphysischer (oder ontologischer) Hinsicht fehlte dem Geschöpf Mensch nichts. Er war nicht berufen zu Gott zu werden oder höhere geistige Sphären zu erreichen. Als Vertreter Gottes auf dieser Erde war und ist er zum Verwalter der guten Gaben seiner Schöpfung berufen und konkret für die kreative Arbeit und Produktion geschaffen. Die Menschen bekamen eine Aufgabe, die noch unvollendet war: nach und nach sollen sie sich die Erde untertan machen, an Zahl zunehmen, aber auch im Wissen und in der Weisheit wachsen, also in jeder Hinsicht reifen. Der Satan hingegen versprach gottgleiches Wissen sofort (Gen 3,5) – eine teuflische und widergeschöpfliche Abkürzung!
Es ist sicher richtig, dass Gott die Menschen in eine Welt üppiger Ressourcen gesetzt hat. Dennoch war der Mensch auch vor dem Sündenfall „der bedürftige Mensch“ (so gibt Hans Walter Wolff in Anthropologie des Alten Testaments das hebr. „nefesh“ für den Menschen in seiner Gesamtheit wider). Auch der Mensch ohne Sünde war, den Begriff Arnold Gehlens (1904–1976) nutzend, eine Art „Mängelwesen“, der Knappheit unterworfen. Leider wird oft angenommen, dass das Leben im Garten Eden vor dem Fall durch eine eher lockere, fast schon glückselige Faulheit gekennzeichnet war. Vielleicht gab es das eine oder andere zu tun, aber doch keine echte Arbeit!? Und was soll die Rede von Knappheit?
Unbedingt zu beachten ist daher, dass schon Adam und Eva durch ihre Körperlichkeit und allgemein Menschlichkeit sowie durch Raum und Zeit begrenzt waren. Sie unterlagen den guten Grenzen und der Knappheit der Schöpfung. Umgekehrt drückt sich Sündersein nicht zuletzt auch dadurch aus, dass wir nicht als begrenzte Geschöpfe leben wollen. Auch wenn Adam und Eva (noch) keinerlei Mangel im eigentlichen Sinne litten, war z.B. ihre Zeit begrenzt: Sie konnten nicht alle von Gott gebotenen Dinge auf einmal tun. Und zu tun gab es genug.
Die ersten Menschen waren zu produktiver Arbeit berufen, also nicht nur zum bloßen Äpfel Pflücken und dergleichen. Und diese kostet etwas, nämlich Zeit, Nachdenken, kreativen Einsatz. Sie standen daher sicher auch vor der Herausforderung, Werkzeuge zu entwerfen und herzustellen. Denn es ist schwer vorstellbar, dass Adam von Gott einen vorgefertigten Werkzeugkasten erhielt. Er musste – durfte! – alles selbst erfinden, schließlich hat Gott den Menschen mit Einbildungskraft und Kreativität begabt.
Es gab schon immer eine Fülle von Kupfer, Eisen und Zinn im Boden, wie es eine Fülle von Pflanzen und Früchten, von Wasser und Erde gab. Die Natur bietet vor und nach dem Sündenfall eine Fülle von Ressourcen, denn Gott ist der große Geber. Wir dürfen daraus aber nicht leichtfertig schließen, dass er uns großzügig alles in gleichsam abgepackter Form wie auf einem Silbertablett liefert. Schon immer war eine produktive Anstrengung seitens der Menschen nötig.
Getreidesorten müssen aufwendig kultiviert werden, und vor der Aufgabe standen auch die ersten Menschen. Das Brotbacken mit Sauerteig will erfunden sein, genauso wie das Mahlen durch Mühlen verschiedenster Arten. Metalle liegen in der Erde, aber auf welche Weise sie zu welchen Legierungen zu verarbeiten sind, muss erst herausgefunden werden. Auch die Kohle lag geradezu ‘ewig’ in der Erde, doch ihr großes Potential für Industrie und Heizung wurde recht spät entdeckt. Gleiches gilt für das Erdöl. Heute gelten die fossilen Rohstoffe fast schon als Teufelszeug, aber angefangen bei Bakelit und Celluloid bis hin zu Polyamid, Polyester, Polyacrylat, Polyurethan usw. haben all diese Früchte der menschlichen Kreativität – gewonnen aus fossilem Rohmaterial – das Leben der Menschen erleichtert.
Homo socius
Als Menschen sind wir berufen zum Arbeiten und zum Herstellen. Denn die Schöpfung ist unvollkommen in dem Sinne, dass in ihr Potential liegt, dass der Mensch durch kreative Arbeit aus ihr gleichsam herausholen kann und soll. Dabei soll das untertan Machen nicht nur durch Ackerbau geschehen – das ganze Spektrum unserer Werkzeuge und Technologien dient der Kultivierung der Erde.
Der Begriff „Technik“ geht, wie schon gesagt, auf das gr. „techne“ zurück – etwas künstlich herstellen und über die Fähigkeiten dazu verfügen. Das Wort meint „die zielgerichtete Bearbeitung natürlicher Materialien durch Entwicklung und Anwendung sachdienlicher Werkzeuge und Verfahren“ (H. Burkhard, Ethik II/2). Ob nun durch Ackerbau, Handwerk, Kunst (bei den Griechen Teil der „techne“) oder Technologien im heutigen Sinne – alles dient dem Auftrag Gottes, seine Schöpfung zu gestalten und zu verwalten, zu kultivieren und zu verändern.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Arbeitsteilung. Sie war und ist notwendig, da der Mensch als Mangelwesen auf die Dienste, die Hilfe und die Arbeit anderer angewiesen ist – am deutlichsten als Säugling und als Greis. Anders formuliert sind wir auf Liebesdienste angewiesen. Die Mangelsituation ist daher geradezu die Quelle der Liebe.
Hinzu kommt in positiver Hinsicht, dass Menschen von Natur aus unterschiedliche Gaben, Talente, Wünsche und Vorlieben besitzen. Dies macht die Spezialisierung der Arbeit und damit die Zusammenarbeit und Kooperation sinnvoll. Sind bei Sammlern und Jägern die Spezialisierung und Arbeitsteilung nur von geringer Bedeutung, so sind sie für das sich Niederlassen, die Gründung von Städten, ja die Zivilisation im Allgemeinen unerlässlich.
Gott hat den Menschen mit dieser Bedürftigkeit und diesen Gaben geschaffen. John Bolt schreibt in Bezug auf Gen 2,18 („Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“): „Der Punkt ist nicht, dass Adam einsam war; die Aussage ist vielmehr, dass er in Hinsicht auf sein Menschsein unvollkommen war. Wenn die Menschheit wie von Gott beabsichtigt Ihm gleichen soll, braucht der Mann die Vervollständigung durch die Frau. Schon hier liegt in knapper Form die Grundlage aller sozialen Ordnung vor uns.“
Der Mensch ist seit jeher auf gegenseitige Hilfe und Ergänzung angelegt. Daher ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, so Bolt weiter, „Arbeit immer ein soziales Phänomen. Wir arbeiten für andere, mit anderen, zum Wohl anderer. Wir können arbeiten, weil soziale, politische und ökonomische Strukturen vorhanden sind, die Möglichkeiten dazu geben.“ (Economic Shalom)
Ebenfalls aus der Perspektive der reformierten Tradition schreibt Gary North: „Die Arbeitsteilung beruht auf zwei grundlegenden Tatsachen der Natur. Erstens die angeborenen Unterschiede zwischen den Menschen. Sie haben verschiedene Wünsche, verschiedene Fähigkeiten und verschiedene Rollen, die im göttlichen Plan zu spielen sind. Zweitens gibt es Unterschiede in der Geographie. Verschiedene Gegenden bieten unterschiedliche Rohstoffe, unterschiedliche Klimazonen und unterschiedliche Probleme für diejenigen, die dafür verantwortlich sind in der Umwelt Wohlstand zu schaffen. Daher waren schon Adam und Eva unterschiedlich geschaffen.“ (The Dominion Covenant: Genesis)
Eva war die „passende Hilfe“ (so manche Übersetzungen von Gen 2,18) für Adam. Ihr aufeinander Angewiesen-Sein ist der Archetyp der menschlichen Arbeitsteilung und Zusammenarbeit. Als erster Philosoph und Denker schrieb wohl Platon in seinem Staat über die Arbeitsteilung, doch er bewertete sie letztlich negativ. Es mussten zweitausend Jahre vergehen, bis Adam Smith sein großes Werk The Wealth of Nations (1776) mit diesem Satz begann: „Die Arbeitsteilung dürfte die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern“. Wer arbeitsteilig, spezialisiert, arbeitet, so Smith, „verfügt über ein Leistungspotential, das größer ist als das, welches er zum eigenen Leben benötigt“. Er hat daher etwas, das er mit anderen tauschen kann, und diese „Neigung zum Tausch gibt letztlich auch den Anstoß zur Arbeitsteilung“. Das Ergebnis: Der Einzelne „versorgt die anderen reichlich mit dem, was sie brauchen, und erhält von ihnen ebenso reichlich, was er selbst benötigt, so dass sich von selbst allgemeiner Wohlstand in allen Schichten der Bevölkerung ausbreitet.“
Eine Vielzahl der Fähigkeiten und Gaben treffen in Zusammenarbeit und Wettbewerb aufeinander. Dieser geordnete Prozess ist im Grundsatz von Gott gewollt. Auch im Garten Eden wäre es daher schnell zu einer Arbeitsteilung gekommen, und mit Kain und Abel sehen wir dann schon die Spezialisten in Ackerbau und Viehzucht vor uns.
Tiefster Grund der Arbeitsteilung ist der Gott in drei Personen. Thomas Schirrmacher: „Innerhalb der göttlichen Dreieinigkeit ist alles Planen und Tätigsein schon geteilte Arbeit. Die Personen der Dreieinigkeit lieben einander, sprechen miteinander, tun etwas füreinander. Nur bei geteilter Arbeit kann man einander dienen. Die Bibel möchte, dass wir durch die Arbeitsteilung von anderen abhängig sind und einander dienen. Die Vielfalt der Geistesgaben macht dies für die Gemeinde deutlich. Auch diese Vielfalt geht auf die Arbeitsteilung innerhalb der Trinität zurück.“ (Führen in ethischer Verantwortung)
„Das Zusammenhandeln, Zusammenwirken und Zusammengehen der Menschen“ bringt die Menschheit voran, so Ludwig von Mises (Nationalökonomie). In einem System der Arbeitsteilung können konkret auch ganz andere Erfindungen angegangen und Innovationen umgesetzt werden, die die Kraft und den Einfallsreichtum der Einzelnen übersteigen und nur durch Zusammenfassung der Kräfte mehrerer geleistet werden können. Daher besteht natürlich ein sehr enger Zusammenhang zwischen Arbeitsteilung und technologischer Weiterentwicklung. David Landes bemerkte, dass schon Adam Smith hervorhob, „dass Arbeitsteilung und die Ausweitung des Marktes einen förderlichen Einfluss auf die technische Innovation haben. Genau das war im mittelalterlichen Europa der Fall – in Gesellschaften, die zu den erfindungsreichsten der ganzen menschlichen Geschichte zählen.“ (Wohlstand und Armut der Nationen)
Homo naturalis?
Technologie im weitesten Sinne meint künstliche Schaffungs- und Fertigungsprozesse, an denen Landwirte und Handwerker, Ingenieure und Wissenschaftler, Händler und Künstler auf ganz unterschiedliche Weisen beteiligt sind. Doch viele Autoren wie Karen Gloy sind angesichts unserer täglichen Umgebung verwundert, „wieviel Natürliches und wieviel Künstliches hier begegnet“ (Das Verständnis der Natur I). Wir stellen oft erschrocken fest, so die deutsche Philosophin, „wieviel Künstlichkeit uns umgibt“. Die Philosophin bedauert „die überall zu konstatierenden künstlichen Eingriffe in unsere natürliche Lebenswelt. Die weitgehende Substitution der Naturvorgänge durch maschinelle Prozesse, kurzum, die immer weiter um sich greifende Technisierung der Natur wirft die Frage auf, wieviel an der Natur bzw. am Menschen überhaupt noch original und wieviel bereits artifiziell ist und wieviel künstlich-technisch sein darf, um noch natürlich genannt werden zu können.“
Gloy sieht durchaus, dass Technik den Menschen schon immer begleitete: „Der Ursprung der Technik lässt sich bis in die früheste Menschheitsgeschichte zurückverfolgen. Es gibt Technik, solange es Bedürfnisse, Wünsche und Interessen der Menschen gibt sowie den Versuch zu ihrer Befriedigung, wobei erfahrungsgemäß nicht selten die Befriedigung von Wünschen neue Wünsche evoziert, was zu einer ständigen Ausweitung und Optimierung der Technik führt.“ Von diesem neutralen Ton kippt sie aber auch wieder in die Klage über die Künstlichkeit über: „Heute haben wir uns weitgehend in einer artifiziellen Welt eingerichtet, in einer Plastiklandschaft mit künstlichen Gewässern, künstlichen Rasen und Pflanzen, künstlich zwitschernden, auf Batterie laufenden Vögeln, Neonbeleuchtung, Vollklimatisierung, sterilen, staubfreien Räumen und dergleichen, und scheinen uns darin sogar wohlzufühlen.“
Auch der evangelikale Theologe Helmut Burkhardt stellt fest: „Als menschliches Leben erhaltend und fördernd ist Technik also gut.“ (Ethik II/2) Doch werden immer neue Bedürfnisse erzeugt, und so „überschreitet der Mensch in seiner Freiheit die Grenze bloßer direkter Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse“.
Ebenfalls auf dieser Linie formulieren die Autoren von Der Preis des Geldes unter der Überschrift „Konsumieren als des Sklaven Lebenssinn“ diesen Grundsatz: „Je mehr Bedürfnisse, desto unfreier.“ Dagegen haben die Armen in der Dritten Welt „viel weniger Bedürfnisse und sind schon zufrieden, wenn sie die existentiell befriedigen können“. Thomas Giudici und Wolfgang Simson stellen sie als Vorbild hin: „sie sind freier und darum glücklicher“. Die Industrialisierung war einer der Sündenfälle bei den beiden evangelikalen Autoren:
„Die vormoderne Wirtschaft von der Antike bis in die Zeit der Industrialisierung war ein integrierter Teil des Lebens. Sie war den anderen Lebensbereichen nicht übergeordnet… Ihre Hauptaufgabe war die Befriedigung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse der lokalen Lebensgemeinschaft…, also die Versorgung und nicht die Vermehrung. Mehr zu produzieren und zu arbeiten, als dafür notwendig war, wäre den Menschen damals sinnlos vorgekommen… Zum epochalen Bruch dieser Sichtweise der Wirtschaft kam es durch die Industrialisierung… Mit der Entstehung des marktwirtschaftlichen Gedankenguts der Nutzen- und Gewinnmaximierung wurde Arbeit zu einem Mittel der Vermehrung des eigenen Wohlstandes weit über die existentielle Versorgung hinaus.“
Von einer vorindustriellen Wirtschaft träumen übrigens auch Peter Block, Walter Brueggemann und John McKnight in An Other Kingdom: Departing the Consumer Culture.
„Elementare Grundbedürfnisse“ statt einer unnatürlichen, künstlichen Plastikwelt; „existentielle Versorgung“ statt Mehrung und Wachstum; Natur statt Technologie. – Natürlich ist in all diesen Sätzen ein Funken Wahrheit erhalten. Es soll gewiss nicht jedes unserer Bedürfnisse befriedigt werden und alles gemacht werden, was technisch möglich ist. Doch der verklärende Blick in eine idyllische, vorindustrielle, unterentwickelte Welt ist geradezu zynisch. Subsistenzwirtschaft ermöglicht gerade so das Überleben. Soll dies etwa das Ideal sein??
Die Mehrung der Bedürfnisse ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Jahrtausende lang kam man nie schneller als ein Pferd oder ein Segelschiff voran. Und auf einmal weckten die Eisenbahn, dann das Automobil und schließlich das Flugzeug neue Wünsche auf schnelleren Transport von einem Ort zum anderen. Ist das etwa zu bedauern? Müssen wir uns etwa ganz auf die ganz natürliche Fortbewegung, das Gehen, beschränken?
Dass wir alle die Technisierung schätzen, zeigt ein einfaches Gedankenexperiment. Was geschieht, wenn das Kind oder Enkelkind all der genannten Autoren krank wird – ernsthaft krank? Wenn es droht zu sterben? Selbst wenn wir aus dem reichen Norden in freigewählter relativer Armut im afrikanischen Busch leben und alles zum Leben Nötige im dörflichen Markt erwerben – spätestens in solch einer Situation hat das Geflirte mit der Subsistenzwirtschaft ein Ende. Dann müssen plötzlich die Segnungen der hochentwickelten Medizin her, und je höher entwickelt, desto besser. Dann wird alles liebend gerne in Anspruch genommen, was die ach so verteufelte Konsumgesellschaft zu bieten hat: Apotheken an jeder Ecke, Medikamente in Hülle und Fülle und direkt verfügbar; Dienstleistungen aller Art wie Krankenwagen, Intensivstationen, Flugzeuge usw. Alles wird durch regelmäßigen Konsum aufrechterhalten und durch eine hochtechnologische Welt ermöglicht. Im Krankheitsfall kann es also nicht künstlich genug werden! Wer in die Wildnis will, der sollte dies auch konsequent tun und sich nicht dieses rettende Hintertürchen aufhalten.
Der Aufstand gegen die Künstlichkeit ist nicht nur dumm und manchmal zynisch. Es ist auch ein Aufstand gegen den Gott der „techne“, gegen den Gott der Kunstfertigkeit, gegen den „Deus faber“, der uns eben zur Mehrung und zur Kultur berufen hat.
[…] [Der dritte Vortrag über Gott, Mensch und Technologie, Teil 1 s. hier, Teil 2 hier] […]
Hallo Holger!
Meine Frau und ich konnten leider nur am Freitag Abend deinen Vorträgen zuhören, danke Für Deine Mühe und Akribie, mit der Du das alles vorbereitet und gehalten hast.
Solltest Du gute Literatur suchen (Spurgeon, Krummacher, Bezzel, …) dann kannst Du auf meiner homepage fündig werden.
Herzliche Grüße
Thomas karker