Grund und Segen der Arbeitsteilung
Arbeitsteilung wurde durch Knappheit notwendig. Wenn jeder Mensch sofort alles besitzen würde, was er oder sie wünscht und braucht, würde es keine Arbeitsteilung geben. Aber Gott hat uns als bedürftige Wesen geschaffen, die auch andere brauchen. Wir sind dazu geschaffen, einander zu dienen und füreinander zu arbeiten. In Kombination mit der Tatsache, dass wir unterschiedlich sind,verschiedene Begabungen und Interessen haben, ergibt sich ganz natürlich eine Vielzahl von Berufen.
Dabei wurzelt die Arbeitsteilung in der geschaffenen Ordnung der Welt in Gott selbst. Schon Eva war die „passende Hilfe“ (so manche Übersetzungen von Gen 2,18) für Adam. Die ersten Menschen waren aufeinander angewiesen, weshalb ihre Beziehung den Archetyp der menschlichen Arbeitsteilung und Zusammenarbeit darstellt. Gott hat den Menschen mit dieser Bedürftigkeit und diesen Gaben geschaffen. John Bolt schreibt in Bezug auf Gen 2,18 („Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“): „Der Punkt ist nicht, dass Adam einsam war; die Aussage ist vielmehr, dass er in Hinsicht auf sein Menschsein unvollkommen war. Wenn die Menschheit wie von Gott beabsichtigt Ihm gleichen soll, braucht der Mann die Vervollständigung durch die Frau. Schon hier liegt in knapper Form die Grundlage alle sozialen Ordnung vor uns.“ (Economic Shalom)
Der Mensch ist also seit jeher auf gegenseitige Hilfe und Ergänzung angelegt. Daher ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, so Bolt weiter, „Arbeit immer ein soziales Phänomen. Wir arbeiten für andere, mit anderen, zum Wohl anderer. Wir können arbeiten, weil soziale, politische und ökonomische Strukturen vorhanden sind, die Möglichkeiten dazu geben.“
Ebenfalls aus der Perspektive der reformierten Tradition schreibt Gary North: „Die Arbeitsteilung beruht auf zwei grundlegenden Tatsachen der Natur. Erstens die angeborenen Unterschiede zwischen den Menschen. Sie haben verschiedene Wünsche, verschiedene Fähigkeiten und verschiedene Rollen, die im göttlichen Plan zu spielen sind. Zweitens gibt es Unterschiede in der Geographie. Verschiedene Gegenden bieten unterschiedliche Rohstoffe, unterschiedliche Klimazonen und unterschiedliche Probleme für diejenigen, die dafür verantwortlich sind in der Umwelt Wohlstand zu schaffen. Daher waren schon Adam und Eva unterschiedlich geschaffen.“ (The Dominion Covenant: Genesis)
Die Arbeitsteilung war und ist daher notwendig, da der Mensch als Mangelwesen auf die Dienste, die Hilfe, die Arbeit anderer angewiesen ist – am deutlichsten als Säugling und als Greis. Anders formuliert sind wir auf Liebesdienste angewiesen. Die Mangelsituation ist daher geradezu die Quelle der Liebe.
Hinzu kommt in positiver Hinsicht, dass Menschen von Natur aus unterschiedliche Gaben, Talente, Wünsche und Vorlieben besitzen. Dies macht die Spezialisierung der Arbeit und damit die Zusammenarbeit und Kooperation sinnvoll. Eine Vielzahl der Fähigkeiten und Gaben treffen in Zusammenarbeit und Wettbewerb aufeinander. Dieser geordnete Prozess ist im Grundsatz von Gott gewollt. Auch im Garten Eden wäre es daher schnell zu einer Arbeitsteilung gekommen, und mit Kain und Abel sehen wir dann schon die Spezialisten in Ackerbau und Viehzucht vor uns. Ist bei Sammlern und Jägern die Spezialisierung und Arbeitsteilung nur von geringer Bedeutung, so ist für das sich Niederlassen, die Gründung von Städten, ja die Zivilisation im Allgemeinen unerlässlich.
Tiefster Grund der Arbeitsteilung ist der Gott in drei Personen. Thomas Schirrmacher: „Innerhalb der göttlichen Dreieinigkeit ist alles Planen und Tätigsein schon geteilte Arbeit. Die Personen der Dreieinigkeit lieben einander, sprechen miteinander, tun etwas füreinander. Nur bei geteilter Arbeit kann man einander dienen. Die Bibel möchte, dass wir durch die Arbeitsteilung von anderen abhängig sind und einander dienen. Die Vielfalt der Geistesgaben macht dies für die Gemeinde deutlich. Auch diese Vielfalt geht auf die Arbeitsteilung innerhalb der Trinität zurück.“ (Führen in ethischer Verantwortung)
Wohlstand in allen Schichten der Bevölkerung
Der Philosoph Platon war auch einer der ersten Ökonomen, denn er erkannte schon die Wichtigkeit der Arbeitsteilung. Im zweiten Buch des Staates finden wir ein ausführliches Gespräch zwischen Sokrates, Adeimantus und Glaukon über die Notwendigkeit einer Vielfalt von Berufen im Staat (369b ff.). Landwirte, Hirten, Baumeister und Schuster, „Zimmerleute und Schmiede und viele andere Handwerker“ (370d) sind notwendig, weil reichlichere und qualitativ hochwertigere Waren leichter hergestellt werden können, „wenn jeder nur ein Werk seiner Anlage entsprechend und zur richtigen Zeit schafft“ und von der Pflicht befreit wird, irgendetwas anderes zu tun (370c).Platon gibt eine Skizze der gesunden Stadt oder Republik, in der die Grundbedürfnisse gedeckt und nur für die Lebensnotwendigkeiten produziert werden. Leider sind viele Menschen mit einem so sparsamen Dasein nicht zufrieden und beginnen, sich mehr zu wünschen. Dies führt zu einem „üppigen Staat“ oder einer luxuriösen Stadt (372e), die sich stets vergrößert und immer weiter wächst (373b). Plato ist überzeugt, dass die Ausweitung der Bedürfnisse und Produkte zwangsläufig zur Landnahme führt: „Also müssen wir uns vom Gebiet des Nachbarn etwas abtrennen, wenn wir genügend Land für Weide und Acker haben wollen, und die Nachbarn machen es ebenso bei uns, wenn auch sie dem endlosen Drang nach Besitz ergeben und die Grenze des Notwendigen überschreiten.“(373d) Feindseligkeit und Kämpfe werden unvermeidlich sein: „Dann werden wir also Krieg führen…“ (373e).
Platon erkannte also den Grundmechanismus der Arbeitsteilung, bewertete jedoch ihre Folgen falsch und plädierte daher für ein mehr oder weniger gewaltsames Deckeln der Bedürfnisse durch strenge Klassen- oder Ständeschranken. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber bis in die Neuzeit galten für die unteren Stände, d.h. für die Masse der Bevölkerung, klare Regeln und Gesetze für Kleidung, Wohnen und Lebensstil. Den einfachen Menschen wurde im Grund von Oben dekretiert: dies und jenes brauchst du nicht. Punkt.
Platon bewertete die Arbeitsteilung letztlich negativ. Es mussten zweitausend Jahre vergehen, bis Adam Smith sein großes Werk The Wealth of Nations (1776) mit diesem Satz begann: „Die Arbeitsteilung dürfte die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern“. Wer arbeitsteilig, spezialisiert, arbeitet, so Smith, „verfügt über ein Leistungspotential, das größer ist als das, welches er zum eigenen Leben benötigt“. Er hat daher etwas, das er mit anderen tauschen kann, und diese „Neigung zum Tausch gibt letztlich auch den Anstoß zur Arbeitsteilung“. Das Ergebnis: Der Einzelne „versorgt die anderen reichlich mit dem, was sie brauchen, und erhält von ihnen ebenso reichlich, was er selbst benötigt, so dass sich von selbst allgemeiner Wohlstand in allen Schichten der Bevölkerung ausbreitet.“
Wenn den Bürgern, Arbeitern und Bauern Freiheit gegeben wird, an diesem Prozess teilzunehmen, dann kann sich tatsächlich Wohlstand in alle Schichten ausbreiten.
In der Nachfolge von Smith haben auch die besten Okönomen diese Zusammenhänge klar erkannt. Ludwig von Mises hielt in Die Wurzeln des Antikapitalismus (1958) fest: „Die Menschen, in ihrem Zusammenwirken unter dem System der Arbeitsteilung, haben all den Reichtum geschaffen, den die Träumer für ein Geschenk der Natur halten.“ Schon in Die Gemeinwirtschaft aus dem Jahr 1922 – Mises grundlegende Kritik des Sozialismus und eines seiner wichtigsten Werke – heißt es sogar: „Die Arbeitsteilung ist ein Grundprinzip alles [menschlichen] Lebens“.
Ganz ähnlich wie die oben zitierten christlichen Autoren hält auch der Agnostiker Mises fest, dass die Arbeitsteilung auf zwei Tatsachen der Schöpfung beruht: „Die individuelle Ungleichheit der menschlichen Anlagen und die Verschiedenheit der äußeren Lebensbedingungen auf der Erdoberfläche.“ Der „Gedanke der Arbeitsteilung“, so Mises, enstand überhaupt nur, weil „die Anlagen und Kräfte aller Individuen und die äußeren Produktionsbedingungen“ verschieden waren. Die Arbeitsteilung, hat sie einmal eingesetzt, „ermöglicht die Ausbildung der individuellen Begabung und macht so die Arbeitsteilung immer ergiebiger. Durch das gesellschaftliche Zusammenwirken der Menschen werden Werke vollbracht, die der einzelne überhaupt nicht vollbringen könnte.“
Für Karl Marx hingegen war die Arbeitsteilung das Grundübel schlechthin. Schon in der Deutschen Ideologie von 1844 träumte er von der kommunistischen Gesellschaft, in der es jedermann möglich sei, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“. Mises hingegen sah ganz genau: „Der isolierte Einzelne ist das Gebilde einer Fiktion.“ Das Ideal des „freischweifenden Einzelmenschen“ ist falsch.
Vielmehr ist es so, dass „das Zusammenhandeln, Zusammenwirken und Zusammengehen der Menschen“ (Mises, Nationökonomie) die Menschheit voranbringt. In einem System der Arbeitsteilung können konkret auch ganz andere Erfindungen angegangen und Innovationen umgesetzt werden, die die Kraft und den Einfallsreichtum der Einzelnen übersteigen und nur durch Zusammenfassung der Kräfte mehrerer geleistet werden können. Daher besteht natürlich ein sehr enger Zusammenhang zwischen Arbeitsteilung und technologischer Weiterentwicklung. David Landes bemerkte, dass schon Adams Smith hevorhob, „dass Arbeitsteilung und die Ausweitung des Marktes einen förderlichen Einfluss auf die technische Innovation haben. Genau das war im mittelalterlichen Europa der Fall – in Gesellschaften, die zu den erfindungsrechsten der ganzen menschlichen Geschichte zählen.“ (Wohlstand und Armut der Nationen)