Kirche im Besitz der Kirche
Die evangelisch-reformierte Kirche hat in den letzten drei Jahrzehnten so manche harte Zeit durchleben müssen. Ende der 80er Jahre lieh die lutherische Kirche einen Pfarrer aus, denn aufgrund der in der Sowjetunion kaum möglichen theologischen Ausbildung stand die Kirche damals fast ganz ohne Hirten da. Der Mangel an Geistlichen wurde nur nach und nach behoben, ein erster Generalsuperintendent erst 2004 offiziell ins Amt berufen.
Ab 2002 kam ein rechtlicher Streit mit einem betrügerischen Geistlichen hinzu, der die Kirche in wahrhaft existentielle Nöte brachte. Der Betrüger hatte sich wichtige Dokumente unter der Nagel gerissen und sich und seine Anhänger als die wahre reformierte Kirche des Landes dargestellt. Die reguläre Synode 2011 versuchte er dadurch zu sprengen, dass ein Sicherheitsdienst das Kirchengebäude in Biržai „für Baumaßnahmen“ dichtmacht. Die monatelange Besetzung der Kirche durch die eigene Gemeinde verhinderte dies jedoch. Inzwischen hat der Betrüger auf breiter Front verloren und sitzt in einem Strafprozess auf der Anklagebank. Allein die finanziellen Einbußen für die Kirche waren allerdings enorm.
Bauschmerzen bereitete über viele Jahre auch das Kirchengebäude in Kaunas. Hausherr des von den Sowjets weggenommenen Baus war zuletzt eine Universität, die auch lange keine Anstalten machte, die Kirche mitten im Zentrum der Stadt zurückzugeben. Noch vor gut zwei Jahren sah es ganz so aus, als ob die Rückgabe ganz scheitert (mehr zu der Kirche und der Baugeschichte hier). Nach vielem Hin und Her stimmte aber der Seimas, das litauische Parlament, im vergangenen Herbst der Rückgabe an die reformierte Kirche zu. Alle weiteren bürokratischen Hindernissen waren im Februar genommen, als die Synode endlich im Katasteramt als Besitzerin eingetragen wurde.
Am 27. April feierte die Ortsgemeinde mit der gesamten Kirche den wiedergewonnenen Besitz. Über 80 Jahre nach Vollendung der Bauarbeiten ist die reformierte Kirche endlich nicht mehr gedulteter Gast im eigenen Gebäude. Da in den Bau viele Jahrzehnte lang kaum etwas investiert wurde und sich die Kirche in einem entsprechend schlechten Zustand befindet, warten nun neue Herausforderungen auf die Reformierten des Landes.