„… und aus ist’s mit der Lenkerei“
Michail Bulgakows Der Meister und Margarita ist eines der populärsten Werke der modernen russischen Literatur. 1940 vollendet konnte der Roman erst 1966/67 in der Sowjetunion erscheinen. Der Teufel selbst treibt darin in der Gestalt von Voland, des „Spezialisten für schwarze Magie“, in Moskau sein Unwesen.
In der ersten Szene verwickelt er zwei Schriftsteller in ein Gespräch. Einer arbeitet gerade an einem literarischen Angriff auf das Christentum. „Wenn es keinen Gott gibt, wer lenkt dann eigentlich das menschliche Leben und überhaupt den ganzen Ablauf auf der Erde?“, wendet Voland ein. „Der Mensch selbst“, so einer der Schriftsteller. Der Teufel bleibt skeptisch: „Um das alles zu lenken, bedarf es schließlich eines genauen Planes für einen halbwegs angemessenen Zeitraum“. Wie will der Mensch aber alles lenken, wenn er nicht „für so eine lächerliche Frist von… eintausend Jahren“ planen kann? Außerdem kann er sich „nicht einmal sicher sein, was ihm selber der morgige Tag bringt“. Er nennt das Beispiel eines Lungensarkoms, „und schon ist es aus mit Ihrer Lenkerei!“ Den Autor des „antireligiösen Poems“ lässt Voland tatsächlich bald darauf bei einem Unfall sterben.
Wer steht am Ruder des Weltgeschehens – wir selbst, der Teufel oder Gott? In wessen Hand ist unser eigenes Leben? Bulgakows Teufel stürzt Moskau in Verwirrung und betreibt selbst fleißig Lenkerei. Im Roman bleibt es letztlich offen, ob der Mensch der Willkür des Teufels ganz ausgeliefert ist und ob es einen göttlichen Lenker gibt. Voland bekräftigt aber die Existenz Gottes, und auch in der Bibel heißt es ja, dass Teufel und Dämonen in gewissem Sinne an Gott glauben – „und zittern“ (Jak 2,19). Der wahre Teufel handelt aktiv in der Welt und versetzt sie nur zu gern in Chaos, was besonders in Kriegen sichtbar wird. Jesus selbst nannte ihn den „Fürsten dieser Welt“ (Joh 12,31). Auch der Mensch soll über die Natur herrschen, die Erde als eine Art Vizeregent Gottes verwalten (Gen 1,26.28).
Doch der „oberste Herr und Lenker aller Dinge“, so Johannes Calvin im Genfer Katechismus, bleibt Gott selbst. Er lenkt „die ganze Ordnung der Natur“ und „regiert über alle Geschöpfe“. Auch alles Böse und die Teufel unterliegen seiner Kontrolle. Der Reformator weiter: „Es stünde schlimm um uns, wenn den Teufeln und gottlosen Menschen ohne Gottes Willen irgendetwas erlaubt wäre. Bei dem Gedanken, ihrer Willkür ausgesetzt zu sein, müssten wir ja stets unruhigen Gemüts sein. Nur dann können wir ganz ruhig sein, wenn wir wissen, dass ihnen durch Gottes willen Zügel angelegt sind und sie wie in einer Burg gefangen sind, so dass sie ohne seine Erlaubnis nichts tun können.“
„Der Mensch denkt: Gott lenkt – Keine Red davon!“, spottete Bertold Brecht in Mutter Courage. Er spielte damit an Sprüche 16,9 an: „Ein Mensch kann seinen Weg planen, seine Schritte aber lenkt der Herr.“ Auch gläubige Menschen planen natürlich ihr Leben, aber sie wissen und erfahren, dass Gott sie in diesem Planen, Nachdenken und Entscheiden lenkt. Gerade wenn die Zukunft offen und unsicher ist, können sie daher „ganz ruhig“ sein und Gottes Lenkung oder Führung vertrauen.
In der Theologie wird die Lenkung des gesamten Weltgeschehens durch Gott unter dem Begriff „Vorsehung“ betrachtet. In den meisten reformierten Bekenntnissen finden sich dazu Abschnitte (so im Hugenottenbekenntnis von 1559, Art. 8, oder im Zweiten Helvetischen Bekenntnis, 1566, Art. 6,1). Sehr gut erläuertert der Heidelberger Katechismus (1563) in Fr. 27 die Vorsehung: „Die allmächtige und gegenwärtige Kraft Gottes, durch die er Himmel und Erde mit allen Geschöpfen wie durch seine Hand noch erhält und so regiert, dass Laub und Gras, Regen und Dürre, fruchtbare und unfruchtbare Jahre, Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut und alles andere uns nicht durch Zufall, sondern aus seiner väterlichen Hand zukommt.“
Auf der Linie Calvins betont auch das Niederländische Bekenntnis (1561) in Art. 13 den persönlichen Trost durch diese Lehre: „Wir glauben, dass der liebe Gott, nachdem er alle Dinge geschaffen hatte, sie keineswegs der Willkür des Zufalls oder Schicksals überlassen hat, sondern dass er selbst, nach Vorschrift seines heiligen Willens, sie immerwährend so regiert und lenkt, dass nichts in der Welt ohne seinen Willen und seine Anordnung geschieht… Diese Lehre aber bringt uns unermesslichen Trost. Denn aus ihr lernen wir, dass uns nichts zufällig trifft, sondern alles nach dem Willen unseres himmlischen Vaters geschieht, der für uns mit wahrhaft väterlicher Sorge wacht… Hierbei beruhigen wir uns völlig, indem wir wissen, dass Gott die Teufel und alle unsere Feinde gleich wie mit einem Zügel so im Zaum hält, dass sie ohne seinen Willen und seine Erlaubnis niemand von uns schaden können.“
Auf dieser von Sünde und Leid gekennzeichneten Erde bedeutet Vorsehung also nicht die Auslöschung alles Bösen, sondern dessen Kontrolle. Mehrfach taucht in den reformierten Texten dafür das Bild der Zügel auf. Der Heidelberger nennt ungewöhnlich konkret verschiedene Übel wie Dürre, Krankheit und Armut. In Hebräer 11,35f ist sogar von Folter und gewaltsamen Todesarten der Glaubenshelden des Alten Testament die Rede die Rede.
Das Böse, der Teufel und eine Vielzahl von üblen Gestalten wirken in der Geschichte, aber Gott setzt ihnen auch Grenzen. Die Weihnachtsgeschichte bekräftigt dies. Herodes der Große, der mächtige Vasall der Römer, zwingt die Familie Jesu zur Flucht und ermordert dann auch noch ungehindert Kleinkinder in Judäa (Mt 2,14–16). Die „Könige der Erde“ (Ps 2,2) lehnen sich gegen den „Gesalbten“ auf, aber Gott lacht über sie, ja verspottet sie (V. 4). Zu Pilatus, der auch eine wichtige Figur in Bulgakows Roman ist, sagt Jesus: „Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh 19,11). Zu seiner Zeit „stößt er die Gewaltigen vom Thron“ (Lk 1,52). Denn es ist wahrlich nicht „der Mensch selbst“, der die Geschicke der Welt lenkt. Dies ist eine demütigende Wahrheit, die aber auch „unermesslichen Trost“ schenkt.