„Hunderte Millionen Geschwister“?
Ende Oktober 2017 veranstaltete die World Reformed Fellowship (WRF) in Wittenberg eine Konferenz zum Reformationsjubiläum. Einen der Vorträge hielt der reformierte Theologe Thomas K. Johnson: „Protestants, Catholics, and Re-evangelizing of Western Civilization“. Sein Beitrag kann hier gelesen oder auf YouTube angesehen werden. Im Folgenden beziehe ich mich auf die Aufzeichnung des gehaltenen Vortrags.
Johnson wohnt mit seiner Frau in Prag, ist Global Scholars Professor und Mitarbeiter des Martin Bucer-Seminars sowie in der Theologischen Kommission der World Evangelical Alliance (WEA) aktiv. In den letzten Jahren besuchte er in seiner Funktion als Botschafter für Religionsfreiheit der WEA am Sitz der katholischen Kirche oft den Vatikan und Papst Franziskus. Johnson hat zahlreiche Bücher zu verschiedenen Fragen aus dem Bereich Theologie und Ethik (s. z.B. hier) verfasst; auf den Seiten des Bucer-Seminars gibt es zahlreiche Beiträge von ihm (s. hier), einige sind inzwischen auch in litauischer Sprache erschienen.
Persönlich schätze ich Johnsons Arbeiten sehr und empfehle sie regelmäßig Studenten (das gleiche gilt für seinen Kollegen bei der WEA Thomas Schirrmacher). Auch beim genannten Vortrag kann ich die Aussagen in der ersten Hälfe so gut wie alle voll mittragen. Seine historische und geistesgesichtliche Skizze in den ersten zwanzig Minuten ist nicht zu beanstanden, im Gegenteil. Johnson formuliert fast immer sehr ausgewogen und durchdacht.
Nach einer Art langer Einleitung geht’s in der Mitte des Vortrags aber langsam auch ans Eingemachte. Fünfhundert Jahre nach der Reformation müssen wir, so Johnson, die katholische Kirche neu betrachten und bewerten, falsche Rivalität aufgeben und angesichts von Säkularismus und Islam die Kooperation mit ihr suchen, wo sie möglich ist. Schließlich haben wir als Evangelische auch einige lehrmäßige Gemeinsamkeiten mit der römischen Kirche; er nennt die Stichworte menschliches Ebenbild, Ehe, Jesus und Christenverfolgung. Außerdem sei die große Vielfalt in der katholischen Kirche zu beachten.
So weit so gut. Johnson fordert dann jedoch, wir sollten auf jeden Fall eine strenge verurteilende Sprache gegenüber Rom ablegen, den Papst nicht als Antichristen bezeichnen und die Kirche nicht Hure Babylon nennen. Für dieses verbale Erbe aus der Reformationszeit gäbe es keine ausreichende biblische Grundlage, und dies sei doch für Protestanten maßgeblich entscheidend.
Luthers Sprache z.B. in den Schmalkaldischen Artikeln ist tatsächlich zum Teil äußerst streng, und auch der reformierte Heidelberger Katechismus spricht in Fr. 80 bekanntlich von der „vermaledeiten Abgötterei“ im Hinblick auf das katholische Messopfer. Das Westminster-Bekenntnis der Presbyterianer bezeichnet den Papst ebenfalls als einen Antichristen. All diese Texte haben Bekenntnisrang, was Johnson natürlich bewußt ist. Er unterstellt nun aber pauschal, dass diesen Aussagen die biblische Begründung fehlt (wobei offen bleibt, ob dies nur für den Papst und die Kirche als Hure oder auch für alle strengen Ausdrücke wie für die Messe u.a. gilt).
Nun haben aber Luther wie Calvin und auch andere Reformatoren wie Vermigli bis hin zu Theologen wie Turrettini im 17. Jahrhundert natürlich exegetisch, biblisch und theologisch ihre vehemente Ablehnung des Papsttums zu begründen versucht – und dies zum Teil erstaunlich ausführlich! Im Rahmen des Vortrags konnte und wollte Johnson hierauf sicher nicht näher eingehen. Doch dann sollte er nicht solch eine kategorische Sprache wählen, denn es wäre zu zeigen, wo die Reformatoren in ihrer Bibelauslegung tatsächlich daneben lagen. Über diese Fragen kann auch weiterhin diskutiert werden, über die strenge Sprache allemal.
Hier drängt sich der Verdacht auf, dass für Johnson der Papst natürlich nicht ein Antichrist sein darf, denn mit dem gegenwärtigen Kirchenoberhaupt trifft er sich ja fast schon regelmäßig. Wenn vor vier-, fünfhundert Jahren die sehr scharfen Konflikte zwischen den Konfessionen – also der Geist oder die Stimmung der Zeit – die Bewertung des Papsttums und die Deutung der Bibel mitgeprägt haben, so gilt dies heute in einer Zeit, in der WEA-Leiter mit dem Papst liebend gerne Kaffee trinken, gewiss immer noch.
Praktizierende Katholiken – Geschwister?
Noch mehr ins Stutzen gerät man, wenn Johnson vermutet, dass es „wahrscheinlich einige Hundert Millionen Christen“ in der Kirche Roms gibt, die auf Jesus schauen und von ihm Rettung erhoffen und die Bibel lieben. Wir können also mit „Hunderten Millionen von Geschwistern“ unter den Katholiken rechnen, obwohl sie sich in einer „verwirrten kirchlichen Situation“ befinden. Am Ende des Vortrags fällt noch einmal die konkrete Zahl von Hunderten Millionen. Zum Vergleich: weltweit gehören der römisch-katholischen Kirche knapp 1,3 Milliarden Menschen an. „Hunderte Millionen“ bezeichnet also einen beträchtlichen Anteil.
Es ist unter Evangelikalen kaum umstritten, dass es in der Kirche Roms Geschwister gibt, vielleicht gar nicht so wenige. Denn nach unserem evangelischen Verständnis rettet der Glaube an Jesus, und sonst nichts. Wie kommt Johnson nun aber zu seiner doch recht optimistischen Schätzung? Nichts wäre einzuwenden gegen „Millionen“ oder allgemeine Ausdrücke wie „viele“. „Hunderte“ gewinnt jedoch eine deutlich größere Brisanz und zwar wegen folgender Rechnung: In nicht wenigen Ländern, vor allem in Europa, beträgt der Anteil der aktiven und praktizierenden Katholiken gerade einmal 10–15% (selbst im frommen Italien nur zwischen 20-25%); anderswo wie in Asien oder Südamerika ist er natürlich höher. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass vielleicht ein Drittel oder womöglich 40% aller Katholiken ihren Glauben wirklich ernst nehmen und z.B. aktiv die Messe besuchen usw., dann kommen wir weltweit auf mind. 400–500 Millionen – immer noch im Rahmen von „Hunderten Millionen“ und in jedem Fall nicht weit weg von 200–300 Millionen, die im Plural „Hunderte“ unbedingt enthalten sind.
Will uns Johnson also sagen, dass die meisten (die Mehrheit / fast alle) der praktizierenden Katholiken unsere Geschwister im Glauben sind? Ist intensiver katholischer Glaube oft oder meist tatsächlich auch rettender Glaube? Angesichts der allgemeinen katholischen Glaubenspraxis habe ich da meine Zweifel. Ich sehe daher keine Grundlage für den Optimismus von „Hunderten Millionen“. Johnson nennt hier eine Zahl, die er nirgendwo fundiert und begründet. Er erzeugt eine optimistische Stimmung, mehr aber nicht.
Johnson hat natürlich recht: Wenn Katholiken an den nach 1 Joh 4,2 Mensch gewordenen Sohn Gottes glauben, ihr Vertrauen auf diesen Christus setzen, sind sie gerettet. Er geht aber darüber hinaus, wenn er meint: Wenn ein Katholik klar seinen Glauben bekennt, dann lässt dies einen Protestanten vermuten, dass er mit dieser Person versuchen kann, andere zu evangelisieren; wenn nicht, dann muss solch ein Katholik selbst evangelisiert werden.
Nun glaubt ein guter Katholik aber all das, was ihm die Kirche zum Glauben vorlegt, was die Sache so kompliziert macht. Aber selbst wenn diese ‘wahrhaft’ Gläubigen erkennbar sind (hier und da spürt man dies ja) – warum sollten wir deshalb mit ihnen evangelisieren? Sollen wir das als Kirche und in christlichen Werken? Ein Katholik evangelisiert letztlich immer mit und im Rahmen seiner Kirche. Evangelisation ist nach katholischem Verständnis eben nicht nur das zur Umkehr und zum Glauben Rufen, sondern wesentlich auch Heranführung an die Sakramente und an die Kirche selbst.
Aus dem Christsein von einzelnen Katholiken folgt also nicht automatisch, dass mit ihnen evangelisiert werden sollte. Dies ist nicht nur eine theoretische Diskussion, sondern für eine evangelistische Studentenbewegung wie LKSB in einer dominant katholischen Gesellschaft schlicht eine Überlebensfrage. (Vor knapp zehn Jahren wurde an uns das Anliegen herangetragen, mit der katholischen Studentenseelsorge im Land intensiver zu kooperieren; LKSB hätte solch eine Umarmung langfristig sicher nicht überstanden.)
Konversion kein Ziel?
Johnson spricht mehrfach von Katholiken, die von Protestanten evangelisiert worden waren, sich aber entschieden, in der römischen Kirche zu bleiben und z.B. in Erneuerungsbewegungen ihre geistliche Heimat finden. Er ist überzeugt, dass es mehrere dieser Bewegungen in der römischen Kirche gibt, in denen die Bibel und Christus im Mittelpunkt stehen. Man müsse sich daher auch von der Vorstellung verabschieden, dass nominelle Katholiken, die zum Glauben kommen, schnell die Kirche ihrer Herkunft verlassen. Für Katholiken sei es oftmals „nicht weise“ aus der römischen Kirche auszutreten, gerade wenn sie christliche Gemeinschaft in der katholischen Kirche finden – „echte Gemeinschaft und Wachstum“. Nur sehr wenige aktive Katholiken werden daher Protestanten, so Johnson, meist nur Ex-Katholiken.
Aus evangelischer Sicht bin ich von diesen Aussagen Johnsons enttäuscht, und das ist noch gelinde formuliert. Natürlich bindet die Kirche Roms alle ihre getauften Mitglieder eng an sich; bis heute gibt es für sie keine Möglichkeit der Konversion ohne den drohenden Verlust des Heils. Der kulturelle und theologische Druck zum Verbleib in der Kirche ist gerade in katholischen Mehrheitsländern sehr groß. Was soll in diesem Zusammenhang die Rede von Weisheit? Natürlich ist in mancher Hinsicht leichter für gläubige Katholiken, ihre Kirche nicht zu verlassen. Aber die Frage ist doch, was Evangelische und ihre Gemeinden in katholischen Ländern anstreben sollen. Die Statistik hin oder her – was ist unser Ziel? Was sollten katholische Gläubige tun? Und Konkret: Sollten wir sie zum Übertritt einladen und auffordern?
An dieser Stelle entflutscht Johnson doch tatsächlich, dass dies, die Konversion von Katholiken zum Protestantismus, sowieso nicht unser Ziel sein sollte; vielmehr sollten wir ihnen Liebe zeigen. Gewiss sollen wir Letzteres, aber es sollte sowieso nicht unser Ziel sein, das Wachstum von evangelischen Gemeinden durch Übertritt von Katholiken anzustreben? Warum denn nicht?? Kommt dies nicht einer Preisgabe der protestantischen Mission in vom Katholizismus dominierten Ländern gleich? Sicher erwarte auch ich nicht, dass sich Massen von Katholiken dem evangelischen Glauben zuwenden, Amtsträger schon gar nicht. Aber warum sollte es nicht angestrebt werden? Schließlich befinden sie sich nicht nur in einer „verwirrten kirchlichen Situation“; sie sind in einer Kirche mit großen Defiziten und Mängeln. Wie kann es da verantwortbar sein, sie einfach darin zu belassen?
Johnsons Ausführungen sind auch gerade auf dem Hintergrund des reformierten Erbes als problematisch zu bezeichnen (und er sprach als WRF-Mitglied auf einer WRF-Veranstaltung; ich persönlich bin ebenfalls Mitglied, wie nun auch unsere litauische reformierte Kirche). Die Reformatoren wie Calvin und einige Bekenntnistexte (wie das Niederländische Bekenntnis, Art. 29) unterscheiden zwischen der wahren und der falschen Kirche, und dieser Unterschied ist nicht einfach an Institutionen und auch nicht pauschal an Bekenntnistraditionen festzumachen. (Im 20. Jahrhundert betonte ja der Presbyterianer J. Gresham Machen in Christianity and Liberalism, dass ganze reformierte Kirchen zu falschen Kirchen werden können.) Während der Reformationsepoche war natürlich klar, dass die römische Kirche die falsche Kirche ist. Was hat sich seitdem geändert und was nicht? Ist Rom wahre und echte Kirche geworden? Ich würde es im Grunde immer noch wie Calvin halten und dort von gewissen „Resten“ von Kirche sprechen; die Kirche schleppt immer noch so viel üblen Ballast mit sich, der sich gerade in katholischen Mehrheitsländern nicht zu selten zeigt, so dass von einer „wahren Kirche“ im Sinne unserer Bekenntnisse nicht die Rede sein kann. Ist es von Johnson zu viel verlangt, dass auch diese Dimension in seinem Vortrag wenigstens einmal angesprochen wird?
Ermutigung oder Entmutigung?
Gegen Ende fasst Johnson zusammen: Wir sollten und können mit Katholiken in der Reevangelisierung zusammenarbeiten, wenn es um die Präsentation der Bibel, die Grundlagen der christlichen Weltanschauung und die Ethik geht; mit ganzem Einsatz sollen wir gemeinsam mit Katholiken am Fundament der westlichen Zivilisation, an den Grundlagen der Gesellschaft, arbeiten, die Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens stärken und uns für verfolgte Christen einsetzen.
Ich stimme hier Johnson im Grunde voll zu. Dies soll tatsächlich geschehen, und auch in mehrheitlich katholischen Ländern haben Protestanten oftmals mehr Möglichkeiten, als man denkt; man muss sie nur nutzen. Hier in Litauen ist das mehrjährige Projekt zum Thema „scarcity“ des Litauischen Instituts für freie Marktwirtschaft (LLRI), gefördert von der Templeton Foundation, ein gutes Beispiel. Experten ganz verschiedener Fachrichtungen, darunter nicht wenige Katholiken wie auch ein Bischof sowie mit dem Autor dieser Zeilen ein Protestant, arbeiteten zusammen. Abschluss wird ein Dokumentarfilm mit dem engl. Titel „Sublime Thirst“ sein, der im September seine Premiere haben wird. Durch den Film und das ganze Projekt werden durchaus auch Prinzipien einer christlichen Weltanschauung einem breiteren Publikum präsentiert. So ist im Film dank gemeinsamen Einsatzes der Katholiken und des Protestanten und trotz mancher Skepsis anderer das Thema des Sabbats oder Ruhetages verblieben.
Mir stellen sich allerdings drei Fragen. Sollte man, erstens, für die genannten Aktivitäten den Begriff Re- oder Neuevangelisierung gebrauchen? Seit Johannes Paul II. wird er gerne von Katholiken gebraucht, die mit ihm natürlich ein spezifisch katholisches Verständnis verbinden. Evangelikale und konfessionelle Protestanten haben ein zumindest in Teilen deutlich anderes Konzept von Evangelisation. Wie z.B. eine ganze Zivilisation neuevangelisiert werden soll, bleibt bei Johnson weitgehend offen – wenn man denn vom evangelikalen Konzept ausgeht. Der Begriff soll wohl eine Brücke zu den Katholiken bauen, aber ich würde auf ihn im Zusammenhang der zivilisatorischen Grundlagen eher verzichten.
Johnson sieht, zweitens, die Grenze der Kooperationsmöglichkeiten mit Katholiken bzw. Rom dann erreicht, wenn die Sakramente ins Spiel kommen. Bei den allermeisten Aktivitäten, bei denen keine Sakramente involviert sind, könne man zusammenarbeiten. Das stimmt natürlich, aber in der Praxis bedeutet dies meiner Überzeugung nach, dass mit der Institution katholischer Kirche kaum eine Kooperation möglich ist, denn vor allem das Messopfer ist Kern fast aller Kulthandlungen und Gottesdienste und gleichsam allgegenwärtig. Auch katholische Militär- und Studentenkaplane bieten regelmäßig Messen an – was denn sonst? Man berührt die Sakramente daher oft viel früher als beim direkten Gemeindebau.
An John Stott anknüpfend wirbt Johnson für das Kennenlernen von Katholiken, für gemeinsames Bibelstudium und Gebet, für gegenseitige Ermunterung. Und wieder ist daran nichts auszusetzen. Mehr Wissen voneinander und mehr Erfahrung im Umgang miteinander kann nur helfen. Johnson empfiehlt aber auch (mit Stott) Gottesdienste der jeweils anderen zu besuchen. Ermuntert er also Reformierte zum Messbesuch? Gerade der Heidelberger Katechismus hat doch mit Fr. 80 hier ein großes Zeichen der Warnung aufgestellt, dass reformierte Christen über Jahrhunderte davon abgehalten hat, sich dem katholischen Kult auch nur zu nähern. Ich wüsste nicht, warum man dies nun ändern sollte.
Zumal hier ein klares und theologisch begründetes Ungleichgewicht besteht: Katholiken können sich überall in Gottesdienste setzen, weil sie und ihre Kirche genau wissen: das Wesentliche fehlt hier (bei den Protestanten), das Messopfer. Im Grunde sind dies gar nicht Gottesdienste. Umgekehrt können Evangelische zugestehen, dass unter Umständen in der katholischen Messe Wort Gottes wahrhaft verkündet wird – aber das Messopfer stößt sie dann doch wieder vor den Kopf.
Drittens habe ich den Vortrag aus der Perspektive eines in einem katholischen Mehrheitsland Arbeitenden gehört, und auch in Wittenberg wird der eine oder andere aus solch einem Land gekommen sein. Die Reformierten in solchen Ländern wie Polen, Litauen, Italien oder Spanien sind so gut wie alle Pastoren oder im evangelischen Gemeindebau engagiert. Und wir haben nur Ermutigungen im Hinblick auf den Bau an den christlichen Grundlagen der Gesellschaft usw. gehört. Noch einmal: dies ist nötig. Nötig ist aber auch der Aufbau von lebendigen und wachsenden evangelischen Gemeinden und Kirchen in diesen Ländern. Und zu dieser Herausforderung kam in den vierzig Minuten praktisch nichts Ermutigendes, im Gegenteil – es war eher Entmutigendes zu hören.
Johnson hat es wohl gar nicht so ernst gemeint, aber die Bemerkung, dass die Konversion von Katholiken zum Protestantismus sowieso nicht unser Ziel sein sollte, ist schon ein starkes Stück. Gemeinden in Italien, Spanien und Litauen leben zum Teil von diesem Ziel. Johnsons Optimismus im Hinblick auf die Zahl der echten Geschwister unter den Katholiken stand im Vortrag ein (wenn auch impliziter) Pessimismus in Sachen eines protestantischen und reformierten Gemeindewachstums in diesen Ländern gegenüber. Wir wissen hier ja nur zu gut, dass es schwierig ist – wollen wir da noch hören, dass es kaum Sinn macht? Sollen in Evangelisation Engagierte vielleicht auch noch aktiv auf die erwähnten Erneuerungsbewegungen in der Kirche Roms hinweisen? Ja, dort geht es auch um Jesus und die Bibel, aber eben nicht nur. Sie sind letztlich keine Alternative zu evangelischen, bibeltreuen Gemeinden.
Die Konversion ist natürlich ein heißes Eisen. Der sog. Proselytismus, das ‘Abwerben’ von Mitgliedern anderer Kirchen, wird besonders von der katholischen Kirche als Problem wahrgenommen. Auch Papst Franziskus hat den Proselytismus schon mehrfach rundheraus abgelehnt. Rom sieht auch dann Proselytismus gegeben, wenn inaktive, nichtpraktizierende Katholiken („Ex-Katholiken“, die es in der katholischen Theologie so aber gar nicht gibt) zum Übertritt aufgefordert werden. Im Grunde können sie den Konfessionswechsel aller katholisch Getauften begründet ablehnen!
Das ist nun hochaktuell, denn in Ländern wie Litauen oder Italien ist der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung immer noch katholisch getauft (in Italien insg. weit über 90%; in Litauen werden seit Jahren um die 90% der Neugeborenen früher oder später getauft, d.h. nach weniger Taufen in der Sowjetzeit erhöht sich der Anteil der Getauften in der Bevölkerung auf diese Weise wieder konstant). Wenn Evangelische in den genannten Ländern nicht aktiv proselytieren, also missionieren, werden womöglich nur kleine Reste übrig bleiben. Es steht also viel auf dem Spiel.
Johnson hat recht, wenn er fordert, die katholische Kirche müsse neu betrachtet und bewertet werden. Aber zu welchem Ergebnis führt dies? Ist die Kirche Roms gar kein Missionsfeld mehr für Evangelische? Johnson, Schirrmacher und die WEA, so scheint mir, sehen Franziskus und den Vatikan fast ausschließlich aus der Perspektive des Gesprächs und der möglichen Kooperation. Gegen diese Perspektive ist nichts einzuwenden – warum nicht ab und an auch Kaffee trinken mit dem Papst? Man sollte nur nicht ausblenden, dass es auch noch andere Perspektiven gibt, und die des evangelischen Gemeindebaus in katholischen Ländern ist eine davon, eine wahrlich nicht unwichtige. Wer mit katholischen Leitern Kaffee trinkt, sollte (als Reformierter) immer auch den Heidelberger Katechismus dabei haben und weitergeben. Es mag ja unwahrscheinlich sein, dass aktive Katholiken und die Leiter der Kirche konvertieren, doch seit wann schreckt solch eine Wahrscheinlichkeitsrechnung Christen vom Evangelisieren ab?