Märtyrerballade
Martin Luther war bekanntlich ein großer Freund der Musik. Er rechnete sie zu den „besten Künsten“ und habe sie „allezeit geliebt“, so in den Tischreden. Das älteste bis heute gesungene Lied von einigen Dutzend Kompositionen aus der Feder des Reformators ist „Nun freut euch, lieben Christen g‘mein“. Luther schrieb es im Spätsommer des Jahres 1523. Im ersten evangelischen Gesangbuch, dem in Nürnberg 1524 gedruckten Achtliederbuch, war es das erste (heute Nr. 341 im Evangelischen Gesangbuch [EG]; in Krikščioniškos giesmės der lutherischen Kirche Litauens Nr. 365: „Krikščionys, džiaukimės didžiai“).
„Nun freut euch…“ eröffnet ganz zu Recht den Abschnitt „Rechtfertigung und Zuversicht“ im EG. Es stellt die Not des Menschen („Dem Teufel ich gefangen lag“) und seine Hilfslosigkeit („die guten Werk, die galten nicht, / es war mit ihn‘ verdorben“) dar, geht dann zum Handeln Gottes und der Botschaft des Evangeliums über. Die Erlösung ist Grundlage der Freude, die gleich in der ersten Strophe besungen wird. Sie beruht auf der „süßen Wundertat“, auf dem Tod des Gottessohnes am Kreuz und dessen Blut (genannt in Strophe 8).
Doch dieses Lied war nicht das erste musikalische Werk Luthers. Zuvor schrieb Luther „Ein neues Lied wir heben an“ – eigentlich kein Kirchenlied, sondern eine Ballade, ein langer Gesang, der sich um ein dramatisches historisches Ereignis dreht: Am 1. Juli 1523 wurden in Brüssel zwei Mönche aus dem Augustinerorden verbrannt – die ersten Märtyrer der Reformation. In den Augen Roms war, so im Lied, dies ihr „höchster Irrtum“: „Man muss allein Gott glauben, / Der Mensch lügt und trügt immerdar, / Dem soll man nichts vertrauen“.
Beide Mönche wurden hingerichtet, aber die Nachricht von ihrem Tod verbreitete sich rasch und ermutigte andere: „Die Asche will nicht lassen ab, / Sie stäubt in allen Landen“. Gerade dies hatte Luther bezweckt; sein Lied war eigentlich eher für die Straßen und Gasthäuser bestimmt, gar nicht so sehr für die Kirchen. „Ein neues Lied…“ erschien aber auch bald in einem Gesangbuch, zuerst 1524 im Erfurter Enchiridion.
Das Wormser Edikt aus dem Jahr 1521, das Luther unter Reichsacht stellte, konnte dem Wittenberger wenig anhaben, weil Landesfürst Friedrich der Weise treu seine schützende Hand über ihm hielt. Die beiden Ordensbrüder Luthers aus dem niederländischen Antwerpen (heute in Belgien) genossen solchen Schutz jedoch nicht. In einem weiteren Edikt des Jahres untersagte Kaiser Karl V. die in seinen Augen evangelische Häresie in seinen Ländern, also auch im damals von den Habsburgern beherrschten Niederlanden (in etwa die heutigen Beneluxstaaten) – und dort wurde es auch durchgesetzt. Die Inquisition kam dort schnell in Gang und zeigte bald Ergebnisse. Die Scheiterhaufen von Hendrik Voes und Jan van Essen waren nur der Anfang.
Luther sah sich mit den Brüsseler Märtyrern besonders verbunden, denn er begriff genau, dass eigentlich er hätte in den Flammen sterben sollen – er, der Oberhäretiker, und nicht seine Anhänger, die schon damals „Lutherer“ genannt wurden. Letztlich rettete ihm die föderale Struktur des Reiches, die große Freiheit der Fürsten und die politische Großwetterlage das Leben.
Die Märtyrerballade vor dem Freudenlied – so wirft „Ein neues Lied wir heben an“ auch ein ganz neues Licht auf „Nun freut euch, lieben Christen g‘mein“. Die christliche Freude ist keine billige, sie ist nicht selten eine Freude im Angesicht großer Bedrohung. Die Erlösung Christi war „gar teu‘r… erworben“, sie kostete den Vater „sein Bestes“; und ähnlich kann der Glaube an ihn seine Nachfolger teuer zu stehen kommen. Glaubensfreude führt nicht selten auch in schweres Leid, hat aber auch die Kraft sich dort zu bewähren. Jesus hat den Hl. Geist gegeben, „der dich in Trübnis trösten soll / und lehren mich erkennen wohl“. Der Gläubige lernt Christus auch im Tod und Leiden kennen.
Luthers „Ein neues Lied wir heben an“ ist den meisten Lutheranern heute unbekannt. Auch die Namen der ersten beiden Märtyrer sind in Vergessenheit geraten. Dafür haben wir ein anderes Denkmal der Verfolgung der Protestanten im 16. Jahrhundert: das Niederländische (oder Belgische) Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 1561.
Autor Guido (oder Guy) de Brès wurde 1522 in der Wallonie, dem französischsprachigen Teil der heutigen Belgiens, geboren. Nach intensivem Bibelstudium wandte sich de Brès dem evangelischen Glauben zu und musste wegen der Verfolgung der Protestanten bald mehrere Jahr in England leben. Als auch dort unter Königen Maria („Bloody Mary“) die Unterdrückung des ‘neuen’ Glaubens einsetzte, floh de Brès nach Frankfurt, später nach Lausanne und Genf. Dort setzt er seine theologischen Studien fort. 1559 kehrte er in die belgische Heimat nach Tournai zurück, wo de Brès heirate und als Pastor arbeitete.
In diesen Jahren entstand auch das Niederländische Bekenntnis. Inhaltlich steht es dem Hugenottenbekenntnis (Confessio Gallicana) aus dem dem Jahr 1559 nahe, das weitgehend aus der Feder Calvins stammte. 1566 arbeitete de Brès in Valenciennes (heute Nordfrankreich). Der Ort wurde von den Spaniern erobert. Diese setzten den Pastor mit einem Kollegen gefangen. Am 31. Mai 1567 starb de Brès am Galgen.
Ein unstetes und recht kurzes Leben, fast immer irgendwie auf der Flucht. Man vergleiche dies mit Luthers doch recht ruhigem Dasein – Jahrzehnte in einem grossen Haus in Wittenberg, die gleiche feste Arbeitsstelle und ein gutes Einkommen noch dazu. Der deutsche Reformator war auch bereit, für den Glauben zu sterben, doch Gott führte ihn anders. Nur in Westeuropa führte seine „Theologie des Kreuzes“ zu einer „Kirche unter dem Kreuz“, d.h. zu einer Märtyrerkirche.
Noch in diesem Jahr wird das Niederländische Bekenntnis auch in litauischer Sprache erscheinen (Holger schrieb eine Einleitung, der auch dieser Text entnommen ist).