Luther über Gesetz, Gnade und Glaube
„Für die Christenmenschen… unverzichtbar“
Im Ringen um Römer 1,17 („Darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt…“) machte Martin Luther seine reformatorische Entdeckung zur Rechtfertigung des Sünders, auch „Turmerlebnis“ genannt. Rund zwanzig Jahre später, in den Schmalkaldischen Artikeln (1537), finden sich dann die berühmten Aussagen zum „Hauptartikel“ der Erlösungslehre von der Rechtfertigung: „Von diesem Artikel kann man nicht weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde… Und auf diesem Artikel steht alles, was wir wider den Papst, Teufel und Welt lehren und leben. Darum müssen wir dessen ganz gewiss sein und nicht zweifeln. Sonst ist’s alles verloren…“
Luther bezieht sich in dem Abschnitt der Artikel u.a. auf die Verse aus Röm 3,23–26. Der Apostel selbst fasst seine Lehre ab 3,28 zusammen: Der Mensch wird gerecht „ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Luther schob hier das Wort „allein“ ein, auf das die meisten Übersetzungen heute wieder verzichten). 1535–1537, also in etwa parallel zu dem Bekenntnistext, erstellte der Wittenberger Professor Thesen für fünf Disputationen über Römer 3,28.
In der Einleitung zu ihnen schreibt Luther: „Der Artikel von der Rechtfertigung ist Meister und Herr über alle Arten von Lehren, und er regiert jedes Gewissen und die ganze Kirche. Ohne ihn ist die Welt fade und reine Finsternis…“ Wir müssen, so Luther weiter, diesen Artikel „sorgfältig in der Kirche im Kopf haben… Wir tun also recht daran, wenn wir so oft wie möglich über diese Sache disputieren, damit unsere Herzen und Sinne gewiss werden… Diese Lehre ist keine kleine oder eine von geringen Dingen, sondern sie ist für die Christenmenschen, die in der Schlacht gegen den Satan stehen, unverzichtbar.“
Wir greifen hier nur die beiden ersten Disputationen „Über das Gesetz“ und „Über den Glauben“ heraus und behandeln dazwischen auch die Gnade. Luther führt hier näher aus, was sich in den Schmalkaldischen Artikeln nur ganz gebündelt findet.
„Über das Gesetz“
In der zweiten Disputation stellt Luther dar, dass das Gesetz Gottes, in erster Linie das „Sittengesetz“ oder der Dekalog, gute Werke vom Menschen verlangt. „Gott will nämlich ernsthaft, dass sein Gesetz erfüllt wird bis zum kleinesten Tüpfelchen und Buchstaben…“ Die Gebote und das Gesetz Gottes „lehren und schreiben uns mancherlei gute Werke vor, aber damit sind sie noch nicht geschehen“, so Luther schon 1520 in Von der Freiheit eines Christenmenschen. „Sie weisen wohl, sie helfen aber nicht, lehren, was man tun soll, geben aber keine Stärke dazu. Darum sind sie nur dazu geordnet, dass der Mensch darinnen sein Unvermögen zu dem Guten sehe und lerne an sich selbst zu verzweifeln…“.
Zwar weiß der Mensch innerlich (vor allem durch sein Gewissen), was das Gesetz verlangt, aber „ins Herz geschrieben“ sind eben nur die Anforderungen Gottes (Röm 2,15); das Herz selbst ist „unverständig“ und „verfinstert“ (Röm 1,21). Luther weiter in der Disputation: „Und so viele äußere Dinge wir auch tun und erleiden – wir arbeiten und mühen uns doch vergebens, denn das Gesetz Gottes wohnt nicht tief in unserem Herzen.“. Oder schon überspitzt in den Thesen zur Heidelberger Disputation (1518): „Das Gesetz sagt: ‘Tue das!’, und es geschieht niemals.“
Nun hält sich der gefallene Mensch aber für besser als er tatsächlich ist. Luther schreibt dies der „Bosheit des Teufels“ zu. Diesem gelingt es, dass der Mensch sich etwas auf seine Gerechtigkeit einbildet, und er „verblendet“ so sehr, „dass wir die Größe unserer Sünde und unseres Übels nicht erkennen und deswegen den Zorn Gottes missachten. Wenn der nicht erkannt wird, weiß der Teufel sicher, dass wir auch die Größe der uns in Christus zuteil gewordenen Gnade und der Barmherzigkeit nicht erkennen können.“
Dies ist klassische reformatorische Theologie, die sich vielfach bei den Reformatoren und in den Bekenntnisschriften aus der Reformation findet. Aber Luther wäre nicht Luther, wenn er diese Gedanken nicht auch provokant, ja fast schon anstößig zuspitzte.
Die „Macht und Kraft“ des Sittengesetzes „besteht darin zu töten, d.h. zu zeigen, dass die Sünde mit dem ewigen Tod bestraft werden muss. Wenn aber ein Mensch, weil es ihm der Geist kundtut, beginnt, diese Kraft zu spüren und zu erkennen, verzweifelt er alsbald an Gottes Barmherzigkeit. An Gottes Barmherzigkeit verzweifeln ist aber die höchste Sünde und unvergebbar…“ Luthers nüchterne Schlussfolgerung: „Niemals sündigt der Mensch grauenhafter als an dem Punkt, an dem er beginnt, das Gesetz zu spüren und zu erkennen.“
„Ganz gewiss muss ein Mensch an sich selbst verzweifeln, um für den Empfang der Gnade Christi bereitet zu werden“, so Luther auch in den Thesen zur Heidelberger Disputation. Der Mensch muss verzweifeln, wird so für die Gnade vorbereitet und kommt in der Hinsicht dem Heil näher – aber dies ist eben genauso die Stunde der höchsten Sünde. Das Bemühen, Gott durch das Tun der Werke zu gefallen, führt nur umso tiefer in Sünde und Verzweiflung hinein. Denn das Verzweifeln an sich selbst führt auch zum Zweifel an Gott, also weiter weg von ihm.
Luther spricht hier natürlich aus eigener Erfahrung. Das Verzweifeln an sich selbst ist nötig, erlöst aber nicht. Ohne die Gnade macht z.B. die Selbstkasteiung nur noch elender. Im Bericht zum Turmerlebnis stellt er dar, dass er, der untadelige Mönch, mit all seinen frommen Leistungen natürlich zum Heil strebte, den Gott des Heils aber umso mehr hasste.
Luther sieht daher zwei Richtungen des Sünderseins, die sich dennoch nicht gegenseitig ausschließen und in gewisser Weise auch wechselseitig bedingen – Selbstverzweiflung und Selbstüberschätzung: „Notwendigerweise muss man entweder verzweifeln, weil man das Gesetz erkennt, aber nichts von Gottes Gnade weiß, oder sich selbst überschätzen, weil man das Gesetz nicht erkennt, aber Gottes Zorn missachtet. Die erste Möglichkeit treibt David in die Verzweiflung… Die zweite Möglichkeit erzeugt einen sicheren Heuchler und stolzen Pharisäer… Hier erscheint nun Christus in der Mitte und sagt: ‘Weder gebührt dir die Verdammnis, noch dir das Heil, sondern mir allein gebührt die Ehre.“
Ein gewisses Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Richtungen besteht aber: „Du, David, wirst nicht sterben, denn ich habe deine Sünde auf mich genommen; du aber, Pharisäer, wirst nicht leben, denn deine Gerechtigkeit besteht ohne mich.“ Selbstverzweiflung rettet zwar (noch) nicht, ist aber offen und bereitet für die Gnade, Selbstüberschätzung dagegen nicht. Luther selbst ist den Weg Davids gegangen: Aus der Selbstverzweiflung hat ihn der Geist durch das Wort herausgerissen.
„Das Verlangen nach Gnade“
Wer also das Gesetz zum falschen Zweck benutzt und versucht „dadurch zur Gnade zu gelangen, dass er tut, soviel ihm möglich ist, häuft Sünde auf Sünde“ (Thesen zur Heidelberger Disputation). Das Gesetz dient nicht dazu, zu Gehorsam anzustiften, um dadurch das Heil zu erlangen. Die Aufgabe des Gesetzes ist ‘nur’ „Sündenerkenntnis“, denn „durch Erkenntnis der Sünde aber erlangt man Demut, und durch die Demut Gnade“.
Die Menschen müssen also einsehen, „dass sie verdammungswürdige Sünder sind mit Sünden, die zum Himmel schreien“. Dennoch geht es dabei nicht darum (wie heute oft verzerrend behauptet wird), andere Menschen ‘fertig zu machen’. Luther weiter in den Thesen zur Heidelberger Disputation: „Klar ist, dass nicht die Verzweiflung, sondern vielmehr die Hoffnung gepredigt wird, wo gepredigt wird, dass wir Sünder sind. Solche Predigt der Sünde oder vielmehr die Erkenntnis der Sünde und der Glaube an solche Predigt ist Bereitung zur Gnade.“
Luther vergleicht das Vorgehen bei der Verkündigung von Gesetz, Gnade und Glaube mit dem Arztbesuch und der Medizin. „Dann nämlich beginnt das Verlangen nach Gnade, wenn die Sündenerkenntnis da ist. Dann erst, wenn er das Übel seiner Krankheit begreift, verlangt der Kranke nach Medikamenten.“ Wenn also „dem Kranken die Gefahr gesagt wird, die seine Krankheit birgt“, dann will man ihn damit ja nicht in die Verzweiflung um der Verzweiflung willen treiben. Die Diagnose ist drastisch, damit der Kranke dadurch „ermutigt wird, die Medikamente zu verlangen“; damit das „Verlangen nach der Gnade unseres Herrn Jesu Christi in Bewegung“ gebracht wird.
Auch die ‘negative’ Predigt ist daher auf eine ‘positives’ Ziel ausgerichtet. Oder mit Luthers Begriffen: Den Menschen durch das Gesetz zur Erkenntnis seines Sünderseins führen, ihn zum Sünder ‘zu machen’, ist „Gottes fremdes Werk“, Rettung aus Gnaden „sein eigentliches Werk“.
„Über den Glauben“
Kehren wir zu den Thesen für fünf Disputationen zurück. Was das Gesetz nicht schaffen kann, tut der Glaube. Luther meint damit den „wahren Glaube“, der eine „Gabe des Heiligen Geistes“ ist. Davon unterscheidet er den „erworbenen oder historischen Glauben“. Den haben selbst die „Dämonen und allerbösesten Menschen“. Der wahre Glaube ist derjenige, der „Christus ergreift, der für unsere Sünden stirbt und um unserer Gerechtigkeit willen aufersteht“.
Es ist der Glaube, der „nicht nur hört…, sondern der erkennt, dass die Liebe Gottes, des Vaters, dich durch Christus, der für deine Sünden hingegeben ist, erlösen und retten will.“ Der Heilige Geist bewirkt diesen Glauben „auf die Evangeliumspredigt hin“.
Der erworbene Glaube sagt: „Ich glaube, dass der Sohn Gottes gelitten hat und auferweckt worden ist, und dabei belässt er es. Der wahre Glaube aber sagt: Ich glaube fest daran, dass Gottes Sohn gelitten hat und auferweckt worden ist, aber das alles für mich, für meine Sünden; dessen bin ich gewiss.“ Wie auch schon in Von der Freiheit eines Christenmenschen gebraucht Luther gerne das Bild der Ehe: „Der wahre Glaube umfasst mit ausgebreiteten Armen freudig den Sohn Gottes, der für ihn hingegeben ist, und sagt: Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein… Also macht dieses ‘für mich’ oder ‘ְfür uns’, wenn es geglaubt wird, den wahren Glauben aus… Das ist der Glaube, der allein uns rechtfertigt ohne Gesetz und Werke…ְ“
Gute Werke ohne Glauben rechtfertigen nicht: „Wer Werke vollbringt, mag heilig sein, weise sein, gerecht sein, mag sein, was er will – wenn der Glaube fehlt, bleibt er unter dem Zorn und wird verdammt.“ Aber sie müssen auf den Glauben folgen, aus diesem gleichsam „von selbst“ herausfließen. „Halte die Gebote“ gilt dem Christen, so Luther, aber sie sollen in Christus und im Glauben befolgt werden.
„Gewisse Keime des Guten“
Natürlich betonen heute alle christlichen Glaubensgemeinschaften den Glauben. In dreifacher Hinsicht unterscheidet sich aber das gerade skizzierte lutherische, reformatorische Konzept dieses Kernbegriffs von dem der römisch-katholischen Kirche.
„Zunächst ist es die Kirche, die glaubt…“ und mit der die Christen glauben, in deren Glauben sich der Einzelne gleichsam einklinkt – so immer noch der Akzent in der katholischen Kirche (KKK, 168; s. auch 1124). Der Glaube wird von der Kirche „erbeten“ (KKK, 1253) und von ihr geschenkt. Der Glaube ist zuerst kollektiv, dann persönlich.
Seit Luther sehen die Protestanten dies genau anders herum: Die persönlich Glaubenden bilden die Kirche. „Nichts rechtfertigt als allein der Christusglaube“, so Luther in Zur Erforschung der Wahrheit und zum Trost erschrockener Gewissen (1518). Dieser Glaube ist zuerst persönlich: „Die Sünden sind erlassen, wenn du glaubst, dass sie erlassen sind, weil die Zusage des Retters gewiss ist.“ Im Großen Katechismus (1529) betont Luther am Ende des zweiten Artikels von der Erlösung, was der Sinn von Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu ist: „Und dies alles darum, dass er mein Herr würde.“
Mit dem ersten Punkt steht ein zweiter in enger Verbindung. Nach römischem Verständnis verteilt die zuerst glaubende Kirche diesen Glauben durch ihr System der Sakramente. Schon bei Thomas von Aquin (13. Jhdt.) wird die Gnade durch die sieben Sakramente dem Menschen „eingegossen“ und so gleichsam zum Besitz des Menschen. Sie führt zu einer geschöpflichen Wirklichkeit und zu einer wesentlichen Veränderung im Menschen.
Zu den sakramentalen Gnadengaben gehört auch der Glaube. Er wird durch die Taufe mitgeteilt, die daher „Sakrament des Glaubens“ (KKK, 1253) ist; durch sie wird die göttliche Tugend des Glaubens eingegossen (1814). Durch die anderen Sakramente wird der Glaube weiter vervollkommnet. So wird in der Firmung „die Ausgießung des Heiligen Geistes in Fülle bewirkt“ (1302). Die Sakramente bewirken den Glauben.
In der Sicht Luthers und auch Calvins stärken die Sakramente wie das Abendmahl durchaus den Glauben (Zwingli dagegen betonte mehr dessen Bekenntnischarakter). Aber hier kommt wieder das zutiefst personale Verständnis des Glaubens zum Tragen. Dieser wird nicht eingegossen; vielmehr sind die Sakramente im Glauben zu empfangen und ohne den Glauben wertlos.
Luther schon in Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche (1520): „Wo ein solcher Glaube nicht da ist oder erlangt wird, da hilft die Taufe nicht, sondern sie schadet vielmehr.“ In den Thesen über Gesetz und Glauben (1519) betont der Reformator, „dass die Sakramente allein durch den Glauben an Christus wirksam sind.“ In den Thesen über den eingegossenen und erworbenen Glauben (1520): Die Sakramente „gewähren die Gnade nur den Glaubenden“. Und in Wider Latomus (1521): „Ohne Glauben ist kein Sakrament von irgendeinem Nutzen.“
Ein dritter Punkt. Häufig wird heute betont, dass sich die Gegensätze zwischen Rom und den Protestanten nicht zuletzt durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) abgeschwächt haben, ja das in manchen Punkten sogar Einheit erreicht wurde. Tatsächlich haben sich die Konfession in mancher Hinsicht einander angenähert; tatsächlich werden die Anhänger evangelischen Glaubens seitdem nicht mehr pauschal als der Irrlehre Verfallene und Verlorene betrachtet. Allerdings gab es aus protestantischer Sicht eben leider auch gewaltige Rückschritte – gerade im Hinblick auf den Glauben.
In der dogmatischen Konstitution über die Kirche des II Vatikanums heißt es: „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen. Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil Notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein rechtes Leben zu führen sich bemühen.“ (Lumen gentium, 16)
Die Aussage der Sätze ist eindeutig: Persönlicher Glaube ist für das Heil nicht unbedingt notwendig. Dies wurde dadurch erreicht, dass die rettende göttliche Gnade gewaltig ausgeweitet wurde. Mit dem reformatorischen Verständnis hat dies rein gar nichts mehr gemein.
Diese zitierte Passage ist in den Dokumenten des Vatikanums kein Einzelfall. In der pastoralen Konstitution Gaudium et spes werden die geistlichen Segnungen Christi geschildert, anschließend heißt es: „Das gilt nicht nur für die Christgläubigen, sondern für alle Menschen guten Willens, in deren Herzen die Gnade unsichtbar wirkt. Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein.“ (22)
Der Katechismus zitiert aus diesem Abschnitt und fügt dann hinzu: „Jeder Mensch, der ohne das Evangelium Christi und seine Kirche zu kennen nach der Wahrheit sucht und den Willen Gottes tut, soweit er ihn kennt, kann gerettet werden. Man darf annehmen, dass solche Menschen ausdrücklich die Taufe gewünscht hätten, falls ihnen deren Notwendigkeit bewusst gewesen wäre.“ (KKK, 1260)
Rettung ohne Glauben, Rettung aufgrund des ethischen Bemühens, Rettung für die Suchenden. Hier klafft ein tiefer Abgrund zwischen Rom und reformatorischem Christsein. Rom umarmt Luther heute gleichsam, aber dessen Aussagen in den Thesen für fünf Disputationen über Römer 3,28 werden durch solche Sätze zu Makulatur.
Bei den Aussagen des II Vatikanums zeigt sich, wie aktuell noch immer Luthers Vom unfreien Willen aus dem Jahr 1525 ist. Der Reformator hielt sie neben seinen Katechismen für seine wichtigste Schrift, und sie ergänzt, ja vervollständigt all das oben Gesagte.
Luther antwortete mit dem lateinischen Werk auf Vom freien Willen, verfasst von Erasmus von Rotterdam im Jahr zuvor. Der berühmte Humanist hielt den freien Willen des Menschen für nur „verdunkelt“, aber „nicht ausgelöscht“. Er glaubte, „dass gewisse Keime des sittlich Guten von Natur im Menschen liegen und dass er infolgedessen irgendwie das sittlich Gute erkennt und erstrebt“. Der gefallene Mensch neigt „mehr zum Bösen als zum Guten“. Die „Hauptursache“ der Rettung ist der Gnade zuzuschreiben, der menschliche Wille ist nur „Nebenursache“; es ist „nur sehr wenig, was der freie Wille dabei tut“. Es ist „einiges dem freien Willen, doch das meiste der Gnade zuschreiben.“
All dies klingt eingängig und will ausgewogen sein. Luther hatte jedoch scharfsichtig erkannt, dass in Erasmus Ansatz der Wurm sitzt. Der Mensch strebe tief in sich immer noch etwas zum Guten, ein wenn auch kleiner Teil des Heils sei dem freien Willen zuzuschreiben, und eine Ursache des Heils liegt auch im Menschen.
Luther widersprach dieser nüchtern-optimistischen Sicht vehement. Der freie Wille ist ein „Gefangener und Knecht des Bösen“. Und das ist eben auch über die „Menschen guten Willens“ zu sagen. Er würde rundheraus leugnen, dass es ohne den rettenden Glauben ein von Herzen ehrliches Suchen nach Gott gäbe. Natürlich suchen Menschen nach Gott, aber bei diesen Befreiungsversuchen, so auf der Linie Luthers formuliert, versinken sie immer weiter im Sumpf.
Glaube ist eben nicht Ausdruck meiner inneren Freiheit. Er ist daher ein „Werk allein des innerlich wirkenden Geistes“ (Zur Erforschung…). Zwar hört man heute manchmal auch aus katholischem Munde, der Mensch werde allein aus Gnaden und allein durch Glauben gerettet, aber dass dies eben doch nicht die protestantischen solae sind, wird bei genauerm Hinsehen auch immer wieder deutlich. Im apostolischen Schreiben Evangelii gaudium – Die Freude des Evangeliums (2013) meinte der Papst: „Die Nichtchristen können, dank der ungeschuldeten göttlichen Initiative und wenn sie treu zu ihrem Gewissen stehen, ‘durch Gottes Gnade gerechtfertigt’ und auf diese Weise ‘mit dem österlichen Geheimnis Christi verbunden werden’.“ (254) Luther hat immer noch recht: „Von diesem Artikel kann man nicht weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde…“