Homo deus?
Ewiges Leben im Diesseits
Vor einigen Tagen gingen weltweit Hunderttausende bei „Märschen für die Wissenschaft“ auf die Straßen. Die Idee zu einem „March for Science“ war erst zu Jahresbeginn aufgekommen, um wissenschaftsfeindlichen Aussagen von Donald Trump zu begegnen. In vielen Ländern wie auch in Litauen stand aber die örtliche Situation der Hochschulwissenschaft – konkret: ihre mangelhafte Finanzierung – im Vordergrund.
Ob die Wissenschaft hauptsächlich durch die Politik bzw. einzelne Politiker gefährdet ist, gilt als umstritten, weshalb der „March for Science“ auch seine Kritiker hatte. Schließlich ist es ja nicht so, dass die Wissenschaften unter Bedeutungsmangel leiden; eher das Gegenteil ist der Fall. In einzelnen Zweigen gehen die Erwartungen weit, sehr weit.
In der Osterausgabe (16/2017) behandelte der „Spiegel“ wieder ein Thema, bei dem sich Religion und Wissenschaft begegnen: ewiges Leben – ein „Traum, der so alt ist wie die Menschheit: den Tod zu besiegen und Unsterblichkeit zu erlangen.“ Nun stehe „an der Schwelle zur klinischen Praxis“, womit sich die Grundlagenforschung lange beschäftigt hat: „Eine Vorhut von Wissenschaftlern hat den Sieg über den Tod ins Visier genommen. Demnächst soll die erste klinische Studie starten, deren Ziel die Verlängerung des menschlichen Lebens ist.“
Kritisch wird dort bemerkt, dass „auch die vermeintlich so rational denkenden Wissenschaftler oftmals nicht bereit [sind], ganz auf Unsterblichkeitsfantasien zu verzichten – nur dass sie, weil das Jenseits für sie abgeschafft ist, gezwungen sind, den Traum vom ewigen Leben ins Diesseits zu verpflanzen.“
An zwei unterschiedlichen Visionen der Unsterblichkeit auf Erden wird gearbeitet. Da ist zum einen die Vorstellung, den Körper dauerhaft gegen den Verfall zu wappnen. Die andere „wird besonders von Computervisionären propagiert. Sie finden sich mit der Vergänglichkeit des Körpers ab und setzen stattdessen darauf, das geistige Ich von seiner sterblichen Hülle zu befreien. Die Grundidee: Es gelte, den Inhalt des Gehirns auszulesen und im Computer hochzuladen. Das ‘Mind uploading’ kommt dem Aufstieg der Seele in den digitalen Himmel gleich.“
Betende Maschinen
Googles Cheffuturist Ray Kurzweil wird im Beitrag erwähnt. Er gilt als Pionier der Forschung im Bereich der „Artificial Intelligence“ (AI, künstliche Intelligenz). Kurzweil „hat sogar ausgerechnet, wie lange es noch dauern wird, bis die Technik des Hirnhochladens ausgereift ist. Das Ergebnis gibt dem heute 69-Jährigen durchaus Hoffnung, selbst noch die Wiederauferstehung im Computer zu erleben. Seiner Hochrechnung zufolge müsste Kurzweil bis zum Jahr 2045 durchhalten; er wäre dann 97.“
Schon 1999 schrieb der Computerspezialist Kurzweil in seinem Beststeller The Age of Spiritual Machines (dt. Homo S@piens): „Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden wir bald Maschinen bauen, deren Intelligenz an die der Maschine heranreicht und diese sogar überflügelt… Auch wenn man über den Zeitpunkt, wann auch immer es ist, Uneinigkeit herrscht: diese Entwicklung wird von kaum einem Beobachter, der sich eingehend mit dieser Frage beschäftigt, ernsthaft bestritten. Was die Entwicklung von Intelligenz angeht, werden Menschen die Evolution bis dahin um Längen geschlagen haben: Denn dann haben sie in wenigen Jahrtausenden erreicht, wofür die Evolution Jahrmilliarden benötigte“.
Kurzweil ging damals davon aus, dass Computer „um das Jahr 2020 die Speicherkapazität und Rechengeschwindigkeit des menschlichen Gehirns erreichen“ werden. „Vor Ablauf des nächsten [21.] Jahrhunderts wird der Mensch seine Stellung als das intelligenteste und das leistungsfähigste Wesen auf Erden verloren haben.“ Er ist sich sicher: „Wir werden unsere Gehirne Schritt für Schritt verbessern, bis der Kern unseres Denkens eines Tages ganz in die weit fähigere und verläßlichere Maschine hinüberwandern wird.“
Den Titel des Originals (Spiritual Machines) erläutert er wie folgt: „Wenn das nächste Stadium der Evolution eine neue Generation von Menschen hervorbringt, die billionenfach fähiger und komplexer sind als die heutigen, wird vermutlich auch unsere Fähigkeit zu spirituellen Erfahrungen und Einsichten an Kraft und Tiefe gewinnen… Die Maschinen des 21. Jahrhunderts – deren Denken dem menschlichen nachgebildet ist – werden dasselbe tun, was auch ihre menschlichen Vorfahren getan haben. Sie werden reale und virtuelle Gotteshäuser besuchen, und sie werden meditieren, beten und nach Transzendenz streben…“
Kurzweil ist jedoch nur ein gemäßigter Optimist, da er auch klar die negativen Seiten dieser Entwicklung sieht. Andere AI-Forscher sind dagegen enthusiastisch angesichts dieser Perspektiven. In seinem Buch zitiert er daher den warnenden Mathematiker Ted Kaczynski: „Wenn die Gesellschaft und die Probleme, denen sie gegenübersteht, immer komplexer und die Maschinen immer intelligenter werden, lassen sich die Menschen von den Maschinen immer mehr Entscheidungen abnehmen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die von Maschinen getroffenen Entscheidungen zu besseren Resultaten führen als die eigenen. Schließlich wird ein Punkt erreicht, an dem die Entscheidungen, die zur Aufrechterhaltung des Systems notwendig sind, so komplex werden, daß die Menschen selbst nicht mehr in der Lage sind, sie in intelligenter Weise zu treffen. In diesem Stadium üben die Maschinen faktisch die Kontrolle aus.“ (Kaczynski wollte als anarchistischer „Unabomber“ dieser Entwicklung mit Gewalt Einhalt gebieten; seine Bombenattentate forderten nicht wenige Tote, für die er bis heute einsitzt.)
Auch im „Spiegel“ fragen die Autoren: „Warum nur überbieten sich die Forscher mit ihren oftmals unhaltbaren Heilsversprechen? Woher kommt die Besessenheit, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen – und damit letztlich einen Kampf aufzunehmen, den der Mensch wohl nie wird gewinnen können? Gewiss, vordergründig gelten die Bemühungen der Wissenschaftler dem Versuch, die Gebrechen des Alters zu lindern; und dies ist zweifellos ein Feld, auf dem sich Erfolge erzielen lassen. Tatsächlich aber geht es vielen um mehr: In den meisten Projekten der Alternsforscher kommt mehr oder weniger explizit die Sehnsucht zum Ausdruck, das Alter an sich besiegen zu können.“
„Überreste des Göttlichen“
Weniger zurückhaltend ist da der Israeli Yuval Noah Harari, dessen Buch Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen vor einigen Wochen in Deutschland erschien (in Litauen wurde vor kurzem Sapiens veröffentlicht, ein Abriss der Menschheitsgeschichte – sein erster Bestseller). Im vergangenen Monat fand sich ein ausführliches Interview im „Spiegel“ (12/2017): „Wir werden Götter sein“.
Homo deus – der gottgleiche Mensch. „Wann wird es soweit sein?“ Harari: „Es geht eher um Jahrzehnte als um Jahrhunderte“. Den Begriff homo deus versteht er dabei durchaus „ganz wörtlich“. Gemeint ist ein Mensch, „der Fähigkeiten erlangt, die in traditionellen Vorstellungen Göttern vorbehalten sind. Manches davon haben wir längst erreicht, insofern müsste schon der heutige Mensch seinen Vorfahren wie ein Gott vorkommen. Für den größten Teil der Geschichte erwarteten die Menschen von ihren Göttern Lösungen für praktische Probleme. Man war krank, man betete zu Gott. Es fiel kein Regen, und die Ernte war bedroht, man betete zu Gott. Heute haben die Wissenschaft und der technische Fortschritt für die meisten dieser Probleme Lösungen gefunden, die viel besser sind als die unzuverlässigen Götter. Die Konzepte, die wir im 21. Jahrhundert noch mit Religionen verbinden – das Jenseits etwa oder die moralischen ‘Werte’ – sind nur Überreste des Göttlichen. Durch die ganze Geschichte hindurch haben die Religionen ihr Angebot angepasst, in einer steten Fluchtbewegung vor dem Fortschritt. Sobald sie merkten, dass ihre Hilfe am Krankenbett oder in der Landwirtschaft nicht mehr gefragt war, nahmen die Religionen neue Fantasieleistungen in ihr Angebot auf, die von der Wissenschaft noch nicht abgedeckt wurden, eben das ‘Leben nach dem Tod‘.“
An der Fähigkeit der Erschaffung von Leben „arbeitet der Mensch gerade. Ich glaube, dass die wichtigsten Produkte der Ökonomie des 21. Jahrhunderts nicht mehr Autos, Textilien und Esswaren sein werden, sondern Körper und Gehirn und Bewusstsein, also künstliches Leben. Und es gibt drei Wege, wie sich der Mensch zum Homo Deus ‘upgraden’ kann: erstens Bioengineering, zweitens Cyborgs, drittens anorganisches Leben. Wenn das gelingt, werden wir Götter sein.“
Zum „Punkt Omega“
Diese Art von ungebrochenem Optimismus der Wissenschaft hat seine Wurzeln in der Epoche der Aufklärung: Diderot, D‘Alembert, La Mettrie und andere glaubten mit geradezu religiösem Eifer an die wissenschaftliche Erkenntnis und den Fortschritt. Allwissenheit schien kein utopisches Ziel mehr. In den Jahrhunderten zuvor hatten Newton, Descartes und Bacon – alle noch Christen bzw. Theisten, anders als die Atheisten der französischen Aufklärung – die Grundlagen dafür gelegt. Sie betrachteten das Universum als große Maschine, deren Mechanismus von der Wissenschaft durchschaut werden kann.
Im Ergebnis führte die Maschinenmetapher schließlich zu einem Determinismus, wie ihn als einer der ersten Pierre Laplace (1749–1827) formulierte. Laplace glaubte, ein fiktives intelligentes Wesen (er sprach von einem „Dämon“), das alle Gesetze der Natur kennt, würde auch vollkommen Vergangenheit und Zukunft erkennen können. Auf Napoleons Frage „Wo ist denn Gott in Ihrem Weltbild?“ antwortete Laplace ungerührt: „Diese Hypothese, Sire, benötige ich nicht.“
Noch im vergangen Jahrhundert hatten die Wissenschaftler und Philosophen des Logischen Positivismus, die sich im „Wiener Kreis“ zusammengeschlossen hatten, einen äußerst großen Glauben an die Macht der Wissenschaft. Rudolph Carnap (1891–1970) meinte: „Es gibt keine Frage, deren Beantwortung für die Wissenschaft grundsätzlich unmöglich wäre“ (Der logische Aufbau der Welt).
Zu nennen ist hier natürlich auch Bertrand Russell (1872–1970). Der Atheist definierte Glauben als ein Überzeugtsein von etwas, wofür es keine Gewissheit gibt. Religion hat nichts mit Beweisen zu tun, Gläubige seien „religiös aus Gründen des Gefühls“ (Why I Am Not A Christian / Warum ich kein Christ bin). Wissenschaft dagegen, so Russell, gibt eindeutige und rationale Antworten. Der britische Philosoph meinte sogar: „Es scheint kaum eine Grenze zu geben für die Möglichkeiten, eine gute Welt schaffen zu wollen, wenn nur die Menschen die Wissenschaft weise anwenden wollen“; Wissenschaft könne „Intelligenz, künstlerische Fähigkeiten, Wohlwollen“ vergrößern, ja die menschliche Natur zum Positiven verändern: „Wenn die Wissenschaft will, kann sie unsere Enkelkinder zu einem guten Leben befähigen, indem sie ihnen Wissen, Selbstbeherrschung und Charakter verleiht…“
In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts waren solche Stimmen seltener geworden. Doch nun erleben sie eine Renaissance (s.o.). So hofft auch der berühmte britische Physiker Stephen Hawking (geb. 1942) schon eine Weile, die „große vereinheitlichende Theorie“ über alle physikalischen Grundkräfte zu finden, und dann sei das Universum im Prinzip vollständig erklärbar.
Sein Kollege Carl Sagan (1934–1996) schrieb im Vorwort zu Hawkings Bestseller A Brief History of Time / Eine kurze Geschichte der Zeit, dass dann keinerlei Raum für Gott mehr übrig sei und dieser wie von selbst verschwinden werde. Sagan, Autor des bisher meistverkauften Wissenschaftsbuchs aller Zeiten (Cosmos), war vielleicht einer der letzten großen Vertreter der klassischen aufklärerischen Tradition – für ihn war „Wissenschaft wie eine Kerze im Dunkeln“ (so der Untertitel seines The Demon-Haunted World), ein Licht im Dunkel von Aberglauben, Unwissenheit und (meist wissenschaftsfeindlicher) Religion. Das Bild einer Kerze ist für Harari, Kurzweil und andere schon viel zu bescheiden…
Eine nichtreligiöse Variante des Fortschrittsglaubens vertreten natürlich auch die säkularen Humanisten. Zu den bekanntesten gehörten Julian Huxley (1887–1975) und Paul Kurtz (1925–2012). Im Humanist Manifesto II (1973) bekennt man sich zum Atheismus und zur Selbsterlösung des Menschen („Keine Gottheit wird uns retten, wir müssen uns selbst retten“). Darin heißt es: „Durch weisen Gebrauch der Technik können wir unsere Umwelt kontrollieren, die Armut besiegen, Krankheiten deutlich verringern, unsere Lebensspanne verlängern, unser Verhalten erheblich modifizieren, den Lauf der menschlichen Evolution und der kulturellen Entwicklung verändern, riesige neue Kräfte erschließen…“
Evolution wird begriffen als fortschreitender Prozess zu einer immer besseren Welt. Der Mensch kann diesen Prozess steuern und das Paradies auf Erden schaffen. Daher gibt es im Bereich der Wissenschaft so manche extreme Optimisten. Denis Alexander schreibt in „Enhancing humans or a new creation?“ („Cambridge Paper“, June 2009) über die einflussreiche Bewegung des Transhumanismus oder Posthumanismus. Einer der ersten Vertreter war der schon erwähnte J. Huxley; und nun ist auch Harari diesen Ideen zuzuordnen. Die Anhänger des Transhumanismus glauben, dass wir die uns von der Natur bzw. Gott gesetzten Grenzen überschreiten können; der nächste Evolutionsschritt ist in unserer Hand; wir können und sollen das Leben verlängern und auf eine neue Qualitätsstufe heben. Simon Young: „Das Vorantreiben der menschlichen Evolution durch Fortschritte in der Biotechnologie ist nicht nur möglich, sondern unvermeidlich.“ (Zum Transhumanismus s. auch R. Kubsch Beitrag „Die Entwertung des Menschlichen“.)
Ein Schlüsselbegriff der Transhumanisten ist „enhancement“ – Verbesserung, kosmetische, genetische, kognitive Vervollkommnung des Menschen. All dies ist keine science fiction mehr: schon heute benutzen Massen von amerikanischen Studenten diverse chemische Mittel, um bei Prüfungen ihre mentale Leistungsfähigkeit künstlich zu erhöhen („Gehirndoping“).
Manche religiösen Sondergruppen oder Sekten blicken ebenfalls äußerst optimistisch in die Zukunft wie z.B. die Mormonen. Auch die meisten Anhänger von New Age, New Thought und Positivem Denken sind radikale Optimisten. Da man an geradezu göttliche Kräfte des Menschen glaubt, kann dieser angeblich auch eine Art Paradies auf Erden herbeiführen. Im New Age-Musical „Hair“ (1967) heißt es im Aquarius-Song: „Harmonie und Recht und Klarheit! / Sympathie und Licht und Wahrheit! / Niemand wird die Freiheit knebeln, / Niemand mehr den Geist umnebeln. / Mystik wird uns Einsicht schenken, / und der Mensch lernt wieder denken, / Dank dem Wassermann, dem Wassermann!“
Ein völlig neuer Abschnitt in der Geschichte der Menschheit stehe bald bevor, ein „besseres Zeitalter“ breche an. Gerne benutzt wird der Begriff Evolution (gerade auch bei R. Byrne, N.D. Walsch u.a.), der aber mit dem der Biologie kaum etwas zu tun, vielmehr radikal vergeistlicht wird. Der Mensch könne vom niederen zu höherem Bewusstsein emporsteigen, ein Sprung nach Oben werde stattfinden, da die göttliche Energie die Entwicklung nach oben zieht; Menschen werden zur Göttlichkeit heranwachsen.
„Geistliche Evolution“ ist einer der Kernbegriffe der zeitgenössischen Spiritualität. Einflussreich war hier vor allem auch der Jesuit und Forscher Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955); diese Evolution kulminiert bei ihm im „Punkt Omega“, wenn die Menschheit den Durchbruch zur Göttlichkeit erreicht haben wird.
Unsere letzte Stunde?
Auch wenn der philosophische Postmodernismus durchaus kritisch zu bewerten ist, so gehört doch die Entgötterung der modernen Wissenschaft zu seinen Verdiensten. Hier ist natürlich Jean-Francois Lyotards (1924–1998) La Condition postmoderne / Das postmoderne Wissen (1979) zu nennen. Ein paar Jahre zuvor hatte schon Paul Feyerabend (1924–1994) mit Against Method / Wider den Methodenzwang (1975) provoziert: „Es gibt keinen klar formulierbaren Unterschied zwischen Mythen und wissenschaftlichen Theorien. Die Wissenschaft ist eine der vielen Lebensformen, die die Menschen entwickelt haben, und nicht unbedingt die beste. Sie ist laut, frech, teuer und fällt auf.“ Die Wissenschaftler haben „mehr Geld, mehr Autorität, mehr Sexappeal als sie verdienen… Es ist Zeit, sie in ihre Grenzen zu verweisen.“ Feyerabend forderte die Gesellschaft auf, sich „aus dem Würgegriff einer ideologisch erstarrten Wissenschaft zu befreien“. Und: „Die Behauptung, außerhalb der Wissenschaft gäbe es keine Erkenntnis – extra scientiam nulla salus, – ist nichts als ein weiteres und höchst bequemes Märchen“.
So radikal dachten und denken nicht alle Wissenschaftstheoretiker. Aber auch Karl R. Popper (1902–1994) – wahrlich kein Postmodernist! – stellte fest, dass die Wissenschaftler nur „raten“, bloß vermutend in ihrer Erkenntnis fortschreiten. Er betonte: „Alle großen Wissenschaftler waren der Wissenschaft gegenüber skeptisch, vorsichtig. Sie haben gewusst , wie wenig wir wissen.“ (Popper/Lorenz, Die Zukunft ist offen) Und Thomas S. Kuhn (1922–1996) sprach in seinem wichtigen Werk The Structure of Scientific Revolution / Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962) von „Puzzlen“, die der Wissenschaftler als „Rätsellöser“ versucht zu durchschauen. Ein Bild, das z.B. einem Diderot kaum in den Sinn gekommen wäre!
Popper blieb ein gemäßigter Optimist und betonte, dass „die Technik uns befreit hat“; er wandte sich gegen diverse „Propheten des Untergangs“ und Technologiefeinde. Denn in der Ecke der Esoterik und Sekten gibt es natürlich genug davon. Aber selbst einer der heute angesehensten Wissenschaftler, der Astrophysiker Sir Martin Reese, schreibt in Our Final Hour / Unsere letzte Stunde (2003): „Die Chance, dass unsere gegenwärtige Zivilisation auf der Erde das Ende des gegenwärtigen Jahrhunderts noch erlebt, ist, glaube ich, nicht höher als fünfzig zu fünfzig“. Reese weist auf die zahlreichen fehlgeschlagenen Prognosen der Wissenschaftler hin; zahlreiche Erfindungen und Entdeckungen waren kaum geplant und nicht vorausgesehen. Und er betont, dass viele Wissenschaftler geradezu blind für die positiven wie aber auch negativen Folgen ihre Entdeckungen waren und sind (er nennt als Beispiele Atomenergie, Radio und Computer). Und ähnlich wie Ray Kurzweil, einer der Pioniere der Computertechnik, in The Age of Spiritual Machines warnt Reese: „Eine superintelligente Maschine könnte die letzte Erfindung sein, die Menschen überhaupt machen. Wenn Maschinen erst einmal der menschlichen Intelligenz überlegen sind, könnten sie sich selbst konstruieren und eine neue Generation von noch intelligenteren Maschinen bauen.“
„I can fix it“
Die Hybris einer Wissenschaft, die Gott leugnet und sich vor ihm nicht verantworten will, sich an seine Stelle setzt und selbst Gott spielt, wird uns auch in zahlreichen Filmen vor Augen geführt. Verfilmte science fiction-Romane wie „Blade Runner“, „Minority Report“, „A.I.“ oder „Children of Men“ (so die Filmtitel) zeichnen ein düsteres, beklemmendes Bild der Zukunft. Technisch ist in ihnen die Menschheit weit vorangekommen; auch hier scheinen manche Übel (wie das Verbrechen in „Minority Report“) vollständig beseitigt zu sein. Doch wer möchte schon in diesen Welten leben (in „Blade Runner“ z.B. regnet es nur, und das ist noch die harmloseste Neuerung der Zukunft)?!
„Bedeutet dies, dass wir den Krebs besiegt haben?“ fragt in „I Am Legend“ (2007) eingangs eine TV-Journalistin etwas ungläubig die Virologin Kripin (dargestellt von Emma Thomson). „Ja“, meint die Wissenschaftlerin verschämt und stolz zugleich. Dank modernster Gentechnik sei es nun gelungen, ein Virus so umzuprogrammieren, dass es nicht Schaden anrichtet, sondern Leben rettet. Kripin vergleicht das Virus mit einem Auto: die entscheidende Frage sei, wer am Steuer sitzt – ein guter oder ein böser Fahrer. Es sei ihr gelungen, einen guten Fahrer in das Virus zu platzieren.
Nach dieser Eingangsszene springt „I Am Legend“ einige Jahre in die Zukunft ins Jahr 2012. Robert Neville (Will Smith) ist der einzige Überlebende in New York. Drei Jahre schon hält der Militärwissenschaftler mit seiner Schäferhündin die Stellung in der Stadt. Er besitzt Immunität gegen das Kripin-Virus, das sich nicht als Lebensretter, sondern als gigantischer Lebensvernichter erwiesen hatte. Kripin hatte eben keinen guten Fahrer erwischt, sondern einen wahrlich dämonisch bösen.
„I Am Legend“ war schon die dritte (und recht freie) Verfilmung von Richard Mathesons Roman aus dem Jahr 1954 (nach The Last Man on Earth, 1964, und The Omega Man, 1971). Regisseur Francis Lawrence hat die Handlung von 1976 ins Jahr 2012 verlegt, von Los Angeles nach New York. Die dark seekers wurden von Vampiren zu Zombies. Auch die Hauptfigur, Neville, gewinnt im Film eine andere Rolle und wird – natürlich – der große Held der Ereignisse (der Filmschluß unterscheidet sich deutlich von der Romanversion).
Noch viel deutlicher als das Buch betont der Film vor allem eine pessimistische Linie: eine sehr nüchterne Sicht der Wissenschaft. Der Krebs wurde nicht besiegt, es kam dagegen noch viel schlimmer. In Rückblenden wird gezeigt, wie Neville 2009 als führender Virologe noch hofft, die Epidemie mit Hilfe seiner Experimente eindämmen zu können. „Ich kann euch retten! Ich kann alle retten!“ meint er sogar noch, als über ganz Manhatten einer Quarantäne verhängt wird. Selbst nach den Milliarden von Toten glaubt Neville immer noch: „I can fix this“ – ich bekomme das wieder hin. Doch seine jahrelangen Versuche an Ratten und dark seekers führen zu keinem Ergebnis.
„I Am Legend“ zeigt, wie gute Absicht und (immer relative) menschliche Weisheit dennoch in der Katastrophe enden können. Die Wissenschaft ist nicht der Erlöser und nicht das Licht. Und irrationale Gewißheit, vermeintlich untrügliche Intuition gibt es sowohl im Glauben, als auch in der Wissenschaft. Der Film endet mit einer Art Rehabilitierung des Glaubens und führt auf die richtige Fährte. Ganz im Sinne von Johannes Paul II: „Die Wissenschaft kann die Religion von Irrtum und Aberglauben befreien; die Religion kann die Wissenschaft vom Götzendienst und von falschen Absolutierungen befreien.“
Aktueller Film zum Thema: Ghost in the Shell.