Dekonstruktion des Erfolgs
Bei Problemen und moralischen Herausforderungen im Alltag gilt es abzuwägen und gut nachzudenken, um zu guten Entscheidungen zu kommen. Doch auch wenn wir dann ethisch gute und gottwohlgefällige Schritte tun, heißt dies nicht, dass wir immer mit Erfolg gesegnet sein werden. Es bedeutet nicht, dass Gott unser einwandfreies Verhalten mit einem gelingenden Leben ‘belohnen’ muss. Dies müssen Christen beachten, denn die „Tyrannei des gelingenden Lebens“ hat auch uns infiziert.
Das menschliche Herz ist eine „Götzenfabrik“ wie Johannes Calvin sagte. Und es tauchen immer neue Götzen auf. Der britische Theologe Chris Wright nannte auf dem dritten Kongress für Weltevangelisation in Kapstadt im Herbst 2010 drei Paare: Macht und Stolz, Wohlstand und Gier sowie Popularität und Erfolg. Und er betonte: der Götzendienst der Christen ist das größte Hindernis der Weltmission.
Wright erwähnte den Erfolg. Neben materiellem Glück ist Erfolg wohl einer der großen Götzen unserer Zeit. Wir huldigen heute besonders dem Erfolgskult, wir lieben gerade die Erfolgreichen. Wir lesen die zahlreichen Bücher, die uns so gut wie unfehlbare Wege zum Erfolg weisen. Glänzende Resultate müssen her, und das vor allem im Berufsleben. Deutliche Spuren hinterlässt dies Denken auch im Bereich Erziehung und Bildung; ähnliches gilt für Evangelisation und Mission. Seit Charles Finney im 19. Jhdt. glauben viele, dass man nur die richtigen Techniken einsetzen muss – und Erfolg stellt sich in der Evangelisation ein. Man denke auch an das „Gebet des Jabez“ und Bruce Wilkinsons gleichnamiges Buch, das einen fast schon automatischen Weg zum Segen vorgab.
Der Erfolg als solcher ist natürlich nichts Übles, wird an manchen Stellen in der Bibel erwähnt (Jos 1,7-8; 1 Sam 18,5; 1 Chr 29,23; 2 Chr 7,11). Natürlich finden sich auch in den erwähnten Erfolgsbüchern viele Wahrheiten. Und in der Bibel gilt die allgemeine Regel, dass ein Leben im Rahmen von Gottes Ordnungen und Gehorsam gut für uns sind, also in gewissem Sinne uns Nutzen bringt. Es wird dann problematisch, wenn wir unser Vertrauen nicht auf Gott setzen, sondern auf Erfolgsgesetze. Auch dann, wenn wir den Glauben für unsere Zwecke einspannen, d.h. als Weg zu Macht und Erfolg betrachten. Wenn wir ihn als Weg sehen, um an das zu kommen, was wir unbedingt haben wollen.
Wright betonte in Kapstadt, dass die Warnungen vor Götzendienst in der Bibel meist an das Volk Gottes gerichtet werden, nicht an die heidnischen Götzendiener. Daher müssen sich heute auch Christen selbstkritisch fragen: Welche Wertmaßstäbe übernehmen wir aus der Welt? Welchen Götzen laufen wir hinterher? Wir müssen nüchtern sehen, welchen Einfluss nichtchristliche Grundsätze auch auf die Jüngerschaft haben. Wir betrachten an einem Beispiel aus dem Alten Testament, was Nachfolge und Dienst als von Gott Berufene heißt – und wie der Erfolgsgötze zertrümmert wird.
„Wen soll ich senden?“
Ein junger Mann mit hervorragenden Karriereperspektiven war Jesaja. Der „Sohn des Amoz“ gehörte Mitte des 8. Jhdt. v. Chr. zur jungen Elite in Jerusalem, war wohl sogar mit dem Königshaus verwandt (so zumindest die jüdische Tradition). Im Todesjahr von König Usija stellt Gott sein Leben auf den Kopf. Er schenkt ihm eine Vision von Gottes Herrlichkeit im Tempel; er sieht Serafim, Engel, die „heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“ rufen – so mächtig, dass das ganze Gebäude bebt (Jes 6,3–4).
Im Angesicht Gottes erkennt Jesaja seine Schuld: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen“. Beim Lesen des Buches Jesaja erkennt man auch heute, dass der Prophet ein Meister des Wortes war. Und nun tut der virtuose Redner Buße für das, worauf er wohl am meisten Stolz war: seine Worte. Anschließend wird er symbolisch von einem Engel mit einer glühenden Kohle gereinigt, d.h. ihm wird seine Schuld vergeben. Die weitere Berufungsgeschichte des Propheten (V. 8–13):
„Danach hörte ich die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen? Ich antwortete: Hier bin ich, sende mich! Da sagte er: Geh und sag diesem Volk: Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen. Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopf ihm die Ohren, verkleb ihm die Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird. Ich fragte: Wie lange, Herr? Er antwortete: Bis die Städte verödet sind und unbewohnt, die Häuser menschenleer, bis das Ackerland zur Wüste geworden ist. Der Herr wird die Menschen weit weg treiben; dann ist das Land leer und verlassen. Bleibt darin noch ein Zehntel übrig – auch sie werden schließlich vernichtet, wie bei einer Eiche oder Terebinthe, von der nur der Stumpf bleibt, wenn man sie fällt. [Ihr Stumpf ist heiliger Same.]“
Hier im zweiten Teil der Berufungsgeschichte wendet sich Gott selbst an den Propheten. Auch das unterstreicht: Gott und Mensch sind dank der Vergebung wieder in direkter Gemeinschaft, eine Vermittlung durch einen Engel ist nicht mehr nötig. Gott fragt, wen er senden soll, und Jesaja stellt sich bereitwillig zur Verfügung. Allerdings kündigt ihm Gott an, dass sein Dienst nicht von Erfolg gekrönt sein wird: das Volk wird nicht hören wollen, sich innerlich verschließen, „damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird“ (V. 10). Jesaja akzeptiert auch dies, fragt aber nach, wie lang diese Verstockung andauern wird: „Wie lange, Herr?“
Die letzten Verse kündigen dann die Vertreibung der Israeliten an: gut einhundert Jahre später wurden (nach dem Nordreich) auch die Einwohner des Südreichs Juda in Etappen nach Babylon verschleppt. Der Auftrag endet aber mit einem Bild der Hoffnung: der Baum wird fallen, d.h. das Volk wird sein Land verlieren; doch aus dem Stumpf wird neues Leben wachsen, die Geschichte Gottes mit seinem Volk wird so nicht enden. Wir wissen, wie sich diese Prophezeiung dann erfüllte (Rückführung der Juden aus Babylon usw.). Einige Beobachtungen zum Text:
Gott hat ein Recht uns zu senden
Jesaja stellt sich Gott zur Verfügung, denn er hat begriffen: durch sein vergebendes Handeln hat Gott ein besonderes Eigentumsrecht an ihm erworben. Gott ist natürlich in einem weiteren Sinn Eigentümer seine gesamten Schöpfung. Alle von Gott Geretteten sind jedoch in einem besonderen Sinn sein Besitz. Mehrfach heißt es dann im Neuen Testament, dass Christen Gottes Eigentum sind (Eph 1,14; Tit 2,14; 1 Pt 2,9), denn Christus hat die Heiligen mit seinem Blut „für Gott erkauft“ (Off 5,9). Und über seinen Besitz kann der Besitzer frei verfügen. Gerade das ist ja das wichtigste Merkmal von Besitz. Gott hat also als Besitzer ein besonderes Recht an uns und kann uns daher auch senden, wohin er will. Umso erstaunlicher ist, dass Gott Jesaja nicht einfach einen Befehl gibt, sondern ihn geradezu bittet, d.h. seine Zustimmung hören möchte.
Dies ist eine Herausforderung an uns, denn unsere Kultur sagt heute etwas ganz anderes: Du allein bist deines Lebens Steuermann, Kapitän, Besitzer; du hast dein Leben in der Hand und musst etwas daraus machen: dein Erfolg ist ganz in deiner Hand.
Doch dies ist in Wirklichkeit keine gute Nachricht. Ein Trost oder genauer unser „einziger Trost im Leben und im Sterben“, wie der Heidelberger Katechismus in seiner ersten Frage sehr gut sagt, ist vielmehr folgender: „Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem treuen Heiland Jesus Christus gehöre, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels befreit hat…“
Gott sendet jeden Christen
Im AT berief Gott einzelne Propheten, damit sie seine besondere Botschaft an das Volk richten. Im NT kann und soll dann jeder Christ die Worte Jesajas „Hier bin ich, sende mich!“ mitsprechen. Denn alle Christen sind von Christus gesandt (Joh 20,21). Die Worte des Missionsbefehls („geht hin“) in Mt 28,19–20 gelten allen Christen. Alle Glieder des „[von Gott] erwählten Volkes“ sollen Gottes „große Taten“ (1 Pt 2,9) verkündigen, ob durch das Leben (1 Pt 2,12) oder durch Worte (1 Pt 3,15). Alle Christen sind zum Dienst im Reich Gottes berufen, alle sind für Gott nützlich – ob nun in einem vollzeitlichen Dienst in der Gemeinde oder im ‘weltlichen’ Beruf, im Heimatland oder Ausland.
Gott benutzt den Nutzlosen
Der stolze junge Mann Jesaja musste erkennen, dass seine wunderbaren Gaben wie des Wortes und der Rede ihm vor Gott nichts bringen. Auch der Vertreter der Elite mit samt seinen Fähigkeiten vergeht vor Gott. Doch nach seiner Buße und Umkehr in der Gottesbegegnung wird er auf einmal von Gott gebraucht. Er, der Herr des Universums, der an sich keinerlei Hilfe nötig hat, der alle Aufgaben eigentlich auch allein erledigen könnte, verkündigt nun: ich habe hier eine offene Stelle; wer will den Job annehmen und mir helfen? Diejenigen, die sich vor Gott demütigen und sich von ihm helfen lassen, diese erhalten das große Privileg, für ihn arbeiten zu dürfen.
Gott macht schwerhörig und verklebt die Augen
„Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopf ihm die Ohren, verkleb ihm die Augen…“ Gott will tatsächlich in gewissem Sinn, dass diese Menschen nun nicht umkehren. Hier ist in anschaulicher Sprache von Verstockung die Rede, von der die Bibel ja gar nicht so selten berichtet (das bekannteste Beispiel ist wohl der Pharao beim Auszug von Ägypten). Wir finden überraschend zahlreiche Stellen im Wort Gottes, wo es heißt, dass Gott souverän beschlossen hat, vor bestimmten Menschen die Wahrheit zu verbergen, damit diese nicht glauben; recht häufig ist zu lesen, dass Gott aktiv Herzen verhärtet und Gehör verschließt (Ex 4,21; Dt 2,30; 29,3; Jes 29,9–10; 63,16–17; 1 Sam 2,25; 2 Sam 24,1; Mt 13,11–15; 11,25–27; Joh 12,38–40; Apg 28,25–27; Röm 9,17; 11,7; 2 Kor 3,14; Jud 4).
Dies ist eine besonders harte Nuss für uns Christen, da auch Jesus hier keine Ausnahme bildet. In Mt 13,14–15 erläutert er den Sinn seiner Gleichnisreden und zitiert genau Jes 6,9–10. Jesus nannte sein Volk verstockt, und tatsächlich kehrten die Juden ja nicht in ihrer Ganzheit um. Jesus wollte damit jedoch nicht sagen, dass kein Einzelner die Möglichkeit der Umkehr hat. Denn immerhin folgten Tausende dem Ruf des Evangeliums. Paulus diskutiert diese Fragen dann in Röm 9–11. Trotz des Schleiers vor den Augen hat Gott sein Volk nicht verworfen (11,2); wie Paulus selbst kamen und kommen immer noch einzelne („ein Rest“, 11,5) zum Glauben; und eines Tages „wird ganz Israel gerettet werden“ (11,26).
Gott bekräftigt hier in Jes nur, was auch sonst die ganze Bibel unterstreicht: Er lenkt souverän die gesamte Geschichte und somit auch die Geschicke der einzelnen Menschen. Das ist heute, in einer Zeit in der unsere Freiheit und Souveränität über das eigene Leben großgeschrieben werden, natürlich mega-out. Und tatsächlich läuft bei diesen Worten ein Schauer der Ehrfurcht über den Rücken. Doch positiv heißt dies eben auch: das Heil liegt wirklich in Gottes Hand, nicht in unserer. Es hängt letztlich von Gott ab, der dieses Heil schafft und garantiert. Paulus in Röm 9,14–16:
„Welchen Schluss sollen wir nun daraus ziehen? Ist Gott etwa ungerecht? Niemals! Er sagt ja zu Mose: ‘Wenn ich jemand mein Erbarmen schenke, tue ich es, weil ich Erbarmen mit ihm habe; wenn ich jemand mein Mitleid erfahren lasse, geschieht es, weil ich Mitleid mit ihm habe.’ Es liegt also nicht am Menschen mit seinem Wollen und Bemühen, sondern an Gott und seinem Erbarmen.“
Jesaja sollte trotz dieser düsteren Aussichten dennoch verkündigen. Heute gilt ja Ähnliches. Wir sollen das Evangelium allen predigen – egal, ob die Hörenden positiv oder negativ reagieren. Außerdem wissen wir nun nicht, wie düster unsere Aussichten sind; wir haben ja keine Kenntnis darüber, wie viele und wer genau die Verstockten sind. Jeder Saulus kann auch heute zu einem Paulus werden. Gott muss ‘nur’ die verklebten Augen öffnen. Das gibt eine gewisse Ruhe und Gelassenheit. Wir müssen nichts auf Teufel komm raus produzieren. Es ist unsere Verantwortung, klar, verständlich und überzeugend das Evangelium weiterzusagen, doch wir brauchen uns nicht verrückt zu machen, wenn keine Massen in unsere Gemeinde strömen und keine Erweckung ausbricht. Immer ist zu beten: Gott, öffne du dem Menschen die Augen und Ohren.
Gott beruft zum erfolglosen Dienst
Man könnte ja denken, dass Gott mit diesem Vertreter der jungen Elite nun gleich Großes vorhat – eine kleine Erweckung oder Bußbewegung muss ja mindestens drin sein. Aber nein, im Gegenteil. Die Demütigung Jesajas ist nicht auf das Schuldbekenntnis begrenzt (V. 5), sie geht weiter. Gott lässt ihn wissen, dass seine Botschaft nicht zu einem großen geistlichen Aufbruch führen wird. Die Menschen haben bisher nicht gehört, sie werden auch in Zukunft nicht hören. Das war sicher ungeheuer schwer für Jesaja, denn er wollte in seiner Heimat sicher etwas bewegen. Daher auch seine verständliche Rückfrage: Und wie lange soll das so gehen??
Sich abrackern ohne Aussicht auf Erfolg – heute ist dies umso mehr eine Provokation fast ohnegleichen. Schließlich sind wir erfolgsverliebt. Auch im kirchlichen und geistlichen Bereich hat sich dieser Virus weit verbreitet. Expandiert eine Gemeinde, muss der Segen Gottes auf ihr liegen; verkauft sich ein Buch bestens, muss die Theologie darin vom Geist gewirkt sein; und wächst die Gemeinde nicht, kann der Pastor ja nur ein schlechter sein. Der Dienst im Reich Gottes wird viel zu sehr an säkularen Erfolgskriterien gemessen; schnell müssen gut sichtbare Ergebnisse her. Nicht selten hört man: tue dies und jenes, was Gott verlangt, und er wird dich bestimmt segnen und gewiss Erfolg schenken.
So meint z.B. Bestsellerautor Rick Warren in einem Artikel (zu Josua 23): „Es gelingt dir aus dem Grund nicht, weil du oft das tust, was du selbst willst – nicht das, was Gott will, dass du es tun sollst. Gott garantiert [!] Erfolg, wenn du das tust, wozu er dich auf diese Erde geschickt hat.“ Es stimmt natürlich: Wenn wir nicht dem klaren Willen Gottes folgen, ungehorsam sind, führt dies zu vielen Problemen. Und es ist, wie eingangs gesagt, grundsätzlich gut und nützlich für uns den Prinzipien und Ordnungen Gottes zu folgen. Doch sagt Gott allen Christen heute Erfolg zu, wenn sie denn nur gehorsam sind? Ich kann solche Erfolgs- und Segensgarantien in der Bibel nicht finden.
Welche Zusagen hat Gott uns wirklich gegeben? Eindeutig ist Christen zugesagt, dass sie Verfolgung erleiden müssen (2 Tim 3,12); dass sie also ganz gewiss Widerstand, Verachtung, Spott usw. erfahren werden; dass sie „durch viel Bedrängnisse“, viel Schweres, in das himmlische Reich Gottes gelangen werden (Apg 14,22). Ganz anders als unsere Erfolgsprediger erinnerte Calvin daran: „Wen der Herr zum Kind angenommen und der Gemeinschaft mit den Seinen gewürdigt hat, der muss sich auf ein hartes, mühseliges, unruhiges Leben gefasst machen, das von gar vielen und vielerlei Übeln erfüllt ist.“ (Inst. III,8,1)
Sicher müssen wir in der Bewertung von Erfolgen und Misserfolgen genau hinsehen und dürfen nicht zu vorschnellen Urteilen kommen. Manche Misserfolge sind auf unsere Dummheit, auf unseren Mangel an Weisheit und auch Kenntnissen zurückzuführen; auf unsere Taktlosigkeit oder auch darauf, dass wir nicht entsprechend unserer Gaben arbeiten. Daher sind so manche Fehlschläge auch vermeidbar. Aber es kann eben auch sein, dass Gott zu einem erfolglosen Dienst beruft – für eine kurze oder lange Weile. Dieser Misserfolg ist jedoch ein relativer, d.h. ein Misserfolg aus unserer menschlichen Perspektive und zu unseren Lebzeiten. Jesaja war ja in gewissem Sinne langfristig ein erfolgreicher Autor, denn sein Buch lesen heute, zweieinhalb Jahrtausende später, Millionen mit großem Gewinn. Und wir kennen die Geschichten von Missionaren, die während ihres Dienstes so gut wie keine Früchte sahen – die wuchsen dann erst Generationen später. Was in ihrem Leben ein Scheitern war, benutzte Gott auf seine souveräne Weise.
Gott beruft zum treuen Dienst
Gott kann Erfolg, Früchte und Segen schenken. Aber er wird unseren Dienst nicht am Erfolg messen, sondern ob wir seinem Auftrag treu waren. Dies gilt grundsätzlich für unser Tun als Christ. Wir sind aufgefordert, seinen klaren und eindeutigen Geboten zu folgen, egal welche Ergebnisse dies in der Zukunft hat. Wir sollen die Aufgaben tun, die er uns vor die Füße legt – nicht mehr und nicht weniger.
Dies gilt nicht nur für den Dienst in der Gemeinde. Gott erwartet nicht, dass ich meine Kinder zu Mathematikgenies und Vorbildmissionaren erziehe. Und wenn alle Kinder ein Hochschulstudium beenden und tolle Karrieren hinlegen, heißt dies noch lange nicht, dass die Eltern in der Erziehung Gott treu waren. Umgekehrt kann es sein, dass die Eltern vorbildliche, missionarische, eben treue Christen sind, und der Nachwuchs eine Laufbahn als Punker einschlägt.
Immer ist zu fragen: Was fordert Gott wirklich von uns? Und was ist Forderung unserer Kultur, der Gesellschaft, der Medien usw.? Gott erwartet, dass Mann und Frau in einer Ehe sich ein Leben lang treu sind, sich lieben und achten und in schweren Zeiten einander beistehen. Ein Herz und eine Seele, immer Harmonie und eitel Sonnenschein, die Liebe pur – das ist heute das Ideal. Und wenn man sich eben nicht mehr so phantastisch versteht und „auseinandergelebt“ hat und die Liebe irgendwie verflogen ist, dann kommt eben der nächste Lebensabschnittspartner dran. Wir sind aber nicht zum ehelichen Erfolg, auch nicht zum höchsten ehelichen Glück auf Erden, sondern zur ehelichen Treue, zu aktiver Liebe berufen. Auch hier gilt: eine besonders erfüllte, glückliche und harmonische Ehe ist ein Geschenk Gottes. Ist uns aber nicht so ein ‘Erfolg’ geschenkt (und das ist natürlich in gewisser Weise auch ein Geschenk, das erarbeitet ist), heißt dies noch lange nicht, dass man ein schlechter Christ ist.
Gott gibt Hoffnung
Wie kann man so einen frustrierenden Job wie Jesaja ihn erhielt aushalten? Ist dies nicht völlig unmöglich? Herr, wie lange – muss man dies nicht fragen? Doch nicht zufällig endet die Berufungsgeschichte mit einem Bild der Hoffnung: die Bäume werden abgehackt, aber aus dem Stumpf wird ein neuer Trieb wachsen. Diese Hoffnung ist von Gott gegeben, er selbst ist letztlich diese Hoffnung. Nichtgläubige haben nur eine äußerst begrenzte Hoffnung: „Wenn der gottlose Mensch stirbt, ist seine Hoffnung verloren“ (Spr 11,7). Christliche Hoffnung beruht darauf, dass Gott wirklich da ist und tatsächlich tun kann und wird, was er vorhersagt.
Die Verbannten in Babylon waren auch ganz frustriert: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber“ (Jes 40,27). Ja, er lässt Unrecht in gewissem Rahmen zu, hat damit aber ein positives Ziel: Wir sollen in Schwierigkeiten, Leid, Misserfolgen Hoffnung und Glauben lernen. Keiner soll sich blenden lassen von Macht auf Erden und diesseitigem Erfolg, denn „er gibt die Fürsten preis, dass sie nichts sind, und die Richter auf Erden macht er zunichte: Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum hat ihr Stamm eine Wurzeln in der Erde, da lässt er einen Wind unter sie wehen, dass sie verdorren, und ein Wirbelsturm führt sie weg wie Spreu“ (Jes 40,23–24) – eine wirklich radikale Denkonstruktion von irdischem Erfolg!
Christliche Hoffnung blickt über den Tod hinaus, sie ist „Hoffnung auf das ewige Leben“ (Tit 1,2). Sie garantiert keinen Erfolg in diesem Leben, aber es wird uns wie Jesaja 40,12f zugesichert, dass der Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte in allen Lagen Kraft schenkt. Den Juden in Babylon und auch uns ruft er ermahnend und tröstend zugleich zu (V. 28–31):
„Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt den Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müden und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“
(Bild o.: Marc Chagall, der Prophet Jesaja, 1968)