Kalte Dusche
Anfang Februar reichte der ukrainische Wirtschaftsminister Aivaras Abromavičius seinen Rücktritt ein. Im Dezember 2014 hatte der Litauer die Staatsbürgerschaft der Ukraine erhalten, um Teil des internationalen Reformteams in der Regierung Jazenjuk zu werden. Der in Vilnius geborene Abromavičius, heute vierzig Jahre alt, studierte nach der Schule an der Concordia International University Estonia (heute International University Audentes), lebte sieben Jahren in Schweden und vor seinem Amt in der Regierung schon eine ganze Weile in der Ukraine. Er arbeitete für die Hansabank und als Finanzinvestor. Seit 2008 ist Abromavičius mit einer Ukrainerin verheiratet.
Als Minister sah sich Abromavičius nicht als Politiker in erster Linie, sondern als Krisenmanager. Er entließ die Hälfte der Mitarbeiter im Ministerium und setzte ganz auf neue Leute „ohne verdorbenes Denken“. Wer vor dem „Maidan“, also vor dem Februar 2014, im staatlichen Apparat tätig war, wurde von ihm grundsätzlich nicht angestellt. Zu seinem Team gehörte auch Adomas Audickas, der ehemalige litauische Vizeminister für Wirtschaft – jung (Jahrgang 1982), aber äußerst kompetent und reformerfahren.
Eine der großen Herausforderungen in der Ukraine ist die Privatisierung der zahlreichen Staatsunternehmen. Hier machte das Ministerium unter Abromavičius deutliche Fortschritte, doch immer wieder zeigte sich, wie eines der Hauptübel des Landes, die immer noch wuchernde Korruption, Prozesse behinderte. Anlass für den Rücktritt war nun der Versuch des Vize-Fraktionschefs der Partei von Präsident Poroschenko, Igor Kononenko, dem Minister einen Stellvertreter aufzudrängen, der für das staatliche Gasunternehmen Naftogaz zuständig sein sollte.
Im aktuellen „Spiegel“ (7/2016) wie auch in der Sendung „Dėmesio centre“ des litauischen öffentlich-rechtlichen Kanals LRT von vor einigen Tagen sprach Abromavičius von einer „kalten Dusche“, die sein Abtritt auslösen sollte. „Die Ukraine steht zwei Schritte vor dem Abgrund oder zwei Schritte vor dem Durchbruch. Wir brauchen einen Point of no Return, hinter dem es mit den Reformen nur noch vorwärtsgeht“, so im deutschen Nachrichtenmagazin.
Abromavičius hat damit nur das laut gesagt, was alle schon gewusst und worüber viele schon geredet haben. Es geht vor allem um den Protektionismus bei der Vergabe von Leitungsposten in staatlichen Unternehmen. Der in der LRT-Sendung zugeschaltete Abromavičius (s. Bild ganz o.) erläuterte, dass er die Ukraine in einer „sehr tiefen Krise“ sieht, „und ihre Wurzeln liegen tief“, eine „Krise des Vertrauens und der Werte“. Die Menschen in der Ukraine vertrauen ihrer Regierung nicht.
Möglich, dass der Rücktritt des geborenen Litauers ein sehr nüchtern kalkulierter Schritt war. Abromavičius klingt nämlich nicht resigniert, betont vielmehr gerne die positiven Folgen seines Rücktritts. So stehen nun einige Parteien im Parlament den Privatisierungen wohlwollender gegenüber. Und mehrere Reformgesetze wurden vom Präsidenten unterzeichnet.
Abromavičius hofft nun, dass im Sog der Regierungskrise einige wichtige Schritte umgesetzt werden können. Dazu gehören höhere Löhne für Ministerialbeamte. Der Minister verdiente gerade einige Hundert Dollar, was in seinen Worten die „völlig falsche Strategie“ ist, nämlich geradezu in die Bestechlichkeit treibt. Abromavičius und andere Reformgesinnte schlagen eine Regierung der Technokraten vor, ganz ohne durch die bisherige ukrainische Politik „Belastete“. Denn wer zwanzig Jahren keine Reformen durchgeführt hat und sich bestechen ließ, wacht nicht eines Morgens auf und macht alles anders, so Abromavičius.
Auf russischen Propagandaseiten wie Sputnik wird natürlich genüsslich über den Rücktritt des Ex-Litauers und jeden Aspekt der Krise in der Ukraine berichtet. Je düster die Lage beim südlichen Nachbarn Russlands erscheint, desto besser. Vor allem wird so verschleiert, dass sich die Ukraine wenigstens auf den Weg der Reformen begeben hat – wenn er auch hart und stolprig ist. Der litauische Außenminister Linas Linkevičius ist einer der besten Kenner der Lage im Land, unterstützen die Litauer doch nach Kräften mit Beraterpersonal die ukrainischen Behörden. Er weist darauf hin, dass schon viel im Land passiert ist, gerade im Steuer- und Bankenwesen, im Energiebereich, bei der Deregulierung und den öffentlichen Aufträgen. Vieles erscheint wenig spektakulär und macht keine Schlagzeilen, ist aber grundlegend für einen funktionierenden demokratischen Staat.
Neben dem Justizwesen bleibt vor allem der Kampf gegen die Korruption eine der großen Herausforderungen. Im vergangenen Jahr lag die Ukraine auf Rang 130 des Korruptionsindexes von „Transparency International“ (Deutschland: 10, Litauen: 32). Russland steht jedoch auch nicht viel besser dar: Rang 119. Und dort werden die Probleme durch eine patriotisch-militaristische Soße zugedeckt. Das Russland unter Putin dieser Tage scheint vor Kraft kaum gehen zu können. Ob das riesige Land nicht tatsächlich dichter am Abgrund steht als die Ukraine, wird sich zeigen.