Auf die Lehrer kommt es an!
Heute, am 5. Oktober, ist der Welttag der Lehrer. Reichlich Erfahrung als Lehrender hat Klaus Schmidt in 30 Jahren Unterricht am Theologischen Seminar Rheinland (TSR, 1985 gegründet als „Neues Leben Seminar“, s. Bild o.) gesammelt. Im November wird Schmidt sein neues Amt als Direktor der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland antreten. Nachfolger als Rektor am TSR wird Steffen Schulte.
Beim Neues Leben-Tag am 3. Oktober sprach der scheidende Seminarleiter, der am TSR aber einige Fächer weiter unterrichten wird, zum Thema „Jesus als Lehrer“ und der Frage, was einen guten Lehrer auszeichnet. (Der halbstündige Vortrag ist hier zu hören.) Eingangs geht Schmidt auf die Forschungsergebnisse des Neuseeländers John Hattie, Professor in Melbourne, ein. Die Überschrift eines „Zeit“-Artikels aus dem Jahr 2013 über Hattie: „kleine Klassen bringen nichts, offener Unterricht auch nicht, entscheidend ist der Lehrer“.
Hattie suchte Antwort auf eine wahrlich wichtige Frage: Was macht guten Unterricht aus? Dafür stellte er 800 Meta-Analysen aus der englischsprachigen Welt zusammen und filterte daraus insg. 136 Erfolgsfaktoren heraus. Schmidt zitiert seine Schlussfolgerung: „Wir diskutieren leidenschaftlich über äußere Strukturen von Schule und Unterricht, doch die rangieren ganz unten in der Tabelle und sind – was das Lernen angeht – eher unwichtig. Alle meine Daten belegen, dass sich die größten Unterschiede im Lernzuwachs zwischen einzelnen Lehrern zeigen.“ Hatties Fazit: „Auf den guten Lehrer kommt es an wie auf nichts anderes.“ Schmidt schildert anschließend das schlechte Beispiel falscher Lehrer und vor allem Jesu gutes Vorbild.
Die Anwendung von Gottes Wort in allen Lebensbereichen
Es ist durchaus angemessen, wenn Verantwortliche in der theologischen Ausbildung die Frage nach guter Lehre und gutem Unterricht stellen. Schließlich sind alle Jünger, alle Nachfolger Christi, in erster Linie Lernende (so ja auch die Hauptbedeutung des gr. mathetes – Jünger). Sie lernen von Jesus als dem Lehrer und dem Hirten. Dem widerspricht nicht, dass seine Lehrautorität in geregelter Weise auch durch Amtsträger in der Kirche ausgeübt werden soll. Von Anfang an haben ja schon die Apostel Jesu in Ortsgemeinden Diener eingesetzt, wurden Älteste ernannt (Apg 14,23).
Den Ältesten oder Aufsehern, den Gemeindeleitern (gr. presbyteroi und episkopoi werden als Begriffe im NT weitgehend synonym gebraucht), ist die Sorge um die Mitglieder der Kirche anvertraut. Oft wird dies mit der Arbeit der Hirten einer Herde verglichen (Apg 20,28 oder 1 Pt 5,1–4). Jesus ist der Gute Hirte, der Wächter der Seelen (Joh 10,11; 1 Pt 2,25); aber auch Diener seine Kirche sind „Hirten und Lehrer“ (Eph 4,11). Älteste sind also allgemein Pastoren (von lat. pastor – Hirte). Zu ihren Hauptaufgaben gehört das Ermahnen und Lehren (1 Tim 3,2; 4,13; 1 Kor 12,28), damit auch die Bekämpfung falscher Lehre (Eph 4,14; 1 Tim 1,10; 2 Tim 4,3; Hbr 13,9). Älteste müssen ein klares und festes Verständnis der Glaubenslehre haben. Daneben stehen aber charakterliche Eigenschaften klar im Mittelpunkt.
John Frame dazu in seinem Text „Neue Ideen für das theologische Seminar“:
„Es ist bemerkenswert: Die Qualifikationen für Gemeindediener haben der Heiligen Schrift nach (insbesondere 1 Tim 3,1-13; 1 Petr 5,1-3), fast ausnahmslos mit einem gottesfürchtigen Wesen zu tun. Es sind allerdings Charaktermerkmale, wie sie von allen Christen gefordert werden; sie bilden keine besondere Moral, der sich nur eine geistliche Elite zu unterwerfen hätte… Ein Mann kann also kein Amt empfangen, es sei denn, diese Wesenszüge eignen ihm in besonderem Maß.“
Der reformierte Theologe weiter: „Ein Gemeindediener ist aber auch jemand, der etwas ganz bestimmtes tun kann. Die Grenze zwischen diesen beiden Kategorien ist nicht scharf, denn einen ‘guten Charakter’ zu besitzen bedeutet ebenfalls, ‘fähig sein’ zu beten, Versuchungen zu widerstehen, Christus zu bezeugen und demütig zu handeln. Gemeindediener jedoch haben besondere Verantwortung: Sie müssen die Gemeinde ‘hüten’ (Apg 20,28; 1Petr 5,2; vgl. Joh 21,15ff.), indem sie sie maßregeln und lehren (2 Tim 4,2; 1 Tim 5,17; 3,2; 4,16). Lehre und Aufsehergabe sind Fähigkeiten, über die ein Gemeindediener in hohem Maße verfügen sollte, und auch dies sind nichts weniger als Gaben des Heiligen Geistes (Röm 12,7-8).“
Gemeindeleiter oder Älteste („Diener“ bei Frame, so ja das engl./lat. minister für die Pastoren o. vollzeitigen Prediger/Ältesten) haben unweigerlich mit Theologie zu tun. Leider wird Theologie oft mit reiner Theorie verbunden. Frame betonte in The Doctrine of the Knowledge of God aber die Praxis und definierte Theologie kurz so: „Die Anwendung von Gottes Wort durch Personen in allen Lebensbereichen“. Und weiter:
„Aufgabe des Theologen ist es, anderen Christen zu helfen die Bibel besser zu verstehen, nicht eine Art von abstrakter und perfekter Wiedergabe der Wahrheit als solcher – egal, ob sie jemand versteht oder nicht. Der Theologe soll Menschen die Wahrheiten Gottes lehren. Obwohl die Schrift klar ist, verstehen sie Menschen aus verschiedensten Gründen falsch und wenden sie damit auch nicht richtig an.“
Ginge es nur um perfekte Wiedergabe von Wahrheit, dann wäre es besser einfach nur die Bibel zu zitieren. Es geht aber im christlichen Leben darum, diese Wahrheiten praktisch anzuwenden, und dabei hilft vor allem die Theologie.
Gelernt wird, so Frame im oben zitierten Text, nicht zuletzt am Beispiel. Jesus gab das Beispiel eines guten Lehrers, und Älteste, ja alle Lehrer, sollen ebenfalls ein Vorbild sein. Ist Theologie wesentlich Anwendung, so sind sie aufgerufen beispielhaft zu zeigen, wie das Wort Gottes im ganzen Leben umgesetzt werden kann, wie also damit Erfahrungen gesammelt werden können. Frame: „Wir lernen auch durchs Tun – Gehorsam wird erlernt, indem man gehorcht. Heiligung führt zu noch mehr Heiligung.“ Noch einmal Frames gute Einsichten:
„Das Wort selbst darf nicht einfach als wissenschaftlicher Text studiert werden, sondern muss durch das tägliche Leben ‘studiert’ werden. Wir dürfen nicht erwarten, dass wir zuerst die Heilige Schrift verstanden haben müssen, bevor wir ihr gehorchen können, denn gehorchen und erkennen geschieht gleichzeitig; der Gehorsam ergänzt und stützt die Erkenntnis und umgekehrt. Sei die Lehre nun ‘durch das Wort’, ‘durch das Beispiel’ oder ‘durch die Erfahrung’ – immer ist sie Dienst am Wort Gottes. Durch diesen Dienst lernen wir, dem Wort im Alltag zu gehorchen.“
Atheist in der Pastorenausbildung
Auch Horst-Georg Pöhlmann betonte: „Theologie kann gar nicht neutrale, sondern nur existentiell betroffene Wissenschaft sein. Denn man kann Gott nicht begreifen, ohne vorher von ihm ergriffen zu sein“ (Abriß der Dogmatik). Die Wissenschaft vom Glauben kann nur von Glaubenden ausgeführt werden. Der lutherische Theologe Helmut Thielicke (1908–1986): „Wer aufhört, ein geistlicher Mensch zu sein, treibt automatisch eine falsche Theologie“.
Leider hat die akademische Theologie an den deutschen Universitäten all diese Grundsätze weitgehend ignoriert. Dort wird gewiss viel gute Arbeit geleistet, doch die einzige Klammer um diese Lehre ist die Wissenschaftlichkeit – oder genauer: das, was man unter Wissenschaft versteht. Das führt dann zu Vorhaltungen, an „Bibelschulen“ und ähnlichen Einrichtungen werde keine Theologie betrieben. Weil es ihnen angeblich an der Wissenschaftlichkeit mangele.
In Litauen orientierte man sich Anfang der 90er Jahre auch am deutschen Vorbild. An der Universität Klaipėda wurde ein Lehrstuhl für evangelische Theologie eingerichtet. Lutherische, reformierte und später auch die methodistische Kirche delegierten die Theologen- und Pastorenausbildung an die staatliche Hochschule und gaben sie damit zumindest in Teilen auch aus der Hand (auch wenn natürlich so manche Pastoren der Kirchen, gerade der lutherischen, dort unterrichteten). Aber in erster Linie erfreute man sich der Zusammenarbeit mit dem Staat, denn so brauchte man nicht für die Kosten der Ausbildung aufkommen.
Ein strategischer Fehler, wie man im Rückblick eindeutig feststellen muss. Denn dem deutschen Vorbild folgend betrachtete man sich an der Uni nicht als verlängerter Arm der Kirche bzw. der Gemeinden; ausdrücklich ging es um die ‘neutrale’ Wissenschaftlichkeit und eben nicht um die Bedürfnisse der Gemeinden. Eine eigenständige theologische Ausbildungsstätte wie die Luther-Akademie im benachbarten Lettland gründete man nicht. In einem Zeitungsinterview betonte der langjährige Leiter der Lehrstuhls (Kurator in der reformierten Kirche Litauens) ausdrücklich, dass Theologie auch von Ungläubigen unterrichtet werden könne. Wegen Mangel an Studenten wurde der Lehrstuhl vor ein paar Jahren geschlossen und die Reste in andere Fachbereiche integriert.
Im vergangenen Monat sprach Holger bei einer Veranstaltung mit Nerija Putinaitė. Die Philosophin, ehemalige Vizeministerin für Bildung und Wissenschaft, ist Leiterin des Kirchenvorstandes der lutherischen Gemeinde in Vilnius. Kürzlich erschien ihr neuestes Buch über Atheismus in der litauischen Sowjetrepublik. Ungefragt teilte sie mit, dass der langjährige Dogmatikdozent am Lehrstuhl in Klaipėda Atheist war bzw. ist. Angehende Pastoren wurden also in Glaubenslehre von einem Lehrer unterrichtet, dem der Glauben persönlich fremd ist; angehende Geistliche wurden von einem Geist-losen auf den Dienst vorbereitet. Die Kirchenleitungen haben dies zumindest toleriert, und selbst wenn sie etwas hätten ausrichten wollen: die Autonomie der Lehre an den Universitäten stellt ein massives Hindernis für biblische Korrektur dar.
Eine formale theologische Ausbildung ist der richtige Ort, um auch einmal kritisch über den eigenen Glauben nachzudenken. Zweifel dürfen nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden. Schließlich ringt jeder Christ mit dem praktischen Atheismus: der faktischen Leugnung Gottes im Alltagsleben. Aber gerade in diesem Zusammenhang ist die Person des theologischen Lehrers wieder entscheidend. Hier kann auf Luthers Erkenntnisse in der Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe seiner deutschen Schriften (1539) zurückgegriffen werden. Der Reformator machte dort sehr gute Ausführungen, was das Leben des Theologen kennzeichnen soll. In Psalm 119 findet er die „drei Regeln“ „der rechten Weise Theologie zu studieren“: lat. oratio (Gebet), meditatio (Nachdenken über die Schrift), tentatio (Anfechtung). Von Anfechtung getrieben – und dazu gehören nicht zu selten auch Zweifel an Gottes Gutsein, ja selbst seinem Dasein – soll der Theologe unter Gebet in den Text hineingehen, was wiederum zur Anfechtung führt; so kann er aber auch anderen Angefochtenen helfen.
Dem erwähnten Dogmatikdozent sind persönlich gar nicht so viele Vorwürfe zu machen. Der Fehler liegt im System. Die deutsche Sektion des Lutherischen Weltbundes schrieb vor vielen Jahren ein Stipendium für einen jungen Litauer für ein Stduium an einer deutschen Universität aus. Und der junge Mann aus der Gemeinde in Vilnius kam so „ganz zufällig“ (wie er selbst in einem Interview sagte) zur Theologie, studierte in Deutschland Philosophie und Theologie, schrieb zwei Dissertationen. Nach persönlichem Glauben und Dienst in Kirche und Gemeinden fragte niemand.
An theologischen Fakultäten und Lehrstühlen wird ‘jeder’ genommen; jede Art von Glaubensprüfung wird vehement abgelehnt. Wenn man aber erst vom Glauben der Studierenden ganz absieht, dann sieht man auch vom Glauben der Lehrenden ab. Und mit dem Ergebnis ringen die Kirchen dann hinterher.
Das TSR und das EBI in Litauen nehmen nicht jeden, dem wie zufällig die Theologie vielleicht interessant erscheinen könnte. Noch einmal Frame: „Kein Student wird zugelassen, wenn er seinen Glauben an Christus nicht glaubwürdig begründen kann. Zuweilen wird es freilich von Nutzen sein, Nichtchristen einzuladen, um am Leben der Gemeinschaft teilzuhaben, doch am Ausbildungsprogramm kann ein Nichtchrist nicht teilnehmen.“
Ein Jünger ist ein Lernender, und ein Theologie Lernender sollte ein Jünger. Für die Lehrenden gilt dies umso mehr. Denn Bibel und säkulare Wissenschaft bekräftigen einhellig: auf die Lehrer kommt es an!