Traditionsabbruch der Evangelikalen
Reform des Fundamentalismus
Zu den wichtigsten evangelikalen Vordenkern des 20. Jahrhunderts gehörte zweifellos Carl F.H. Henry (1913–2003, s. Bild o.). Der Journalist und Theologe war 1942 an der Gründung der „National Association of Evangelicals“ (NAE), der US-amerikanischen evangelischen Allianz, beteiligt. 1956 wurde er erster Chefredakteur des neuen Journals „Christianity Today“, bis heute das journalistische Flaggschiff der Evangelikalen in den USA und darüber hinaus. Bekannt machte ihn ein Buch, das 1947 erschien – gerade 90 Seiten dünn, aber es brachte Steine ins Rollen: The Unesay Conscience of Modern Fundamentalism. Ohne Übertreibung kann das Büchlein als ein Gründungsdokument der modernen evangelikalen Bewegung bezeichnet werden.
Mit anderen noch recht jungen Mitstreitern wie Harold J. Ockenga (1905–1985), Edward J. Carnell (1919–1967) oder Bernard Ramm (1916–1992) setzte sich Henry für eine erneuterte fundamentalistische Theologie ein. Sie lehnten die Enge, den Antiintellektualismus, die Kultur- und Wissenschaftsfeindlichkeit ab, die weite Bereiche des Fundamentalismus ab etwa den 30er Jahren kennzeichneten.
Henrys Hauptvorwurf in seinem Buch: der Fundamentalismus hat die heutige Welt und die sozialen Probleme aus dem Blick verloren; die Botschaft des Christentums wurde in falscher Weise verengt auf das persönliche Heil und das Jenseits; Henry plädiert für eine Wiederentdeckung alten Erbes:
„Die Kirche braucht einen progressiven Fundamentalismus mit einer sozialen Botschaft“; „Einst war das erlösende Evangelium eine weltverändernde Botschaft, heute ist es zu einer weltverneinenden Botschaft geworden“; „Wir müssen die Welt heute mit einer Ethik konfrontieren, die sie erzittern lässt, mit einer Dynamik, die sie hoffen lässt“. Der Fundamentalismus „fordert die Ungerechtigkeiten des Totalitarismus, den Säkularismus der modernen Erziehung, die Übel des Rassenhasses, die Mißstände in der Arbeitswelt, internationale Ungleichheiten nicht heraus. Er hat aufgehört Rom und Cäsar herauszufordern… Das apostolische Evangelium hat nichts mehr gemein mit einer Leidenschaft für eine gerechte Welt.“
Diese Kritik finden auch heute sicher viele sympathisch. Wer die Gesellschaftsrelevanz des christlichen Glaubens und Transformation großschreibt, wird in Henry einen Gesinnungsgenossen finden. Man sollte jedoch nicht überlesen, dass Henry den Fundamentalismus seiner Zeit im Grunde positiv sieht, denn er ist „bibelgläubiges Christentum, für das das Übernatürliche ein wesentlicher Bestandteil der biblischen Sicht darstellt“. Wie alle in der Tradition des historischen Fundamentalismus Stehenden, die auf die namensgebende Schriftenreihe „The Fundamentals“ (1910–1915) zurückblicken, hält er vehement fest an einem „supranaturalistischen Rahmen“ des Glaubens. Henry hat keinerlei Sympathie für die verzerrenden Angriffe auf den Fundamentalismus durch liberale Theologen und säkulare Humanisten. Er stimmt mit dem Fundamentalismus im Hinblick auf die Lehre von Gott, der Schöpfung, des Menschen, der Erlösung und der Ewigkeit überein, verwirft also keineswegs dessen dogmatische Inhalte. Henry sieht die „Neubelebung des modernen Evangelikalismus“ nicht darin, dass man lehrmäßige Überzeugungen aufweicht und anpasst und „sich in Richtung des Liberalismus bewegt“. Ganz ähnlich argumentierte übrigens später auch der fast gleichaltrige Francis A. Schaeffer.
Henry setzte sich also ausdrücklich nicht für einen dritten Weg zwischen Liberalismus und Fundamentalismus ein, vielmehr für eine Erneuerung, Reform, Modernisierung, ein Sich-Öffnen der vielfach erstarrten Bewegung. Daher gebrauchte er „evangelikal“ und „fundamentalistisch“ noch synonym! Die Bewegung des erneuerten Fundamentalismus wurde deshalb auch austauschbar als „neo-fundamentalistisch“ oder „neo-evangelikal“ bezeichnet (mit dem Adjektiv „evangelical“ kennzeichnete man im angelsächsischen Raum schon lange die Erweckungsbewegungen des 18. und 19. Jhdts.).
Unter den weltzugewandten Fundamentalisten etablierte sich nach und nach die Selbstbezeichnung „Evangelikale“, und dies gerade auch in Europa, wo der Begriff „Fundamentalist“ praktisch nie Wurzeln geschlagen hatte. Fundamentalisten waren bald nur noch die engen, streng separatistischen Gruppen.
Theologisch stimmten die Neo-Evangelikalen aber in den wesentlichen Glaubenslehren mit den Fundamentalisten überein. Dies wurde auch in ‘Fundamentalism’ and the Word of God des jungen anglikanischen Theologen James I. Packer (geb. 1926) aus dem Jahr 1958 deutlich. Packer greift die damalige Kritik am Fundamentalismus auf, kritisiert wiederum den Liberalismus und verteidigt die Autorität der Bibel. Auch für Packer ist der Name Fundamentalismus mit zu vielen Vorurteilen und schlechten Assoziationen verbunden (deshalb in der Schrift meist in Anführungszeichen), inhaltlich bekennt er sich aber zu ihm: „‘Fundamentalismus’ ist bloß die Bezeichnung des 20. Jahrhunderts für den historischen evangelischen Glauben, nach unserer Meinung allerdings kein besonders guter und nützlicher Name.“ Und ganz ähnlich wie Henry: „Um seinen evangelikalen Wurzeln treu zu sein, muss der Fundamentalismus entsprechend dem Wort Gottes, das er verteidigt, erweitert, reformiert und verfeinert werden.“
Sicherlich gab und gibt es in Teilen des Fundamentalismus „schreckliche Schwächen“ (so Schaeffer), doch damit eröffnet sich nicht die Notwendigkeit eines dritten Weges zwischen der Dogmatik des Fundamentalismus und des Liberalismus. Packer unmissverständlich: „Wir stehen im Prinzip vor der Wahl zwischen zwei Arten von Christentum. Es ist die Wahl zwischen dem historischen evangelischen Glauben und dem neuen Subjektivismus; zwischen einem in sich stimmigen Christentum und einem, das sich selbst widerspricht; zwischen einem, das ganz von Gott gegeben ist und einem, das in Teilen von Menschen gemacht ist… Wir müssen wählen, ob wir die biblische Lehre von der Schrift so wie sie dasteht akzeptieren oder ob wir es uns erlauben sie umzubauen je nach unserem Geschmack… Wenn sich der menschliche Verstand zum Maßstab der Wahrheit aufschwingt, wird er schnell den Schöpfer durch ein begreifbaren Götzen, gemacht nach dem Bilde des Menschen, ersetzen.“
Ob nun Henry, Packer oder Schaeffer – und zu nennen wären hier auch Martyn Lloyd-Jones, Billy Graham und viele andere führende Köpfe der Neo-Evangelikalen der Nachkriegszeit: sie alle hielten bzw. halten an der Lehre der Irrtumslosigkeit der Bibel fest. Einige von ihnen waren beteiligt an der Formulierung der „Chicago-Erklärung zur biblischen Irrtumslosigkeit“ (The Chicago Statement on Biblical Inerrancy, 1978). John Stott, der vor vier Jahren verstorbene wohl einflussreichste Theologe der Evangelikalen, hielt den englischen Begriff „inerrancy“ für wenig glücklich; er ist ihm zu negativ. Wichtiger sei die Anerkennung der vollen Autorität der Bibel und der konkrete Gehorsam (s. sein Evangelical Truth). Letztlich stand er in der Sache aber in einer Reihe mit den anderen großen Evangelikalen.
Glaube an ein vom Himmel gefallenes Buch?
Sprachen Henry und Packer noch mit kritischem Respekt über den Fundamentalismus, so ist heute nichts, aber auch gar nichts Positives mehr zu hören. Definitionen gibt es nun zahlreiche, der Sprachgebrauch hat sich massiv gewandelt. Beim letzten Kirchentag vertrat Theologieprofessor Ulrich Körtner aus Wien laut „idea“ die Ansicht, „dass christliche und islamische Fundamentalisten eine Gemeinsamkeit hätten. Sie verstünden ihre Heilige Schriften – die Bibel bzw. den Koran – als unmittelbar von Gott gegeben.“ Hermann Barth, 2006 bis 2010 Präsident des Kirchenamts der EKD, skizzierte in „Wir“ (6/2008) die „vor etwa anderthalb Jahrhunderten“ aufgekommene fundamentalistische Sicht der Bibel so: „Sie sei gleich einem vom Himmel gefallenen Buch, ohne Fehl und Tadel, über jede Kritik erhaben.“ Der evangelikale Journalist Andreas Malessa vor einigen Jahren im ERF: „Islamisten, christliche Fundamentalisten und ultraorthodoxe Juden sind Drillinge in der Hermeneutik – also sind Brüder im Geiste, wie man an einen heiligen Text herangeht.“
Schließlich sei noch Jürgen Werth zitiert. Der damalige Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz 2007 im HR: „Ich glaube, dass ich sagen kann – für unsere Bewegung [Evangelische Allianz], dass die Zahl derjenigen, die die Bibel Wort für Wort wörtlich nehmen – die sagen, jeder Buchstabe ist verbal von Gott inspiriert, und die Bibel ist sozusagen vom Himmel gefallen, dass der Kreis derjenigen nicht allzu groß ist.“
Dies ist natürlich auf die Fundamentalisten gemünzt. Hat aber je ein fundamentalistischer Theologe von irgendwelcher Bedeutung die These vertreten, die Bibel sei „vom Himmel gefallen“ wie dies der Islam lehrt? Haben Packer, Schaeffer, Henry oder Lloyd-Jones an irgendeiner Stelle so etwas behauptet? Die historische christliche Position der göttlichen Autorenschaft (neben der menschlichen Autorenschaft!) der Bibel wird hier an die des Islam herangerückt, um sie auf solch unseriöse Weise wie im Vorbeigehen zu diskreditieren. Leider hat Malessa, immer für einen scharfen Seitenhieb bereit, nicht den Mumm, die Großen der weltweiten evangelikalen Bewegung des 20. Jahrhunderts als „Brüder im Geiste“ der Islamisten zu zeihen – es wäre wenigstens konsequent.
Malessa und andere Zitierte sprechen in erster Linie nur für sich. Werth war jedoch oberster Repräsentant einer breiten christlichen Bewegung. Wenn er alles wild durcheinander mischt und tatsächlich die Verbal- oder Ganzinspiration – altes Erbe aller großen Kirchen – vom Tisch fegt, so zeugt dies nur von fahrlässiger Unkenntnis und Verachtung der Geschichte der eigenen Bewegung.
Der heutige Allianz-Vorsitzende Michael Diener ist viel zu intelligent, um solche Fehler zu begehen. Er bezeichnet den Fundamentalismus als eine „Lebens- und Sichtweise, die eben nicht differenziert, die die eigene Sicht von Glaube und Welt für göttlich inspiriert hält, die abweichende Meinungen nicht stehen lassen kann, sondern Vertreter solcher Lehren sehr schnell als Irrlehrer und ungläubig tituliert.“ Damit sind tatsächliche Gefahren richtig benannt, aber auch hier muss zurückgefragt werden: Welche konkreten Theologen halten denn „die eigene Sicht von Glaube und Welt für göttlich inspiriert“? Wohlgemerkt: nicht die Bibel, sondern die eigene Sicht. Wo sind Beispiele? Diese Gefahr besteht vielleicht am ‘charismatischen Rand’ der evangelikalen Bewegung, aber die hat Diener hier wohl nicht im Blick. Wenn er das Verschließen gegenüber Kritik meint, sollte Diener das so formulieren. Mit dieser Versuchung ringt aber jeder Theologe. Noch einmal: Wo sind die Theologen aus der „fundamentalistischen Schmuddelecke“ (Werth), die tatsächlich ihre eigene Lehre für „göttlich inspiriert“ halten??
Essentielle Teile der evangelikalen Bewegung
Körtner äußerte beim Kirchentag die Sorge, dass es unter Christen zu einem „Traditionsabbruch“ gekommen ist. „Viele Bibelgeschichten seien inzwischen weitgehend unbekannt.“ („idea“) Das ist wohl wahr. Mir scheint aber, dass es noch einen weiteren Traditionsabbruch gegeben hat: die evangelikale Bewegung will nichts mehr von ihren Wurzeln wissen, die in Teilen zumindest in der fundamentalistischen Bewegung Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts liegen. Natürlich zeigen sich hier auch Unterschiede zwischen Europa und Amerika, doch die Auseinandersetzung mit dem theologischen Liberalismus und Modernismus verlief ja entlang ähnlicher Frontlinien.
Der Fundamentalismusbegriff ist für heutige Phänomene oft unbrauchbar geworden. Ich stimme mit Thomas Schirrmacher überein, der in seinem guten Überblick Fundamentalismus – Wenn Religion zur Gefahr wird schreibt: „Man sollte meines Erachtens [heute] nur von Fundamentalismus sprechen, wenn Gewalt im Spiel ist oder eine echte Gefahr für die innere Sicherheit besteht.“ Fundamentalismus ist für ihn nun „militanter Wahrheitsanspruch“. Das ist natürlich eine Definition, die Henry und Co. in keiner Weise trifft.
Problematisch ist nun aber, dass auch gerne alle Anhänger der Irrtumslosigkeit, wie gemäßigt auch immer, als Fundamentalisten gescholten werden. Konfessionskundler Erich Geldbach nannte Schirrmacher in diesem Frühjahr einen „strengen Fundamentalisten“, und das war nicht als Kompliment gemeint. Schon in „SMD transparent“ (3/2006) hatte Geldbach kritisiert, dass Menschen mit „fundamentalistischem Bibelverständnis“ – Anhänger der Irrtumslosigkeit – unter evangelikaler Flagge fahren. „Ich habe den Eindruck, dass die Evangelikalen an dieser Stelle zu flexibel sind und Fundamentalisten kritiklos integrieren. Man weiß also bei dem Etikett ‘evangelikal’ nicht mehr wirklich, woran man ist. Diese Vermischung halte ich für gefährlich.“
Diese Sätze sind wirklich ein starkes Stück. Historisch gesehen ist es natürlich richtig, dass die Fundamentalisten die Irrtumslosigkeit vertraten. Was Geldbach völlig übergeht ist die Tatsache, dass die neo-evangelikale Bewegung (zumindest im früher zahlenmäßig bedeutendsten Raum, nämlich dem angelsächsischen) genau auf diesem Bibelverständnis als einem Kern seiner Identität ruhte. Christen, die sich in der Tradition von Henry, Schaeffer und Packer sehen, will Geldbach außerhalb der evangelikalen Bewegung sehen. Diese Ausgrenzung ist gefährlich.
Im Vorwort von Jesus-Revolution meint Michael Diener, dass die Autoren Tony Campolo und Shane Claiborne und ihr linksevangelikales Lager ein „essentieller Teil“ der evangelikalen Bewegung seien. Zwar sind manche Thesen im Buch geradezu haarsträubend, aber gemeint ist sicher das soziale Engagement, das eben tatsächlich schon immer die Evangelikale auszeichnete, s. auch Henrys Bemerkungen. Warum hört man nun aber keine leitenden Evangelikalen in Deutschland, die öffentlich erklären, dass Christen mit einem Bibelverständnis wie es Henry, Schaeffer und Packer hatten bzw. haben, essentieller Teil der evangelikalen Bewegung sind?
„Ein fundamentalistischer Lehrer hat geklagt…“
Die Geschichte der evangelikalen und fundamentalistischen Bewegung ist viel zu unbekannt. Man mache mal an evangelikalen Ausbildungsstätten einen Test und frage die Studierenden, welche die Großen der Bewegung im 20. Jahrhundert waren? Der Name Graham fiele vielleicht noch, der eine oder andere wüsste mit John Stott etwas anzufangen. Womöglich hat auch jemand ein Buch von Packer gelesen. Henry, Lloyd-Jones und Schaeffer, ganz zu schweigen von J. Gresham Machen? Namen wie Schall und Rauch.
Diese Unkenntnis ist schlicht ein Skandal, und sie führt auch dazu, dass man Fundamentalisten – und die man dafür hält – vorwerfen kann, was man immer man will. Vor gut zwei Monaten, am 8.–9. Mai, traf sich die Theologie-Initiative von „Emergent Deutschland“ in Fulda. Thema der Tagung: „Fundamentalismus“. Natürlich ging es da zur Sache: Fundamentalisten nehmen „Zuflucht zum metaphysischen Notankergott“. Alles klar. Fundamentalismus sei „immer ein Versuch Gott zu domestizieren, Gott und den eigenen Glauben zum Gewinn von Sicherheit zu nutzen.“ Er strebe nach „fragloser Gewissheit“, wolle „Gott in den Griff bekommen“, und natürlich sei er „Götzendienst“.
Der Traditionsabbruch hat dazu geführt, dass selbst kompetente Fachleute es nicht für nötig halten, die historischen Fakten zu studieren und zu würdigen. Abschließend ein konkretes Beispiel. Peter Aschoff sprach auf der Tagung zum Thema „Die Neubelebung des Fundamentalismus“ (Podcast #84). Darin machte der Theologe und Pastor aus Bayern, sicherlich einer der intellektuellen Vordenker der emergenten Bewegung in Deutschland, Ausführungen zum berühmten „Scopes-Prozess“ in den USA im Jahr 1925 – einem Schlüsselereignis in der Geschichte des Fundamentalismus. Es ging damals, so Aschoff, um die Frage, ob Evolution an den Schulen gelehrt werden dürfe. „Ein fundamentalistischer Lehrer hatte geklagt oder widersprochen. Der Gerichtshof hat entschieden: sie darf gelehrt werden.“ Damit habe sich der amerikanische Fundamentalismus allmählich ins Ghetto begeben.
Leider ist nichts an dieser Darstellung richtig. Im sogenannten „Affenprozess“ in Dayton, Tennessee, wurde 1925 der Biologielehrer John T. Scopes angeklagt, weil er die Abstammung des Menschen aus dem Tierreich gelehrt hatte (es war also kein „fundamentalistischer Lehrer“, im Gegenteil). Dies widersprach einem jüngst im Bundesstaat angenommenen Gesetz. Der Prozess wurde nicht von der evolutionskritischen, „fundamentalistischen“ Seite angestrengt wie Aschoff zu verstehen gibt und wie man sogar in Jürgen Moltmanns Gott in der Schöpfung lesen kann. Er war vielmehr eine bewusst herbeigerufene Inszenierung der Evolutionsbefürworter und der „American Civil Liberties Union“ (der es auch hier weniger um Evolution, als allgemein um freie Rede, Lehre und Pluralismus ging). Ziel der ACLU war es, das Anti-Evolutionsgesetz im Staat Tennessee, das den Darwinismus aus den Schulen verbannte, zu kippen und die Evolutionsgegner bloßzustellen.
Die Anklage vertrat William Jennings Bryan, einer der bekanntesten Politiker der USA und dreimaliger Präsidentschaftskandidat der Demokraten, der seit 1920 gegen die Evolutionslehre kämpfte. Scopes, der im Prozess fast überhaupt keine Rolle spielte, wurde verteidigt von Clarence Darrow, damals einer der erfolgreichsten Anwälte im Land.
Der Prozess erregte für die damalige Zeit ungeheure mediale Aufmerksamkeit. Jeder Satz, jedes Wort, wurde in ganz Amerika bekannt. Dem mit allen Wassern gewaschenen Darrow gelang es, Bryan auszutricksen. Er lud diesen völlig überraschend in den Zeugenstand; Bryan stimmte zu. Fragen zur biblischen Urgeschichte sollten den christlichen Fundamentalismus, den auch der Presbyterianer Bryan repräsentierte, als rückständig und primitiv erweisen. In der Kleinstadt Dayton ging Bryan als Sieger aus dieser Befragung hervor; ganz anders sah dies in den landesweiten Medien aus, was natürlich entscheidend und von Darrow auch so bezweckt war (eine wichtige Rolle spielte dabei der sehr bekannte Journalist H.L. Mencken, der keinen Hehl aus seiner Abscheu des Fundamentalismus machte und übrigens jede Religion verachtete).
Trick Nummer zwei: Bryan konnte sein Abschlussplädoyer nicht mehr halten, da Darrow auf seines verzichtet hatte. Dies war ein wirklich geschickter Schachzug des Anwalts, denn Bryan hatte an der Rede und seinen Argumenten lange gefeilt. Sie sollte den Höhepunkt seines Plädoyers vor Gericht darstellen. Der Politiker starb kurz nach dem Prozess, aber seine Rede ist uns erhalten, denn sie wurde bald als Bryan’s Last Speech veröffentlicht.
Der Gerichtshof entschied damals in Dayton keineswegs, dass der Darwinismus gelehrt werden dürfe. Scopes wurde verurteilt. Aber das Ansehen aller Fundamentalisten in den Medien war stark beschädigt. Was diesen Prozess angeht, kann man eindeutig feststellen: sie haben sich nicht „ins Ghetto begeben“, sondern sie wurden mit voller Absicht dort hinein gedrängt.
All diejenigen, die heute gerne auf den historischen Fundamentalismus eindreschen, sollten einmal Bryan’s Last Speech studieren. Bryan ging darin auf die Protokolle des Leopold-Loeb-Prozesses ein. Ein Jahr zuvor hatte Darrow dabei die jugendlichen Dicky Loeb und Nathan Leopold verteidigt, die einen äußerst grausamen und kaltblütigen Mord an einem 14-Jährigen begangen hatten. Er konnte beide mit einem sozialdarwinistischen Argument vor der damals an sich sonst sicheren Todesstrafe retten: ein „ferner Vorfahre“ in der Kette der Evolution habe sie so gewalttätig werden lassen.
Der Text ist bis heute eine lesenswerte und fundierte Gesamtkritik der Evolution. Bryan argumentiert darin schlüssig und sauber, dass durch die Evolutionslehre die Grundlagen der Ethik und Moral und damit auch der Justiz zerstört werden. Es ist schon vielsagend und geradezu tragisch, dass Darrow, der kaltblütig den Sozialdarwinismus nutzte, vor dem Urteil der Nachwelt geradezu glänzend dasteht (im berühmten Film „Inherit the Wind“ verkörpert Spencer Tracey die Darrow-Figur als wahren Helden der Freiheit); und dass der moralisch integre Bryan trotz guter Argumente im Keller der Geschichte verschwand – als einer der ersten unverbesserlichen Kreationisten und Erz-Fundamentalisten. Es ist höchste Zeit, die evangelikal-fundamentalistische Geschichte von ihrem Staub zu befreien.
(Einhundert Jahre nach der Veröffentlichung der Fundamentals gibt es auf den Seiten der Biola University viel Hintergrundmaterial wie hier. Biola-Gründer Lyman Stewart war auch einer der Initiatoren der Herausgabe der Schriftenreihe.)
Lieber Holger,
vielen herzlichen Dank für Deinen brillanten Artikel.
Es gibt eigentlich nur einen Punkt, wo ich gerne einhaken will.
Beziehen will ich mich auf ein Zitat aus Deinem Text:
“Noch einmal: Wo sind die Theologen aus der „fundamentalistischen Schmuddelecke“ (Werth), die tatsächlich ihre eigene Lehre für „göttlich inspiriert“ halten??”
Damit wird aus meiner Sicht impliziert, dass es diese Theologen nicht gibt. Nehmen wir doch zu den Theologen die Prediger und die Gläubigen dazu, die wenn es gut läuft von den Theologen Impulse erhalten. Schauen wir auch den gesamten Bereich von bibeltreuen bis zu Charismatikern an und das folgende ist meine persönliche Erfahrung:
Aktuell ist es aus meiner Sicht so, dass es ob in vielen Foren, im persönlichen Gespräch leider sehr oft einen sehr schlechten Umgangston gibt und der eigene Standpunkt als absolute und umumstössliche Wahrheit dargestellt wird.
Das ist dann richtig dies zu tun, wenn es um die biblischen Grundwahrheiten geht, nämlich dass Jesus das Zentrum ist und nur bei ihm Heil allein aus seiner Gnade zu finden ist. Darum geht es aber fast nie. Es wird an Nebenfragen wie Ökowelle, Musikstil, Frauenordination, Absonderung, unbedingt emergent sein, Geistestaufe eine Haltung an den Tag gebracht: Nur das gilt. Natürlich sagt man, dass Wissen Stückwerk ist, was aber nicht davon abhält lieblos gegenüber dem zu reagieren, der in einer Frage mit Prio B-Z eine andere Meinung hat wie ich.
Aus meiner Sicht fängt Fundamentalismus da an, wo ich nicht mehr erkenne, dass ich nicht die Wahrheit habe oder sogar bin, sondern dass der mein Herr ist, der die Wahrheit ist. Ich bin nicht die Wahrheit, sondern als sein Kind verkündige ich die Wahrheit.
Deshalb gibt es nach meiner Meinung leider leider christlichen Fundamentalismus
Gute Bemerkungen. Den eigenen Standpunkt als absolute und umumstössliche Wahrheit darstellen ist sicher ein ernstes Problem. Francis Schaeffer hat mit dieser Haltung in ‘seinem’ fundamentalistischen Lager gerungen. Ich denke aber, dass damit sehr viele Menschen (und öfter als man glaubt auch man selbst), die ganz unterschiedliche Glaubensvorstellungen und Weltanschauungen haben, zu tun haben. Liest man Dawkins und Harris – alles sehr sehr selbstsicher; Beispiele von historisch-kritischen Theologen ließen sich auch nennen. “Göttlich inspiriert” ist demgegenüber eine sehr konkrete Aussage, und es gibt sicher auch dafür Beispiele wie in klassischen Sekten oder auch am Rand des Christentums, der schon zum Sektiererischen neigt.
Las gerade eben J.-B. Klautkes lange Erwiderung zu Siegfried Zimmers Vortrag “Die schwule Frage” in der Worthaus-Reihe. Hier ist es schon interessant zu sehen und zu hören, wie ungeheuer selbtsicher Zimmer auf die verkorksten Bibelfundis eindrischt, anders kann man es ja nicht nennen; die moralische Überheblichkeit quillt ihm nur so aus dem Gesicht. Aber sicher – er ist, ja er kann ja kein Fundamentalist sein, weil er ja nicht an die Irrtumslosigkeit glaubt. Dass ist schlimmster ‘fundamentalistischer’ Umgangston. Denn Dialog ist ja wohl kaum möglich, wenn einem mehrfach an den Kopf geknallt wird: Schäm dich gefälligst!
Kurze Anmerkung zu dem Teil mit dem “Affenprozess”.
Mein Eindruck, hier wird versucht Bryan und die Sache die er verteidigte zu rehabilitieren, indem man Darrow und seine Verteidigungsstrategie nun im Gegenzug übel diskreditiert.
Vollkommen korrekt übrigens die Aussage: “Ein fundamentalistischer Lehrer hatte geklagt oder widersprochen. Der Gerichtshof hat entschieden: sie darf gelehrt werden.” das ist in der tat kompletter Unfug. Dennoch denke ich, dass auch einige Aussagen hier in dem Artikel zu einseitig sind und damit verfälschend.
“Dem mit allen Wassern gewaschenen Darrow gelang es, Bryan auszutricksen.”
Etwas albern einem guten Verteidiger vorzuwerfen, dass er gut verteidigt und versucht das Beste herauszuholen, zumal das Gericht alle wichtigen Zeugen der Verteidigung nicht zuließ.
“Bryan stimmte zu.”
Bryan stimmte zu, und das im vollen Wissen, dass er sich dem hätte nicht stellen müssen. Zudem stimmte er nur zu unter Voraussetzung dass auch Darrow bereit ist, selbst in den Zeugenstand zu treten.
“Fragen zur biblischen Urgeschichte sollten den christlichen Fundamentalismus, den auch der Presbyterianer Bryan repräsentierte, als rückständig und primitiv erweisen.”
Die Fragen sollten weniger zeigen wie rückständig oder primitiv der Fundamentalismus ist, sondern dessen Widersprüchlichkeit zu dem damaligen anerkannten Wissenschaftsstand. Vor allem zeigten sie wie ignorant viele Vertreter des Fundamentalismus waren:
“Asked when the Flood occurred, Bryan consulted Ussher’s Bible Concordance, and gave the date as 2348 B.C., or 4273 years ago. Did not Bryan know, asked Darrow, that Chinese civilization had been traced back at least 7000 years?” Bryan conceded that he did not. When he was asked if the records of any other religion made mention of a flood at the time he cited, Bryan replied: “The Christian religion has always been good enough for me – I never found it necessary to study any competing religion.” [wiki]
“Trick Nummer zwei: Bryan konnte sein Abschlussplädoyer nicht mehr halten, da Darrow auf seines verzichtet hatte. Dies war ein wirklich geschickter Schachzug des Anwalts, denn Bryan hatte an der Rede und seinen Argumenten lange gefeilt.”
Hier ging es nicht um einen Trick oder Schachzug Darrel konnte sich ja schon denken wie das Urteil ausfällt, sondern entsprang eher der Resignation, dass alles was nicht zur direkt zur Feststellung des Tatbestandes (Evolution in der Schule gelehrt zu haben) vom Gericht nicht zugelassen wurde.
Darrow: “We claim that the defendant is not guilty, but as the court has excluded any testimony, except as to the one issue as to whether he taught that man descended from a lower order of animals, and we cannot contradict that testimony, there is no logical thing to come except that the jury find a verdict that we may carry to the higher court, purely as a matter of proper procedure. We do not think it is fair to the court or counsel on the other side to waste a lot of time when we know this is the inevitable result and probably the best result for the case.”
und zur Jury nachdem diese von der Beratung zurückkam
Darrow: “We came down here to offer evidence in this case and the court has held under the law that the evidence we had is not admissible, so all we can do is to take an exception and carry it to a higher court to see whether the evidence is admissible or not…we cannot even explain to you that we think you should return a verdict of not guilty. We do not see how you could. We do not ask it.”
“Er konnte beide mit einem sozialdarwinistischen Argument vor der damals an sich sonst sicheren Todesstrafe retten: ein „ferner Vorfahre“ in der Kette der Evolution habe sie so gewalttätig werden lassen.”
Das ist schlicht falsch. Das “sozialdarwinistischen Argument”, wie es hier bezeichnet wird, taucht nur im ersten Satz auf “This terrible crime was inherent in his organism, and it came from some ancestor” und spielt im eigentlichen Plädoyer aber überhaupt keine Rolle. Das tatsächlich Argument, wie Darrow den Richter überzeugte, ist der Hinweis auf die unmenschlichen Methoden und Strafen des amerikanischen Rechtssystem und der Appell an eine Ethik des Vergebens (sollte Christen ja nicht ganz unbekannt sein):
“I am pleading for the future; I am pleading for a time when hatred and cruelty will not control the hearts of men. When we can learn by reason and judgment and understanding and faith that all life is worth saving, and that mercy is the highest attribute of man.”
“Bryan argumentiert darin schlüssig und sauber, dass durch die Evolutionslehre die Grundlagen der Ethik und Moral und damit auch der Justiz zerstört werden.”
Unabhängig davon dass dieser Schluss nicht richtig ist, es ist vor allem nicht relevant bzgl. der Entscheidung ob die Evolutionslehre nun richtig ist oder nicht. Man unterhöhlt die eigene christliche Basis und Ethik wenn man meint Inhalte einfach unterdrücken zu müssen, weil man meint dass sie den eigenen Vorstellungen nicht entsprechen. Ist “Lying for Jesus” jetzt der Ausdruck der neuen christlichen Moral?
Danke für die ausführliche Replik. Der Reihe nach: Darrow war ein Profi, sicher, und dass er es so einrichtete, dass Bryan sein Statement nicht vortragen konnte, an dem er lange gefeilt hatte – warum soll das kein Trick sein? Der Ausdruck scheint mit passend, und wohl kaum jemand leugnet, dass Darrow mit allen Wassern gewaschen war.
Der Fundamentalismus sollte als rückständig erwiesen werden – ganz gewiss gilt dies für das mediale Umfeld und Mencken insbesonders. Dass Bryan und andere auch nicht gute Antworten auf alles hatten, steht auf einem anderen Blatt.
Kein sozialdarwinistisches Argument? Darrow sagte klar: “these two are the victims”, also die beiden Mörder. Atheist Michael Shermer „Why Darwin Matters“ über Darrow: „His was a deterministic view of human behavior. „Man is in no sense the maker of himself and has no more power than any other machine to escape the law of cause and effect,“ Darrow opined. The boys were not ultimately responsible for the murder because human volition is a fiction: „each act, criminal or otherwise, follows a cause; that given the same conditions the same result will follow forever and ever.“ Darrow claimed that Leopold and Loeb were themselves victims, and their trial served as a platform for Darrow to argue the larger case that our actions are the product of environmental influences.“
Darwinismus selbst spielt hier natürlich direkt keine so große Rolle, aber der Determinismus fließt ja geradezu aus ihm heraus.
Im wikipedia-Eintrag zum Prozess: “The Leopold and Loeb case raised, in a well-publicized trial, Darrow’s lifelong contention that psychological, physical, and environmental influences—not a conscious choice between right and wrong—control human behavior.”
Sicher ging es Darrow um den Kampf gegen die Todesstrafe, und Kevin Spacey hat dem Anwalt im Film von 1991 auch ein Denkmal gesetzt, sicher bewusst anknüpfend an Inherit the Wind.
Ich würde durchaus dabei bleiben, dass die Grundlagen von Moral und Justiz angegriffen werden. Was soll an diesem Schluss falsch sein? Wo werden hier Inhalte unterdrückt? Es ist wohl kaum zu leugnen, dass bei jedermann bestimmte Lehren, Aussagen usw. eigenen Vorstellungen nicht entsprechen und wir sie als falsch bezeichnen. Wo ist da das Problem? Soll man so ein Vorgehen als “unterdrücken” bezeichnen oder gar Lüge? Ich kann dieser Logik nicht folgen.
Danke für die schnelle Antwort. Hier noch ein paar Gedanken und Anmerkungen dazu von mir.
“Darrow war ein Profi, sicher, und dass er es so einrichtete, dass Bryan sein Statement nicht vortragen konnte, an dem er lange gefeilt hatte – warum soll das kein Trick sein?”
Wie viel und wie lang nun Bryan daran lange gearbeitet hat wir Darrow vermutlich nicht gewusst haben. Der Punkt ist doch, es sind ja genauso wenig Darrows Zeugen die dessen Standpunkt gestützt hätten zugelassen worden. Das Gericht wollte nur den Tatbestand des Falls behandeln und nicht die weltanschaulichen Aspekte die zu diesem Gesetz geführt haben. Damit war das Urteil klar was Darrow auch so gesagt hat, warum sollte er dann, wenn ihm nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde seinen Standpunkt darzulegen und durch Zeugen zu stützen, Bryan potentiell dazu eine Forum geben? Außerdem wusste Darrow sicherlich nicht was Inhalt des Abschlussplädoyer von Bryan war. Einen Trick würde ich das somit nicht bezeichnen.
“Der Fundamentalismus sollte als rückständig erwiesen werden – ganz gewiss gilt dies für das mediale Umfeld und Mencken insbesonders. Dass Bryan und andere auch nicht gute Antworten auf alles hatten, steht auf einem anderen Blatt.”
Es geht doch nicht um Rückständigkeit, sondern was sollte Inhalt von naturwissenschaftlichen Fächern sein? Nur Inhalte die in der Bibel stehen, oder was aktuell als wissenschaftlicher Standard vertreten wird? Das Gesetz verbot den Unterricht von Evolution, darum ging es, nicht ob die Aussagen der Bibel rückständig sind.
“Kein sozialdarwinistisches Argument? Darrow sagte klar: “these two are the victims”, also die beiden Mörder.”
Atheist Michael Shermer „Why Darwin Matters“ über Darrow: „His was a deterministic view of human behavior. „Man is in no sense the maker of himself and has no more power than any other machine to escape the law of cause and effect,“ Darrow opined. The boys were not ultimately responsible for the murder because human volition is a fiction: „each act, criminal or otherwise, follows a cause; that given the same conditions the same result will follow forever and ever.“ Darrow claimed that Leopold and Loeb were themselves victims, and their trial served as a platform for Darrow to argue the larger case that our actions are the product of environmental influences.“ Darwinismus selbst spielt hier natürlich direkt keine so große Rolle, aber der Determinismus fließt ja geradezu aus ihm heraus.
Sie haben es genau selbst geschrieben, das hat mit (Sozial-)Darwinismus überhaupt nichts zu tun. Dieser “Determinismus” der hier angesprochen wird, ist überhaupt kein Wesensmerkmal des Darwinismus. Um nochmal Wiki zu zitieren: “Gewöhnlich wird von Sozialdarwinisten damit eine Höherentwicklung zu einer wertvolleren Lebensform verbunden…” [https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus]
Darum geht es aber in dem Plädoyer von Darrow der beiden Mörder nicht, sondern wie eine Gesellschaft ihre eignen Mörder prägt und sie hervorbringt (unabhängig ob er mit der Position Recht hat oder nicht). Also KEIN Plädoyer für Sozialdarwinismus oder dass dieser als Rechtfertigung für die Taten herangezogen wurde.
“Im wikipedia-Eintrag zum Prozess: “The Leopold and Loeb case raised, in a well-publicized trial, Darrow’s lifelong contention that psychological, physical, and environmental influences—not a conscious choice between right and wrong—control human behavior.”
Sicher ging es Darrow um den Kampf gegen die Todesstrafe, und Kevin Spacey hat dem Anwalt im Film von 1991 auch ein Denkmal gesetzt, sicher bewusst anknüpfend an Inherit the Wind.”
Wie geschrieben, dass hat aus meiner Sicht nichts mit Evolution oder Darwinismus zu tun.
“Ich würde durchaus dabei bleiben, dass die Grundlagen von Moral und Justiz angegriffen werden. Was soll an diesem Schluss falsch sein? Wo werden hier Inhalte unterdrückt? Es ist wohl kaum zu leugnen, dass bei jedermann bestimmte Lehren, Aussagen usw. eigenen Vorstellungen nicht entsprechen und wir sie als falsch bezeichnen. Wo ist da das Problem? Soll man so ein Vorgehen als “unterdrücken” bezeichnen oder gar Lüge? Ich kann dieser Logik nicht folgen.”
Es ging in dem Prozess der ACLU darum ob Evolution in den Schulen gelehrt werden darf weil dies dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht. Evolution ist keine ethisches System, genauso wenig wie die Gravitationstheorie, in der auch immer unfairerweise der Massereichere “gewinnt”. Die Evolutionstheorie macht als solches zu Moral keine Aussagen. Aber soziales Verhalten ist in der Regel für das Überleben der Art sogar von Vorteil. Also wenn man so will stützt Evolution damit moralisches Verhalten eher. Zur Frage der Logik, die Logik hierbei ist, dass Moral und ET die an sich nichts miteinander zu tun haben, (bewusst?) fälschlich vermengt werden, weil die ET nicht in das Konzept einer christlich fundamentalistischen Weltanschauung passt. Deswegen will man verhindern dass eine wissenschaftliche Erkenntnis gelehrt wird. Der moralische Aspekt ist zum einen hier nur vorgeschoben und zum anderen spielt er für die Naturwissenschaft und was als solches in der Schule gelehrt werden sollte keine Rolle. Wenn ein geozentrisches Weltbild durch die Bibel geboten wäre (was manche tatsächlich auch noch so lesen) dann wäre das heliozentrische sicherlich moralisch ebenfalls bei christlichen Fundamentalisten nicht opportun.
http://moralmatters.org/tag/false-heliocentric-foundation/