Und wenn das Grab nicht leer war?
„In allen vier Evangelien (Mt 27,57-61; Mk 15,42-47; Lk 23,50-56; Jo 19, 38-42) wird davon berichtet, dass Jesus nach seinem Tod in ein Grab gelegt wurde (vgl. auch Apg 13,29 und 1. Ko 15,4). Damit wurde die Unbezweifelbarkeit seines Todes betont.“ So Jürgen Spieß in seinem kurzen Beitrag „Das Grab war leer“. Der ehemalige Leiter des Instituts für Glaube und Wissenschaft (IGUW) betont, dass die Kunde vom Fehlen des Leichnams Jesu historisch glaubhaft ist:
„Zeugen des leeren Grabes waren Soldaten, die das Grab bewachen sollten, Frauen, die kamen, um den Leichnam Jesu einzubalsamieren und die Jünger, die von den Frauen gerufen wurden. Bemerkenswert ist vor allem der Hinweis auf Frauen als Zeugen des leeren Grabes: ‘Wer hätte denn z. B. Ausgerechnet Frauen als … Zeugen erfunden, – wo doch nach damaligem Recht und allgemeinem Empfinden Frauen nicht als zeugnisfähig galten?’ (U. Wilckens)“
Texte dieser Art sind nötig geworden, denn seit einigen Jahrzehnten ist besonders das leere Grab Gegenstand von theologischen Debatten. Klaus Berger in Wer war Jesus wirklich?: „Oft gelten Auferstehungserscheinungen noch als annehmbar für vernünftige Menschen, weil man meint, Visionen ‘psychisch’ deuten zu können. Ein ‘leeres Grab’ dagegen gilt als nicht annehmbar.“ Die Fronten verlaufen hier quer durch die Konfessionen. Benedikt XVI räumte im zweiten Band von Jesus von Nazareth ein, dass das leere Grab sicher kein Beweis der Auferstehung Jesu ist. Doch der damalige Papst fragt: Ist aber die Auferstehung mit dem Bleiben des Körpers im Grab vereinbar? Kann Jesus auferstanden sein und doch noch körperlich im Grab liegen? Was ist dies dann für eine Auferstehung? Mit was für einer Wirklichkeit hätten wir es bei solch einer Art des Christentums zu tun?
In Theologie der Auferstehung (1933/82) nennt Walter Künneth (1901–1997) eine Auferstehung ohne Kunde vom leeren Grab eine „theologische Abstraktion“. Zum weitgehenden Schweigen vom leeren Grab in der Apostelgeschichte und den Briefen: „Die Apostel reden nicht ausdrücklich vom leeren Grab, nicht weil sie nichts davon wissen oder diese Tatsache leugnen, sondern weil das leere Grab im Zusammenhang mit der Auferstehungswirklichkeit für sie wie für ihre christliche-jüdische Umwelt eine Selbstverständlichkeit war…“ Künneth warnt vor einer „Verflüchtigung“, einer falschen Vergeistigung von Glaubensaussagen:
„Die geschichtszugewandte Seite der Auferstehung bringt das leere Grab zum Ausdruck. Es statuiert einerseits die Echtheit des Todes in der Beherrschung des Menschen durch das Grab, andrerseits korrespondierend die Echtheit des Lebens durch die Befreiung des Leibes aus dem Grab. Das leere Grab wird demgemäß zum stärksten Ausdruck für das Ausgerichtetsein der Osterbotschaft auf die konkret leibliche Auferstehung und zugleich zur klaren Sicherung gegen jede spiritualisierende Verflüchtigung zentraler Auferstehungsaussagen. Insofern ist das theologische Ernstnehmen des leeren Grabes keineswegs gleichgültig. Die Platonisierung der Theologie offenbart sich kaum an einem anderen Punkt deutlicher als gerade an dieser Frage.“
Mit allen wichtigen Fragen befasst sich auch Heinzpeter Hempelmanns Die Auferstehung Jesu Christi – eine historischen Tatsache?: „Wenn das Grab leer war, beweist das an sich noch nicht viel; umgekehrt wäre aber sehr viel damit ausgesagt, wenn es sich herausstellen sollte, daß es nicht leer war.“ Auch er hält fest: „Das leere Grab stellt von daher für den Apostel Paulus (wie die Urchristenheit) eine Selbstverständlichkeit dar, die nicht immer wieder erwähnt zu werden braucht.“ Er zitiert P. Althaus: „Das Auferstehungskerygma ‘hätte sich keinen Tag, keine Stunde in Jerusalem halten können, wenn das Leersein des Grabes nicht als Tatsache für alle Beteiligten festgestanden hätte’.“
Hempelmann bringt auf den Punkt, was auf dem Spiel steht:
„Wie will man (z.B. als Vertreter der objektiven oder subjektiven Visionshypothese) den Glauben vor einer Reduktion auf eine Einbildung der Jünger bzw. eine bloße Idee bewahren, wenn man nicht an dem leeren Grab festhält? Welche Wirklichkeit soll der Auferstandene denn dann gehabt haben? Handelt es sich dann noch um eine Wirklichkeit, die die unsere (erlösungsbedürftige und durch Kreuz und Auferstehung erlöste) überhaupt noch tangiert? Hätten die Erscheinungen des Auferstandenen angesichts des vor aller Augen verwesenden Leichnams Jesu wohl bei den Jüngern noch zu der umwälzenden Veränderung ihres Verhaltens geführt? Gerade die Behauptung, es bestehe absolut keine Relation zwischen dem Irdischen (Totengruft) und dem Auferstandenen, ist ja schlichtweg falsch.“
(Sehr gründlich hat sich auch der bekannte Apologet William Lane Craig mit dem leeren Grab beschäftigt, s. hier.)
In einem Artikel der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“ aus dem Jahr 1998 gab Theologe Ingolf Dalferth der Diskussion neues Feuer: Das Grab muss nicht unbedingt leer gewesen sein. „Volles Grab, leerer Glaube?“ findet sich auch in der von Wilfried Härle herausgegebenen Anthologie Grundtexte der neueren evangelischen Theologie (auf Litauisch vor zwei Jahren erschienen). Jacob Thiessen faßt Dalferths Thesen in Die Auferstehung Jesu in der Kontroverse zusammen:
„Ingolf Dalferth hält die Möglichkeit (!) der Verwesung Jesu im Grab dagegen für eine theologische Notwendigkeit. Er spricht in Bezug auf die Auferstehung (Auferweckung) von der ‘Anwendung der Botschaft Jesu von Gottes Heil schaffender und Leben eröffnender Nähe auf Jesus selbst’. Nicht die Auferweckung Jesu, sondern die Ostererfahrung der Jünger sei ‘der entscheidende historische Sachverhalt, auf dem die Auferweckungsbotschaft basiert.’ Dass Jesus ‘auferweckt wurde, muss nicht bedeuten, dass sein irdischer Leib nicht mehr m Grab sein könnte[…]’ Die Auferstehung der Toten schließe und hebe deren Verwesung nicht auf, und dasselbe gelte auch für Jesus.“
Was bedeutet „konstitutiv“?
Vor einer Woche hat die EKD den Grundlagentext „Für uns gestorben“ veröffentlicht. Dort heißt es gegen Ende (S. 182–183) zur Frage „War und ist das Grab Jesu Christi leer?“:
„Drei Dinge sind hier wichtig: Ein leeres Grab als solches kann niemals ein historischer Beweis dafür sein, dass Jesus Christus auch wirklich auferstanden ist. Denn der Leib Jesu Christi könnte immer auch auf andere Weise »abhanden« gekommen sein.
Zweitens ist wichtig: Der Vorgang der Auferstehung Jesu Christi lässt sich historisch als solcher nicht begreifen. Die Auferstehung ist nämlich etwas anderes als die Wiederbelebung eines Leichnams. Die Wiederbelebung eines Leichnams würde den Tod lediglich rückgängig machen und einen Zustand wiederherstellen, der vor dem Tod bestanden hatte. Ein wiederbelebter Leichnam muss und wird jedoch wieder sterben. Damit wäre zu wenig gewonnen.
Drittens: Es ist für die Auferstehungshoffnung nicht konstitutiv zu wissen, ob das Grab voll oder leer war. Entscheidend ist die erkennbare Identität des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Das Neue Testament berichtet, wie der Auferstandene unter die Jünger tritt und sie ihn wiedererkennen.“
Der erste Punkt ist unstrittig (s.o.). Im zweiten wird völlig richtig betont, dass Wiederbelebung und Auferstehung unterschiedliche Dinge sind (so z.B. auch John Stott in Basic Christianity, S. 70–71). Nur fragt man sich, was dies mit der ersten Aussage („Der Vorgang der Auferstehung Jesu Christi lässt sich historisch als solcher nicht begreifen“) zu tun haben soll. Beide Sätze werden zwar durch ein „nämlich“ verbunden, doch es wird überhaupt nicht deutlich, warum eine Auferstehung historisch anders gelagert sein sollte als eine Wiederbelebung. Irgendwie riecht dies schon nach der Platonisierung und Verflüchtigung, vor der Künneth warnte: die Auferstehung soll dem Raum der Historie ein Stück weit entzogen werden.
Auch im dritten Abschnitt wird Richtiges bekräftigt: das NT berichtet „wie der Auferstandene unter die Jünger tritt und sie ihn wiedererkennen“; sie bestätigen seine Identität: dieser Auferstandene ist derselbe Jesu, der zuvor schon gekreuzigt wurde. Natürlich ist dies „entscheidend“. Was soll aber der erste Satz bedeuten? („Es ist für die Auferstehungshoffnung nicht konstitutiv zu wissen, ob das Grab voll oder leer war.“) „Konstitutiv“ bedeutet „festsetzend, bestimmend“. An dieser Stelle ist der Begriff leider viel zu mehrdeutig. Ist damit gemeint, dass schon durch das leere Grab die Deutung „Auferstehung“ festgelegt ist? Folgt das eine aus dem anderen? Sicher nicht, s. der erste Punkt. Damit wäre hier dann aber nichts Neues ausgesagt. Ist mit „konstitutiv“ jedoch „grundlegend, wesentlich, elementar“ gemeint, sieht die Sache schon anders aus. Das leere Grab ist grundlegend für die Auferstehung, und das in vollem Sinne: ohne die Grundlage des leeren Grabes sind die Erscheinungen des Auferstandenen Illusion. So ist ja auch Paulus in 1 Kor 15,14 zu verstehen: „Ist Christus nicht auferstanden“, ist also z.B. das Grab voll geblieben, „so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich“.
Daher ist es nur zu bedauern, dass den Autoren des Grundlagentextes offensichtlich der Mut fehlte, in dieser Diskussion klar Stellung zu beziehen. Letztlich bleibt es bei der Frage, ob der Engel die Wahrheit sagte („Er ist nicht hier…“, Mt 28,6) und damit, so Klaus Berger, „ob Engel irren können“.
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