„Fundamentalisten“ am Pranger
Vor einer Woche, am 13. und 14. März, veranstaltete die Evangelische Hochschule Tabor das 4. Symposium der Forschungsstelle Neupietismus: „Pietismus – Neupietismus – Evangelikalismus: Identitätskonstruktionen im konservativen Protestantismus“.
Am Samtag sprach auch Erich Geldbach (Foto: idea/Rösler) zum Thema „Sind Baptisten Evangelikale?“. Der emeritierte Professor für Ökumene und Konfessionskunde der Uni Bochum ist Baptist und äußerte sich in seinem Vortrag nicht nur kritisch zur Ev. Allianz (in einer Idea-Meldung: „Kritik übte Geldbach auch an der Weltweiten Evangelischen Allianz. Ihr Glaubensbekenntnis sei so eng gefasst, dass es keinen Spielraum für die Erforschung der Heiligen Schrift lasse…”). Sein Fett bekam vor allem auch Thomas Schirrmacher weg. Dieser reagierte mit einem offenen Brief, der sich in der jüngsten Ausgabe der „Bonner Querschnitte“ (10/2015) findet. Im Artikel heisst es:
„Der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, hat seinen Kollegen, den Bochumer baptistischen Konfessionskundler Erich Geldbach, in einem offenen Brief aufgefordert, Begriffe wie ‚Erzfeinde‘ aus der Sprache der ökumenischen Beziehungen zu verbannen und sich intensiv mit den Mitgliedskirchen der Weltweiten Evangelischen Allianz im Globalen Süden vertraut zu machen. Geldbach hatte auf einem evangelikalen Symposium in Marburg am 14.3.2015 ein sehr negatives Bild der Weltweiten Evangelischen Allianz gezeichnet und Schirrmacher als „strengen Fundamentalisten“ bezeichnet. Zudem warf er ihm vor, keinerlei Expertise in Sachen Religionsfreiheit und Menschenrechte erkennen gelassen zu haben, aber wohlklingende Titel zu führen. Schirrmachers offener Brief schließt mit den Worten: „Lieber Herr Kollege, bitte beenden Sie Ihre ad-personam-Argumentationen und verunglimpfenden Äußerungen über andere weltweite christliche Bewegungen und klinken Sie sich in die theologische Gesprächskultur des 21. Jahrhunderts ein. Unsere unruhige Welt braucht ein aufeinander Zugehen aller Christen, kein auseinander Gehen.“
Anschließend ist der offenen Brief eingefügt, danach weitere detaillierte Widerlegungen der Behauptungen. Lesenswert!
Es ist nur zu begrüßen, dass Schirrmacher den Äußerungen Geldbachs widersprochen hat. Es scheint, dass Geldbach mit besonderer Vorliebe auf alles eindrischt, was nur nach Fundamentalismus riecht. Im Jahr 2006 widmete die SMD einer Nummer des Journals „transparent“ dem Thema (03/2006). Auch dort kam Geldbach ausführlich in einem Interview zu Wort und sparte nicht mit Kraftausdrücken. Damals schrieb ich einen Leserbrief an die Redaktion, der in der folgenden Nummer gekürzt wiedergegeben wurde. Hier nun aus aktuellem Anlass der ganze Text:
Bemerkungen eines „Fundamentalisten“
Fundamentalismus ist ein wichtiges Thema. Kaum ein Studierender wird dieser Debatte ausweichen können. Jüngst las ich den kämpferischen Artikel eines Tübinger Studenten, der seine Mitbewohner von der SMD im Karl-Heim-Haus wüst beschimpfte und natürlich des Fundamentalismus schollt. Insofern war es sehr gut, dass die „transparent“-Redaktion dies einmal zum Thema gemacht hat. Allerdings hat mich der Hauptbeitrag, das Interview mit Prof. Geldbach, nicht nur enttäuscht (von einer Klärung der komplexen Zusammenhänge kann kaum die Rede sein), er hat mich auch wegen seiner geradezu penetranten Aggressivität und seiner sachlichen Unzulänglichkeit massiv geärgert. Im Einzelnen:
Es wäre ja einmal sinnvoll gewesen, den historischen Zusammenhang des ursprünglichen Fundamentalismus aufzuzeigen, die Motivation der Autoren der Fundamentals von 1910–15 usw. – the big picture eben. Diese Einordnung geschieht ja in Ansätzen auch im Editorial. Bei Geldbach ist nichts dergleichen zu lesen. Bei ihm fragt man sich ständig: Wen meint er jetzt eigentlich? Wen hat er nun im Blick? Hat er mehrere Definitionen von Fundamentalismus? Von welcher ‘Art’ des Fundamentalismus spricht er nun? Hier wären saubere Klärungen unbedingt nötig gewesen. Offensichtlich fehlt Geldbach eine gesunde kritische Distanz zum Thema, denn er haut einfach immer nur drauf.
Die einzige klare Definition, die bei ihm zu finden ist, setzt Fundamentalisten mit den Anhängern der Irrtumslosigkeit der Bibel gleich: „Unfehlbarkeit und Fehlerlosigkeit, das ist der eigentliche Kern des Fundamentalismus“. Wohl sind alle christlichen Fundamentalisten Anhänger dieser Lehre, aber ist dies auch hinreichendes Kennzeichen? Sind alle Befürworter der Irrtumslosigkeit Fundamentalisten? Der Entwicklung und dem Sprachgebrauch unter Christen seit dem II Weltkrieg entspricht dies eigentlich nicht. Fundamentalismus ist seitdem von einer abwehrenden und negativen Grundhaltung geprägt: Kulturverneinung, Ablehnung von sozialem und gesellschaftlichem Engagement der Kirchen, Elitebewusstsein, Gesetzlichkeit, Militanz, enges und einseitiges Bibelverständnis, Ablehnung jeglicher ökumenischer Aktivitäten, überzogener Separatismus gelten als Kennzeichen des Fundamentalismus im engeren und (heute) eigentlichen Sinn.
Daneben gibt es zahlreiche Evangelikale, die sich ebenfalls zu Irrtumslosigkeit bekennen, aber die Bezeichnung Fundamentalist fast immer meiden. Sollen Henri Blocher (immerhin Präsident der FEET), D.A. Carson, Jim Packer, Francis Schaeffer und auch John Stott Fundamentalisten sein?? Letzterer, ja auch in IFES-Kreisen angesehen und beliebt, hält zwar wie viele andere Fehler- und Irrtumslosigkeit nicht für die besten Begriffe, bekennt sich aber in der Sache eindeutig zu ihnen (z.B. in „Evangelical Truth“). Die Gleichsetzung Irrtumslosigkeit und Fundamentalismus ist beliebt (bzw. Hermeneutik der Irrtumslosigkeit und fundamentalistisches Schriftverständnis) und ist so auch in anderen SMD-Publikationen anzutreffen. Sie scheint mit aber meist eher ein typisches Killer-‘Argument’ zu sein: Die Positionen der Irrtumslosigkeit wird gleich als fundamentalistisch dargestellt, weshalb sich jeder nähere Diskussionen erübrigt – denn Fundamentalismus ist ja, so die versteckte Prämisse, sowieso Quatsch.
Für Geldbach ist völlig klar und keinerlei Diskussion würdig, dass die Irrtumslosigkeit nicht dem „Selbstanspruch der Bibel“ entspricht. Ein Grund sei, dass in der Bibel, „nirgendwo diese Vokabeln von der Fehlerlosigkeit und Unfehlbarkeit auftauchen.“ Nun ist das Fehlen von irgendwelchen Begriffen theologisch überhaupt kein Problem. Schließlich finden wir auch „Dreieinigkeit“ oder „penal substitution“ nicht in der Bibel. Seltsam daher, solche Sätze von einem Professor zu hören. Seltsam auch solch eine kategorische Antwort zum vermeintlich eindeutigen Selbstanspruch der Bibel. „Fundamentalistische“ Theologen von höchstem Range, angefangen bei Packer über J. Wenham („Christ and the Bible“) bis hin zu John M. Frame und H. Stadelmann werden nicht müde die Irrtumslosigkeit solide biblisch zu begründen. Wissenschaftlich redlich wäre es, solche Bemühungen wenigstens zur Kenntnis zu nehmen anstatt sie mit Bausch und Bogen vom Tisch zu fegen.
Geldbach kritisiert weiter, dass „…die Fundamentalisten immer gerne für sich in Anspruch nehmen, die eigentliche Tradition des Christentums zu repräsentieren und zu bewahren. Schauen Sie sich doch Martin Luther an… “ Und es folgen die bekannten Äußerungen der Reformators zur Gewichtung der biblischen Bücher. Dies soll ein Beispiel „weitgehender theologischer Sachkritik“ sein, was ich hier jedoch überhaupt nicht erkennen kann. Luther (wie übrigens auch in den „Chicago“-Erklärungen, u.a. zur Irrtumslosigkeit, festgehalten!) – hat einfach erkannt, dass nicht alles in der Bibel gleiches Gewicht hat. Er ging hier sehr weit, und die meisten anderen Reformatoren folgten ihm nicht. Doch die Grenze zu echter Sachkritik hat doch Luther nirgendwo wirklich überschritten.
Außerdem hat E.J. Schnabel völlig recht: „Wenn die Überzeugung von der Verbalinspiration mit der Konsequenz ihrer unfehlbaren Autorität hinreichendes Kriterium für ‘Fundamentalismus’ ist, waren so gut wie alle Theologen bis weit ins 16. Jahrhundert ‘Fundamentalisten’, Luther und Calvin eingeschlossen.“ („Sind Evangelikale Fundamentalisten?“) Augustin und Aquin, Luther und Calvin, Bullinger und Bucer, John Owen und John Bunyan, Whitefield und Spurgeon bis hin zu B. Graham – allesamt vertraten sie die Irrtumslosigkeit der Schrift. Auch die oft arg gebeutelte Verbalinspiration ist keinesfalls „nichtchristlichen Ursprungs“ wie C.A. Schwarz meint, sondern biblisch gut begründet und traditionelles Glaubensgut der Kirche. Sie findet sich, wie auch der Sache nach die Irrtumslosigkeit, mehrfach in den Reformierte Bekenntnisschriften. Gerade diese Tradition wollten die Autoren der Fundamentals bewahren – wie gut oder schlecht sie des im Einzelnen auch immer getan haben. Dass die Irrtumslosigkeit eine ‘Erfindung’ der jüngsten Zeit sei, ist einer der offensichtlich unzerstörbaren Mythen.
Geldbach steigert sich dann in geradezu absurde Vorwürfe hinein: „Dagegen macht der Fundamentalismus aus der Bibel so etwas wie den Koran… Und das [die Bibel als wortwörtlich vom Himmel gefallenes Dokument] halte ich ehrlich gesagt für Häresie.“ Mir ist kein einziger ernsthafter „fundamentalistischer“ Theologe (nach Geldbachs Definition) bekannt, dessen Schriftverständnis dem des Islam auch nur ähneln würde. Sicher fällt bei Calvin und dann in der protestantischen Orthodoxie manchmal der missverständliche Begriff „Diktat“, doch selbst H. Pöhlmann bemerkt dazu: „Die Inspiration versetzt den Menschen nicht – wie bei der Koraninspiration Mohammeds – in einen willenlos-unbewussten Zustand“ („Abriß der Dogmatik“). Calvin und alle diese Theologen betonen die Rolle und den Anteil der menschlichen Autoren der Bibel. Eine Diktat-Theorie a la Koran vertreten auch die konsequentesten Irrtumslosigkeitsanhänger nicht. Wieso verunglimpft Geldbach sie dann so? Was sollen solche unsachlichen Vergleiche?
Mit Klischees geht es weiter. Die fundamentalistische Leugnung von Widersprüchen in der Bibel sei „aristotelische Philosophie“. Nach dieser Logik könnte man den von der Bibel geforderten Schutz der Arbeiter und ihrer Rechte als Marxismus bezeichnen. Wieso Geldbach dann die „zwei Schöpfungsberichte“ als ein Beispiel von Widersprüchen präsentiert, ist mir – aus evangelikaler Perspektive – völlig schleierhaft. Die Beeinflussung von Theologen durch diverse Philosophien ist natürlich unvermeidlich, und der Vorwurf lässt sich ja auch ummünzen (s. N. Geislers Beitrag „Das philosophische Vorverständnis der Bibelkritik“). Frage ist, ob der Bibel ein ihr fremdes, d.h. entgegengesetztes philosophisches Konzept übergestülpt wird. Geldbach würde dies sicher im Fall des „Fundamentalismus“ so sehen. Hier kann und muss scharf diskutiert werden. Doch Geldbach (und viele andere) tragen nur wie eine Monstranz den Vorwurf „Rationalismus“ und „rationalistisches Dogma“ vor sich her. Eine Beschäftigung und Würdigung von „fundamentalistischen“ Denkern wie F.A. Schaeffer, der sich eindeutig und klar vom Rationalismus abgegrenzt hat, aber auch unter Geldbachs Verdikt fallen würde, oder von Cornelius Van Til (Schaeffers Lehrer; noch so ein Ober-Fundamentalist), der sich ausführlich und differenziert mit Paradoxa, Spannungen und ‘Widersprüchen’ in der Bibel beschäftigte, ein Eingehen auf ihre Erörterungen des Themas – all das bleibt hier aus.
Was ist nun in positiver Hinsicht Geldbachs Schriftverständnis? In der Heiligen Schrift „begegnet Gott uns in einer ganz besonderen Weise.“ Schön. Das sehen alle Fundamentalisten und Evangelikale so. Aber bei Geldbach ist das auch alles. In dieser Weite könnten das alle modernistischen Theologen und Liberalen mitsprechen. Ich wüsste nicht, was daran noch spezifisch evangelikal sein soll.
Aber damit nicht genug. Geldbach gefällt nicht, „…daß in unseren Kreisen die Unterscheidung zwischen evangelikal und fundamentalistisch nicht genau wahrgenommen wird.“ Er kritisiert, dass sich Christen mit einem fundamentalistischen Schriftverständnis als „bibeltreu“ bezeichnen und gleichsam unerkannt unter der evangelikalen Flagge segeln: „Ich denke, man muß aufpassen, dass da keine Nebelschwaden entstehen… Ich habe den Eindruck, dass die Evangelikalen an dieser Stelle zu flexibel sind und Fundamentalisten kritiklos integrieren. Man weiß also bei dem Etikett ‘evangelikal’ nicht mehr wirklich, woran man ist. Diese Vermischung halte ich für gefährlich.“
Das ist schon ein starkes Stück! Der Professor meint hier doch ernsthaft, man solle die konservativen Evangelikalen, die Evangelikalen der Irrtumslosigkeit, nocheinmal: Packer, Stott, Stadelmann und Co., doch bitte einem Test der ‘theologischen Weite’ unterziehen und sie aus der Familie der Evangelikalen rausschmeißen. Wenn „evangelikal“ draufsteht, darf nicht „Irrtumslosigkeit“ drinstecken! Ich persönlich halte solch ernst vorgetragenen Sätze für frech, unverschämt und lieblos – und all das von einem Theologen, den F.A. Schaeffer zweifellos als pseudoevangelikal bezeichnet hätte! (Auch Packer drehte den Spieß schon um: „‘Fundamentalism’ is just a twentieth-century name for historic Evangelicalism…“)
Stichwort Schaeffer: Mit dem Gründer der L‘Abri Fellowship, der ja auch nicht wenige Sympathisanten in der SMD hat, hätte man sich bei so einem Thema sinnvoll beschäftigen können. Schaeffer hatte seine persönliche Geschichte mit dem Fundamentalismus (im von mir oben dargestellten Sinne), hatte seine eigenen Konflikte mit den separatistischen Fundamentalisten und grenzte sich deutlich von ihnen ab. Hauptproblem war für Schaeffer ihre Lieblosigkeit. Wenn Geldbach nur so um sich haut und eine Ohrfeige nach der anderen austeilt – Häretiker, Rationalist, Bibelverfälscher, stolze Machtmenschen –, dann erscheint mir das auch nur lieblos.
‘Problematisch’ aber bei Schaeffer: Er gehörte zu den Vorkämpfern der Irrtumslosigkeit und den Initiatoren der „Chicago“-Erklärungen. Sein letztes Buch, ein wahres Vermächtnis („die wichtigste Aussage, die ich je niedergeschrieben habe“), behandelt all unsere Themen. In „Die große Anpassung“ (das Original noch schärfer: „The Great Evangelical Disaster“) warnt Schaeffer ein letztes Mal massiv davor, ein strenges Schriftverständnis aufzuweichen. Schaeffer will das Label „evangelikal“ nur dann vergeben, wenn auch „Irrtumslosigkeit“ der Sache nach drin ist. Soviel zu Geldbach. Weiter schreibt er:
„Ohne eine feste Meinung zur Bibel als Grundlage sind wir für die schwierigen Zeiten nicht gewappnet. Nur wenn die Bibel ohne Irrtum ist – nicht nur, wenn sie über die Erlösung spricht, sondern auch dann, wenn sie über die Geschichte und den Kosmos berichtet – , haben wir eine Basis für die Beantwortung von Fragen, die uns im Hinblick auf die Existenz des Universums mit seiner Ordnung und im Hinblick auf die Einzigartigkeit des Menschen gestellt werden. Ohne ein tragfähiges Fundament haben wir auch keinerlei absolute moralische Maßstäbe oder Heilsgewißheit, und die nächste Generation von Christen wird nichts haben, auf das sie sich stützen kann. Unseren geistlichen und leiblichen Kindern wird man einen Boden zurücklassen, den man ihnen unter den Füßen wegziehen kann. Sie werden keine Basis haben, auf die sie ihren Glauben und ihr Leben gründen können.“
Worte mit Gewicht, deren Relevanz für jeden unter Studenten Arbeitenden auf der Hand liegen – nicht von einem fundamentalistischen Spinner aus dem theologischen Abseits, sondern von einem der größten Denker und Evangelisten des Christentums im 20. Jhdts. und sicher einem der bedeutendsten Propheten, den die Kirche je hervorgebracht hat. Sicher liegt diese Spitze von Schaeffers Botschaft so manchen deutschen L‘Abri-Freunden schwer im Magen. Hier pickt man sich eben gerne die ganz und gar nicht fundamentalistische Methode, die Sensibilität und Hochschätzung von Kultur und Diskussionen heraus, übersieht aber und ignoriert das theologische Herz (bis heute) von L‘Abri: das „fundamentalistische“ Schriftverständnis.
Noch einmal zu Geldbach, dem die Munition nicht ausgeht: „Dem Fundamentalismus als geschlossenem System ist axiomatisch der Anspruch mitgegeben, wahr zu sein und ganz alleine das wahre Christentum zu repräsentieren. Jeder Nicht-Fundamentalist ist völlig außen vor.“ Fundis im oben von mir dargestellten Sinne mögen z.T. so auftreten (ich kenne aber auch sehr demütige, ja vorbildliche ‘richtige’ Fundamentalisten). Dennoch frage ich mich wieder, wen er hier meint. Mein Eindruck von Christen mit einem strengen Schriftverständnis ist nicht so. Schon Geldbachs Glaubensbruder C.H. Spurgeon – noch so ein ganz schlimmer Fundamentalist und eingeschworener Calvinist dazu – konnte seine Theologie vehement verteidigen und als das Evangelium darstellen. Aber er wusste gleichzeitig doch auch genau, dass die Grenzen des Reiches Gottes weiter sind. Und obwohl er die Theologie von John Wesley überhaupt nicht teilte, schätzte er den Gründer des Methodismus so sehr, dass er ihn am liebsten den biblischen Aposteln zugefügt hätte.
Fazit: Obwohl sich Geldbach vom Anti-Fundamentalismus abgrenzt, präsentiert er dennoch eine Anti-Haltung. Hilfreich und gut waren seine Sätze wahrlich nicht, vielmehr gekennzeichnet von einer geradezu fundamentalistischen Enge. Ich wünsche mir, dass man bei der SMD die Anhänger der Irrtumslosigkeit nicht als „fundamentalistisch“ abkanzelt (wenigstens in der Wortwahl könnte man vorsichtiger werden); dass man zur Kenntnis und ernst nimmt, was die besten „fundamentalistischen“ Denker produziert haben; dass man sich vom Schubladendenken abwendet; und dass man sich auf Zeiten einstellt, in denen Anti-Fundamentalismus in der weltweiten evangelikalen Familie eine peinliche Minderheitenposition wird – verständlich nur noch einigen Professoren an Unis wie in Marburg oder Bochum.
So hielt es vor rund 40 Jahren Helmut Thielicke, ganz der hochmütige Professor aus Hamburg, für die „Schicksalsfrage des amerikanischen Christentums, wie es mit dem Problem des Fundamentalismus fertig wird“. Ich würde es heute eher so sehen: Schicksalsfrage der europäischen Kirchen und Werke ist es, wie sie auf das Erstarken des weltweiten konservativen Evangelikalismus reagieren. Philip Jenkins prophezeite, dass Nordamerika auch in diesem Jahrhundert ein christlicher Kontinent bleiben wird – Europa allerdings nicht.