Woran glaubt die BÖK?
„Hetzprediger“ (Frankfurter Rundschau), „Krawall-Pastor“ (taz), „Pöbel-Pastor“ (Bild) oder auch vielfach „Hassprediger“ – solch einen medialen Shitstorm wie in den vergangenen zwei Wochen, noch dazu um einen Geistlichen einer deutschen Landeskirche, gab es wohl noch nie in der Bundesrepublik. Die Predigt „An Gideon die Reinigung von fremden Göttern lernen“, gehalten von Pastor Olaf Latzel am 18. Januar 2015 in der evangelischen St. Martini-Gemeinde in Bremen, hat ein weites und lautes Echo ausgelöst. Begriffe wie „Dreck“ und „Blödsinn“ stießen vielen übel auf. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie Ermittlungen aufnimmt wegen Volksverhetzung. Nicht nur die Presse ist in ihrem Urteil eindeutig. Scharfe Kritik kommt genauso aus der Bremischen Kirche (BEK). Ihr Leiter Renke Brahms sprach von „geistiger Brandstiftung“. Latzels Worte seien geeignet, „Gewalt gegen Fremde, Andersgläubige oder Asylbewerber“ zu schüren. Ähnlich sein Stellvertreter Bernd Kuschnerus: „Das ist eine klare Provokation, das ist ein Schüren von Fremdenhass.“
Deutliche Worte kommen auch aus der lokalen Politik. Der Bremer Bürgermeister von der SPD: „Hier wird zum Religionskampf aufgerufen“. MdB Elisabeth Motschmann, Spitzenkandidatin der Bremer CDU für die Bürgerschaftswahlen, bezeichnete die Predigt als unverantwortlich: „Die polemischen Beschimpfungen anderer Religionen schaden in hohem Maße dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, um den wir gerade jetzt so ringen.“
„Ende der Vielfalt“
In den sozialen Medien hat Latzel viel Rückhalt, aber der öffentliche Tenor ist eindeutig: Latzel muss an die Kandare genommen werden, oder noch besser: raus! In der Bremischen Kirche sind die Pastoren jedoch einzig ihrem Kirchenvorstand gegenüber verantwortlich, und in St. Martini steht der geschlossen hinter dem Pastoren. Ein Redaktionskommentar im „Weser-Kurier“ fordert daher: „Die Kirche hat sich eine Verfassung gegeben, also kann sie die auch ändern. Warum also keinen Rauswurf möglich machen?“
Um einen Maulkorb für den Pastor ist auch die Resolution einiger kirchlicher Mitarbeiter in Bremen, gerichtet an die Kirchenleitung, bemüht: „Diese Vielfalt muss da ein Ende haben, wo andere in ihrer Existenz bedroht und verunglimpft werden. Diese Haltung darf in der BEK keine Meinung darstellen!… Der Kirchenvorstand der St. Martini-Gemeinde muss zu entsprechendem Handeln klar aufgefordert werden. Ansonsten ist ein Verbleib dieser Gemeinde im Verbund der BEK unerträglich.“
Kein Blatt vor den Mund nimmt auch Matthias Güldner, der Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bremer Bürgerschaft. Auf seiner Homepage bezeichnet er Latzel als „offensichtlich wirren, aber darum nicht minder gefährlichen“ Pastor. Er habe „mit viel sektiererischem Eifer“, „alttestamentarisch mit Schwert, Blitz und Donner, zugleich in irritierender Weise pseudo-reformiert“ gepredigt.
Dann schlägt er die Brücke zum Wahabismus und Salafismus. Ähnlich wie der fundamentalistische Islam wolle Latzel „diese angeblich einzige Interpretation des Glauben gegen den gesamten ungläubigen Rest der Menschheit durchsetzen“. Anderen Religionen und Kirchen würde „schlichtweg die Legitimation abgesprochen“. Güldner erwähnt die Aufforderungen zur Reinheit vom Götzendienst, die Beseitigung der Götzen und meint anschließend: „O-Ton Pierre Vogel, das ist IS und Al-Qaida. Das sind Predigtworte, die zu Hass und Gewalt aufrufen.“ Er schließt seinen Kommentar wie folgt: „Das Wort geht immer der Gewalt voraus. Pastor Latzel hat es deutlich ausgesprochen, und die gesamte Bremer Zivilgesellschaft muss sich dagegen wehren.“
„Vermaledeite Abgötterei“
Hört man sich die halbstündige Predigt im Internet an, so ist kaum ersichtlich, wo dort zur Gewalt gegen andere Menschen aufgefordert werden solle. Es geht in dem Text aus dem Buch Richter um die Beseitigung von Götzenbildern. Latzel zeigt den Hörern konkret auf, wo sie sich selbst von neuheidnischen Bräuchen abwenden sollen. Er ist damit keineswegs pseudo-reformiert, steht vielmehr in der Tradition des Heidelberger Katechismus, der in der Antwort zu Frage 94 ebenfalls nichts an Deutlichkeit vermissen lässt. Zum ersten Gebot heißt es dort: „Gott will, dass ich allen Götzendienst, alle Zauberei und Wahrsagerei, allen Aberglauben, auch das Anrufen der Heiligen oder anderer Geschöpfe meide und fliehe, damit ich meiner Seele Heil und Seligkeit nicht verliere.“ Zumindest alle kirchlichen Opponenten, zumal die aus dem reformierten Flügel der BEK, müssen sich fragen lassen, wie sie denn diesen Satz und das erste Gebot ins Heute auslegen würden. Doch sie scheinen den Götzendienst nun einzig im Bereich von Wirtschaft und Konsum zu erkennen, Stichworte Globalisierung, Neoliberalismus und Kapitalismus. Der religiöse Götzendienst scheint ausgestorben.
Es ist geradezu absurd: Die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ dürfen sich über alle Religionen und alles Religiöse lustig machen; wenn sie dabei weit unter der Gürtellinie agieren, sei dies im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit zu tolerieren. Bedient sich ein Geistlicher in seiner eigenen Kirche einer saloppen und deutlichen Sprache im Hinblick auf das Verhalten seiner Glaubensgeschwister, so wird sein Kopf gefordert. Es ist schon interessant, wie man Sätze dermaßen missverstehen kann: Latzel forderte persönliche Konsequenzen im Leben der Zuhörer: Buddha-Figuren, Talismane, Glücksbringer usw. – weg! Keine Teilnahme von evangelischen Christen an muslimischen Festen oder katholischen Kulthandlungen. Nirgendwo stilisierte er sich zum Tempelreiniger à la Jesus oder forderte die Gläubigen zu Gewalt auf (wie er auch z.B. in TV-Interviews mir Radio Bremen klarstellte). Als Pastor stellte er Warnschilder auf wie dies schon der Heidelberger Katechismus in seiner berühmten 80. Frage tat. Dort wird bekanntlich die römische Messe als „vermaledeite Abgötterei“ bezeichnet. (Nun schwächt eine Fußnote in den meisten Ausgaben diese knallharte Antwort ab.)
Die Reformatoren hätten es heute in ihren Kirchen schwer, nahmen sie doch oft keinerlei Blatt vor den Mund. Luther nannte die scholastische Theologie seiner Zeit „lügenhaftes, verfluchtes, teuflisches Geschwätz.“ Johannes Calvin stand dem nicht nach, bezeichnete die scholastische Arbeitsweise als „esoterische Magie“. Selbst im ‘milden’ Niederländischen Bekenntnis (1561) wird eine falsche Lehre schon mal „abscheuliche Meinung“ (Art. 13) genannt. Und im Zweiten Helvetischen Bekenntnis (1566) ist die Rede von der „Tyrannei“ des Papstes (Art. 17). Das Westminster-Bekenntnis (1647) schreibt vor, dass Evangelische „nicht mit Ungläubigen, Päpstlichen oder anderen Götzendienern eine Ehe eingehen“ dürfen (Art. 24,3).
Bekanntlich liebte Luther den deftigen Ausdruck. Schon im Vorwort der Schmalkaldischen Artikel (1537) ist viel vom Teufel und seinem Gift die Rede. Wir lesen in der Bekenntnisschrift von „schrecklichstem Greuel“, da wird „verdammt und verworfen“; „Drachenschwanz“, „Teufelsgespinst“, „Ungeziefer und Geschmeiß“ tauchen auf. Er spricht vom „schändlichen, lästerlichen, verfluchten Jahrmarkt von Seelenmessen“. „Abgötterei“ und „antichristliche Mißbräuche“ gehören zu den gern gebrauchten Begriffen des Reformators.
Nun muss man diese Ausdruckweise heute natürlich nicht unbedingt kopieren. Zeiten ändern sich, und auch Latzel erreichte ja lange nicht das Niveau eines Luthers. Beachtet werden sollte in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Bibel selbst – wenn es denn nötig ist – Tacheles redet. Paulus warnt z.B. vor Irrlehrern, denn „alles, was sie von sich geben, [ist] leeres Gerede“ (1 Tim 1,6). Sie sind „Lügenredner“, „ihr Gewissen ist so abgestumpft, als wäre es mit einem glühenden Eisen ausgebrannt worden“ (1 Tim 4,2); sie wissen „in Wirklichkeit überhaupt nichts“ (1 Tim 6,4). 2 Tim 2,16f fordert der Apostel, „gottlosem Geschwätz“ aus dem Weg zu gehen.
Jesus selbst griff in Mt 23 die religiösen Leiter seiner Zeit ungewöhnlich scharf an. Er attackierte sie natürlich nicht physisch, aber die Worte sind an Aggressivität kaum zu übertreffen (das mehrfache „wehe euch“ ist eine Verfluchungsformel!). Wichtiges verbales Mittel zur Vertreibung der Wölfe in der Herde des Volkes Gottes ist Spott (Jes 44,9–20; Jer 10,3–15; Gal 5,12 sinngemäß: „sollen sie sich doch selbst kastrieren!“), Sarkasmus (1 Kön 18,27; Ri 10,14; Mt 6,2), teilweise bittere Ironie (Hes 28,3; Klg 4,21; Am 4,4; Mk 7,9) und groteske Bilder (Mt 7,3.6; 10,25; 23,23–24).
„Respekt vor dem alten Christentum“
Heute dominiert in den Gemeinden jedoch ein sentimentaler Ton, der sich wie eine religiöse Einheitssoße über alles legt. Prägnante Äußerungen sind da nur noch zu politischen (man denke an Käßmanns Afghanistan-Bemerkung), gesellschaftlichen und natürlich wirtschaftlichen Themen zu erwarten. Zwar fehlt den Kirchenvertretern hier oftmals die Kompetenz, doch dies führt nicht zur Milde im Ausdruck (man lese nur das unsägliche Accra-Bekenntnis der Reformierten: da wissen einige ‘Experten’ ganz ganz genau, was global falschläuft). Im Bereich der kirchlichen Kernkompetenz – Glaube und Gebote, Gesetz und Evangelium, Himmel und Hölle – beginnt dagegen der rhetorische Eiertanz. Der Kirchengeschichtskenner und Agnostiker Kurt Flasch: „Die Christenheit von heute badet gern in einer Rhetorik der Liebe… Ich habe einen gewissen Respekt vor dem alten Christentum, das sagt, entweder du glaubst, oder du kommst in die Hölle. Damit kann ich etwas anfangen, mit dem heutigen Drumherumreden vieler Theologen nicht. Die wissen ja noch nicht einmal mehr, ob es die Hölle gibt.“ („Der Spiegel“, 43/2013)
Theo Lehmann, Latzels Amtskollege aus Sachsen, der schon seit Jahrzehnten sich von niemandem den Mund verbieten lässt: „Weltfremde, bibelfremde, verschwommene Verkündigung ist heute so verbreitet, dass es schon auffällt, wenn mal einer Klartext redet“. Der bekannte Prediger und Evangelist: „Ein ganz Schlauer hat das blöde Wortspiel erfunden: ‘Frohbotschaft statt Drohbotschaft’. Aber erstens ist die Rede von Gericht und Hölle keine Drohung, sondern eine Warnung. Eine Drohung kommt meistens aus dem Hass. Eine Warnung kommt aus der Liebe. Und zweitens ist die Gerichtspredigt, wie Paulus im Römerbrief betont, ein Teil des Evangeliums. Evangelium heißt: du musst nicht in die Hölle, du darfst in den Himmel! Und die einzige Möglichkeit, dahin zu kommen, heißt Jesus.“ („Aufbruch“, Informationen des Gemeindehilfsbundes, Januar 2015)
Das würde auch Latzel unterschreiben. Viele in der BEK können mit ihrem „Hetzprediger“ auch deshalb nichts anfangen, weil sie sich von der Lehre über eine „große Scheidung“ (C.S. Lewis) – ein Weg führt in den Himmel, ein anderer in die Hölle – weitgehend verabschiedet haben. Auf den Seiten der BEK findet man viele „Spirituelle Angebote“; sucht man nach den reformierten und lutherischen Glaubensgrundlagen, muss man sich zu den verlinkten Seiten der EKD durchklicken. Dort finden sich interessanterweise die 95 Thesen, die aber noch wenig Evangelisches in sich tragen (und ja auch keinen Bekenntnisrang haben). Luthers Schmalkaldische Artikel, immerhin neben den Katechismen die einzige Bekenntnisschrift der Lutheraner aus der Feder des Reformatoren, sucht man dagegen vergebens. Seine saftigen Worte werden nun offensichtlich als unpassend empfunden und einfach ignoriert.
Die BEK führt das Evangelium im Namen, genauso wie die EKD. Es ist nun gewiss kein Kennzeichen von Radikalität, wenn man daher fragt, wie diese Evangeliums-Kirche das Evangelium definiert. In der Marketing-Sprache: Was ist eure Alleinstellung? Was ist euer Produktvorteil? Was habt ihr im Angebot? Auf den BEK-Seiten ist da kaum etwas zu entdecken, allerhöchstens Kombinationen wie „Solidarität und Soziale Gerechtigkeit im Sinne des Evangeliums“. Auch auf den EKD-Seiten muss man schon suchen und findet dann eigentlich (neben den historischen Bekenntnissen!) nur die „10 AnGebote“. Dort wird das Evangelium verschwurbelt so umrissen: „Gottes Liebe zu den Menschen und zu seiner ganzen Schöpfung“; „Gott ist ein Freund des Lebens“; eine Wahrheit, „die Menschen sich nicht selber sagen können. Diese Wahrheit, in der Jesus Christus gelebt hat, gibt auch deinem Leben einen Sinn.“ Das war’s. Unternehmensberater würden hier gewaltige Defizite feststellen: um die Identität des Kernproduktes steht es schlecht.
Es gibt sie noch, die Bekenntnistexte der großen evangelischen Kirchen. Noch werden Ordinierte auf sie verpflichtet. Sie sind durchzogen von der Wahrheitsfrage und geben klipp und klare Antworten auf existentielle Fragen, auf Fragen um Leben und Tod. Doch auf Seiten von Gemeinden, Kirchenkreisen oder den Kirchen der EKD selbst spielen diese Dokumente meist keinerlei Rolle. Die Kommunikationsstrategie ist eindeutig: keine Relevanz für das heutige Gemeindeleben. Die Bekenntnisse sind tief in der historischen Schublade verstaut. So werden dann auch die Kraftausdrücke der Reformationsepoche in der Geschichte entsorgt.
Es ist daher nur als Frechheit zu bezeichnen, wenn Güldner (s.o.) meint, Latzel hätte sich ein eigenes, neues Bekenntnis zusammengebastelt und wäre pseudo-refomiert. Gott sei Dank legen nicht Politiker, Journalisten und auch nicht Beamte in Kirchenleitungsgremien fest, was reformiert ist und was nicht. Ob einem der Predigtstil des Pastors der Gemeinde St. Martini gefällt oder nicht – ihm liegt, ganz auf der Linie des Heidelbergers, „Heil und Seligkeit“ (Fr. 94) der Menschen am Herzen. Auch wenn ihn manche in der BEK am liebsten rausekeln wollen, und auch wenn inzwischen durch Entschuldigungen das stürmische Wasser geglättet wurde: „evangelisch“ sollte man bei St. Martini und anderen bekenntnistreuen Gemeinden lassen. Ansonsten möchte man den Bremern wohl eine angemessenere Umbenennung ans Herz legen: BÖK – Bremische ökofairsolidarische Kirche. Was für ein Blödsinn! Aber es wäre ehrlicher.
Hier gibt es einen Kommentar aus katholischer Perspektive.
[…] Zuerst erschienen auf lahayne.lt […]