Taufe, Glaube und Einheit
In der vergangenen Woche traf eine große Delegation der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) mit dem Papst in Rom zusammen. Wie gewohnt klingen die Überschriften der evangelikalen Pressemeldungen vollmundig: „Evangelikale und Katholiken waren sich noch nie so nah“ (idea). In gewisser Hinsicht stimmt dies natürlich, denn es wurde wohl noch nie so intensiv an der Spitze miteinander geredet. Und daran ist im Grunde nichts auszusetzen. Sicher, die Kontakte sind intensiv, der Dialog Wirklichkeit – aber ist damit tatsächlich eine „neue Ära“ ausgebrochen?
Mit diesem Begriff wird der scheidende WEA-Generalsekretär Geoff Tunnicliffe aus Kanada zitiert. Dieser greift offensichtlich eine Pressemittteilung des Vatikans auf, die die Ansprache des Papstes vom Treffen mit den Evangelikalen in italienischer und englischer Sprache wiedergibt.
Dort heißt es gegen Ende: „Ich vertraue darauf, dass der Heilige Geist, der die Kirche inspiriert, an der Suche nach neuen Methoden der Evangelisierung festzuhalten, eine neue Ära der Beziehungen zwischen Katholiken und Evangelikalen einläuten wird, so dass der Wille des Herrn, das Evangelium bis an die Enden der Erde zu bringen (Apg 1, 8), voller verwirklicht wird.“ Leonardo De Chirico weist in seinem Blogeintrag auf diese Rede des Papstes hin. Und er hinterfragt die vom Papst selbst ausgerufene neue Ära („A New Era Between Catholics and Evangelicals?“).
De Chirico, reformierter Baptist, stellt dar, dass Franziskus ganz der traditionellen Linie folgt und die Grundlage der Einheit der Christen in der Taufe sieht. Der Papst zitiert in seiner Ansprache Eph 4,13 über die „Einheit des Glaubens“ und meint dann: „Diese Wahrheit gründet in unserer Taufe, durch die wir an den Früchten von Christi Tod und Auferstehung teilhaben. Die Taufe ist Gottes kostbare Gabe, die wir gemeinsam haben.“ (This truth is grounded in our Baptism, by which we share in the fruits of Christ’s death and resurrection. Baptism is God’s priceless gift which we have in common.) Franziskus spricht von der „tiefen Einheit“, die durch die Gnade „in allen Getauften“ geschaffen worden ist (profound unity brought about by grace in all the baptized).
De Chirico, einer der Leiter der Ev. Allianz Italiens: „Dass Christen schon in der Taufe vereint sind, ist eine von vielen geteilte ökumenische Überzeugung, aber es ist nicht die historische evangelische Position… Der Punkt ist, dass, wenn Evangelikale mit dem Papst über die Einheit reden und der Papst mit ihnen über die Einheit spricht, von beiden Seiten das gleiche Wort gebraucht wird, sie damit aber verschiedene Dinge meinen.“
Er fragt daher abschließend völlig zu Recht, warum nun von einer „neuen Ära“ geredet wird. Schließlich ist man sich nicht einig, was Einheit überhaupt im Kern ausmacht; man ist sich uneins über die Grundlagen der Einheit. Weiterhin. Fortschritte in der Gesprächskultur und einige Bereiche der Kooperation – ja; doch hinsichtlich der theologischen Grundüberzeugungen sind die Unterschiede immer noch gravierend. Das würden die Ökumene-Verantwortlichen der WEA sicher auch so sehen. Doch warum greift Tunnicliffe nun ausgerechnet diesen Begriff auf? Und warum formuliert die Presse so einseitig enthusiastisch?
„Ein sakramentales Band der Einheit“
Der Papst hat, wie gesagt, zu Taufe und Einheit nichts Neues gesagt. Im „Dekret über den Ökumenismus“ des II Vatikanischen Konzils heißt es: „Der Mensch wird durch das Sakrament der Taufe… in Wahrheit dem gekreuzigten und verherrlichten Christus eingegliedert und wiedergeboren zur Teilhabe am göttlichen Leben… Die Taufe begründet also ein sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind“ (Unitatis redintegratio, 22). Zu Beginn des Dekrets wird festgehalten, Gott habe in der Kirche das „wunderbare Sakrament der Eucharistie gestiftet, durch das die Einheit der Kirche bezeichnet und gestiftet wird“ (2).
Diese Taufe ist nun „hingeordnet auf das vollständige Bekenntnis des Glaubens, auf die völlige Eingliederung in die Heilsveranstaltung, wie Christus sie gewollt hat, schließlich auf die vollständige Einfügung in die eucharistische Gemeinschaft.“ (22) Den Protestanten fehlt der „volle Glaube“ (Lumen gentium, 15); sie sind daher auf die „völlige Eingliederung“ in der Kirche mit der Fülle der Heilsmittel und des Glaubens ausgerichtet. Daher ist jeder christlich Getaufte (also auch alle Evangelischen) auf die katholische Kirche hin ausgerichtet, also in gewisser Weise unvollkommen katholisch: „Denn wer an Christus glaubt und in der rechten Weise die Taufe empfangen hat, steht dadurch in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche.“ (3) Tatsächliche Einheit ist also sakramentale Einheit; in der Taufe besteht sie schon, und vollkommen ist nur mit der katholischen Eucharistie zu haben. Die Protestanten müssten ihre unvollkommene und fehlerhafte Lehre aufgeben und sich dem katholischen Messopfer anschließen.
Die Überbewertung der Sakramente, konkret der Taufe, war übrigens auch am ganz anderen Ende des kirchlichen Spektrums anzutreffen. Im täuferischen Schleitheimer Bekenntnis von 1527 wird betont, dass man „zu einem Leib Christi“ vereinigt wird und zwar „durch die Taufe“, d.h. allein die Gläubigentaufe von Erwachsenen. Scharf verurteilt werden daher nicht nur die „päpstlichen“, sondern auch die „widerpäpstlichen Werke und Gottesdienste, Versammlungen, Kirchenbesuche…“ Die „Widerpäpstlichen“ sind die anderen Evangelischen: Lutheraner und Reformierte. Damit wird den Gläubigen unter ihnen implizit, aber eindeutig der Glaube und das Christsein abgesprochen. Heutige anabaptistische Kirchen wie die Mennoniten lehren so etwas natürlich nicht mehr.
Einheit der Glaubenden
Im Allianz-Bekenntnis wird betont, dass es die Gläubigen sind, „die die weltweite Gemeinde bilden, den Leib, dessen Haupt Christus ist“. Der Glaube macht den Christen und diese wiederum die Kirche. Es sind aber die wahrhaft Gläubigen, die die Kirche im eigentlichen Sinne bilden, nicht einfach jeder Getaufte, der nach katholischem Verständnis damit auch glaubt. „Gemeinschaft aller Heiligen“ sind, so im reformierten II Helvetischen Bekenntnis, diejenigen, die Gott „wahrhaft erkennen und recht anbeten“ (17).
Diese geistliche Einheit der Glaubenden – in welchen Kirchen auch immer – besteht schon, denn das Band der Einheit, der Geist Christi, wohnt in all diesen Christen (s. Eph 2,11f; 1 Kor 12,12–13). Diese Einheit ist zuerst eine unsichtbare Einheit, die als solche keinen Mangel hat. Auch sie drängt zur sichtbaren Einheit, zur Konkretisierung. Jedoch nicht, um auf diese Weise erst ‘wahre’, volle, wesentliche Einheit zu werden.
Halten wir also fest: christliche Einheit kann nur Einheit der Gläubigen sein. Deshalb betont z.B. Peter Strauch im Namen seines Gemeindeverbandes: „einer geistlichen Gemeinschaft auf der Basis von Taufe und Kirchenmitgliedschaft müssen wir uns verweigern“ (Typisch FeG). Denn nur die Gläubigen sind mit Gott eins, nämlich mit ihm versöhnt (s. Joh 17,21). Wenn Chiara Lubich (1920–2008) und die katholisch-ökumenische Fokolare-Bewegung die Einheit der Menschheit anstreben (s. auch Lumen gentium, 13), dann haben sie Jesu Aussagen in Joh 17 völlig missverstanden, denn dort betet Jesus ja ausdrücklich nicht für die ungläubige Welt (V. 9). Übrigens traf sich der Papst am 7. November, einen Tag nach dem Treffen mit der WEA, mit Vertretern der Fokolare-Bewegung.
Glaube und Taufe
Wie De Chirico richtig betont, lehrt die „historische evangelische Position“ nicht die Einheit qua Taufe. Die großen Ökumeniker unter den Reformatoren waren Bucer, Bullinger und Calvin. Diese historische Position geht auch auf sie zurück. Hier seien nur noch die Gedanken des Letzteren zu Glaube, Taufe und Einheit skizziert.
Calvin äußerte sich nur in zwei Texten über seinen persönlichen Weg zum Glauben. Im Antwortschreiben an Kardinal Sadoleto aus dem Jahr 1539 blickt der 30jährige zurück: Ja, er wurde als Christ erzogen, „ich habe mich immer zum christlichen Glauben bekannt“. Doch „die Fackel“ des Wortes Gottes „war uns weggenommen“, weshalb er nur „Bruchstücke“ des Evangelium gehört hatte – „derart dürftig, dass sie mich zur rechten Verehrung Deiner Gottheit [in diesem Briefabschnitt wendet er sich an Gott] nicht anleiten konnten“. Er hatte keine „zuversichtliche Hoffnung“ auf sein Heil; er war in „Unwissenheit und Irrtum“ gefangen; er wusste, dass allein Gott zu verehren sei und dass Jesu Tod Erlösung wirkt. Doch „diese Erlösung war mir ein Traumbild, dessen Wirklichkeit nie bis zu mir gelangte.“ Daher erwartete er den zukünftigen Tag der Auferstehung „mit Schaudern“. Trotz allem religiösen Krafteinsatz: „ich kam doch keineswegs zur Ruhe, sondern war denkbar weit entfernt von dem Frieden eines guten Gewissens.“
Nur ein Traum, keine innere Ruhe, kein gutes Gewissen, keine Hoffnung, kein Frieden, also kein Heil – Calvin zeichnet ein eindeutiges Bild seines damaligen geistlichen Standes. Auch in dem zweiten biographischen Abschnitt, in der Vorrede zum Psalmenkommentar, schreibt der Reformator, dass er in einem „tiefen Sumpf“ steckte, im „Aberglauben des Papsttums“ gefangen war und ein „starres Herz“ hatte. Doch dann, irgendwann in den Jahren 1533–34, erlebte er die „unerwartete [oder plötzliche] Bekehrung“, kam zum ersten Mal zum „Geschmack wahrer Frömmigkeit“.
Calvin war dem Namen nach natürlich Christ gewesen. Doch er wusste nichts von wahrer Gottesverehrung, hatte kein ewiges Leben, war kein Gläubiger. Doch natürlich war er getauft; sein Vater hatte ihn ja auch anfangs für eine Karriere als Geistlicher ausgewählt. Calvin macht in all diesen Sätzen implizit deutlich: nicht die Taufe rettet oder die Zugehörigkeit zu einer Kirche, einzig der persönliche Glaube, und der wird von Gott gewirkt und geschenkt.
Dieser Glaube ist dabei nicht nur ein bloßes Fürwahrhalten. Im Genfer Katechismus (1545) definiert Calvin Glauben als „eine sichere und feste Erkenntnis des väterlichen guten Willens Gottes uns gegenüber“; der Glaube „stützt sich auf die Wahrheit der in Christus uns dargebotenen Gnadenverheißungen“ (Inst. III,2,7). Wie auch Luther betont Calvin, dass der Glaube eine gewisse Zuversicht ist, ein persönliches Vertrauen, Ergreifen der Versprechen Gottes mit dem Herzen (Inst. III,2,15f).
Dieser Glaube ist eine „spezielle Gabe Gottes“ (Genfer Katechismus) oder konkreter „das vornehmste Werk des Heiligen Geistes… Denn er führt uns allein durch den Glauben an das Licht des Evangeliums heran“ (Inst. III,1,4). Der Hl. Geist erleuchtet unsere Herzen, so Calvin, und bringt uns erst zu einem Verständnis, zu dem wir von Natur aus gar nicht gelangen könnten. Der Glaube „rechtfertigt uns vor Gott, und diese Rechtfertigung macht uns zu Erben des ewigen Lebens“ (Genfer Katechismus).
Der Glaube macht recht vor Gott, keine Werke und nicht die Taufe. Der „Consensus Tigurinus“ (Zürcher Übereinkunft) aus dem Jahr 1549, im wesentlich von Calvin verfasst, befasst sich ausführlich mit den Sakramenten Taufe und Abendmahl und hält fest: „Die Sakramente bewirken aus sich heraus nichts; das ganze Heilsgeschehen ist Gott allein zuzuschreiben“; die „ganze [heilschaffende] Kraft ist bei Gott“; es ist „einzig Christus, der wahrhaft innerlich tauft“; „allein der Geist ist das eigentliche Siegel und er der Anfänger und Vollender des Glaubens“; „nicht der kleinste Teil unseres Heils“ darf auf die „Geschöpfe oder [Sakraments-]Elemente übertragen werden“; den Ungläubigen nützen die Sakramente nichts, ja sie „gereichen ihnen sogar zum Verderben“ (s. auch Inst. IV,14,14).
Dies klingt nach Missachtung der Sakramente. Hier ist nicht der Ort, um zu entfalten, welche positive Rolle die Sakramente für Calvin und die Reformierten haben. Festgehalten sei hier nur dies: in der Taufe wird man „in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen“, „zu den Kindern Gottes gerechnet“ (Inst. IV,15,1). Die Sakramente sind äußere Zeichen und Hilfsmittel zu unserem besseren Verständnis; einzig Christi Blut rettet, nur durch den Glauben wird man wiedergeboren. Der Heidelberger Katechismus fasst sehr gut zusammen: „Der Heilige Geist wirkt den Glauben in unseren Herzen durch die Predigt des heiligen Evangeliums und bestätigt ihn durch den Gebrauch der heiligen Sakramente“ (Fr. 65).
Die Reformierten lehren keinerlei Taufwiedergeburt. Die Taufe selbst ist nicht heilschaffend und daher auch in keiner Weise heilsnotwendig. Daher ging Calvin auch davon aus, dass es viele Namenschristen und Heuchler unter den Getauften gibt. Von diesen sagt er: „Sie sind beide noch nicht durch Gottes Geist wiedergeboren.“ Ihnen fehlt der Glaube, weshalb sie „noch nicht mit Gott versöhnt und vor seinem Angesicht gerechtfertigt sind; denn zu diesen Gütern gelangt man nur durch den Glauben“ (Inst. III,14,7). Er trennt eindeutig Wiedergeburt und Taufe: „In den als Kind Getauften wirkt Gott [später] die Wiedergeburt in Kindheit, Jugend oder Erwachsenenalter…“ (Consensus Tigurinus).
In dieser sehr wichtigen Frage Wie wird man Christ? Wie gelangt man zum Heil? gaben und geben die Konfessionen unterschiedliche Antworten. Diese Unterschiede sind nicht total, aber dennoch substantiell und gravierend. Nach katholischem Verständnis geschieht praktisch alles Entscheidende in der Taufe: der Säugling wird darin Kind Gottes, ein Glaubender, neugeboren, von der Erbsünde befreit usw. Auch wenn weitere Initiationsschritte folgen müssen – aus dem geistlich toten wird ein geistlich lebendiges Kind. Durch die Taufe der Kirche wird der Glaube empfangen; die „göttlichen Tugenden“ wie Glaube, Hoffnung, Liebe werden mit ihr eingegossen.
Einheit der Kirche
Die Einheit der Kirche – sie war das Anliegen von Kardinal Jacopo Sadoleto, der im März 1539 von Lyon aus einen Brief an die Stadt Genf schrieb und die Ratsleute zur Rückkehr in die römische Kirche einlud. Sadoleto lateinisches Schreiben war ein diplomatisches und sprachliches Meisterstück, versöhnlich-werbend, aber auch die zentralen Lehren der Evangelischen wie das sola fide angreifend. In Genf fand sich niemand, der auf gleichem Niveau hätte antworten können. Calvin, den man nicht lange zuvor der Stadt verwiesen hatte und der gerade in Straßburg wohnte, musste wieder ran! Und in einer knappen Woche schrieb der junge Reformator Ende August eine Antwort, die es in sich hatte. Seine Responsio ad Sadoletum gehört heute zu den besten und wichtigsten Schriften der Reformationszeit. (Nun in Musste Reformation sein?, Vandenhoeck&Ruprecht, 2009.)
Calvin geht auf alle Vorwürfe Sadoletos ein, entgegnet vor allem der Anklage, die Evangelischen hätten die Kirche gespalten. Der Reformator betont: Wir haben die Kirche nicht gespalten, sondern sie zu ihren Wurzeln zurückgeführt; wir streben nach Wiederherstellung, Erneuerung, Reform. Calvin nutzt zur Erklärung einen Vergleich aus dem militärischen Bereich: Die Evangelischen sind keine Deserteure, im Gegenteil: „Um sie [gemeint sind die zuvor zerstreuten Gläubigen] aus diesem Wirrwarr zu sammeln, hab ich sie nicht einem fremden Feldzeichen unterstellt, sondern eben Deinem [d.h. Gottes] einzigen Banner, dem wir folgen müssen, wenn wir zu Deinem Volk zählen wollen.“ Das Feldzeichen oder die Fahne, um die sich die Soldaten sammeln, ist immer die eine Kirche, die Christus gehört und auf sein Wort hört. Die Evangelischen haben das darniederliegende Feldzeichen wieder aufgerichtet; sie streben nach nichts anderem, als dass „einmal jenes altehrwürdige Antlitz der Kirche wiederhergestellt werde“. Die Lehre der Evangelischen hat die Kirche wieder zur Quelle zurückgeführt: „Sie gab der Heilslehre wie einer vom Schlamm gereinigten Gestalt die ursprüngliche Form wieder.“
Musste die Reformation sein? Warum war eine Erneuerung der Kirche nötig? Weil die Bibel in der römischen Kirche kaum noch etwas galt: „Leute, die als Eckpfeiler des Glaubens galten, kannten Dein [Gottes] Wort nicht oder kümmerten sich nicht viel darum. Nur mit fremder Lehre führten sie das arme Volk an der Nase herum und hielten es mit wer weiß was für Torheiten zum besten.“ Das Wort Gottes war für den einfachen Gläubigen ein „unnahbares Wesen, das man aus der Ferne verehren, vor dessen genauer Erforschung aber man sich hüten müsse“. Calvin stellte dagegen dar, dass der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes, uneingeschränkt Vorrang zu geben ist. Sie ist die „Fackel“, die uns voranleuchten soll. Sie hat die oberste Autorität. Er verteidigte so das Anliegen der gesamten Reformation, also auch Luthers (weshalb dieser dies Schreiben Calvins auch besonders schätzte).
Das Band der Einheit ist daher nicht ein Amt wie das des Papstes oder auch von neuen Aposteln; es ist auch keine Organisation oder Institution. Zur Kirche gehören alle wahrhaft Gläubigen, die Gott versöhnt und gesammelt hat und die auf dem Fundament der Lehre Christi stehen. Gottes Wahrheit, die wir in seinem Wort finden, ist das Band der Einheit.
Calvin bedauerte es zutiefst, dass die Christenheit zerrissen ist, hielt dies für eines der Hauptübel; ja er würde „zehn Meere durchqueren“, um Einheit wiederherzustellen (in einem Brief an den englischen Reformator Cranmer 1552). Ihm wie auch seinem Lehrer Martin Bucer lag zuerst die Einheit aller Evangelischen am Herzen, weshalb er ein gesamtprotestantisches Konzil anstrebte, zu dem es aber leider nie kam.
Leider wird Calvin heute nicht als dieser Ökumeniker wahrgenommen. Was Ökumene inhaltlich ist, erklären uns nun nur zu oft Katholiken. Wo ist das evangelische Konzept von Einheit, ein Konzept, das wie Calvins Schreiben das Anliegen aller Evangelischen vorträgt?
Calvin war für Einheit, aber nicht auf Kosten der Wahrheit Christi. Er würde den Katholiken damals wie heute sagen: Kommt zurück zur Bibel, zur Bibel allein. Und er würde dasselbe auch den Evangelischen sagen, die die Autorität der Bibel verachten und dem Geist der Zeit nachlaufen: stellt euch auf den festen Grund von Gottes Wort allein. So gebt ihr Gott allein die Ehre.
(Bild o.: Taufe des Augustinus; Skulptur an der Kathedrale von Troyes, Nordfrankreich)