Theologie und Philosophie
Vor einem guten Monat, am 4. September, verstarb Wolfhart Pannenberg (hier ein Nachruf im Deutschen Pfarrerblatt). Unter den theologisch Konservativen in Deutschland wurde der Theologe nie in besonderem Maße geschätzt. Gerne griffen sie eigentlich nur seine Verteidigung der Auferstehung Jesu und die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften auf. Die Werke Pannenbergs gehören auch nicht unbedingt zum Standardrepertoire evangelikaler Ausbildungsstätten. International ist sein Einfluss sicher größer als in der Heimat. Sehr zu empfehlen ist jedoch allen Studierenden (und nicht nur ihnen) neben Wissenschaftstheorie und Theologie sein Buch Theologie und Philosophie. Ganz am Anfang kommt der evangelische Dogmatiker, der viele Jahre in München unterrichtete, überraschend kategorisch zur Sache:
„Ohne eine gründliche Kenntnis der Philosophie kann man weder die christliche Lehre verstehen, wie sie geschichtlich Gestalt gewonnen hat, noch zu einem eigenen, begründeten Urteil über den Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre in der Gegenwart gelangen. Der Übergang von der Exegese der Bibel zur systematischen Theologie läßt sich ohne philosophisch gebildetes Bewußtsein nicht sachgerecht… vollziehen. …Doch wenn man sich nicht auf die systematische Theologie einläßt, und zwar gründlich, so daß man die Begründung theologischer Urteilsbildung nachvollziehen lernt, dann kann man nie zu geistiger Selbständigkeit in der eigenen Urteilsbildung über Themen der christlichen Lehre gelangen. Die Meinung, man können von der Exegese direkt den Schritt zur Predigt vollziehen, ohne Vermittlung systematisch-theologischer Reflexion, ist trügerisch. Die Fragen der Hermeneutik sind dann nur durch Geschmacksurteile zu bewältigen, und der Prediger wird dabei faktisch abhängig von den wechselnden Moden des Zeitgeistes… Nötig ist eine ausreichende Kenntnis des philosophischen Problemhorizontes, in welchem systematisch-theologische Urteilsbildung sich vollzieht.“
Philosophie hat allgemein gesehen ein wahrlich sehr schlechtes Image in evangelikalen Gemeinden. Ich kann die Predigten nicht mehr zählen, in denen Seitenhiebe auf die Philosophie ausgeteilt worden sind. Häufig ist die Kritik natürlich zumindest in Teilen berechtigt, weil damit eine nichtchristliche Weltanschauung gemeint ist, und natürlich finden wir heute genug Unsinn, viel Falsches und meist auch Verwirrendes aus den Federn der nun bekannten Philosophen. Aber es ist ja wie mit der Theologie: dass es schlechte Theologie gibt, beweist ja nicht ihrer Unnötigkeit, im Gegenteil. Beschäftigung mit philosophischen Fragen ist durchaus wichtig, um, wie Pannenberg sehr richtig betont, nicht den „wechselnden Moden des Zeitgeistes“ zu verfallen, ja von ihnen „abhängig“ zu werden. Und hier ließen sich genug Beispiele nennen.
Gerade das postmoderne Denken muss theologisch und philosophisch aufgearbeitet und kritisiert werden. Hier ragt unter den deutschsprachigen Autoren eigentlich nur Heinzpeter Hempelmann heraus, der eine ganze Buchreihe dem Thema gewidmet hat (s. hier). Auf diesem Niveau steht er unter den Evangelikalen recht einsam da. (Von den jungen christlichen Philosophen ist natürlich Daniel von Wachter zu nennen.) Sie stürzen sich eben gerne schnell auf die Praxis, auf Jugendarbeit, Evangelisation, Mission und nun Transformation. Hier kann sogar von den Katholiken gelernt werden, die an ihren Ausbildungsstätten auf eine philosophischen Grundausbildung viel Wert legen (wenn dies auch in ihrer thomistischen Grundanschauung wurzelt).
In den USA gibt es auch Einführungen in die Philosophie aus evangelikaler Perspektive wie Introduction to Philosophy von Paul Feinberg und Norman Geisler. Die Autoren schreiben: „Man kann nicht systematische Theologie ohne die Hilfe der Philosophie betreiben. Die Bibel gibt uns die wichtigsten Daten vor, aber Theologie ist so lange nicht systematisch, bis sie eben systematisiert wird. Rechtgläubige Christen glauben z.B. an einen Gott in drei Personen, an die Trinität. Dieses Dogma ist jedoch das Ergebnis mehrerer philosophischer Denkschritte und würde natürlich auch philosophisch beeinflußt… Ohne die Hilfe von Logik und Philosophie ist Theologie nicht möglich. Zusammenhängendes, konsistentes Denken über die Bibel kann nicht ohne die Hilfe der Philosophie geschehen.“
Abschließend sei noch der reformierte Theologe John Frame zum einem konkreten Teilgebiet der Philosophie zitiert. Auch er legt wie Pannenberg den Finger in die Wunde, gibt aber auch konkrete Ratschläge:
„Ich würde empfehlen, daß Theologiestudenten auch Logik studieren – genauso wie sie auch andere Werkzeuge der Exegese anzuwenden lernen. Es besteht heute ein großer Bedarf an logischem Denken unter Pastoren und Theologen. In Predigten und theologischer Literatur finden sich zahlreiche falsche logische Schlüsse. Oft scheint es mir so zu sein, daß der Standard logischer Folgerichtigkeit in der Theologie viel niedriger ist als in jeder anderen Disziplin. Und Logik ist nun nicht das schwierigste Fach. Jeder… kann sich ein Standardwerk zur Einführung in die Logik durchlesen. Und für wen die formale Logik, aus welchen Gründen auch immer, doch zu komplex ist, kann folgendes tun: selbstkritischer werden; Einwände vorweg nehmen. Beim Denken und Schreiben sollten wir uns immer fragen: wo könnte ein Fehler darin liegen? Ist das wirklich schlüßig? Dieser simple Vorgang – eigentlich nur eine konkrete Form der christlichen Demut – kann uns vor falschen Argumenten und Widersprüchlichkeiten bewahren.“ (The Doctrine of the Knowledge of God)