“Jeder, der da selig werden will…”
Zum Tag der Hl. Dreifaltigkeit oder Trinitatis-Fest eine Woche nach Pfingsten wird in vielen lutherischen Kirchen das Athanasische Bekenntnis gelesen. Dieses Bekenntnis stammt nicht, wie der traditionelle Name vermuten lässt, vom Kirchenvater Athanasius aus dem 4. Jhdt. (Bild o. eine Skulptur aus Kopenhagen). Ihm schrieb man es lange zu, aber es ist wohl spätestens um 500 in lateinischer Sprache höchstwahrscheinlich im Süden Galliens geschrieben worden. Es stellt eine kunstvolle und begrifflich präzise Entfaltung der auf den Konzilen von Nicäa, Konstantinopel und Chalcedon (451) beschlossenen Lehren zur Trinität und Christologie dar. Manche der Formulierungen sind offensichtlich von Augustinus Denken beeinflusst.
Im Abendland genoss das Athanasium (oder nach den lat. Anfangsworten Quicumque vult) bald hohes Ansehen. Im 7./8. Jhdt. galt es als der „katholische [d.h. allgemeine] Glaube“ (der im ersten Satz genannte fides catholica) schlechthin. Im 13. Jhdt. wurde es von der Kirche in Rom im Rang mit beiden oben genannten Bekenntnissen gleichgestellt. Die meisten protestantischen Kirchen folgten dieser Tradition und zählen es zu den auch für sie gültigen altkirchlichen Lehraussagen. Die drei finden sich im lutherischen Konkordienbuch; die reformierten Kirche anerkennen es in der Regel auch; besonders die anglikanische Kirche gebraucht das Athanasium gern. Leider hat es heute viel an Popularität verloren, ist auch in den meisten evangelischen Gesangbüchern nicht mehr zu finden.
Unter allen Bekenntnissen findet sich in den 40 kurzen Absätzen des Athanasiums wohl die beste Darstellung der Trinitätslehre. „Wir verehren den einen Gott in der Dreifaltigkeit“, heißt es eingangs als eine Überschrift des ersten Teils. Dann wird negativ festgehalten, dass eine „Vermischung der Personen“ und eine „Trennung der Wesenheit“ Gottes abzulehnen sind. Die Lehre von den drei unterschiedlichen, aber gleich göttlichen Personen wird bekräftigt: „eine Person ist die des Vaters, eine andere die des Sohnes; eine andere die des Heiligen Geistes. Aber der Vater und der Sohn und der Heilige Geist haben nur eine Gottheit, die gleiche Herrlichkeit, gleichewige Majestät.“ Gegen die Arianer wird betont: „Ungeschaffen der Vater, ungeschaffen der Sohn, ungeschaffen der Heilige Geist.“ Alle drei sind ewig und allmächtig, Gott und Herr, „und doch sind es nicht drei Götter, sondern ein Gott“. Aber auch die Unterschiede der Personen werden gut auf eine griffige Formel gebracht: „Der Vater ist von niemandem gemacht, weder geschaffen noch gezeugt. Der Sohn ist vom Vater allein, nicht geworden noch geschaffen, sondern gezeugt. Der Heilige Geist ist vom Vater und vom Sohn, nicht geworden noch geschaffen noch gezeugt, sondern hervorgehend.“
Das letzte Drittel betrifft die Lehre von Christus. Christen sind aufgerufen, „auch an die Fleischwerdung unseres Herrn Jesus Christus aufrichtig zu glauben“. Der Kern der Lehre: „dass unser Herr Jesus Christus, der Sohn Gottes, Gott und Mensch ist“. Anschließend wird erläutert: „Gott ist er aus der Wesenheit des Vaters, vor den Zeiten gezeugt, und Mensch ist er aus der Wesenheit der Mutter, in der Zeit geboren. Vollkommener Gott, vollkommener Mensch, bestehend aus einer vernünftigen Seele und menschlichem Fleisch.“ Letzteres wurde wieder in Abwehr verschiedener Irrlehren formuliert. Die Einheit Christi wird unterstrichen: „wie vernünftige Seele und Fleisch einen Menschen ergeben, so ergeben Gott und Mensch einen Christus“. Schließlich wird noch kurz auf Tod, Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkunft hingewiesen.
Schließlich ist noch auf den Rahmen der Lehraussagen einzugehen. „Jeder, der da selig werden will, der muss vor allem den allgemeinen Glauben festhalten“, heißt es gleich zu Beginn des Bekenntnisses, und am Ende nach den inhaltlichen Ausführungen noch einmal: „Dies ist der allgemeine Glaube. Jeder, der ihn nicht aufrichtig und fest glaubt, kann nicht selig werden.“ Hier wird klar ausgesagt, dass man bestimmte Inhalte glauben muss, um Christ zu sein. Heute wird dagegen gerne betont, dass man dem Beispiel Jesu folgt oder beständig in seiner Liebe bleibt usw. Das ist natürlich richtig, aber oft wird dann noch hinzugefügt: Biblischer Glaube richtet sich nicht auf Lehrsätze oder Dogmen, die man sich merken oder für wahr halten kann.
Solche eine Verneinung ist zweifellos unbiblisch. Schon im NT gibt es Lehrsätze, die zu glauben sind, wenn man Christ sein will. Dazu gehört das Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn oder Retter (Röm 10,9) oder sein Kommen auf Erden, die Inkarnation (1 Joh 4,2–3). Glaube richtet sich auch auf solche Aussagen über Jesus. Wir müssen etwas wissen, um Christ zu werden und zu bleiben.
Aber wie weit genau erstreckt sich dieses „etwas“? Dies ist nicht mehr so klar zu formulieren. Nun mag man tatsächlich sagen, dass die wenigen Sätze dieses Bekenntnisses, vor allem zur Gottheit von Vater, Sohn und Geist, zum Kern des Glaubens gehören und unbedingt geglaubt werden müssen. Aber muss wirklich jeder die teilweise recht komplexen und theologisch tiefen Formulierungen „aufrichtig und fest“ glauben? Dies alles wirklich ganz zu begreifen, ist ja nicht unbedingt jedermanns Sache.
In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, folgende Unterscheidung zu treffen. Jeder Mensch soll und kann die Kernaussagen des Christentums, hier konkret die zu Gott und Jesus, begreifen: ein Gott in drei Personen, und ein Christus, sowohl Gott, als auch Mensch. Das ist einfach und unkompliziert. Vollkommen verstehen werden wir dies auf Erden nie, denn auch 1 Tim 3,16 wird ja die Fleischwerdung als ein großes Geheimnis bezeichnet. Je nach geistigen Fähigkeiten, je nach Aufgabe und Amt, je nach Grad der Reife und Erkenntnis, je nach Fortschritt in der Jüngerschaft, je nach Alter kann und soll diese Erkenntnis mehr oder weniger vertieft werden. Bekenntisse helfen dabei und geben (wie Carl Trueman unterstrich) den Mitgliedern der Gemeinde eine Vision der Lehre, in die hineinzuwachsen ist. Wer nun allerdings einzelne Lehren direkt leugnet (dass Jesus auch Gott war, dass wir gefallen sind oder die Bibel Gottes Wort ist usw.) und in diesem Sinne „nicht glaubt“ wie das Athanasium sagt, der kann nicht gerettet werden. (Aber auch hier muss dann natürlich wieder genauer hingesehen werden, welcher konkrete Lehrpunkt geleugnet wird und warum dies getan wird.)