„Noah“ über Glaube, Sünde und Offenbarung

„Noah“ über Glaube, Sünde und Offenbarung

Seit knapp zwei Wochen läuft „Noah“ auch in den litauischen Kinos. Zehn Jahre nach Mel Gibsons „The Passion of the Christ“ ist wieder ein großes biblisches Thema von einem großen US-Studio verfilmt worden. Und natürlich wurde der Streifen von Christen erneut kontrovers diskutiert. Anders kann es auch nicht sein. Denn die Bibel liefert uns kein Drehbuch, allenfalls meist kürzere Geschichten, Ideen, Bilder und vielleicht – wie vor allem in den Evangelien – einzelne Dialoge. Jeder Film, und sei er mit noch so evangelistischer Motivation geschaffen (man denke an den Jesus-Film), ist ein künstlerisches Werk, das weitgehend der Phantasie der Filmemacher entspringt und daher kritisierbar ist.

Bei den vielen Jesus-Filmen konnten die Drehbuchautoren und Regisseure auf recht viel Ausgangsmaterial und Wissen über die damalige römische und jüdische Kultur zurückgreifen (einen Überblick zu den Filmen in litauischer Sprache vom Autor gibt es hier). Im Falle Noahs sieht dies anders aus. Wir erfahren in der Bibel manche Dinge recht genau wie die Größe der Arche und die Dauer der Flut. Vieles bleibt aber im Dunkeln, manches auch rätselhaft – wie öffneten sich die „Brunnen der großen Tiefe“ (Gen 7,11)? Wie sehen sechshundert Jahre alte Menschen aus (Gen 7,6)? Und wer will schon mit Sicherheit sagen, wer die „Göttersöhne“, „Riesen“ und „Helden Vorzeit“ in Gen 6,1–4 waren?

Eine dramatische Geschichte, die viel Freiraum für eigene Interpretationen lässt – wie geschaffen für einen Künstler wie Darren Aronofsky. Der Regisseur jüdischer Abstammung griff neben der Bibel auf apokryphe Texte wie das Buch Henoch und das Jubiläenbuch zurück. Auch deshalb muss man nicht mit jeder Entscheidung, die er traf, zufrieden sein. Die steinernen Ungeheuer, die direkt aus Tolkiens Mittelerde zu stammen scheinen; die Elemente von Magie und Zauberei (wobei ich mir nicht so sicher bin, dass sie damals nicht praktiziert wurden – s. die Zauberfiguren in den Familien der Patriarchen); das Abweichen von der biblischen Geschichte, als Noah die menschliche Linie ganz auslöschen will – über dieses und mehr darf und muss gestritten werden. Vieles ist der Dramatik des Films geschuldet; manches ist es auch schlicht Geschmacksache. Aus theologischer Sicht fehlt so manches wie der Bundesgedanke. Ich möchte hier nur auf drei Aspekte des Films hinweisen, die mir positiv aufgefallen sind.

Sünde

Vor vier Jahren schrieb Matthias Matussek in einer Titelgeschichte des „Spiegel“: „Die Sünde ist aus der öffentlichen Rede verschwunden. Sie hat sich neue Papiere, neue Identitäten besorgt. Von ‘Sünde’ spricht keiner mehr… Die Sünde hat kein metaphysisches Gewicht mehr. Sie wird nicht mehr ernst genommen. Man könnte sagen: Die Sünde hat ein Imageproblem.“ (7/2010)

Auf diesem Hintergrund des „Todes“ (so Matussek) des klassischen Verständnisses der Sünde sind die Akzente von „Noah“ nur zu begrüßen. Denn der Film zeigt die Sündhaftigkeit des Menschen deutlich. Gleich zu Beginn wird Noahs Vater ermordet. Mehrfach ist die Erschlagung Abels durch Kain als Silhouette zu sehen. Wir treten gleich am Anfang in eine baumlose, wüstenartige Welt wie in den postapokalyptischen Filmen „The Road“ oder „Book of Eli“. Auch dort fallen völlig verwilderte, barbarische Menschen über Unschuldige her – Zusammenbruch bzw. Abwesenheit von Zivilisation.

Der große Gegenspieler Noahs ist im Film Tubal-Kain, der in Gen 4,22 genannt wird. An ihm wird das Wesen der Sünde klar deutlich. Er weiß um den „Schöpfer“ und seine Ebenbildlichkeit, er ist kein Nichtwissender, kein Atheist (vor dem Sturm auf die Arche ‘betet’ er sogar zu Gott) – Tubal-Kain ist vor allem Rebell, der sich bewusst gegen seinen Schöpfer auflehnt. Aus ihm quillt der Hochmut nur so heraus, wenn er sich als Herr über Leben und Tod geriert: Er allein entscheide, wann wer zu sterben habe – nicht Gott.

Konkret führt diese Rebellion dazu, dass keinerlei Ehrfurcht vor dem Leben gezeigt wird. „Die Menschen“ wie Tubal-Kain morden ohne Skrupel, denn dadurch wird man erst zum richtigen Mann (so Tubal-Kain zu Ham in der Arche). Sie sind so tief gefallen, dass sie Menschenfleisch essen und aus purer Gier sogar in lebende Tiere beißen.

Noah und seine Familie dagegen achten alles Leben. Selbst ein kleines Blümchen soll nicht einfach so gepflückt werden, denn auch dies hat seine Bestimmung (Noah zu Sem am Anfang des Films). Um diese Linie des Lebensschutzes zu unterstreichen und den Kontrast zum Rest der Menschheit hervorzuheben, werden Noah und Familie als Vegetarier dargestellt. Dies ist durchaus eine mögliche Interpretation der biblischen Erzählung. Denn auch bibeltreue Exegeten und Kommentatoren sind sich ja nicht einig, ob in der Zeit vor der Flut Fleischverzehr erlaubt war bzw. praktiziert wurde. Eindeutig werden die Tiere erst nach der Flut dem Menschen zur Nahrung gegeben (Gen 9,3).

Neben der stolzen Rebellion (im Ruf Tubal-Kains, die vereinigte Menschheit könne alles erreichen, klingt schon die Turmbau-Geschichte an) und der Verachtung allen Lebens wird ein dritter Aspekt der Sünde unterstrichen: ihre Universalität – alle sind Sünder. Nun mag man über das Portrait des Film-Noahs streiten, aber an ihm wird zweierlei deutlich: Noah, der Gerechte, wird tatsächlich als ganz anders als Tubal-Kain und „die Menschen“ dargestellt: er hat eine Vorstellung von seiner Andersartigkeit, lebt deshalb mit seiner Familie getrennt von der Masse und verhält sich anders, nimmt z.B. die verletzte Ila auf. Auf der anderen Seite erkennt er jedoch bald: wir, die „Guten“, die Reinen – wir sind genauso Sünder und in gewisser Weise nicht anders als der Rest der Menschheit. Das Böse steckt auch in uns! Der Noah im Film zieht daraus den falschen Schluss, dass nämlich auch nach der Flut kein Mensch die Erde bevölkern darf. Nun mag man aus biblischer Sicht über diese Falschdarstellung lächeln, doch diese Gedanke des Noahs ist ja ein durchaus biblischer: Auch die Gläubigen sind auf Erden Sünder. Noah wurde nicht wegen seiner Sündlosigkeit gerettet, sondern wegen seines Glaubens.

Noah-Tubal-Cain

Russell Crowe als Noah (l.), Ray Winstone als Tubal-Kain

Offenbarung

Gott schweigt in „Noah“. Nirgendwo redet „der Schöpfer“, wie er im Film überall genannt wird, zu Noah. Zumindest nicht akustisch. Von dem Gericht über die Menschheit erfährt Noah durch Bilder während eines Traumes; um mehr zu erfahren, lässt er sich von seinem Großvater Metuschelach in eine Art Rauschzustand versetzen – so zeigt ihm Gott die Arche.

„Da sprach Gott zu Noah“ – mehrfach wird in der Flutgeschichte der Bibel Gottes Kommunikation mit Noah bekräftigt. Es ist zu vermuten, dass dies in hörbaren Worten geschah, doch allzu sicher sollte man sich dabei nicht sein. Die Josephsgeschichte zeigt ja, dass Gott auch durch Träume konkrete Angaben machen, selbst Personen wie dem Pharao Dinge verkünden kann.

Aronofsky hat sich für einen nicht akustisch redenden Gott entschieden, was vor dem Hintergrund der völligen Sündhaftigkeit der Menschen gut funktioniert. Denn wir sehen Tubal-Kain, der mit dem Schweigen Gottes ringt, Gott Vorwürfe macht, dass er nicht mehr zu den Menschen redet. Hier wird eine sehr wichtige biblische Lektion veranschaulicht: der Sünder hat kein Recht auf ein klares Reden Gottes, die Sünde entfernt von ihm und von seiner Kommunikation; Gott redet auch weiterhin, aber nur der Glaubende erkennt dieses Reden. Und ein Aspekt der Strafe Gottes ist eben sein Schweigen, sein Nichterhören von Gebeten der Bösen.

„Noah“ zeigt außerdem gut, dass Träume und Bilder auch falsch interpretiert werden können. Noah deutet die Bilder von Wasser richtig: Gott wird eine alles vernichtende Gerichtsflut schicken. Doch die Dramatik der zweiten Hälfte des Films entwickelt sich ja aus seiner Fehldeutung der Botschaft Gottes. Noah ist sich ganz sicher, dass die Menschheit mit dem Tod seines jüngsten Sohnes aussterben muss. Dies sei eindeutig der Wille des Schöpfers. Die Visionen waren also echt, und Noah deutet sie in Teilen richtig – aber in Teilen auch nicht. Dies erinnert Christen daran, mit Eindrücken und Visionen, die durchaus von Gott stammen können, vorsichtig umzugehen.

„Noah“ lässt Gott auf vielfältige Art ‘reden’. Er offenbart sich z.B. durch eindeutige Zeichen wie der Tropfen, der zu Beginn vom Himmel fällt – und sofort sprießt ein Blümchen aus dem Boden. Göttliches Zeichen ist auch natürlich auch sonst das Wasser, das z.B. plötzlich aus dem Boden quillt. Gott als der Lebensspender offenbart sich durch die belebte Natur.

Neben den Träumen und dem Reden in der Natur gibt es noch eine weitere Linie der Offenbarung: das Weitererzählen der Urgeschichte. Die moderne Theologie nimmt ja an, dass die Schöpfungsgeschichte irgendwann in der Königszeit der Israeliten oder gar im Exil entstand – eine literarisches Produkt in Anlehnung an babylonische Schöpfungsmythen. In „Noah“ erzählt der Held des Films seiner Familie die Geschichte von der Schaffung der Welt, von den ersten Menschen und vom Fall weiter – die erste Geschichte, die schon ihm erzählt wurde. Der Garten Eden ist nicht der Phantasie entsprungen, sondern war ein echter Ort. Die versuchende Schlange – sie gab es wirklich.

Befremdlich wirkt auf viele die Haut, die wie eine Art Reliquie aufbewahrt wird. Wieso wird ein Stück vom Widersacher behalten? Doch man sieht die Häutung der Schlange – aus dem guten geschaffenen Tier wird der dunkle Versucher (s. Bild o.). Die Haut ist eine Art Zeichen, dass einst alles gut war, auch die Schlange und die Schlangen (als sich Noahs Frau wundert, dass auch die Schlangen und Kriechtiere in die Arche kommen, betont ihr Mann, dass auch sie zu Gottes guter Schöpfung gehören).

„Noah“ erzählt die Schöpfung und den Fall als wirkliche Geschehen nach, die in Erzählungen weitergetragen wurden. Alle Menschen erinnern sich daher an diese Zeit. Daher weiß auch Tubal-Kain vom Schöpfer und seiner Ebenbildlichkeit, vom Garten Eden und vom Fall. Neben die Offenbarung in der Natur tritt im Film also diese allgemeine Wortoffenbarung.

Glaube

Die Bibel beschreibt Noah als „frommen Mann“, „er wandelte mit Gott“ (Gen 6,9), er wird von diesem „gerecht“ genannt (Gen 7,1). Der Glaube des Noah zeigte sich darin, dass er den Auftrag zum Bau der Arche gehorsam ausführte: Noah „tat alles, was ihm Gott gebot“ (Gen 6,22; 7,5). Im Hebräerbrief wird Noah unter die Glaubenshelden des ATs eingereiht: „Durch den Glauben hat Noah Gott geehrte und die Arche gebaut zur Rettung seines Hauses. Als er ein göttliches Wort empfing über das, was man nicht sah“ (Hbr 11,7).

In der ersten Hälfte des Films entspricht die Darstellung Noahs durchaus dem Bild der Bibel. Noah zweifelt nicht an der kommenden Flut und an seiner von Gott gegebenen Mission. Auch angesichts der Bedrohung durch den Rest der Menschen bleibt er standhaft. Doch später kippt das Bild: Noah wird zum verbissenen und hartherzigen Richter über die Menschheit, der sogar seine Enkel zu ermorden droht. Die Sympathien der Zuschauer gehen auf Noahs Familienmitglieder über. Der fast manische Glaube des Mannes erscheint auf einmal kaum noch attraktiv, ja bedrohlich.

Es muss betont werden, dass diese Darstellung durch Aronofksy zuerst natürlich der Dramaturgie des Films geschuldet ist. Kein Drehbuch kommt ohne Spannungen zwischen Handelnden aus. Da die übrigen Menschen umkommen, muss es unter den Übrigbleibenden, in Noahs Familie, zu dramatischen Konflikte kommen. Wäre alles glatt gelaufen, wären die Familienangehörigen wie Noahs Frau zur bloßen Staffage verkommen.

Aber auch abgesehen von dieser filmtechnischen Perspektive muss man sich fragen: War Noah der nette Mann mit weißem Bart? Wir erfahren in der Bibel selbst ja kaum etwas über seinen Charakter und sein Glaubensleben. In Gen 6,9 heißt es, dass Noah „ohne Tadel“  war – meint dies im wahrsten Sinne perfekt? Wohl kaum. In Hbr 11,32 wird in der Reihe der Glaubensvorbilder auch der Richter Simson genannt, der alles andere als perfekt war, ja den man spontan mit Glauben gar nicht in Verbindung bringt – eher mit einer Schwäche für Frauen und mit dem Hang zur Gewalt. Ab Abraham lesen wir dann in Genesis von durchaus nicht perfekten Erzvätern; sie alle hatten ihre Schwächen, die überraschend offen geschildert werden; sie sündigen, betrügen, sind mal Glaubenshelden und fallen dann wieder umso tiefer. Das Bild ändert sich bei den Königen und Propheten ja nicht wesentlich.

Wenn wir also Noah im Licht der späteren Hauptfiguren der Bibel sehen, dann ist es geradezu wahrscheinlich, dass auch er eine komplexe Persönlichkeit mit einem keineswegs perfekten Glauben war. Daher sollte nicht voreilig behauptet werden, der Film-Noah sei nicht der der Bibel bzw. er erscheine in zu negativem Licht. Noch einmal: Wir wissen vom historischen Noah herzlich wenig, und wenn der Film einer Sicht widerspricht, dann ist es unserer Vorstellung von dem durch und durch sympathischen Archebauer. Aronofsky entschied sich für einen verbohrten Menschheitsfeind – auf dem Hintergrund einer Ganzvernichtung der Welt keine dumme Wahl. Aber vielleicht hatte Noah auch mit Depressionen zu kämpfen oder er war im Gegenteil wankelmütig. Gen 9,20f wird uns von Problemen in der Familie Noahs berichtet. Liegt da nicht die Vermutungen nahe, dass es auch vorher in der Sippe ab und an knisterte?  So kann der Film zu Diskussionen um ernste Fragen anregen: Macht Glaube uns sympathischer? Soll er das? Bewahrt uns Glaube vor Irrtümern? Und auf welcher Grundlage ruht er?

„Noah“ zeigt uns eine durchaus mögliche Gefährdung, der Gläubige ausgesetzt sind: eine     falsche Verbissenheit, wenn man meint, Gott ganz klar verstanden zu haben – obwohl er sich eben doch nicht so klar geäußert hat. Natürlich kann dies damals wie heute ein ernstes Problem sein. Indirekt wird aber auch erkennbar, was Christen den Menschen zur Zeit Noahs voraushaben: eine klare heilige Schrift. Sie ist, so Calvin, ein „besseres Mittel“ der Offenbarung – eindeutiger als die allgemeine Offenbarung: Gott hat uns „das Licht seines Wortes hinzugegeben, um sich dadurch zu unserem Heil kundzumachen“; „so bringt die Schrift unser sonst so verworrenes Wissen um Gott in die richtige Ordnung, zerstreut das Dunkel und zeigt uns deutlich den wahren Gott“ (Inst. I,6,1). Der Film-Noah sah einige Bilder, der historische hörte wohl einige Male den redenden Schöpfer. Christen haben nun allezeit Zugang zu Gottes Wort.