Von unten nach oben

Von unten nach oben

Untertanen statt Bürger

Anfang 2008 sprach Holger bei Jahrestagung von LINK in Bern über die Studentenarbeit in Litauen. Dabei formulierte er auch diese These: „Die geistigen und kulturellen Folgen von 50 Jahren Sowjetherrschaft wurden häufig unterschätzt; zu den gravierendsten zählt die Schwäche der Zivilgesellschaft…“

Zivilgesellschaft – was ist darunter zu verstehen? Der Brite Nigel Ash­ford definiert sie treffend: „Die Zivilgesellschaft machen alle selbständigen Organisationen und Einrichtungen zwischen den Individuen und dem Staat aus, also die Familie, Kirchen, Sportvereine, Hilfsorganisationen und Vereinigungen der Bürger aller Art.“ (Principles for a Free Society) Die Zivilgesellschaft füllt den Raum zwischen dem Einzelnen und dem Staat. In der Zivilgesellschaft ist der Mensch vor allem civis, lat. für Bürger, d.h. nicht in erster Linie Untertan, sondern Mitbürger: der Mitbürger mit gleichen Rechten, der mit anderen Bürgern gemeinsam Ideen schafft, Ziele entwickelt, Projekte verwirklicht usw.

Die Zivilgesellschaft lebt daher von der Freiheit des Individuums. Der einzelne Mensch braucht Freiheit, um sich entfalten, eigene Ziele setzen und entwickeln und Initiative zeigen zu können. Das kommunistische System hatte hier fatale Folgen. Der Mensch war eben nicht frei; alle Organisationen unterlagen der strengen Kontrolle des Staates. Zwischen dem Staat und den Individuen gab es nur staatlich gelenkte Kollektive; und die Reste unabhängiger Institutionen (wie Familie, Kirchen) wurden in ihren Funktionen eng beschnitten. Der Staat war für alles zuständig und legte sich wie ein Krake über das ganze Leben und erstickte die Zivilgesellschaft – in der Sowjetunion noch viel effektiver als in den sozialistischen „Bruderländern“ weiter im Westen.

Mit den Resultaten leben wir heute immer noch obwohl das unfreie System fast 25 Jahre Vergangenheit ist. Die Schäden an Natur und in der Wirtschaft lassen sich recht schnell beheben; Fassaden sind ohne große Probleme zu verschönern, Straßen lassen sich zügig reparieren. Ein viel schwereres Erbe ist eine Gesellschaft mit einem großen Paket sozialer Probleme…

„Mitgliedschaft funktioniert bei uns nicht“

Soweit die Analyse aus dem Vortrag vor sechs Jahren. Für die Studentenbewegung LKSB ist all dies immer noch sehr relevant. LKSB ist rechtlich als Assoziation verfasst, als Vereinigung von studierenden Christen an den litauischen Hochschulen. Als Organisation lebt LKSB vom freiwilligen Einsatz der Mitglieder, wird von diesen getragen. Alle in der IFES zusammengeschlossen nationalen Bewegungen arbeiten im Grunde so. Dass es auch Alternativen gibt, zeigt in Litauen die katholische Kirche. Sie hat an inzwischen so gut wie allen Universitäten Hochschulpfarrer (hier Kaplane genannt) eingesetzt. Diese kümmern sich um die Studenten der Konfession. Die studentische Aktivität ist hier natürlich auch gewünscht, aber eben nicht tragend – Grundlage ist schließlich ein Vertrag zwischen Unis und Kirche.

LKSB oder auch SMD und VBG sind nicht Filialen einer Kirche an den Hochschulen. Und sie sind auch nicht bloß Zweigstellen des Weltverbandes. Die gesamte evangelikale Studentenarbeit im Rahmen der IFES ist – ganz zivilgesellschaftlich – von unten nach oben aufgebaut: Studenten schließen sich in Gruppen und in nationalen Bewegungen zusammen; diese wiederum vereinigen sich in Regionen und weltweit.

In Deutschland mit seinem immer noch sehr lebendigen Vereinswesen funktioniert dieses Strukturprinzip recht gut; in Litauen nach dem zivilgesellschaftlichen Kahlschlag leider nicht. Der LKSB-Laden läuft seit gut 20 Jahren, weil – vereinfacht formuliert – immer genug Geld aus dem Ausland für den Generalsekretär und ein paar Mitarbeiter da war. Die Satzungen (eine erste aus den 90er Jahren, eine zweite wurde vor knapp zehn Jahren verabschiedet) formulieren schon immer gut das Prinzip „von unten nach oben“: Träger sind die studentischen Mitglieder, die über die Konferenz (eine Jahreshauptversammlung) den Vorstand bestimmen, der wiederum die Mitarbeiter einsetzt und beaufsichtigt. Doch schon vor vielen Jahren mussten wir uns von LKSB-Verantwortlichen anhören: „Mitgliedschaft funktioniert bei uns nicht“. Dieser äußerst wichtige Aspekt der Satzung wurde geradezu traditionell weitgehend ignoriert – die ‘einfachste’ Problemlösung. In der Folge hatte sich früh eine Art Pyramidenmodell etabliert: der Generalsekretär oben ist der Boss in der Bewegung, der alle Fäden in der Hand hält, sich seine Nachfolger, Vorstandsmitglieder, Mitarbeiter usw. aussucht und letztlich sagt, wo’s langgeht. Unten stehen die Studenten, rechenschaftspflichtig gegenüber den Mitarbeitern. In diesem „von oben nach unten“-Modell ist die Mitgliedschaft der Studenten gar nicht nötig.

Mit diesem Erbe schlägt sich LKSB nun herum. Die theologische Ausrichtung stimmt (nach einigen Debatten um den ‘ökumenischen’ Charakter vor einigen Jahren), die evangelistische Motivation auch. Nun muss es darum gehen, das Ruder herumzulegen und die Bewegung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Denn so geht es nicht weiter, wenn LKSB als Organisation überleben soll.

Mitglieder, Mitglieder, Mitglieder

Gott sei Dank gibt es langsam Fortschritte. Erstmals seit vielen Jahren sind Mitarbeiter, Studenten und Vorstandsmitglieder am Inhalt der Satzung interessiert, studieren dies wichtige Dokument und fragen sich, wie die Arbeit danach ausgerichtet werden kann. Bei einem Camp der studentischen Leiter Ende Januar hat Holger erstmals auch graphisch veranschaulicht, wie LKSB funktioniert – funktionieren soll. Er stellte ein komplexes Schema (eine Art Illustration der Satzung mit zahlreichen Quadraten, Kreisen und Pfeilen) und ein vereinfachtes Organigramm vor (s.u.) – keine Pyramide, sondern ein Art Kreis, der bei den Studenten ansetzt.

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Organisation von LKSB: Studenten – Konferenz – Vorstand – Mitarbeiter

Dies hat durchaus Früchte getragen: In Kaunas hat sich daraufhin nach vielen Jahren endlich wieder eine offizielle Gruppe (engl. „chapter“ oder lit. „skyrius“) mit mind. fünf  Mitglieder gebildet. Sie hat ihren Leiter gewählt und wurde vom Vorstand off. aufgenommen. Auf diese Weise ist endlich die Struktur geschaffen, damit der Mitarbeiter vor Ort nicht mehr die faktische Gruppenleitung innehat.

Kacergine camp II

Ende Januar in Kačerginė bei Kaunas

Holger hat außerdem ein Papier verfasst, welches den breiten Nutzen der Mitgliedschaft erläutert und so für Mitarbeiter und Gruppenleiter eine Argumentationshilfe ist. Daneben hat er auf drei Seiten formuliert, wie die LKSB als Organisation funktioniert: was Mitglieder, Konferenz, Vorstand. Mitarbeiter für Verantwortung und Kompetenzen haben. Schließlich haben wir die Wahlordnung für Gruppen der SMD übersetzt und an die litauischen Verhältnisse leicht angepasst. Denn warum das Rad zwei Mal erfinden? Von den anderen IFES-Bewegungen könnte noch viel mehr gelernt und mitunter auch übernommen werden.

Bei der diesjährigen Konferenz machte Holger erneut den Sinn der Mitgliedschaft deutlich: Sie wird nur handgreiflich, wenn man vor Ort sieht und begreift, welche Rechte und Pflichten dies mit sich bringt; konkret eben vor allem auch Wahlen zu den Gruppenleitern. Im kommenden Jahr ist nun viel Energie daran zu setzen, dass die Mitgliedschaft gestärkt wird und nicht mehr wie in diesem Jahr jämmerliche sechs studentische Mitglieder in der Konferenz sitzen. Holgers Vorschlag eines Mitgliederausweis wurde als Idee schon positiv aufgenommen und wird umgesetzt werden.

Bei Konferenz berichteten Studenten wie Ernestas und Aurimas aus Kaunas (s. Fotos u.) von der evangelistischen ‘Front’. Mal wieder zeigte sich, dass von den Studierenden selbst die wichtigste Arbeit geleistet wird. Aufgabe von LKSB als Organisation ist es, einen Rahmen, Prinzipien, unterstützende Mitarbeiter und Arbeitsmaterialien zur Verfügung zu stellen.

Konferenz III

Generalskekretär Stepas

Konferenz I

Baptistenpastor Steven Davis, seit 20 Jahren in Vilnius, predigte

Konferenz VII

Gute Stimmung trotz ernster Themen

Konferenz II

Ernestas, gewählter Gruppenleiter in Kaunas

D

Aurimas