Vorrang der Freiheit!
Viele Christen freuen sich mit der Kanzlerin, die einen fulminanten Wahlsieg einfuhr. Doch man bedenke auch, dass eine Partei, die die Freiheit im Namen führt, aus dem Bundestag flog. Eine andere wurde „drittstärkste Kraft“ (wie sie sich selbst lobt) und machte u.a. mit einem Slogan Wahlkampf, der an Unverschämtheit seinesgleichen sucht: „Teilen macht Spaß!“
Jeder weiß es, und diese Erkenntnis gewinnt man früh in Familie, Kindergarten usw.: Teilen macht tatsächlich Freude. Doch Teilen ist seinem Wesen nach etwas Freiwilliges. Ich gebe dir von meinem Besitz etwas ab und stärke so unsere Beziehung. Gezwungenes Abgeben ist kein Teilen und macht auch keinen Spaß. Jedes Kind begreift das. Doch gerade um dieses Teilen geht es natürlich der „Linken“. Es geht darum, „den“ Reichen über diverse Steuern, also Zwangsabgaben, etwas von ihrem Besitz abzunehmen und umzuverteilen. Ehrlichweise sollte die Partei also plakatieren: Umverteilen macht Spaß! Den einen wegnehmen und den anderen geben – das ist toll! (Aber bestimmt nicht für diejenigen, denen genommen wird.) Raub erfreut die meisten Diebe übrigens auch.
Blogger Martin Schweiger kommentiert: „Da fühlt sich eine im Erfolgsfall geringe Mehrheit dazu berechtigt, die verbleibende Minderheit zwangsweise zu enteignen, um damit zunächst einmal sich selbst und dann – von dem, was übrigbleibt – verschiedene andere Minderheiten mit dem vermeintlichen Reichtum zu beglücken. Und das alles aufgrund einer vermeintlich demokratischen Legitimation.“
Eine Gesellschaft lebt davon, dass eine Vielzahl von Bürgern freiwillig anderen gibt, dass viele wohltätig sind, sich gegenseitig auch mit Geld und Vermögen helfen. Diese Tugend (heute spricht man gern vom „Sozialkapital“) kann sich jedoch nur in einem Klima der Freiheit bilden. Doch die Freiheit hat wahrlich einen schlechten Stand im politischen Klima, und dies auch unter Christen.
Denn selbst in evangelikalen Wahlchecklisten heißt es nun: Wie hält es eine Partei mit der sozialen Gerechtigkeit? Warum lesen wir so gut wie nirgendwo kritische Testfragen wie diese: Hält eine Partei die Freiheit hoch? Schützt sie die Freiheit der Bürger? Warum lassen wir diesen großen Begriff nun an den rechten Außenrand wandern? (Man denke an R. Stadtkewitz‘ rechtspopulistische Partei „Die Freiheit“.)
Freiheitsschutz ist eine Grundaufgabe jedes Staates, doch heute hat die Gleichheit die Freiheit als übergeordneten Wert weitgehend verdrängt. Alle sind besorgt über die ständig beklagte Kluft zwischen Arm und Reich – und das, obwohl nie in der deutschen Geschichte Wohlstand und Reichtum so breit gestreut waren wie heute! Ein möglichst geringer Abstand zwischen Arm und Reich, also möglichst mehr Gleichheit, wird nun auch den Evangelikalen als Ideal untergeschoben. Unter dem Slogan „Steuergerechtigkeit“ wird der Umverteilung von den Reichen zu den Armen das Wort geredet, also eine Angleichung im Hinblick auf möglichst große Gleichheit gefordert. Nun ist die Armenhilfe unweifelhaft in der Bibe gefordert. Doch sollte die Einebnung des Unterschieds zwischen Arm und Reich wirklich unser Ideal sein?
Kein anderer als C.S. Lewis schrieb 1943 einen Essay zum Thema: „Gleichheit“. Diese ist für ihn in erster Linie eine wichtige politische Idee, also konkret rechtliche Gleichheit vor Gesetz und Gericht. Sie ist wie eine Medizin, nämlich gegen unsere Sündhaftigkeit und konkret gegen den Machtmißbrauch, vor allem im Staat. Gleichheit ist der wirksamte „Schutz gegen Grausamkeiten“. Gleichheit ist im politischen Kontext Mittel zum Zweck, sie „gehört für mich nicht zu den Dingen (wie etwa Weisheit oder Glück), die an sich und um ihrer selbst willen, gut sind“. Im Hintergrund steht hier natürlich die moralische Gleichheit der Menschen, die als Geschöpfe und Ebenbilder Gottes alle über die gleiche Menschenwürde verfügen. Diese Gleichheit impliziert Freiheit, denn der Machtmißbrauch, Grausamkeiten, Staatswillkür usw. eint ja ihre Einschränkung der Freiheit des Einzelnen.
Dennoch wird ein Ideal materieller Gleichheit angestrebt. So wünscht sich der wichtige Frankfurter Philosoph Rainer Forst „eine Gerechtigkeit, welche die Grundstruktur der Gesellschaft so organisiert, dass keine Gruppen von… ‘Schwachen’ und Ausgeschlossenen dauerhaft entstehen“ („Der Spiegel“, 34/2013). „Die“ Gerechtigkeit organisiert ja nichts, das tun Menschen, und konkret soll das sicherlich der Staatsapparat tun. Wie aber will er das erreichen? Es klingt natürlich attraktiv (überhaupt keine Schwachen mehr!), aber dafür braucht es totalitäre Maßnahmen und ein massives Eingreifen ins individuelle Leben. Die Freiheit bleibt so auf der Strecke, aber Forst ordnet ja auch die Gerechtigkeit der Freiheit über.
Um weitgehende materielle Gleichheit zu organisieren, muss die Freiheit geopfert werden. Jörg-Guido Hülsmann, wichtiger Volkswirt aus der Schule der Österreichschen Nationalökonomie schreibt hier:
„Zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft kann keine vollkommene Gleichheit herrschen. Die bloße Tatsache, daß sie nicht identisch sind, bedeutet bereits eine grundlegende Ungleichheit, und diese Ungleichheit erzeugt immer wieder neue Unterschiede in den Lebensverhältnissen der nichtidentischen Gesellschaftsmitglieder. Aus diesem Grund macht die Verfolgung egalitärer Gleichheit einen totalen Staat erforderlich, der in jede Verästelung des individuellen Lebens eingreifen kann… Die grundsätzliche Schwierigkeit des Gleichheitsideals liegt darin, daß die Lebewesen dieser Welt und insbesondere die Menschen nicht einförmig sind. Menschliches Leben ist keine homogene Einheit, sondern eine kaleidoskopische Vielfalt. Man kann diese Vielfalt beschränken, man kann versuchen, jede Äußerung individuellen Lebens zu unterbinden, und die großen Diktatoren unseres Jahrhunderts haben das versucht. Doch alle denkbaren Versuche dieser Art sind zum Scheitern verurteilt.“
Wird die Freiheit nicht zum Leitprinzip erhoben, bleibt sie nur allzu leicht auf der Strecke. Udo Di Fabio, ehemaliger Bundesverfassungsrichter, hat in Die Kultur der Freiheit eindringlich für das Primat der Freiheit argumentiert: „Wenn die Gleichheit nicht das Leitprinzip der Freiheit beschädigen soll, muss Gleichheit im Wesentlichen auf Rechtsgleichheit, die Gleichheit vor dem Gesetz…, beschränkt und das heißt heute wieder zurückgeführt werden.“ (kursiv H.L.)
Di Fabio lehnt den Sozialstaat keineswegs ab. Doch anders als heute üblich betont er, dass die Umverteilung sich rechtfertigen und die Ausnahme bleiben muss: „Damit ist das Prinzip der Umverteilung in einer Kultur der Freiheit allerdings nur so weit gerechtfertigt, als es für eine Gemeinschaft notwendig ist, um die Mindeststandards menschenwürdiger Existenz und den friedlichen und freiheitlichen Zuammenhalt der Bürger zu gewährleisten.“ Von solchen Mindeststandards hat sogar der große libertäre Denker F. A. von Hayek geredet; von Gleichmachen, massivem Umverteilen usw. ist man damit aber noch meilenweit entfernt. Die Freiheit muss Vorrang haben, so Di Fabio: „Ungleichheit, die eine unausweichliche Konsequenz der Freiheit ist, muss der hinnehmen, dem die Freiheit das Wichtigste ist.“ Warum hören wir solche Sätze heute kaum noch?
Seiten zuvor ist Di Fabio noch grundsätzlicher und bringt es auf den Punkt: „Wer Freiheit und Gleichheit konzeptionell harmonisch denken will, darf deshalb unter Gleichheit nie die Gleichheit im Ergebnis verstehen. ‘Gleichheit heißt, dass jeder gleich viel zählen soll, nicht, dass jeder gleich viel bekommen soll.’“ Angestrebte Ergebnisgleichheit stellt an sich an eine Bedrohung für die vorrangig gesetzte Freiheit dar. Der nun in Bonn lehrende Professor:
„Praktische Politik kann gewiss aus guten Gründen gesellschaftliche Ungleichheiten nivelllieren, aber in der Konzeption ist dies nicht etwa angelegt, sondern als Ausnahme rechtfertigungsbedürftig… Wen es schmerzt, dass die Ungleichheit zu krass wird, wen Mitleid packt, wenn er den Gescheiterten, den Hilfslosen sieht, der handelt nicht, um Gleichheit herzustellen, sondern aus Brüderlichkeit. Die Nächstenliebe ist systematisch etwas anderes als Gleichheit. Sie ist die Freiheit, im Anderen den gleichen Menschen zu erkennen und seine Würde wie die eigene nicht in einem unerträglichen Abstand zwischen Arm und Reich missachtet zu sehen.“ (kursiv H.L.)
Di Fabio beschreibt hier ein Teilen, das wirklich freiwillig ist und auch Freude bereitet. Ausgleich der Ungleichheiten ist natürlich lobenswert. In 2 Kor 8,13 bei der Geldsammlung für Jerusalem wird sogar der „Ausgleich“ genannt, doch es ging um ein „williges“ (8,3), also freiwilliges Geben. Staatlich organisierter Zwangsausgleich muss eine Ausnahme sein, doch heute wird gefordert, sie systematisch zu betreiben. So ist man mit gerade zwei Mausklicks von Markus Meinzers Blog „Steuergerechtigkeit“ (der Evangelikale berät die Micha-Initiative) bei so einem Text auf Umfairteilen.de:
„Der Reichtum der Multimillionäre und Milliardäre stammt nicht aus eigener Arbeitsleistung, sondern aus den Gewinnen und Wertzuwächsen großer Unternehmen und Vermögen. Er ist Resultat der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeit der Beschäftigten in den Betrieben, die den Reichtum wirklich produzieren. Geld arbeitet nicht, sondern nur Menschen. Zudem haben die meisten sehr Reichen zumindest den Grundstock ihres Vermögens geerbt, was offensichtlich keine „Leistung“ ist.“
Das ist Sozialismus pur, die alte Marxsche Mehrwertslehre, die man Zig Mal widerlegen kann, doch es hilft offensichtlich nichts. Außerdem wird hier das Familieneigentum, das natürlich über die Generationen weitergegeben wird (sonst wäre es ja kein Familieneigentum) in seiner Wurzel angegriffen. Und das Familieneigentum, rechtmäßg erworben, steht im Mittelpunkt der Sozialethik der Bibel. Meinzer selbst mag solche Sätze nicht unterschrieben, aber der Seite im Netz steht er mit Sympathie gegenüber. Sei‘s drum. Doch sollte die Micha-Initiatve nicht besser zwei mal hinschauen, von wem sie sich da beraten läßt?
Den Vorrang der Freiheit fordert auch Robert Nef vom Liberalen Institut in der Schweiz. Seine 10 Leitplanken beginnen mit der These „Ihr sollt der Freiheit, dem Kern der Menschenwürde, stets Vorrang geben“. Eingriffe in die Freiheit, so der Liberale und Christ, „verletzen die Menschenwürde, und der Staat darf nur intervenieren, wenn die Freiheit selbst gefährdet ist.“ „Gleiche Regeln statt bevormundende Gleichmacherei“, so Nef in der zweiten These – darum ging es schon Lewis, und nur dieser Grundsatz vereint die moralische Gleicheit und die Freiheit.