Vom Elend mancher Theologie

Vom Elend mancher Theologie

„Worthaus“ ist eine interessante Initiative. Vor allem in Vorträgen und Seminaren soll ein „unverstellter Blick“ auf die Bibel gesucht bzw. Menschen ermöglicht werden. In mehreren Themenreihen sind die beiden Hauptreferenten Siegfried Zimmer und Thomas Breuer, beide von der PH Ludwigsburg, bisher wichtige biblische Texte durchgegangen. Die Mediathek dieser Vorträge ist äußerst profesionell und ansprechend gestaltet. Gerade Zimmer besticht durch seinen ruhigen, einnehmenden Stil. Kein Wunder, dass er beim Spring-Ferienfestival in diesem Jahr über die Urgeschichte redete. Schon vor Jahrzehnten fanden sich in Veröffentlichungen der VBG (schweizer Studentenarbeit) Texte des Theologen.

Das Worthaus wird auch von evangelikalen Portalen wie jesus.de empfohlen, doch welche Theologie von den Referenten vertreten wird, wurde vor einem Jahr, im Juni 2012, in einem Vortrag von Dr. Breuer nur zu deutlich: „Die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu aus heutiger Perspektive“.

„Heute geht’s ans Eingemachte“, so Breuer zu Beginn. Es folgen ein Goethe-Zitat und bald auch Nietzsches Worte zum blutigen Kreuzestod: „Welches schauderhaftes Heidentum!“ Luthers Kleiner Katechismus darf zu Wort kommen, doch beim Ringen um die Bedeutung des Kreuzestodes „hilft auch der Katechismus nicht weiter“. Damit nicht genug: „Es reicht nicht der Verweis auf Bibelstellen.“ Wohl wahr. Breuer meint jedoch auch, Paulus habe schließlich „nicht nur Sinnvolles geschrieben“, und: „Paulus war nicht Gott!“ Davon wird abgeleitet, die Aussagen der Bibel seien „nicht in unmittelbarem Sinne Wort Gottes“. Dies ist ja leider fast schon Allgemeingut unter Evangelikalen, doch dank Breuer wird auf die Konsequenz hingewiesen: „Wir müssen nicht nur deshalb an etwas glauben, weil Paulus es so schrieb“.

Kommt Zimmer immer nett und fromm daher, so läßt Breuer alle Masken fallen. Paulus habe „neben all dem Klugen auch unkluge Sachen [geschrieben] – wie ich finde.“ Er spottet über die „hanebüchene Aussagen zur Haartracht“. Von „respektvoller Kritik“, wie sie Zimmer üben will, ist hier nichts zu sehen. Wir sollen alles prüfen und dabei die Vernunft einsetzen. Da es im NT nicht nur eine einzige Deutung des Kreuzestodes gäbe, sonden eine legitime Bandbreite, muss eben die Vernunft bewerten und wählen. Nicht alle Antworten der Bibel hätten den gleichen Wert. „Manche tun den Menschen nicht gut.“

Zwei Deutungen hält Breuer für „nicht angemessen“. Einmal die Lehre, dem Hebräerbrief folgend, dass das Kreuz das Ende des Opfers bedeute. „Wie kann ich mir das vorstellen? Welchen religiösen Sinn hat das?“, fragt Breuer kritisch. Das Judentum sei ja auch keine Opferreligion mehr. Diese Vorstellung können wir angeblich „beruhigt ad acta legen“.

„Gefährlicher“ sei „der Gedanke, dass Gott der Vater erst durch den blutigen Opfertod seines Sohnes mit der schuldbeladenen Menschheit versöhnt werden könnte.“ Erst das Blut Jesu „habe Gott in seinem Zorn besänftigt.“ Diese „Meinung ist relativ weit verbreitet.“ Er zitiert den bekannten Satz von Anselm Grün: „Was ist das für ein Gott, der den Tod des Sohnes nötig hat, um uns vergeben zu können?“

Der Gedanke, dass Gott-Vater den Tod seines Sohnes brauchte, „erscheint angesichts der Gottesverbindung Jesu als völlig absurd.“ Gott gehe vielmehr „ohne Vorbedingungen von sich aus auf den Menschen zu.“ Die Deutungen müssen dieser bedingungslosen Liebe entsprechen. Breuer zitiert den katholischen Theologen Josef Imbach: „Gott kennt keine käufliche Liebe.“ Anschließend nachdrücklich: „Gott braucht hier kein Opfer und schon gar kein Blut! Das müssen wir erst einmal festhalten. Gott braucht kein Menschenopfer“. Er ist der gütige Vater, er ist kein Moloch. Dieser ist kein Gott, dem man vertrauen kann.

„Was folgt daraus?“ Ist der Opfertod ganz zu verwerfen? Es müsse, so Breuer, differenziert und das Gottesbild der „zentralen Linien der Bibel“ zugrunde gelegt werden. Es gibt natürlich „das Opfer im Sinne von Hingabe für andere“. Musste Jesus aber sterben zur Vergebung der Sünden? Er will hier „vorsichtig“ sein. Sein Tod hatte eine Art „innere Notwendigkeit“. Er betont: Jesus ist wegen der Sünden gestorben, als Opfer menschlicher Gewalt. „Menschen haben ihn getötet, nicht Gott hat das gewollt.“ Und dann seine Hauptaussage:

„Die Vorstellung, Gott habe ohne den Tod Jesu nicht die Sünden vergeben können, setzt ein merkwürdiges Gottesbild voraus. Nein, Gott kann natürlich auch Sünden ohne den Tod Jesu vergeben! Ist doch gar keine Frage! Gott ist doch für die Sündenvergebung nicht an ein bestimmtes Geschehen gebunden. Dann wäre Gott gar nicht mehr frei! Was würden wir von freier Gnade und Liebe Gottes reden, wenn wir sagen würden, er kann uns nur vergeben, wenn… Nein!“

Dieser Standpunkt ist für Breuer zentral: „Wir müssen das ganz klar haben.“ „Nicht erst der Tod Gottes bringt uns den Gott der Liebe!“ Schließlich habe es ja auch schon im AT und im Wirken Jesu, also vor dem Kreuz, Vergebung gegeben.

Nach ziemlich genau einer Stunde fragt er schließlich: Was ist nun mit dem Sühnetod? Das Sühneopfer sei keineswegs zentral im NT. Es rückte erst in der Theologiegeschichte in den Mittelpunkt, und Breuer nennt hier Anselm und das mittelalterliche Denken. All das hätte mit dem Begriff im NT „nichts zu tun“. Das Sühneopfermotiv sei „voraussetzungsreich“ und mißverständlich. Sühneopfer sei eine Metapher, die „vielleicht einen biblischen Sinn ergibt“, aber heute eigentlich nicht mehr zu verwenden sei. Wegen ihrer Wirkung und den Mißverständnissen sei sie „nicht mehr einfach so zu verwenden.“ Man könne ja schließlich nicht immer „ein 30minütiges Referat dazu halten – das geht nicht.“

Den Ursprung der Vorstellung vom Sühneopfer sieht Breuer gar nicht im kultischen, sondern im rechtlichen Bereich. Er nennt die Sühneleistungen im AT. Gott versöhnt, nicht der Priester durch sein Handeln. In Röm 3,25 gebraucht Paulus diese Metapher. Auch dort ginge es um eine Gerechtmachen durch Gott. Sühneleistung sei also symbolisch zu verstehen, ein „Sprachspiel“. „Es wird symbolisch fassbar, dass Gott Versöhnung gewährt.“ „Ein Sprachspiel, das damals seine Bedeutung hatte“, damals verständlich gewesen war. Wir haben aber heute diese Opfer nicht. Diese Vorstellung führe daher heute „völlig in die Irre.“

„Wie hat Jesus selbst seinen Tod verstanden?“ Breuer ist sich sicher: „Nichts deutet darauf hin, dass er ihn so [als Sühneopfer] verstanden hat.“ Auf die Frage, ob es einen Sinn haben kann zu sagen, dass der Tod Jesu uns erlöst hat, antwortet Breuer mit „Ja, aber…“ „Jesu Tod an sich ist sinnlos. Der Tod kann uns nicht erlösen.“ Erlösend ist nicht der Tod, „erlösend ist allein die Liebe Gottes.“ Das verkürzt gesprochene „in Jesu Tod ist das Heil“ bedarf der Erläuterung, und die beginnt bei Breuer so: „Im Leiden und im Sterben des Gerechten aus Nazareth zeigt sich uns in besonderer Weise diese Liebe Gottes.“ Wir sollen nicht Jesu Tod preisen, sondern sein Leben, „transparent sein für die Liebe Gottes.“ Der Tod weist auf die Unerlöstheit der Menschen hin. Das Kreuz zeigt uns, wie „wir von der Liebe Gottes umfangen sind“. Nur im Scheitern zeigt uns Gott Erlösung. Jesus ist der Gerechte, lebte so, wie Gott es will, dass Menschen leben. Breuer beendet seinen Vortrag von eineinhab Stunden mit Ausführungen zum leidenden Messias.

Soweit der Vortrag Breuers, der hier in seinem Ablauf wiedergegeben ist. Was ist davon zu halten? Nur einige Bemerkungen.

Albert Mohler, Präsident des Southern Baptist Theological Seminary in den USA, hat wiederholt vom Haß gesprochen, der der traditionellen Lehre vom stellvertretenden Sühneopfer Christi (penal substitutionary atonement) entgegengebracht wird (s. hier). Und dies ist keineswegs übertrieben, wie die kategorischen, nachdrücklichen und mitunter emotional vorgetragenen Aussagen Breuers deutlich machen. Wir sehen hier, wohin die historisch-kritische Theologie führt und welche freche Fratze hinter der Verachtung der Bibel hervorkommt.

Breuer hatte katholische Theologie studiert und ist später zur evangelischen Kirche konvertiert. Zurecht stellt er sich aber auf der Worthaus-Seite als „historisch-kritischer“ Theologe vor, nicht als protestantischer oder evangelischer. Denn auf Grundlage der Bekenntnisschriften der Reformation, auf die ja Ordinierte immer noch verpflichtet werden, steht er gewiß nicht. Hilfestellung bei der Bekenntnistradition nimmt er nicht, im Gegenteil: er grenzt sich davon ab (gerade ja auch die Bekenntnisse sind es, die angeblich den vorurteilsfreien Blick verstellen). Man fragt sich, welchen Christen er etwas sagen will. Evangelischen? Diese bekennen jedoch immer noch mit dem dritten Artikel des Augsburger Bekenntnisses Christus, der „wahrer Gott und wahrer Mensch ist, wahrhaftig geboren, gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben, dass er ein Opfer nicht allein für die Erbsünde, sondern auch für alle Sünden war und Gottes Zorn versöhnte.“ (S. auch Heidelberger Katechismus Fr. 17 und 37; Niederländisches Bekenntnis, Art. 21; Dordrechter Lehrregel II,2.4)

Das Elend der Theologie nannte Philosoph Hans Albert 1979 seine präzise Abrechnung mit der Theologie des Schweizers Hans Küng. Nun wird man aber eingestehen, dass Küng mit Existiert Gott? – darauf richtet sich vor allem Alberts Kritik – ein brillant geschriebenes, sehr fundiertes Werk verfaßt hat, von dem viel zu lernen ist. Was würde Albert wohl zu Breuers Ausführungen sagen? Die Vernunft wird von diesem eingangs auf den Thron gehoben, doch wird der Doktor der Theologie dem Anspruch dieser Vernunft gerecht? Nach eineinhalb Stunden ist völlig klar, was Breuer ablehnt. Doch ein kohärentes, klares und gut begründetes Bild von der Bedeutung des Todes Jesu kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Zahlreiche Thesen werden wie selbstverständlich in den Raum gestellt – Breuer müht sich gar nicht um eine gründliche Verteidigung dieser. Sicher, ein besonderes Zeichen der Liebe Gottes – das war das Kreuz tatsächlich. Aber war‘s das? Warum musste dieser Tod sein? Bei dieser Frage nach der Notwendigkeit des Kreuzestodes kommt Breuer schon ins Schlingern. Und das sagt schon so ziemlich alles.

Wenn Küng schon elende Theologie produziert haben soll (dies würde ich allerdings nicht behaupten), wie sollen wir dann Breuers bezeichnen? „Erbärmlich“ würde vielleicht passen. Oder auch „überflüssig“. Jeden Monat werden viele Tausend Euro von guten Steuergeldern verpulvert, um an staatlichen Ausbildungsstellen solch eine Theologie zu kultivieren.  Auf dem ‘freien Markt’ der Gemeindetheologie würden solche Lehren früher oder später als das erkannt werden, was sie sind: pures Gift.