Der (vor)letzte rote Dichter

Der (vor)letzte rote Dichter

Vor dreißig Jahren ging man in Litauen ans große Aufräumen: die allermeisten sowjetischen Denkmäler und Skulpturen in Parks und auf öffentlichen Plätzen wurden beseitigt. Den Anblick der Rotarmisten, Geheimdienstchefs und kommunistischen Parteibonzen in Bronze und Beton wollten sich die Litauer, die gerade ihre Freiheit gewonnen hatten, ersparen. Im August 1991 traf es Lenin auf dem heutigen Lukiškės-Platz in Vilnius. Ein großer Kran hob den Mitgründer der Sowjetunion unter großem Beifall der Menschen vom Sockel.

Übrig blieb nur wenig wie die Figurengruppen auf der Grünen Brücke in der Hauptstadt. Aber auch sie mussten nach langen Diskussionen 2015 schließlich weichen. Und nun, am 19. November, ging es schließlich auch Petras Cvirka an den Kragen (oder an die Metallfüße; s.o. Foto). Die fast schon monumentale, insg. etwa sieben Meter hohe Skulptur des kommunistischen Schriftstellers (1909-1947) wurde demontiert, samt Sockel beseitigt und einem Museum übergeben. 62 Jahre lang blickte der rote Dichter mit dem vollen Haar und einem über die Schulter gelegten Mantel gen Altstadt. Trotz so mancher Proteste und Vorschläge, das Denkmal als Teil des historischen Erbes zu akzeptieren, setzte sich der Bürgermeister von Vilnius durch: „Peterchen“ (Petriukas), wie ihn manche Vilniuser fast schon liebevoll nannten, musste weg. Gründe dafür gab es eigentlich lange genug.

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Von 1959 bis 2021 vor den Toren der Altstadt von Vilnius: Petras Cvirka in Bronze

Cvirka war schon während des autokratischen Regimes unter Präsident Smetona in den Jahren zwischen den Weltkriegen ein ausgesprochen linker Autor. Er schrieb Gedichte, mehrere Novellen sowie drei Romane und gilt als Mitbegründer des sozialistischen Realismus in der litauischen Literatur. Natürlich gehörte er auch zur Redaktion der linken Zeitschrift „Die dritte Front (Trečiasis Frontas), die 1930/31 nur kurz erscheinen konnte. 1940 dann, als Litauen das erste Mal sowjetisch besetzt wurde, war Cvirka einer   der „Ingenieure der Seelen“ (der Sowjet-Diktator über die Schriftsteller), die „Stalins Sonne“ im Land leuchten ließen.

Nach dem Krieg leitete Cvirka die Redaktion der Literaturzeitschrift „Sieg“ (Pergalė) und bald für knapp zwei Jahre bis zu seinem plötzlichen Tod den litauischen Schriftstellerverband. Cvirka war also fest ins System der sowjetischen Besatzer eingegliedert, wirkte als Parteimitglied aktiv bei der Sowjetisierung mit. Er übernahm das Amt im Schriftstellerverband von Kostas Korsakas, der die Gruppe der litauischen Exilliteraten in Moskau angeführt hatte. (Dessen Frau war übrigens Enkelin eines ev. reformierten Superintendenten; ihre Tochter, eine Kunsthistorikern, ist bis heute formelles Mitglied der ref. Kirche in Vilnius.)

A-2835905-1342254613-5452Korsakas blieb zwar auch dem System treu, besaß aber noch einen Rest von Skrupel und wollte nie der Partei beitreten. Cvirka war da eifriger und lieferte z.B. den gleichaltrigen Dichter Kazys Jakubėnas ans Messer. Dieser alte Gefährte aus den Zeiten der Dritten Front erhob schon gegen die Nazis während der deutschen Besatzung (1941-44) seine Stimme. Auch nach dem Krieg schwieg er nicht, kritisierte offen die Verbannung Zigtausender nach Sibirien. Aus dem Verband geworfen, selbst verbannt, aber später rehabilitiert verstarb Jakubėnas unter mysteriösen Umständen 1950 in Vilnius. Möglicherweise hatte der Geheimdienst seine Hand im Spiel.

An Cvirkas Hand klebte Blut, aber sein früher Tod rettete seine Reputation bis fast in die Gegenwart. Ähnlich erging es Salomeja Nėris, die noch in Moskau im Sommer 1945 mit gerade 41 Jahren an Krebs starb. Die Schrifstellerin wandte sich erst in den 30er Jahren dem Sozialismus zu, ließ sich aber auch 1940 bereitwillig ins System einbinden und schrieb ungezwungen Lobeshymnen auf Stalin. Bis heute sind Straßen oder auch eine bekannte Schule in der Altstadt von Vilnius nach ihr benannt.

Noch tragischer endete das Leben von Julius Janonis. Wie Jakubėnas wuchs er im Kreis Biržai in Nordlitauen auf und entstammte wie dieser einer ev.-reformierten Familien. Ab 1913 besuchte der konfirmierte Jugendliche, der sich schon früh als Poet hervortat, das Gymnasium in Šiauliai, das heute seinen Namen trägt. Wohl in dieser Zeit übernahm er „freidenkerische“ Anschauungen. Als die Deutschen im Ersten Weltkrieg heranrückten, wurde er mit vielen anderen nach Russland „evakuiert“. Hier trat er 1916 der kommunistischen Partei, den Bolschewiki, bei und setzte seine dichterische Begabung in den Dienst der Revolution. 1917 erkrankte Janonis schwer an Tuberkolose und warf sich in seiner Verzweiflung vor einen Zug. Mit 21 Jahren schied er aus dem Leben.

JanonisJanonis kam ebenfalls die Gnade des frühen Todes zu Gute, denn er erlebte noch nicht einmal die Machtergreifung seiner Parteigenossen im Herbst 1917 mit und konnte daher auch nichts Böses mehr anstellen. Obwohl ein überzeugter Bolschewik, steht in seiner Heimat Biržai bis heute sein Denkmal im Zentrum des Ortes – und wird dort wohl auch bleiben. Das Janonis-Gymnasium in Šiauliai will ebenfalls (trotz Diskussionen vor einigen Jahren) an dem bekannten Namen festhalten. Janonis ist damit wohl der letzte rote Dichter Litauens, dessen öffentlich mit einem Denkmal gedacht wird.