Der Vierte in Rot

Der Vierte in Rot

Seit Anfang des Monats gibt es erstmals zwei Kirchenmänner aus Litauen, die zu der kleinen Gruppe von Amtsträgern Roms in leuchtendem Rot gehören. Am 5. Oktober erhob Papst Franziskus den ehemaligen Erzbischof aus Kaunas, Sigitas Tamkevičius, in den  Kardinalsstand. Schon 2001 war Audrys Juozas Bačkis zum Kardinal der römisch-katholischen Kirche ernannt worden.

Tamkevičius ist schon achtzig Jahre alt. An einem zukünftigen Konklave bei einer Papstwahl wird er aus Altersgründen daher nicht mehr teilnehmen. Der Papst ehrte den Bischof vielmehr für seine Standfestigkeit im Glauben und die Treue zur Kirche. Tamkevičius gilt zu Recht als eine Symbolfigur für die Kirche in Litauen und den litauischen Widerstand im Sowjetregime.

Der junge Mann aus dem Kreis Lazdijai ganz im Süden Litauens wurde 1962 zum Priester geweiht. Doch schon 1969 wurde ihm von der kommunistischen Obrigkeit die Erlaubnis das Priesteramt auszuüben entzogen.  Tamkevičius  arbeitete u.a. in Fabriken und führte sein Amt im Untergrund aus. Mit anderen Priestern und Nonnen gründete der Jesuit 1972 die Zeitschrift „Chronik der katholischen Kirche in Litauen“ und leitete die Redaktion. Sie dokumentierte die Verfolgung der Kirche durch die sowjetische Herrschaft.

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In den 40er oder 50er Jahren hätte der katholische Dissident diesen Einsatz womöglich noch mit dem Leben bezahlt. Doch auch Tamkevičius traf es hart. Er landete in den Kellern des KGB-Gebäudes am heutigen Lukiškės-Platz. Beim Papstbesuch 2018 ließ sich Franziskus bei seinem Besuch des ehemaligen Foltergefängnisses von Tamkevičius begleiten (ganz o. Fotos aus der KGB-Akte). In den 80er Jahren verbrachte der mutige Mann mit untersetzter Statur „wegen antisowjetischer Agitation und Taten“ fünf Jahre im Straflager des GULAG in Sibirien. Im Rückblick bezeichnet er diese Jahre der Verfolgung als sehr gesegnete Zeit.

Im freien Litauen amtierte Tamkevičius von 1996 bis 2015 als Erzbischof von Kaunas. Für zwei Amtszeiten führte er den Vorsitz in der Litauischen Bischofskonferenz. Wegen seiner immer freundlichen Art und seinen klaren Worten wird die „Legende des kirchlichen Widerstands“ immer noch als Autorität geschätzt und geachtet. Mit Tamkevičius wurden ein Dutzend weitere Hierarchen in den Kardinalsstand erhoben, darunter fünf Ordensbrüder wie auch der Litauer.

Die meisten Bischöfe und Priester Litauens zeigten sich im atheistischen System als standhaft und gingen keine faulen Kompromisse mit den Kommunisten ein. Manche saßen dafür in Gefängnissen und Lagern. Jahrzehntelang konnte auch Vincentas Sladkevičius (1920–2000) sein Bischofsamt nicht ausüben, wurde von der Obrigkeit im Land hin und her geschoben und für Jahre in ein Dorf an der Grenze zu Lettland verbannt. Dieses Schicksal traf zuvor schon Bischof Julijonas Steponavičius aus Vilnius, der im abgelegenen Provinzstädtchen Žagarė arbeiten musste. Beim ersten Anzeichen von Tauwetter, 1988, ernannte Johannes Paul II Sladkevičius zum Kardinal, und im folgenden Jahr konnte der schon fast 70jährige endlich seinen Dienst an der Kathedrale in Kaunas antreten.

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Vincentas Sladkevičius und Papst Johannes Paul II

In den letzten Jahrzehnten wurden damit fünf Bischöfe aus dem Baltikum zu Kardinälen ernannt, davon zwei aus Lettland. Als strategisch weitsichtig erwiesen sich vor allem die Entscheidungen von Johannes Paul II. Er ehrte nicht nur einige aufrechte Kirchenmänner und Dissidenten wie Sladkevičius. Um die Reform der Kirche in Litauen in Gang zu bringen, berief  der Pole 1992 Audrys Juozas Bačkis (geb. 1937) zum Erzbischof von Vilnius. Bis zu seiner Emeritierung 2012 leitete der 2001 zum Kardinal Ernannte zwanzig Jahre lang das Erzbistum und viele Jahre auch die Bischofskonferenz des Landes. Kaum ein Geistlicher hat seit der Wiedergewinnung der Religionsfreiheit vor dreißig Jahren solche tiefe Spuren im kirchlichen Leben Litauens hinterlassen wie Bačkis.

Tamkevičius brachte seine Erfahrung im Widerstand in der Sowjetunion ein – Kirche von unten. Eine ganze andere Biographie hatte der Diplomatensohn Bačkis. Er wuchs  im freien Westeuropa auf und gewann im Dienst des Vatikans in ganz unterschiedlichen Ländern ganz andere Erfahrungen. Die Priester und Bischöfe Litauens hingegen waren lange Jahre in ihrem Land eingeschlossen und bekamen daher viele Entwicklungen in der Kirche einfach nicht mit. Weltkirche und Untergrundkirche – diese Hintergründe der beiden Erzbischöfe und ihr funktionierendes Tandem erwiesen sich für die katholische Kirche als glücklich und segensreich. (Mehr zu Bačkis hier.)

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Kardinal Bačkis (im Hof der lutherischen Kirche von Vilnius)

Auf der Suche nach dem ersten Kardinal aus Litauen muss man jedoch Jahrhunderte zurückgehen. Kann man den letzten dreien aus protestantischer Sicht mit großem Respekt begegnen, so wird es in dieser Epoche komplizierter und für Evangelische einfach nur traurig.

Mitte des 16. Jahrhunderts breitete sich auch im Großfürstentum Litauen die Reformation immer weiter aus. Zu den großen Förderern und Beschützern des evangelischen Glaubens gehörte Nikolaus Radziwill der Schwarze (lit. Mikalojus Radvila Juodasis), Kanzler und Landmarschall von Litauen und damit der wichtigste Politiker des Landes nach dem polnisch-litauischen König Sigismund August. Auf dem Gut von Radziwill dem Schwarzen fanden in Vilnius die ersten Gottesdienste reformierter Prägung statt.

Der Schwarze starb jedoch schon 1565 mit gerade 50 Jahren. Tragischerweise gingen alle seine Söhne nach seinem Tod nach und nach wieder zum katholischen Glauben über. (Nur die Biržai-Dubingai-Linie der Radziwill in der Nachfolge von Nikolaus Radziwill dem Roten, Cousin des Schwarzen,  blieb der Reformation treu.) Sein ältester Sohn Nikolaus Christoph Radziwill, das Waisenkindchen (Mikalojus Kristupas Radvila Naslaitelis, 1549–1616), ließ sich in Rom zum Konfessionswechsel überreden und wurde ein eifriger Förderer der Gegenreformation in Litauen. Er pilgerte nach Jerusalem, veröffentlichte auch einen Reisebericht über die Länder im Nahen Osten. Sein Portrait ziert nun das Plakat der großen Radvila-Ausstellung im Fürstenpalast in Vilnius, die jüngst eröffnet wurde.

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Protestantenführer Nikolaus Radziwill der Schwarze

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Nikolaus Christoph Radziwill, das Waisenkindchen, gab das evangelische Erbe auf

Der jüngere Bruder Georg Radziwill (1556–1600) trat 1574 zur katholischen Kirche über und machte schnell Karriere in der Kirchenhierarchie. In jungem Alter wurde er Bischof von Vilnius, später Krakaus. Mit gerade dreißig Jahren wurde Georg 1586 in den Kardinalsstand erhoben. Der Sohn des prominentesten Protestanten Litauens – natürlich ein gefundenes Fressen für Rom in diesen heißen Zeiten der Konfessionskämpfe. Auch der erste litauische Kardinal erwies sich als gute Wahl (in den Augen der Katholiken): Geradezu mit Inbrunst wollte er das Erbe seines Vater auslöschen. So ließ er möglichst viele der von seinem Vater in Auftrag gegebenen polnischen Bibelübersetzungen, der Bibel von Brest, verbrennen. Ähnlich ging er mit anderen Büchern der Protestanten um.

Die Linie der Kardinäle aus Litauen reicht also vom Verfolger (der Evangelischen) zum Verfolgten (durch die Kommunisten).

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Erzogen als Protestant, später Anführer der Gegenreformation in Litauen: der erste litauische Kardinal, Georg Radziwill

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Die beiden Kardinäle aus Litauen in Rom