Eintracht der Evangelischen

Eintracht der Evangelischen

[Ganz unten eine Synopse der altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisse zum Herunterladen]

Das erste Jahrzehnt der Reformation verlief für die Evangelischen überraschend gut. Schließlich war ein Erfolg der Reformbewegung keineswegs selbstverständlich. Ohne die Druckerpresse wäre Luthers ‘Revolte’ im Sand verlaufen. Alles hätte bald früh zu Ende gehen können, gerade in den kritischen Jahren 1521/22. Doch ab 1525 bildeten sich erste Landeskirchen, und auch der Versuch des Kaisers und der katholischen Seite auf dem Zweiten Reichstag zu Speyer 1529, die Rechte der Evangelischen wieder einzuschränken, misslang. Er brachte den ‘Neuerern’ den Namen „Protestanten“ an.

Vor allem ab Mitte der 20er Jahre traten jedoch auch ernste Unstimmigkeiten im Lager der Evangelischen zu Tage. Der Erste Abendmahlsstreit begann. Die Schweizer um Zwingli sowie die süddeutschen Städte und auf der anderen Seite die Wittenberger um Luther vertraten unterschiedliche Auffassungen; umstritten war vor allem die leibliche Gegenwart Christi in Brot und Wein des Herrnmahls.

Philipp I, der junge Landgraf von Hessen und einer der Führer der Protestanten im Reich, erkannte die Gefahr einer langfristigen Spaltung der Evangelischen, was sie auch politisch schwächen würde. Er lud daher die Köpfe der Konfliktparteien zu einer theologischen Konferenz nach Marburg ein. Tatsächlich versammelte sich Anfang Oktober 1529 auf dem Schloss des Fürsten so ziemlich alles, was Rang und Namen unter den Protestanten hatte.

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Das Marburger Religionsgespräch in der Darstellung von August Noack; ganz links mit roter Mütze Landgraf Philpp, in der Mitte am Tisch sitzend Melanchton und Bucer, rechts stehend Luther und Zwingli.

Das „Marburger Religionsgespräch“ brachte jedoch nicht das erwünschte Ergebnis. Einigkeit bestand in allen Punkten, doch in der Abendmahlsfrage war man nicht weitergekommen. Philipp drängte Luther jedoch dazu, dass Ergebnis der Konferenz wenigstens in einer Art Thesenpapier festzuhalten. Der Wittenberger formulierte daraufhin (auf Grundlage von Vorarbeiten) die Marburger Artikel. Die anderen Teilnehmer nahmen nur geringe Hinzufügungen bzw. Korrekturen vor.

Marburg ist als Scheitern in die Geschichte eingegangen. Doch es gibt auch eine helle Seite. Man sprach und diskutierte in brüderlichem Geiste und setzte schließlich auch die eigene Signatur unter die Artikel. Bis heute ist z.B. in Marburg selbst ein Original mit den Unterschriften aller Beteiligten auf einem Blatt erhalten: oben die Luthers, es folgen Justus Jonas und Philipp Melanchton, dann Osiander, Agricola und Brenz von der ‘lutherischen’ Seite; darunter die Namenszüge von Oecolampadius, Zwingli, Bucer und Hedio, die die ‘Reformierten’ vertraten (die Begriffe wurden jedoch erst später geprägt). Nirgendwo sonst finden wir ihre Namen zusammen – ein einzigartiges Dokument!

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Die Marburger Artikel sind außerdem – sieht man einmal von der Täuferbewegung ab – das einzige wirklich gesamtevangelische Glaubensdokument der Reformationsepoche. Auch wenn bei der Frage der Gegenwart Christi keine Einigung erzielt wurde, ist der fünfzehnte Artikel, der in der zweiten Hälfte den Dissens festhält, dennoch erstaunlich positiv formuliert. In der ersten Hälfte wird das Gemeinsame festgehalten, und dann heißt es, dass man sich „diesmal“ noch nicht „verglichen“ (also geeinigt) habe. Dieses Mal noch nicht, aber vielleicht ein anderes Mal? Man verpflichtet sich, „gegen den anderen christliche Liebe… [zu] erzeigen“. Schließlich befiehlt man die weitere Diskussion Gott an: Man wolle „Gott den Allmächtigen fleissig bitten, daß er uns durch seinen Geist den rechten Gebrauch [des Sakraments] bestätigen wolle“.

Auch dank der Artikel kam der Streit um das Abendmahl über zwanzig Jahre lang zur Ruhe. Zwingli verstarb bald (1531), und bis zu Luthers Tod 1546 konnte der große Diplomat Martin Bucer sogar die „Wittenberger Konkordie“ von 1536 erreichen. Dabei kam er den Lutheranern jedoch so weit entgegen, dass sich die Schweizer um Bullinger, Zwinglis Nachfolger in Zürich, außerstande sahen zuzustimmen. Die Eidgenossen blieben draußen vor der Tür und wollten dies auch. Sie widerum einigten sich untereinander. Calvin und Bullinger verfassten 1549 den Consensus Tigurinus und einigten sich darin auf eine gemeinsame Sakramentstheologie. Bullinger hatte dafür die Lehre Zwinglis abgeschwächt, und Calvin aus Genf, der eigentlich Luther gar nicht so fern stand, kam auf die Zürcher zu. So wurde ein Bruch vermieden, denn nicht sehr viel hat gefehlt, und wir hätten heute eine zwinglianische und eine calvinische reformierte Kirche.

Der Consensus kam allerdings bei den Lutheranern gar nicht gut an. 1552 brach der zweite Abendmahlsstreit aus, und nun flogen die Fetzen so richtig. Joachim Westphal aus Hamburg kritisierte Calvin scharf, obwohl sich der immer recht nah bei Luther sah (wobei auch er den Leib Christi im Himmel verortete) und eine Freundschaft mit Melanchton pflegte. Letzterer ging dummerweise auf Tauchstation. Calvin selbst sparte in seiner Reaktion auch nicht an harten Worten; Theodore Beza und Johannes a Lasco unterstützten ihn. Auf lutherischer Seite griff Johannes Brenz in die Debatte ein (der einzige, der auch in Marburg schon dabei war).

Bei diesem Streit gab es leider keinerlei versöhnlichen Abschluss mehr, im Gegenteil. In der Konkordienformel von 1577, die die Reihe der lutherischen Bekenntnischriften abschloss, ist von „groben Sakramentierern“ die Rede; damit sind die Zwinglianer gemeint. Die „allergefährlichsten Sakramentierer“ seien aber Calvin und Co., denn sie tun so, also ob sie Luther näher stehen; diese Täuschung macht sie in den Augen der Gnesiolutheraner nur umso gefährlicher. Die Formel ist das einzige protestantische Bekenntnisdokument, in dem ein anderer Hauptzweig der Reformation wegen seiner Sakramentenlehre verworfen wird (Verdammungen der Täufer gab es dagegen schon früher einige wie im Augsburger Bekenntnis oder dem Zweiten Helveticum).

In diese Jahre fiel auch der Kampf gegen die Kryptocalvinisten, die Anhänger Melanchtons, der 1560 gestorben war. Sie wurden vor allem in Sachsen verfolgt, es kam sogar zu Einkerkerungen und einer Hinrichtung. Das Tischtuch war nun wahrlich zerschnitten, nun erst, nicht schon in Marburg 1529. Die in Marburg geforderte „christliche Liebe“ trotz der Unterschiede verflogen. Ein steinerne Hausinschrift in Wittenberg aus dieser Zeit spricht Bände: „Gottes Wort und Lutheri Schrift ist des Bapst und Calvini Gift“.

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Und dennoch: Eintracht

In den von katholischen Monarchen beherrschten Ländern wie Frankreich, den Niederlanden oder auch Polen-Litauen stellte sich die Lage ganz anders dar. Hier breitete sich ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Jesuitenorden aus und machte sich daran, die Evangelischen wieder zurückzudrängen. Um 1600 war der von Ignatius von Loyola gegründete Orden in jedem katholischen Land Europas vertreten.

1569 kamen die Jesuiten nach Litauen und gründeten in Wilna/Vilnius ihre Akademie, aus der später die Universität hervorging. An ihr lehrten viele hochkarätige Theologen wie der aus Portugal stammenden Jesuit Emanuel Vega. In seinen Assertiones (1585) zerpflückte er die Sakramentenlehre Calvins. Ein gefundenes Fressen für ihn wie auch andere Jesuiten waren die scharfen Konflikte zwischen Lutheranern und Reformierten. Seht her, so die Botschaft der Jesuiten, sie können sich nicht in dieser doch so wichtigen Frage einigen; die gesamte Lehre der Protestanten muss daher falsch und häretisch sein!

Die Lutheraner kümmerte dies nicht weiter, da sie ganz überwiegend in protestantischen Territorien lebten (Deutschland, Skandinavien) und kaum mit den Jesuiten zusammenstießen. Die Reformierten bildeten viel stärker eine Minderheiten- und bald auch Flüchtlingskirche. Die Auseinandersetzung mit der Gegenreformation und dem Jesuitenorden lag vor allem auf ihren Schultern. Sie bemühten sich intensiv, die Argumente der Gegenseite zu entkräften. Schließlich wurde damals in viel stärkerem Maße als man sich dies heute vorstellt debattiert.

So war es der reformierte Theologe Jean-François Salvard, der die Eintracht der Evangelischen konkret unter Beweis stellte. Der Franzose war zwischen 1571 und 1576 Pfarrer der französischsprachigen Flüchtlingsgemeinde in Frankfurt, ab 1582 Prediger im Languedoc. 1581 erschien in Genf seine Harmonia Confessionum Fidei – eine Art Synopse der protestantischen Bekenntnisse. In neunzehn thematischen Abschnitten stellte Salvard die dogmatischen Lehren aus zwölf protestantischen Bekenntnissen nebeneinander. Bewusst nahm er in die Harmonia auch mehrere lutherische Bekenntnisse auf.

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Die Harmonia wurde von Andreas Volanus, dem damaligen intellektuellen Kopf der Reformierten in Litauen, aber auch vielen anderen in Polen-Litauen in der Auseinandersetzungen mit den Jesuiten fleißig benutzt. Kęstutis Daugirdas, seit November wissenschaftlicher Leiter der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden, schreibt dazu: Volanus „Urteil zufolge erwiesen sich die zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Personen in England, Frankreich, Belgien, Schweiz, Schottland, Böhmen und in vielen deutschen Territorien verfassten Bekenntnisse bei aufmerksamer Lektüre als derart einheitlich, dass sie in allen Glaubensartikeln auch nicht die geringsten Unterschiede aufweisen und deshalb eigentlich nur von dem einen göttlichen Geist stammen konnten. Gleichzeitig war sich Volanus der kaum überbrückbaren Unterschiede in der Christologie und in der Abendmahlsfrage bewusst, die das sich konsolidierende Luthertum von den Reformierten trennten, und er wollte keineswegs im Namen einer einheitlichen antirömischen Haltung der reformatorischen Kirchen die Unterschiede ignorieren.“ (Andreas Volanus und die Reformation im Großfürstentum Litauen)

Die Harmonia Confessionum Fidei demonstrierte die große Einheit der Protestanten in theologischer Hinsicht, und das ohne ein mit Autorität von oben her steuerndes Magisterium wie in Rom. Auf Grundlage des Werks von Salvard wurde im 17. Jahrhundert auch das Corpus et Syntagma Confessionum (1612 und 1654) verfasst, das noch lange in vielen europäischen Ländern benutzt wurde.

Synopse der altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisse

Die hitzigen, nicht selten auch gewalttätigen Auseinandersetzungen der Gegenreformationszeit sind Vergangenheit. In Litauen gingen die Evangelischen dabei als klare Verlierer vom Platz. Heute machen sie nur noch ein Prozent der Bevölkerung aus. Nun geht es in dem baltischen Land für die wenigen protestantischen Kirchen schlicht ums Überleben.

Die Religionsfreiheit ist voll gewährleistet; nie zuvor hatte man solch zahlreiche Möglichkeiten der Verbreitung des Evangeliums und des eigenen Bekenntnisses. Vieles hat sich also zum Positiven gewandelt. Die katholischer Seite droht in keiner Weise mehr mit Gewalt, im Gegenteil: nun werden die Protestanten umarmt. Und der kulturelle Sog gen Rom ist kaum geringer als vor vierhundert Jahren.

Interessant ist außerdem, dass die evangelische Uneinheit immer noch eines der Hauptargumente der römisch-katholischen Vertreter ist. Weltweit Zigtausende Denominationen – spricht das nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Protestantismus? Bisher haben die Protestanten Litauens ihrerseits jedoch nur wenig getan, um ihre grundlegende Einheit in zentralen Fragen zu demonstrieren. (Im vergangenen Jahr der Reformation gab es zahlreiche gemeinsame Veranstaltungen, aber in theologischer Hinsicht wurde hier dennoch wenig Einheit konkret nachgewiesen; zu nennen ist aber der New City Catechism, den 2015 drei litauische Kirchen in Litauen gemeinsam herausgaben.)

Inzwischen liegen aber zahlreiche reformatorische Bekenntnisse in litauischer Sprache vor. Noch in diesem Jahr wird das Niederländische Bekenntnis (Confession Belgica) erscheinen. Die reformierten Bekenntnisse sind damit so gut wie komplett. Auf lutherischer Seite fehlen vor allem noch die Schmalkaldischen Artikel.  Auf Litauisch gibt es außerdem die Lausanner Verpflichtung und die Glaubensgrundlage der Ev. Allianz Europas (Basis of Faith). Auf Grundlage all dieser Dokumente und mit den drei grundlegenden altkirchlichen Bekenntnissen hat Holger (ursprünglich für Studenten des EBI), anknüpfend an die Harmonia von Salvard,  eine Synopse zusammengestellt. Ausgehend von der Themenabfolge des Zweiten Helveticums kann schnell festgestellt werden, ob und wo in den anderen Texten zu diesen Lehren Ausführungen gemacht werden.

Diese Synopse kann nun hier auch in deutscher Spracher heruntergeladen werden: Protestantische Bekenntnisse Synopse Sie kann zur Katechese dienen und auf einer anderen Ebene zur Apologetik des Protestantismus. Wie schon in den Marburger Artikeln kann so klar erkannt werden, dass die Evangelischen in den allermeisten Fragen im Wesentlichen übereinstimmen.

Synopse

(Empfehlenswert in diesem Zusammenhang außerdem das im vergangenen Jahr erschienende Between Wittenberg and Geneva – Lutheran and Reformed Theology in Conversation  von Robert Kolb und Carl Trueman.)