Von Gott gehaucht!

Von Gott gehaucht!

40 Jahre „Chicago“

1977 schlossen sich viele evangelikale Theologen, aus Europa und vor allem den USA,  zum „Internationalen Rat für biblische Irrtumslosigkeit“ zusammen (International Council on Biblical Inerrancy, ICBI). Ihr Ziel war es, durch verschiedene Erklärungen dem wachsenden Einfluss von Strömungen, die die Autorität und Inspiration der Bibel abschwächen, einzudämmen. Denn diese drohten auch mehr und mehr auf die theologisch konservative evangelikale Bewegung überzugreifen.

Der ICBI veröffentlichte drei Dokumente, nach dem Tagungsort „Chicago-Erklärungen“ genannt. Eine erste über das Wesen der Schrift und ihre Inspiration („Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel“ [oder „zur biblischen Irrtumslosigkeit“], 1978); die zweite über die Auslegungsprinzipien der Schrift („Chicago-Erklärung zur biblischen Hermeneutik“, 1982); die abschließende dritte befasste sich mit den Antworten, die sich bei einer solchen Auslegung für einige der brennenden Tagesprobleme unserer Zeit ergeben („Chicago-Erklärung zur Anwendung der Bibel“, 1986).

Alle drei wollen nur „Statements“ und keine umfassenden Bekenntnisse sein, denn es wird eben nur ein klassisches Thema der Glaubenslehre berührt. Ihr Anliegen ist es, neben die bisherigen protestantischen Bekenntnisse zu treten und ausführlicher zu erläutern und zusammenzufassen, was die Bibel über sich selbst sagt. (Die erste Erklärung liegt seit einigen Jahren auch in litauischer Sprache vor.)

40 Jahre liegt die Herausgabe der ersten Erklärung nun zurück. Viele ihrer Autoren und Erstunterzeichner sind inzwischen verstorben wie James M. Boice (2000) oder im vergangenen Dezember R.C. Sproul. Schon 1984, noch vor der Veröffentlichung der letzten der drei Erklärungen, erlag Francis Schaeffer einem Krebsleiden. Der Gründer der L‘Abri-Gemeinschaft und große christliche Apologet – wie Boice, Sproul und viele andere der Initiatoren der „Chicago“-Erklärungen Presbyterianer – gehörte zu den wichtigsten Vorkämpfern der Irrtumslosigkeit.

Sein letztes Buch, ein wahres Vermächtnis („die wichtigste Aussage, die ich je niedergeschrieben habe“!), behandelte noch einmal das Thema der biblischen Autorität. In Die große Anpassung – das Original noch schärfer: The Great Evangelical Disaster – warnte Schaeffer ein letztes Mal massiv davor, ein strenges Schriftverständnis aufzuweichen. Schaeffer will das Etikett „evangelikal“ nur dann vergeben, wenn auch „Irrtumslosigkeit“ der Sache nach drin ist. Weiter schreibt er:

„Ohne eine feste Meinung zur Bibel als Grundlage sind wir für die schwierigen Zeiten nicht gewappnet. Nur wenn die Bibel ohne Irrtum ist – nicht nur, wenn sie über die Erlösung spricht, sondern auch dann, wenn sie über die Geschichte und den Kosmos berichtet – , haben wir eine Basis für die Beantwortung von Fragen, die uns im Hinblick auf die Existenz des Universums mit seiner Ordnung und im Hinblick auf die Einzigartigkeit des Menschen gestellt werden. Ohne ein tragfähiges Fundament haben wir auch keinerlei absolute moralische Maßstäbe oder Heilsgewissheit, und die nächste Generation von Christen wird nichts haben, auf das sie sich stützen kann. Unseren geistlichen und leiblichen Kindern wird man einen Boden zurücklassen, den man ihnen unter den Füßen wegziehen kann. Sie werden keine Basis haben, auf die sie ihren Glauben und ihr Leben gründen können.“

In Schaeffers Sätzen ist sein Lehrer Cornelius Van Til (1895–1987) herauszuhören. Der in den Niederlanden geborene Theologe, Philosoph und Apologet unterrichtete Jahrzehnte am Westminster Theological Seminary in den USA. Er prägte eine ganze apologetische Schule („presuppositional apologetics“) und legte hohen Wert auf die Autorität und Irrtumslosigkeit der Bibel: „Unless as sinners we have an absolutely inspired Bible, we have no absolute God interpreting reality for us, and unless we have an absolute God interpreting reality for us, there is no true interpretation at all.“ (An Introduction to Systematic Theology, 1974)

Wirkmächtige Aussagen

Zwei Schriften Van Tils sind in den letzten Jahren bei einem kleinen deutschen Verlag (RVB, Hamburg) erschienen. Schaeffers Bücher wurden in den 70er und 80er Jahren in Deutschland fleißig gedruckt. Damit ist es leider schon eine Weile vorbei. Ein oder zwei seiner Bücher bekommt man vielleicht noch, aber die großen evangelikal geprägten Verlage haben einen der wichtigsten evangelikalen Denker des letzten Jahrhunderts nicht mehr im Programm.

Mit einem „Fundamentalisten“ wie Schaeffer wollen heutzutage viele nichts mehr zu tun haben. Beharrlich ignoriert wird er natürlich auch von Andreas Malessa, der komischerweise immer noch als Autorität gilt, wenn der Welt der Evangelikalismus erklärt werden soll. Dabei teilt er mit Vorliebe gegen alles und alle aus, die theologisch „rechts“ von ihm in der vermeintlichen Schmuddelecke stehen und eigentlich, historisch gesehen, die Kerntruppe der Bewegung ausmachen. In seinem Luther-Buch sind für ihn „Fundamentalisten“ diejenigen, „die nur dann Christus vertrauen wollen, wenn jede Vokabel der Bibel ‘irrtumslos und widerspruchsfrei verbalinspiriert’ von Gott diktiert wurde, wie US-Amerikaner in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts meinten.“ Engstirnige, angstgesteuerte und bemitleidenswerte Zeitgenossen.

In einer Radiosendung mit dem Titel „Ist die Bibel eine ‘Heilige Schrift’?“ fragt der Journalist und Baptistenpastor: „Wenn die Bibel also nicht vom Himmel gefallen, sondern bestenfalls Gottes-Wort-in-Menschenmund ist – warum nennen Christen sie dann trotzdem ‘Heilige Schrift’ und richten sich nach ihr?“ Er zitiert Professor Dr. Peter Bubmann vom Institut für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Erlangen: Thema und Inhalt der Bibel „ist das heilige Wirken Gottes.“ Baumann macht, so Malessa, „die religiöse Autorität der Bibel an ihren Aussagen fest, nicht an ihrem Entstehungsprozess“.

Autorität aufgrund des Entstehungsprozesses – damit ist die Inspirationslehre gemeint; die Lehre von der Ein- oder Aushauchung der biblischen Worte durch Gott selbst. Bubmann gesteht ein, dass es „tatsächlich so über einen Großteil der Kirchengeschichte… immer wieder Gruppen gab, die dachten, die Schriften des Neuen wie auch des Alten Testaments seien ‘verbalinspiriert’. Also direkt, vielleicht durch einen Engel eingeflößt…“ Die Wortwahl ist vielsagend: passiv „eingeflößt“; und da „gab es“ immer wieder mal solche seltsamen „Gruppen“. Angemessen wäre dagegen diese Formulierung: der allgemeine und breite, tiefe und feste, bis zur Aufklärung kaum hinterfragte Konsens in allen Kirchen war die Verbalinspiration – die angeblich vereinzelten Gruppen stellten eine einzige große Gruppe dar!

Bubmann will die Autorität und Heiligkeit von bestimmten (sicher nicht mehr allen) biblischen Texten an ihrer positiven Wirkung festmachen: „Wir tun dies [wir sprechen Texten immer noch Heiligkeit zu], weil sie sich im Leben von Generationen als hilfreich erwiesen haben, um ein christliches Leben gut führen zu können.“ Malessa teilt  offensichtlich diese Sicht. Man fragt sich nur, was daran noch protestantisch sein soll. Der Grundsatz des „Sola Scriptura“ kann, folgt man denn diesem Ansatz, nicht mehr aufrechterhalten werden. Denn als wirkmächtig, hilfreich oder sonst irgendwie nützlich können sich subjektiv gewiss auch andere Texte erweisen. Es kann nun nicht mehr klar begründet werden, warum einzig biblischen Texten dieser Status der „heiligen Worte“ zugesprochen werden sollte.

Die Häresie der Fundamentalisten?

Solche Einwände kümmern viele der heutigen Gegner von Verbalinspiration und Irrtumslosigkeit kaum. Mit Vorliebe wird auf die Fundamentalisten eingedroschen. Ganz aus dem Ruder lief bspw. vor gut zehn Jahren ein Interview mit Prof. Erich Geldbach in der Zeitschrift „transparent“ der SMD (2006/3). Der baptistische Theologe lässt darin kein gutes Haar an der Lehre, die von Boice, Sproul, Schaeffer und vielen anderen (bis in die IFES hinein, dem Dachverband, dem auch die SMD angehört) vertreten wurde und wird. „Unfehlbarkeit und Fehlerlosigkeit, das ist der eigentliche Kern des Fundamentalismus“, so Geldbach. Der Fundamentalismus mache „aus der Bibel so etwas wie den Koran…  Und das [die Bibel als wortwörtlich vom Himmel gefallenes Dokument] halte ich ehrlich gesagt für Häresie.“

Der Vorwurf, die Anhänger der Irrtumslosigkeit hätten eine ähnliche Auffassung wie die Muslime über den Koran, fällt in diesem Zusammenhang öfter. Allerdings würde es Geldbach und anderen kaum gelingen, dies auch nur im Entferntesten an den Chicago-Erklärungen konkret festzumachen. Der Koran gilt nach muslimischer Lehre als seit Ewigkeit im Himmel aufbewahrter Text, der dann über einen Zeitraum von gut 20 Jahren herabgesandt wurde. Der Koran wurde also nicht von Menschen verfasst; Gott ist sein alleiniger Autor.

Kein christlicher Theologe und Denker hat je so etwas vertreten. Sicher fällt bei Johannes Calvin und dann in der protestantischen Orthodoxie manchmal der missverständliche Begriff „Diktat“, doch selbst H. G. Pöhlmann bemerkt dazu: „Die Inspiration versetzt den Menschen nicht – wie bei der Koraninspiration Mohammeds – in einen willenlos-unbewussten Zustand“ (Abriß der Dogmatik).

Calvin und später alle Theologen der Orthodoxie betonten die Rolle und den Anteil der menschlichen Autoren der Bibel. Im 19. Jahrhundert prägten dann neocalvinistische Denker wie Herman Bavinck oder Abraham Kuyper den Begriff der „organischen“ Inspiration – in Abwehr von „mechanistischen“ Verständnissen oder Diktattheorien. Thomas Schirrmacher fasst gut zusammen: „Zu allen Zeiten haben die christlichen Kirchen unter Inspiration nicht verstanden, dass Gott alleiniger Autor der Schrift sei, sondern immer nur, dass er zu den menschlichen Autoren in wundersamer und nicht definierbarer Weise durch den Heiligen Geist hinzutrat.“ (Koran und Bibel)

Die Erfinder der Irrtumslosigkeit?  

Ein nachaufklärerisches Bibelverständnis wird in den letzten Jahren unter Evangelikalen vor allem auch durch Siegfried Zimmer propagiert. An erster Stelle ist hier die von ihm entscheidend verantwortete „Worthaus“-Vortragsreihe zu nennen. Eingehend hat sich der Theologe zum Bibelverständnis auch in Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? geäußert. Kerngedanken daraus findet man in der recht genauen Zusammenfassung von F. Ruther in diesem Beitrag auf den Seiten der schweizer IFES-Bewegung vbg, aus dem ich im Folgenden zitiere.

Die Antwort auf die Frage, in welchem Verhältnis Gott und Bibel stehen,  sei „für das Bibelverständnis entscheidend“. Er spricht von einer „Wirkungseinheit“ zwischen Gott und der Bibel; Gott „nimmt die Bibel für seine Ziele in Anspruch“. Die von ihm vertretene „nichtfundamentalistische Theologie“ ist der Auffassung, „dass aus der Wirkeinheit nicht folgt, dass Gott und die Bibel die gleiche Autorität haben. In der Einheit zwischen Gott und der Bibel ist Raum für eine Unterscheidung zwischen Gott und der Bibel. Ein Buch kann nicht den Platz einnehmen, den Gott selbst innehat. Absolute Autorität kommt nur Gott zu, nicht der Bibel.“

Gewiss ist Gott nicht mit der Bibel identisch. So ist Gott als Schöpfer kategorisch von allem Geschaffenen zu unterscheiden. Die Bibel ist Reden Gottes durch geschöpfliche Mittel und damit natürlich nicht Gott selbst. Wie so oft bei Zimmer schmuggelt er in diese richtigen Sachverhalte seine Hauptaussage hinein: die Bibel könne keine absolute Autorität haben. Warum soll aber das Reden Gottes nicht absolute Autorität haben können? Schließlich sind eine Person und die Worte dieser Person zwar zu unterscheiden, aber eben doch nicht zu trennen. Ist es nicht vielmehr so, dass Gott – wo auch immer er redet – mit voller Autorität spricht? Kann Gott überhaupt mit geringer oder zurückgefahrener Autorität reden?

Wenn man sich erst einmal auf die Prämisse einlässt, dass die Wirkung der Bibel ihre Autorität begründet (also nicht ihr Entstehungsprozess, s.o.), dann sind solche Aussagen gewiss folgerichtig. Man müsste man aber zuerst nachweisen, dass die Autorität eben nicht auf der besonderen Art ihrer Entstehung ruht. Dieser Nachweis wird aber so gut wie nie geführt, vielmehr macht man die klassische Inspirationslehre lächerlich. Übrigens schreibt auch Heinzpeter Hempelmann, der ja die Rede von der Irrtumslosigkeit der Bibel kritisiert, in seinen „Zehn Säulen einer Hermeneutik der Demut“, dass die Bibel „Wort Gottes ist“ und „absolute, nicht einholbare Autorität“ besitzt (in: Wahrheit und Erfahrung – Themenbuch zur Systematischen Theologie, Bd. 1).

Zimmer hält gar nichts von den drei Chicagoer Erklärungen. In ihnen erkennt er Beispiele des Fundamentalismus. Für ihn besteht das Fundamentalistische „gerade darin, dass sie jede Relativierung der Bibelautorität ablehnt, auch eine Relativierung gegenüber der Autorität Gottes.“ Der Fundamentalismus werde der Bibel aber nicht gerecht und sei daher „keineswegs ‘bibeltreu’“. Und wieder wird Lesern nicht gesagt, dass die so beklagte Ablehnung der Relativierung der Bibelautorität gegenüber der Autorität Gottes die Standardposition in der Kirchengeschichte war.

Leider wird in dem Text die „fundamentalistische“ Sicht – wie so oft – verzerrt dargestellt. Einer der sieben Punkte der Skizze ihrer Merkmale lautet so: Die Fundamentalisten bezeichnen die Bibel als „verbalinspiriert (Gott hat die Schreiber der Bibel bis in die Wortwahl hinein geleitet)“. Das ist natürlich richtig. Nun liest man aber auch, im „urchristlichen Gemeindeleben“ habe die „Lehre von der Verbalinspiration“ keinerlei Rolle gespielt. „Wer voll Freude und Heilsgewissheit ist und Gottes grosse Taten bewundert, hat kein Verlangen nach Absicherung dieser Art.“

Über solche Sätze kann man sich nur wundern. Natürlich hatten sich die ersten Christen nicht den Kopf über Feinheiten einer Lehre von der Verbalinspiration zerbrochen! Ähnliches gilt aber auch für die Dreieinigkeit, die erst im vierten Jahrhundert so richtig Streitobjekt wurde, oder für die Rechtfertigungslehre, an deren Ausfeilung man sich gar erst in der Reformation machte. Bestimmte Lehren werden zu bestimmten Zeiten mehr oder weniger aktuell und umstritten; damit ist aber noch nichts über ihre Wichtigkeit im Allgemeinen oder gar ihren Wahrheitsgehalt ausgesagt. Auch hier sei noch einmal Hempelmann zitiert, der selbst ein Kritiker des Fundamentalismus ist: Das menschliche Wort der Bibel ist „ganz und gar und in jedem Buchstaben Gotteswort (Verbalinspiration)“. Sie bedeutet, dass „Gott jedes Wort, jeden Buchstaben so gewollt [hat], wie er dasteht“.

Die Reformatoren hätten keine Inspirationslehre gekannt, sie nur „vorausgesetzt“. „Erst im 17. und 18. Jahrhundert begann eine neue Phase. Hier ging es erstmals um eine Fehlerlosigkeit der Bibel. Die entscheidende Aussage dieser Theorie lautet: Jedes Wort der Bibel ist vom Heiligen Geist inspiriert. Deshalb kann die Bibel keine Fehler und Widersprüche enthalten.“

Solche Sätze sind nicht nur eine Verzerrung, sondern eine grobe Täuschung. Zimmer weiß selbst nur zu genau, dass die „Fehlerlosigkeit der Bibel“ nicht erst im 17. Jahrhundert erfunden wurde („erstmals“!); und dass erst ab der Aufklärung, von Sozzini im 17. Jahrhundert (s.u.) bis zu Schleiermacher im 19., eine wirklich „neue Phase“ begann. Natürlich haben die Reformatoren wie alle Theologen vor ihnen eine „Inspirationslehre“ gehabt! Gewiss, in der protestantischen Orthodoxie wurde sie weiter vertieft. Aber dies geschah doch deshalb, weil der alte Konsens der Kirche erstmals unter Beschuss geraten war (angefangen u.a. bei Spinoza) und sich die Evangelischen präzise vom Verständnis Roms abgrenzen mussten. Der Bruch kam mit der Aufklärung, die die Inspiration über Bord warf.

(Der britische Kirchenhistoriker Carl Trueman gibt im Vortrag „Inerrancy and Church History“ einen guten geschichtlichen Überblick; hilfreich ist auch Michael Hortons Vortrag „Is the Doctrine of Inerrancy Defensible?“; s. auch John Woodbrige, „Did the Fundamentalists Invent Inerrancy?“; das ganze Buch Inerrancy and Worldview von Vern S. Poythress kann hier heruntergeladen werden.)

 Geeignete Grundlage?

Auf seiner Homepage stellt Zimmer seine hermeneutische Grundposition in zwölf Punkten unter der Überschrift „Die Bedeutung der Bibel für den christlichen Glauben“ dar. Er spricht sich gegen Abgrenzung und für „vertrauensvolle Gemeinschaft und Zusammenarbeit zwischen den Christen und christlichen Gruppierungen“ aus. Seine „zwölf Aussagen über die Bibel“ seien „im hohen Maß konsensfähig“.

Tatsächlich sagt er in dem Text viele wahre Dinge, über die man sich ohne Probleme einigen kann. Interessant ist aber schon in dieser Einleitung, dass Zimmer sich also selbst zuspricht und den Lesern sagt: Auf das, was ich jetzt sagen werden, werden wir uns ja wohl einigen können. Und zwischen den Zeilen hört man deutlich heraus: Es fange nun bloß keiner mit miesepetriger und destruktiver Kritik an! Man kennt diesen manipulativen Ansatz Zimmers von „Worthaus“: Ich bin jetzt ganz nett und lieb zu euch Oberfrommen – und dann kommt‘s dicke. Was für einen Konsens taugt, muss sich erst erweisen (und was sich erwiesen hat, zeigt die Theologiegeschichte, konkret die Bekenntnisse); es kann nicht einfach so vorweg in Anspruch genommen werden.

Den Aussagen in den zwölf Punkten ist kaum zu widersprechen. „Gott redet durch die Bibel zu uns Menschen“; dies Reden „ist stets ein Offenbarungsvorgang“; er offenbart sich „durch die Bibel“. Durch sie ergeht „ein wirksames (schaffendes, schöpferisches) Wort“ an uns. Wieder ist von der „geistliche Orientierungskraft“ der Bibel und ihrer Wirksamkeit die Rede: „Auf diese Wirkungen des biblischen Wortes kommt es entscheidend an.“ Die Bibel habe „in geistlichen Dingen die höchste Autorität auf Erden“.

Im Punkt neun wird die „Wirkungseinheit“ von Gott und Bibel betont. „Nach Sicht des christlichen Glaubens hat Gott zur Bibel ein besonderes Verhältnis. Die Bibel ist sein bevorzugtes Werkzeug.“ Im zehnten geht Zimmer zum „Fazit“ über: „Alles was Gott durch die Bibel erreichen will, das erreicht er auch. Das ist die höchste Aussage, die man über die Bibel machen kann. Man kann diese Aussage nicht verbessern und nicht steigern.“

Hier beginnt die Sache zu kippen. Gott erreicht durch die Bibel alles, was er erreichen will. Dieses Erreichen ist nun tatsächlich nicht zu steigern: Mehr als alles erreichen geht nicht. Zimmer gibt damit jedoch implizit zu verstehen: Kommt mir jetzt bloß nicht mit eurer Verbalinspiration! Wozu brauchen wir die? Ich verzichte auf sie und behaupte dennoch, Gott erreiche durch die Bibel alles.

Zimmer geht einmal wieder trickreich vor: Er sagt indirekt, dass wir diesen Ballast der alten Verbalinspirationslehre gar nicht brauchen. Er leugnet sie nicht rundheraus (was seiner Konsensfähigkeit ja wieder Abbruch tun würde); er erklärt sie im Vorbeigehen für irrelevant. Natürlich kann diese Position nicht befriedigen, und sie ist auch nicht schlüssig. Es hilft der Vergleich eines Automotors: „Dieser Motor bringt Sie überall dorthin, wo sie wollen“, wird versprochen. Schön, kann man da nur sagen. Besser geht‘s tatsächlich nicht. Aber wie schafft er das? Warum sollte solch eine Frage illegitim sein?

In Punkt elf fasst Zimmer seine Position dann sogar so zusammen: „Die Bibel ist Gottes Wort.“ Allerdings fährt er fort: „Mit diesem mehrdeutigen Satz ist das gemeint, was in den Punkten 1-10 zum Ausdruck gebracht wird. Der Satz ‘Die Bibel ist Gottes Wort’ ist nicht wörtlich zu verstehen.“ Warum nicht wörtlich? „Die Gebete in den Psalmen z.B. sind ja Worte von Menschen zu Gott. Sie können nicht gleichzeitig in direktem Sinn ‘Gottes Wort’ an Menschen sein.“

Hier gerät man ins Stutzen. So viel Chuzpe muss man erst einmal besitzen, solch eine dünne Begründung zu liefern. Sicher finden sich in der Bibel ganz unterschiedliche Reden: von Gott direkt, der  sich akustisch hörbar direkt an Menschen wendet; Diktate (ja, auch die); an Gott gerichtete Gebete; aber Worte der Feinde und des Feindes Gottes wie des Versuchers oder auch des Pilatus; menschliche Rede, die inhaltlich falsch ist (Hiobs Freunde) usw. Die Vielfalt der biblischen Sprache und Redeformen, der Arten der Kommunikation Gottes mit den Menschen war Theologen schon immer bekannt und bewusst. Die Bibel redet auch aus heilsgeschichtlichen Gründen in unterschiedlicher Weise zu den Lesern. So gelten uns Christen die Vorschriften zum Tempelkult weniger direkt als dem Volk Israel. Diese Fragen werden im Einzelnen in der Hermeneutik geklärt.

Der Knackpunkt ist nun aber, dass trotz dieser unterschiedlichen Arten der Ansprache, trotz all dieser nötigen Differenzierungen, die Worte der Bibel Worte Gottes sind – in einem echten, philosophisch gesprochen ontologischen Sinn. Das ist ja gerade der Kern des klassischen Inspirationslehre: Gott hat auf wundersame Weise bewerkstelligt, dass diese Worte von Menschen in all ihrer Verschiedenheit auch seine Worte sind. Insofern ist „die Bibel ist Gottes Wort“ durchaus wörtlich zu verstehen; die Aussage ist eben nicht mehrdeutig, sondern sagt, was sie sagt. Wenn Heinrich Bullinger sein Zweites Helvetisches Bekenntnis mit „wir glauben und bekennen, dass [die Schriften der Bibel]… das wahre Wort Gottes sind“ beginnen lässt, dann meinte er dies ganz gewiss genau so, wie er dies formulierte: wörtlich, keineswegs mehrdeutig.

Abschließend schlägt Zimmer vor, „dass wir Christen auf dieser Grundlage vertrauensvoll miteinander leben und zusammenarbeiten. Diese Grundlage eignet sich gut dafür, Feindbilder abzubauen und Grabenkämpfe (Lagerdenken) zu überwinden.“ Nein, diese Grundlage ist dafür nicht geeignet. Zimmer hat nämlich wie der Teufel das Weihwasser alles gemieden, was wir z.B. in der Lausanner Verpflichtung finden: Wir bekennen uns „zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift“. Inspiration nicht nur der Personen, nicht nur der Inhalte, sondern der Schrift selbst. Die Worte der Bibel selbst sind von Gott ausgehaucht, inspiriert, von ihm so gewollt, wie sie dastehen. Ähnlich ja auch die Glaubensgrundlage der Evangelischen Allianz: „Wir halten fest an der göttlichen Inspiration, der gewiss machenden Wahrheit und Autorität der alt- und neutestamentlichen Schriften in ihrer Gesamtheit als dem einzigen geschriebenen Wort Gottes.“ Dies sind evangelische Grundlagen! Kein Wort davon bei Zimmer, der nicht den Mumm hat, „Lausanne“ und der Glaubensgrundlage klar zu widersprechen (dann würden ja vielleicht einige seiner evangelikalen Fans merken, wo der Hase langläuft). Zimmer gebärdet sich als der große Friedensstifter, was bei Bergpredigtlesern leicht gut ankommt. Doch den evangelikalen Konsens, der nun wirklich ein Konsens ist (oder muss man schon sagen: „war“?), schiebt er klammheimlich zur Seite. Zimmer zeigt damit nur, in wessen Lager er damit steht.

Falsche Aversionen

Zurück zu „Chicago“. Aus dem deutschsprachigen Raum war einzig Samuel Külling, Gründer und langjähriger Rektor der FETA in Basel (nun STH), Mitglied des ICBI. Külling fertigte auch Übersetzungen der drei Erklärungen ins Deutsche an. Einflussreicher wurden jedoch die Übertragungen des Külling-Schülers Thomas Schirrmacher. 1993 erschienen sie in einer Veröffentlichung unter dem Titel Bibeltreue in der Offensive. Schirrmacher rief darin gleich eingangs dazu auf, die drei Erklärungen „als Bekenntnistext für bibeltreue Organisationen“ zu verwenden. „Es wäre zu begrüßen, wenn die Chicago-Erklärungen auch im deutschsprachigen wie im angelsächsischen Bereich zu einem ‘Markenzeichen’ werden könnten, das bibeltreue Christen und Werke miteinander verbindet.“

Ein Vierteljahrhundert später muss man nüchtern feststellen, dass sich diese Hoffnung nicht so recht erfüllt hat. Heute hält der „Bibelbund“ die drei Erklärungen hoch, und auf dessen Internetseite sind sie auch schnell zugänglich. Tatsächlich haben sich einige theologische Ausbildungsstätten wie von Schirrmacher erhofft „Chicago“ zu eigen gemacht. Dennoch ist es still um sie geworden. Von einem echten „Markenzeichen“ kann keine Rede sein.

Die „Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten“ (KbA) nennt unter „Glaubensgrundlagen“ gleich zu Beginn „die göttliche Inspiration und die Unfehlbarkeit der ganzen Heiligen Schrift“; näher zu füllen ist dies von Mitgliedswerken durch die „Hermeneutik der Demut“ (H. Hempelmann) oder „Chicago“ (I). Allerdings fehlt im Internet jeder Hinweis auf  die Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel. Auch in der KbA ist das Bekenntnis zur Irrtumslosigkeit nicht Markenzeichen geworden.

Die Bibelschule Brake oder das sbt Beatenberg oder auch das Institut für Reformatorische Theologie von Bernhard Kaiser berufen sich ausdrücklich auf die die Chicago-Erklärung. Das von Schirrmacher als Rektor geleitete Martin Bucer Seminar erwähnt sie auf den Internetseiten nirgendwo; dort hat man das Bekenntnis der Tyndale Fellowship als Glaubensgrundlage übernommen. Die von Külling gegründete STH schreibt nun, dass man „im Sinne des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses“ die Bibel als „das wahre Wort Gottes“ versteht. Das TSR (früher Neues Leben Seminar) nennt unter „Glaubensbekenntnis“ die beiden oben genannten Dokumente, aber nicht (mehr) „Chicago“.

Diese knappe Überblick bestätigt nur, dass sich die Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel von 1978 nicht hat durchsetzen können. Auch wenn man dies bedauert, ist dies ein Faktum. Vielsagend ist, dass die Neuauflage der Ausgabe aus dem Jahr 2009 von Schirrmacher den Titel Bibeltreue in der Offensive?! trägt. Die beiden Satzzeichen sprechen wirklich Bände. Schirrmacher will die drei Erklärungen „weiter zum Studium und zur Diskussion“ anbieten. Aber die Luft ist irgendwie raus, von der Offensive ist nicht viel geblieben. Er benennt ja auch einige Kritikpunkte (wie „im Detail zu ausführlich“) und weist darauf hin, dass der ICBI eine „weitgehend US-amerikanische Vereinigung“  war und wohl auch deshalb in Deutschland auf Vorbehalte stieß.

Die „Offensive“ vom Anfang der 90er Jahre ist also irgendwie im Sand verlaufen. Aber ein bloßes Fragezeichen? Das wäre ja gar zu kritisch. Also doch noch ein Ausrufezeichen dahinter! Aber macht dies die Sache wirklich besser? Als Lektor hätte ich bemerkt: Das macht wenig Sinn; nichts Halbes und nichts Ganzes; so wird nur Verwirrung gestiftet. Soll ich nun in die Offensive gehen oder nicht?

„Chicago“ hat sich nicht etablieren können. So ist aber eine Art Vakuum entstanden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass das vor einigen Jahren von Ulrich Parzany initiierte und nun geleitete „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ keinerlei Bekenntnis oder Grundlage hat, die inhaltlich über die Aussagen der Glaubensgrundlage der Allianz oder „Lausanne“ klar hinaus gehen. Auf der Internetseite werden zwar einige Dokumente verlinkt, aber es ist auch hier vielsagend, dass sie zu den Fragen der Hermeneutik und der Bibelautorität nirgends ausführlicher Stellung nehmen. Dabei nimmt doch der Name des Netzwerk direkt auf die Bibel Bezug. Wie steht ihr zur Bibel? Hier wird an dieser Stelle zu wenig geliefert.

Die Erklärung zur Irrtumslosigkeit hat im landeskirchenlichen Umfeld (wie dem „Netzwerk“ oder auch dem von H. Kemner gegründeten „Gemeindehilfsbund“) nie Fuß gefasst. Nicht selten hört man auch in den frömmeren Kreisen Warnungen vor einer „ausgefeilten Inspirationslehre“. Das sei nicht der richtige Weg; vielmehr müsse man sich um den „Aufweis der historischen Glaubwürdigkeit der Schrift“ bemühen. Letzteres ist gewiss sinnvoll, aber Bernhard Kaiser gab in seiner Dogmatikvorlesung (FTA) zu bedenken: „Der Nachweis der historischen Zuverlässigkeit der Bibel ist in einer ganzen Reihe von Fällen möglich und oft ein starkes Argument für die Schrift. Historische Urteile aber haben immer den Charakter von Wahrscheinlichkeitsurteilen und sind nicht geeignet, Gewissheit zu begründen.“ Und die Angst vor der Irrtumslosigkeit und das Zurückschrecken vor detailierteren Inspirationstheorien halte ich für falsche Aversionen.

An dieser Stelle sei auch daran erinnert, dass schon der Antitrinitarier Fausto Sozzini (1539–1604) betonte, die Autorität der Bibel beruhe ganz auf ihrer Glaubwürdigkeit. In De auctoritate sacrae scriptura (1588) setzte Sozzini „ihre Autorität mit der historischen Authentizität gleich. In dieser Hinsicht hebt sich die Abhandlung Sozzinis nicht nur von dem genannten Werk des Lutheraners Flacius [Clavis sripturae sacrae] ab, sondern auch von dem im Entstehen begriffenen Autoritätskonzeptionen der reformierten Theologie, welche die ausschließliche Geltung der Bibel objektiv mit der unhinterfragbaren göttlichen (Verbal-)Inspiration und subjektiv mit dem testimonium Spiritus Sancti internum begründeten“, so Kęstutis Daugirdas in Die Anfänge des Sozinianismus. Weiter schreibt der wissenschaftliche Leiter der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden: „Die Autorität der Heiligen Schrift ist somit für Sozzini mit ihrer historischen Authentizität identisch, die ihr, wie anderen Büchern auch, allein aufgrund der zuverlässig wiedergegebenen und überlieferten Sachverhalte zukommt.“

Hier schließt sich der Kreis. Die Lehre von der Theopneustie oder Inspiration verankert die Heilige Schrift in der Trinität Gottes. Die Antitrinitarier und Unitarier in den Spuren von Sozzini übten nicht nur großen Schaden für die Erlösungslehre aus, weil sie eben die volle Gottheit des Sohnes leugneten. Auch in der Lehre von der Schrift bereiteten sie den Weg für die moderne Bibelkritik. So wundert es auch nicht, dass Zimmer hier mit Sozzini und Co. fast schon gleichzieht. In einem „Worthaus“-Vortrag sagte er offen, er sei kein „Jünger der Trinitätslehre der Alten Kirche“, die er für „hochproblematisch“ (!) und „starr“ hält („drei Personen – furchtbar!“). Na bitte. Warum, so frage ich mich, ziehen theologisch Verantwortliche, die sich allermeist noch auf die altkirchlichen Bekenntnisse wie Nicäa berufen, aus solche Sätzen nicht Konsequenzen und distanzieren sich von einem vermeintlichen Brückenbauer wie Zimmer? Wie viel muss man denn noch ertragen, bis allgemein begriffen wird, dass dieses Gerede Gräben aufreist?

Von Chicago zu Basel, Marburg, Gießen oder … ?

40 Jahre nach Herausgabe der ersten Erklärung von Chicago sind die Bibeltreuen im deutschsprachigen Raum in die Defensive geraten. Dies ist zumindest mein Eindruck. Auch so ist der Erfolg der außerordentlich professionell gemachten „Worthaus“-Vorträge zu erklären. Es gibt bibeltreue Initiativen und Werke, es gibt immer noch die drei Chicago-Erklärungen, aber es gibt kein inhaltlich präzises und prägnantes Dokument in der richtigen Mischung aus Ausführlichkeit und Knappheit, das Rattenfängern wie Zimmer von Seiten der Konservativen entgegengehalten werden könnte. Zumindest solch eines, das von einer großen Mehrheit der theologisch Konservativen mitgetragen werden würde.

Ist daher nun nicht die Zeit gekommen, dass die Bibeltreuen erneut in die Offensive gehen? Wann, wenn nicht jetzt? Wie viele Malessas und Mettes, wie viele Bruderecks und Hebels, wie viele McLarens und Bells, wie viele „Worthaus“ und „Hossa-Talk“ braucht es noch? Es reicht hier doch nicht, sich um den großen alten Kämpfer Parzany zu scharen. Er wird in diesem Monat 77 und daher wolle nicht mehr lange die Truppe anführen. Was kommt nach ihm? Was hält dann so ein Netzwerk zusammen?

Es ist ja Gott sei Dank nicht so, dass man bei Null anfangen müsste. Die FTH (ehemals FTA) in Gießen hat in der eigenen Glaubensbasis schon recht ausführlich und sehr gut eine Position in der Frage der Hl. Schrift dargelegt. Auch bei „Evangelium 21“ heißt es präzise: „Allein diese Schriften sind von Gott durch seinen Geist inspiriert und sind somit Wort für Wort Gottes Offenbarung. Wir halten an den folgenden Eigenschaften des Wortes Gottes fest: Es ist (1) ohne Fehler in den ursprünglichen Schriften; (2) vollkommen in der Offenbarung seines errettenden Willens; (3) ausreichend für alles, was Gott von uns zu glauben und zu tun erwartet; und (4) endgültig und maßgeblich in seiner Autorität in all seinen Aussagen.“

Wäre hieran nicht anzuknüpfen? Könnte man nicht aus den Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte, aus dem Ringen mit postevangelikalen und emergenten Strömungen lernen und eine neue, verbesserte Erklärung formulieren? Eine Erklärung, die womöglich ohne den umstrittenen Begriff „Irrtumslosigkeit“ (gegen den bekanntlich Hempelmann anging; aber auch viele andere haben mit ihm Bauchschmerzen, und selbst Schirrmacher sieht seine Schwächen) auskommt, dafür aber stärker die trinitarische Verankerung der Lehre der Schrift zu Geltung zu bringt? Die die Inspirationslehre, „ein zentraler und unverzichtbarer Mosaikstein im Rahmen der biblischen Heilsordnung“ (B. Kaiser), neu im Kontext der Gotteslehre verteidigt? So könnte man Trinitätsskeptikern wie Zimmer viel leichter das Handwerk legen, den Zusammenhang der theologischen Fächer herausstreichen und plumpe Versuche, Jesus gegen die Bibel auszuspielen, abwehren. Michael Horton hat in seiner Dogmatik The Christian Faith schon weit in diese Richtung vorgearbeitet.

Vor sechzig Jahren erschien J.I. Packers ‘Fundamentalism’ and the Word of God (hier ein Beitrag von Paul Helm 50 Jahre nach Erscheinen). Das Buch machte den jungen Theologen schnell weit bekannt und prägte eine ganze Generation von jungen Leitern. Packer war es, für den man aus dem dann ICBI genannten Rat überhaupt eine internationale Einrichtung machte. Er ist nach dem Tod von Graham der letzte der großen Evangelikalen des 20. Jahrhunderts und war in Europa (während seiner aktiven Zeit) der wohl wichtigste Vorkämpfer der Bibelautorität. Könnte er, so lange er noch lebt, nicht die Schirmherrschaft über solch ein Projekt übernehmen? Oder eben doch eine reine deutschspachige Geschichte – eine Baseler Verpflichtung oder eine Gießener Eklärung oder neue Marburger Artikel?

Zimmer will „Grabenkämpfe“ (s.o.) überwinden. Diese Agenda treibt auch die postevangelikalen Hossa-Talker an. Aber was nicht zusammengehört, kann auch nicht zusammenkommen. Schaeffer warnte eindringlich davor, bei der „unumschränkten Autorität der Bibel einen Kompromiss einzugehen“. Er setzte sich für Einheit ein – für die Einheit derjenigen, die auf der einen Seite der Wasserscheide stehen (sein Bild in Die große Anpassung). Von den anderen trennt sie eine Kluft: „Die wirkliche Kluft besteht nicht zwischen Presbyterianern und allen übrigen oder zwischen Lutheranern und alle übrigen oder Baptisten und allen übrigen. Die wirkliche Kluft befindet sich zwischen denen, die sich vor dem lebendigen Gott und damit vor der verbalen, lehrsatzmäßigen [propositional] Kommunikation seines unfehlabren Wortes, der Bibel, beugen, und zwischen denjenigen, die dies nicht tun.“ Wird es nicht 2018 Zeit, diese beiden Lager wieder klar voneinander zu scheiden? Und die auf der einen Seite zusammenzuführen?