Die Würde des Alltäglichen

Die Würde des Alltäglichen

„Der ganze Abschaum der Städte“

Die Bibel und das Christentum haben die Welt verändert. Nicht zuletzt im Bereich der Arbeitswelt ist dies deutlich zu erkennen. James F. Jeffers schildert in The Graeco-Roman World of the New Testament die Sicht in der griechisch-römischen Kultur zur der Zeit Jesu:

„Manche Arbeiten und Berufe, die wir heute hoch achten, wurden in der Antike geringgeschätzt. Man wusste, dass im Handel viel Geld verdient werden konnte, aber die Elite glaubte, dass dies ein schmutziges Geschäft sei. Jede typischerweise von Sklaven verrichtete Arbeit wurde verachtet. Berufe, die wir heute hochachten wie der des Arztes, Künstlers oder des Wissenschaftlers, waren Teil des privaten Raums und qualifizierten niemanden für eine öffentliche Laufbahn im Staat. Weil Ärzte und Künstler oft Sklaven oder ehemalige Sklaven waren, schätzte die Oberklasse ihre Arbeit nicht hoch ein wie wir dies tun.“

Besondere Verachtung galt den Hirten, die als dreckig und stinkend angesehen wurden, da sie die meiste Zeit draußen mit den Tieren verbrachten. Aristoteles sagte, dass unter den Menschen „die faulsten die Hirten sind, die ein müßiges Leben führen und sich ohne Mühe ernähren von ihren gezähmten Tieren; ihre Herden müssen von einem Ort zu nächsten wandern auf der Suche nach Weide. So sind sie gezwungen ihnen zu folgen und werden so selbst zu einer lebendigen Farm“ (Politika 1,8). Nicht wenige Römer glaubten außerdem, dass viele Hirten auch noch Wegelagerer und Räuber waren.

Jeffers weiter: „Die Oberklasse verhöhnte die im Handwerk Arbeitenden. Da viele, die diese Arbeit ausübten, Sklaven waren, wurde das Handwerk selbst durch sowohl Griechen wie auch Römer ebenfalls als sklavisch angesehen. Der römische Redner Cicero sagte einmal, dass die Werkstatt einer freien Person nicht zur Ehre dient. Außerdem betrachtete die Elite die Handwerker als ungebildet und tugendlos…“

Die Römer betrachteten Reichtum als notwendige Bedingung für ein tugendhaftes Leben. „Im Gegensatz zur weitverbreiteten westlichen Vorstellung, dass die Reichen die weniger Ehrlichen sind, weil Macht verdirbt, glaubte die römische Elite, dass nur die Reichen es sich leisten konnten, tugendhaft zu sein. Nach ihrer Vorstellung mussten die Armen was auch immer tun, um zu überleben, so dass sie zu Lüge, Betrug und Diebstahl neigen würden. Die Armen wurden von der Oberschickt verachtet, weil sie das Land mit ihren eigenen Händen bearbeiten mussten oder, noch schlimmer, ihre Arbeitskraft an andere vermieteten. Die Vorstellung, dass sie Armen ‘gesegnet’ seien (Mt 5,3; Lk 6,20) war für römische und griechische Aristokraten völlig unnachvollziehbar…“

Allgemein sahen die „Ehrenhaften“ auf die „Niedrigen“ jenseits des sozialen Abstandes mit solch einer Verachtung herab, wie der reiche Mann in Jesu Gleichnis auf Lazarus schaut (Lk 16,19–31). Jeffers: „Die Literatur der Oberschicht ist voll von Spott über die Faulheit, Armut und Unterwürfigkeit der Armen. Cicero sprach mit Abscheu über die Armen als ‘Handwerker, kleinliche Geschäftebesitzer und der ganze Abschaum der Städte’, der im Osten des Römischen Reiches immerhin die Hälfte der Bevölkerung der Städte ausmachte. Mit anderen seines Standes teilte Cicero die Ansicht, dass physische Arbeit den Körper, die Seele und die guten Sitten verroht. Die meisten antiken Autoren meinten, dass der bessere Teil des Menschen der psychische und geistliche ist. Keine Person von gehobenem Geschmack könne Schmied, Gerber oder Schlachter werden wollen. Weil viele Kunstwerke von griechischen Sklaven hergestellt wurden, sahen die römischen Oberschichten die Künste als unter ihrem Niveau an. Seneca wollte die Malerei, Bildhauerei und die Marmorbearbeitung nicht zu den ‘freien Künsten’ zählen und hielt sie für schmutzige Beschäftigungen. Cicero schrieb, dass die Arbeit eines Künstlers vulgär ist und dass an einem Atelier nichts Ehrenwertes ist. Einzig die Medizin, Architektur und Lehre auf hohem Niveau kann für die entsprechenden sozialen Schichten ehrenhaft sein.“

Mit Dreck arbeiten

Die biblische Perspektive ist eine ganz andere. Gott schuf die Welt, was für ihn Arbeit bedeutete (Gen 2,2); einen Demiurgen (wie bei einigen antiken Denkern), eine Art niederen „Handwerker“-Gott, schaltete er nicht dazwischen. Und er ist immer noch aktiv (Ps 104,24; 121,4). Zahlreiche Verse in der Bibel machen deutlich, dass Gott die Vorgänge in Natur und Geschichte lenkt und kontrolliert; er ist besonders im Leben der Gläubigen, seines Volkes, aktiv beteiligt. All dies beinhaltet in gewisser Weise Arbeit. Es ist sicher auch kein Zufall, dass der Sohn Gottes auf Erden nicht den irdischen Beruf eines Priesters oder Philosophen innehatte, sondern Zimmermann oder Bauhandwerker war (Mk 6,3).

Hier, bei der Vorstellung von Gott, scheiden sich also die Geister. Für Aristoteles ist die höchste und würdigste Beschäftigung der Gottheit die Kontemplation seiner selbst: Gott denkt über sich selbst nach (s. z.B. Nikomachische Ethik, 1178b). Der biblische Gott dagegen ist der Schöpfung zugewandt und in ihr tätig.

Der Mensch als Ebenbild Gottes (Gen 1,28) ist zur Arbeit berufen (Gen 2,15; s. auch Ex 20,9–10). Die Erde ist den Menschen gegeben (Ps 115,16); sie sind ebenfalls aus Erde, d.h. aus materiellen Dingen gemacht (Gen 3,19), und daher sollen sie diese materielle Welt kultivieren oder bearbeiten (Gen 2,5.15).

Eine konkrete Arbeit wird in Gen 2,19–20 genannt: die Namensgebung der Tiere. Auf diese Weise sollten die Menschen ihre Herrschaft über die Tierwelt ausüben bzw. demonstrieren (Gen 1,26), die wiederum natürlich der Souveränität Gottes zu unterstehen hat. Die Berufung der Menschen war und ist es, gleichsam als Vizeregenten Gottes sich um diese Erde zu kümmern, sie zu bearbeiten und auf diese Weise an Gottes Handlungen der Erhaltung der Welt teilzunehmen. Gottes kreative Aktivität in der Schöpfung soll auch vom Menschen fortgesetzt werden. Arbeit ist daher keinerlei Fluch, sondern vielmehr eine Einladung, an diesem göttlichen Prozess teilzunehmen.

Seit dem Sündenfall ist auch die Arbeit nur noch im Schatten der Sünde möglich und mitunter äußerst hart geworden (Gen 3,17–19). Dennoch spricht die Bibel allgemein an vielen Stellen positiv über die Arbeit (s. z.B. Mt 13,55; Apg 18,3; 1 Thess 4,11; 2 Thess 3,10; Eph 4,28). In den endzeitlichen Visionen des ATs kommt Arbeit durchaus vor, aber dann wird es wieder völlig befriedigende Arbeit ohne die Last der sündhaften Welt sein. Die „Auserwählten“ werden „bauen und pflanzen“, und sie werden dann „ihrer Hände Werk“ voll und ganz genießen können; sie werden überhaupt nicht mehr „umsonst [vergeblich] arbeiten“ (Jes 65,21–23). Arbeit nach Gottes Vorstellung wird wieder voll hergestellt werden.

Der sog. Kulturauftrag (Gen 1,28; 9,1) ist daher genauso göttlicher Wille für die Menschen wie der Missionsauftrag (Mt 28,18–20), wobei dieser natürlich nur dem Volk der Glaubenden gilt. „Kultur“ muss dabei weit genug gefasst werden; sie beginnt ‘ganz unten’, d.h. bei den ‘einfachen’, aber meist umso nötigeren Arbeiten. Tätigkeiten mit der Hand sind in keiner Weise den Menschen unwürdiger als die mit dem Kopf. Auch die ersten Jünger haben ja mit ihren Händen ihr tägliches Brot verdient (Mt 4,18; Mk 1,16). Jay W. Richards fasst zusammen:

„Wir sind keine ätherischen Engel oder flüchtigen Geister. Wir sind aus Dreck gemacht, haben aber dennoch den Atem Gottes in uns. Wir sind von der Erde genommen, reichen aber auch über sie hinaus. Dreck, so wie Gott ihn gemacht hat, ist nicht dreckig. Und Arbeit mit Dreck, so wie Gott sie sich vorgestellt hat, macht uns auch nicht dreckig. Arbeit ist Teil des ursprünglichen Segens; sie entstand nicht als Teil des Fluches nach dem Fall. Die Art wie wir arbeiten soll daher wiederspiegeln, dass wir eine Einheit von Materie und Geist sind, gleichsam von Himmel und Erde, weder rohe Tiere noch Engel.” (Money, Greed, And God)

„Ein armes Dienstmägdelein“

Helmut Burkhardt betont in seiner Ethik II/2 ebenfalls, dass menschliche Arbeit „eine einzigartige Würde [hat]: Sie ist Fortführung der schöpferischen Arbeit Gottes“, damit auch ein „Ausdruck der Ebenbildlichkeit Gottes“. Im Grunde hat sich dies Denken früh durchgesetzt: „Wie der Bibel jede Geringschätzung auch harter körperlicher Arbeit fremd ist, so begegnet uns auch in der Alten Kirche weithin eine positive Einstellung zur Arbeit.“ Allerdings entwickelte sich im Lauf des Mittelalters, „nicht zuletzt wohl unter griechisch-philosophischem Einfluss, eine Höherschätzung des ‘beschaulichen’ Lebens (vita contemplativa) gegenüber der von weltlicher Arbeit bestimmten Lebensführung (vita activa). In der Reformation erfährt die Arbeit im Zusammenhang mit Luthers Berufsverständnis eine außerordentliche Aufwertung“; alle Arbeit ist „von gleichem Wert und Gottesdienst“.

Ähnlich auch Charles Taylor in Sources of the Self: „Die Bejahung des alltäglichen Lebens hat ihren Ursprung im jüdisch-christlichen Denken; ein besonderer Impuls, den sie in der modernen Epoche erhielt, kam zu allererst von der Reformation.“ Erlösung, so der kanadische Soziologe, ist nur durch Gott zu erlangen; die Kirche verlor damit ihre privilegierte Mittlerfunktion. Auf einmal gab es keine speziellen, an sich heiligeren Lebensformen mehr. Die volle christliche Existenz war nun mit dem Aktivitäten des normalen Lebens, in Ehe, Familie, und Beruf, vereinbar. „Die Reformatoren zogen nur die radikalen Konsequenzen aus einer alten Lehre des Christentums. Schließlich waren die Mönche selbst die Pioniere eines Lebens des Gebets und der Arbeit“, so Taylor.

Werner Lachmann hat in Leben um zu arbeiten? „die Arbeit aus der Sicht des Mönchtums“ skizziert und differenziert dabei mehr als Taylor: „In der Kirchengeschichte gab es wieder einen Weg zurück zur alten griechischen Auffassung. Im Mönchtum des Mittelalters wurde die körperliche Arbeit nicht hoch eingeschätzt. Man unterschied zwischen der vita contemplativa, dem Leben in Beschaulichkeit und Gebet, und der vita activa, dem physisch tätigen Leben. Trotz aller Leistungen kultureller Art, die in den Klöstern vollbracht wurden, zogen die Mönche die vita contemplativa vor. Für die ‘weltlichen Dienste’ (wie es damals hieß) hatten die meisten Klöster nichtklösterliche Mitglieder. Nur die armen Klöster, die sich keine ‘Weltleute’ halten konnten, mussten ihren Mönchen auch die vita activa zumuten. Die wesentlichen Arbeiten der Mönche aber waren das Lesen und das Stundengebet.“

Mit Martin Luther kam eine ganz andere Auffassung von Arbeit auf: „Durch die Erneuerung des Glaubens kommt es zu einer Erneuerung des Handelns und zu einem neuen Verständnis der Ethik. Die Wertschätzung der Arbeit wird umgekehrt. Der Christ braucht nun nicht mehr durch Tun oder Nichtstun zu Gott hinzustreben. Luther hatte ja entdeckt, dass uns Gott in Jesus selbst aufsucht; nicht das eigene Werk rettet den Menschen vor Gottes Urteil, sondern Christi Werk. Alles, was bisher als ‘christliches Werk’ galt, als [religiöse] Arbeit, Mühe für Gott, wurde von Luther als pseudochristlich entlarvt. Und so kann er voll Freude sagen, dass der Christ zum Dienst in dieser Welt frei wird, weil er weiß, dass Gott in Christus sein Heil besorgt hat. Jetzt kann gelten: Wer Gott dienen will, darf in seinem Beruf bleiben, darf tun, was Obrigkeit, Amt und Stand von ihm fordern. Mit seiner Arbeit und seinem Ertrag dient der Christ seinem Nächsten und somit Gott.“

Luther sah daher jede Arbeit als Gottesdienst an. Lachmann zitiert aus einer Predigt des Reformators über Joh 21,19–24: „Eine fromme Magd, so sie dem Befehl ihres Herren folgt und entsprechend ihres Amtes den Hof kehrt oder den Stall entmistet, oder ein Knecht, der in gleicher Haltung pflügt und fährt, gehen stracks gen Himmel und sind auf dem richtigen Weg; dagegen fährt ein anderer, der zu Sankt Jakob und zur Kirche geht, aber sein Amt vernachlässigt und sein Werk liegen lässt, stracks zur Hölle.“

Und an anderer Stelle schreibt Luther: „Ein armes Dienstmägdelein kann ernstlich die Freude im Herzen haben und sagen: Ich koche jetzt, ich mache das Bett, kehre das Haus. Wer hat‘s mich geheißen? Es hat mich mein Herr und meine Frau geheißen. Wer hat ihnen nun solche Macht über mich gegeben? Es hat Gott getan. Ei, so muss es wahr sein, dass ich nicht allein ihnen, sondern auch Gott im Himmel diene. Wie kann ich seliger sein!? Ist es doch ebenso viel, als wenn ich Gott im Himmel wollte kochen.“ Gottesdienst, so Lachmann, „kann zwar nicht in der Arbeit aufgehen, aber es wird deutlich, dass der dankbare Christ arbeitet und damit Werke für Gott tut.“

Lachmann weiter zur Neuentdeckung des Berufs: „Luther schenkte der deutschen Sprache das Wort ‘Beruf’, das es so vor ihm nicht gab. Man verwendete zwar den lateinischen Ausdruck vocatio Dei (‘Berufung durch Gott’), aber diese Berufung hatte immer nur der Priester; er hatte einen besonderen Ruf Gottes für diese Welt. Luther säkularisierte das Wort. Einen Beruf hat, so sagte er, nicht das Mönchtum, sondern umgekehrt: Gerade das Mönchtum hat gar keinen Beruf. Der wahre Gottesruf verwirklicht sich innerhalb der Welt und in der Arbeit. Aber dennoch warnt Luther immer wieder vor der Vergötzung der Arbeit…“

Der Beruf ist das „von Gott dem einzelnen zugewiesene Stück Arbeit, mit dessen Ausrichtung er als Handlanger Gottes zugleich seine Pflicht gegenüber dem Mitmenschen erfüllt“ (zit. bei Andreas Pawlas, Die lutherische Berufs- und Wirtschaftsethik). Galten bisher Beten, Fasten und Almosengeben, aber nicht das alltägliche Handeln und die Arbeit als gutes Werk, wird nach Luther jetzt das „Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde“ (Röm 14,23) Ernst genommen.

Die Würde der Bürger

Das Arbeits- und Alltagsleben wurde im Zuge der Reformation rehabilitiert. Nirgendwo wurde dies früh deutlicher als in den Niederlanden. Zuerst dort, später dann in der angelsächsischen Welt, fand eine „Revaluation“, wie es Deidre McCloskey nennt, eine Neubewertung der Tugenden und der Ethik statt. Technologisch war man in Nordwesteuropa nicht an vorderster Front, doch ein rhetorischer Wandel geschah, ein neues Reden über die Handwerker, Händler und Unternehmer kam auf. McCloskey zeigt in Bourgeois Dignity ausführlich auf, wie das Tun und Trieben der Bourgeoisie ab etwa 1600 Ansehen gewann. „Ehrenhaft“ wurde nicht mehr an einen hohen sozialen Rang oder aristokratischen Stand gebunden, sondern allgemein auf das Handeln und konkret Geschäftspraktiken übertragen. Ein tugendhafter Bürger wurde zum Gentleman; diese Kategorie war nicht mehr dem Adel vorbehalten.

Freiheit, Würde, Ansehen für die bürgerliche Mittelschicht schuf den Boden für die industrielle Revolution und bescherte den Niederlanden ein sog. „goldenes Zeitalter“. Das Land, das seine Freiheit von Spanien erkämpft hatte, blühte regelrecht auf. Deutlich ist dies auch in der bildenden Kunst zu sehen. Bürgerliche tauchen dort auf einmal in würdevollen Posituren auf, wie sie früher nur den Königen, Adeligen und Heiligen vorbehalten waren. Und endlich wurde das Alltagsleben zu einem angemessenen Thema, ja Mittelpunkt von Gemälden.

Viele Künstler wären hier zu nennen, aber gewiss ragt Johannes Vermeer (1632–1675) unter ihnen hervor. Seine „Dienstmagd mit Milchkrug“ im Rijksmuseum in Amsterdam ist gleichsam eine Ikone dieser Revaluation – kann man die Würde ihrer einfachen Arbeit besser veranschaulichen? Eine Hausdienerin ist wohl auch das schlafende Mädchen. Oft sind es auf seinen Gemälden Frauen aus dem neuen Bürgertum bei Beschäftigungen des normalen Lebens, die Szenen manchmal fast schon provokant alltäglich. Meist malte Vermeer Interieure; seine Straßenszene im heimatlichen Delft atmet den gleichen Geist: die Würde des Alltags. (Unten weitere Bilder.)

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Straße in Delft (Ausschnitt), 1657/58. Rijksmusuem, Amsterdam

An dieser Stelle muss noch Pieter de Hooch (1629–1684) genannt werden. Thematisch ähneln seine Bilder denen seines Zeitgenossen. Auf einem Gemälde (ebenfalls im Rijksmuseum) hält er die Entlausung eines Mädchens durch die Mutter fest. Über Jahrhunderte war dies eine notwendige Prozedur, die es vor vierhundert Jahren, nicht zuletzt dank reformatorischer Einsichten, zu einem Objekt der Kunst gebracht hat. Was würde Cicero wohl dazu sagen?

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„Die Sisyphusarbeit der Hausfrau“

Simone de Beauvoir (1908–1986), die französische Autorin und Philosophin, konnte mit dem Alltagsleben wenig anfangen. In ihrer Autobiographie schreibt die große Vorkämpferinnen des Feminismus: „Eines Tages half ich Mama beim Geschirrspülen; sie wusch die Teller, ich trocknete ab; durchs Fenster sah ich die Feuerwehrkaserne und andere Küchen, in denen Frauen Kochtöpfe scheuerten oder Gemüse putzten. Jeden Tag Mittagessen, Abendessen, jeden Tag schmutziges Geschirr! Unaufhörlich neu begonnene Stunden, die zu gar nichts führen – würde das auch mein Leben sein?… Nein, sagte ich mir, während ich einen Tellerstapel in den Wandschrank schob, mein eigenes Leben wird zu etwas führen.“

Nur nicht in das Mühlrad der Hausfrau gelangen, so lautete de Beauvoirs Devise – ihr Leben lang. In ihrem Hauptwerk Das andere Geschlecht / La deuxieme Sexe spiegelt sich dieser Hass auf die Hausarbeit gleich mehrfach wider: „Nur wenige Tätigkeiten haben so sehr den Charakter einer Sisyphusarbeit wie die der Hausfrau. Tag für Tag wird Geschirr gespült, Staub gewischt, Wäsche geflickt, um die Dinge am nächsten Tag wieder schmutzig, staubig und zerrissen vorzufinden. Die Hausfrau verschleißt ihre Kräfte, indem sie auf der Stelle tritt. Sie macht nichts: sie verewigt lediglich die Gegenwart. Sie hat nicht den Eindruck, etwas Gutes zu erobern, sondern endlos gegen das Böse anzukämpfen… Waschen, bügeln, fegen, Wollmäuse unter den Schränken aufstöbern heißt den Tod aufhalten, das Leben jedoch verweigern… Die Frau ist nicht berufen, eine bessere Welt zu errichten… Es ist ein trauriges Los, immerfort einen Feind aus dem Feld schlagen zu müssen, statt positive Ziele zu verfolgen.“

Schon als Heranwachsende stand für de Beauvoir fest, dass sie ein anderes Leben führen wollte: „Kinder zu haben, die ihrerseits wieder Kinder bekämen, hieß nur das ewig alte Lied wiederholen; der Gelehrte, der Künstler, der Schriftsteller, der Denker schufen eine andere, leuchtende, frohe Welt, in der alles seine Daseinsberechtigung erhielt. In ihr wollte ich meine Tage verbringen; ich war fest entschlossen, mir darin einen Platz zu verschaffen.“ (C. Zehl Romero, Simone de Beauvoir) De Beauvoir blieb diese Vorsatz treu und kannte immer nur ein großes Ziel: eine berühmte Schriftstellerin werden. Sie entfloh dem Hausfrauendasein „zwischen animalischem Leben und freier Existenz“, um in der aristokratischen Welt der Intellektuellen der „Wahrheit, Schönheit und der Freiheit“ zu huldigen. Irgendwie schien es de Beauvoir nicht aufgefallen zu sein, dass auch sie sich die Arbeit der ach so niedrigen Frauen in den Wäschereien, Cafés, Restaurants und Hotels gern gefallen ließ (erst 1954 zog sie in eine eigene Wohnung, vorher lebten sie und Sartre in Hotels).

Dass es im Haushalt so etwas wie Kreativität und Erfüllung als Mensch wenigstens geben kann, blieb natürlich meilenweit jenseits von de Beauvoirs ideologisch verengtem Horizont. Hier schließt sich der Kreis wieder: Alles hängt letztlich vom Gottesbild ab, und de Beauvoir und Sartre waren überzeugte Atheisten. Das jüdisch-christliche Erbe verwerfend fielen sie gleichsam zurück ins Heidentum.

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J. Vermeer, Briefleserin am offenen Fenster, 1657/59. Gemäldegalerie Dresden

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J. Vermeer, Schlafendes Mädchen, 1657. Metropolitan, New York

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J. Vermeer, Die Spitzenklöpplerin, 1669/70. Louvre, Paris

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J. Vermeer, Junge Dame mit Perlenhalsband, 1664. Gemäldegalerie, Berlin

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J. Vermeer, Frau mit Waage, 1662/64. National Gallery of Art, Washington