Die Queen und ihr König

Die Queen und ihr König

„Verteidigerin des Glaubens“

Aus der Perspektive des Rests von Europa erscheint die Kirche von England als seltsames Gebilde. Schon ihre Anfänge rufen Stirnrunzeln hervor: Am Beginn der Reformation in Großbritannien stand, anders als in Deutschland oder der Schweiz, nicht die Suche nach dem wahren Glauben. Bekanntlich trennte der englische König Heinrich VIII die Kirche in seinem Land von Rom, um die Scheidung von seiner Frau Katharina zu ermöglichen. 1534 wurde der Monarch Englands zum Haupt der Kirche erklärt. Erst nach und nach reformierte sich die Kirche auch theologisch.

Bis heute sind die 39 Artikel von 1562/1571 das maßgebliche Bekenntnis der anglikanischen Kirchengemeinschaft. Darin wird der Monarch im Vorwort „oberster Leiter [Supreme Governor] der Kirche von England“ genannt, also nicht mehr „Haupt“ (wie bis 1558). In Artikel 37 wird die „höchste Gewalt“ des Monarchen in „kirchlichen wie bürgerlichen“ Dingen, die „einigen Verleumdern anstößig“ erscheint, protestantisch gedeutet: Die „Verwaltung des Wortes Gottes und der Sakramente“ wird dem König ausdrücklich nicht zuerkannt. Er hat vielmehr alle „Stände und Klassen… bei ihrer Pflicht [zu]erhalten“.

Einen Titel, den schon Heinrich VIII erhalten hatte, trägt die heutige Monarchin immer noch. Auf Portraits oder Münzen heißt es „ELIZABETH II D.G. REG. F.D.“. Dies steht für lat. „Elizabeth II Dei Gratia Regina Fidei Defensor“ – „Elizabeth II, von Gottes Gnaden Königin, Verteidigerin des Glaubens“. Ursprünglich war dies ein vom Papst verliehener Ehrentitel, der Heinrich später natürlich wieder entzogen wurde. Das englische Parlament übertrug ihn aber bald auf die Könige von England und füllte ihn neu: Verteidiger des protestantischen Glaubens.

„Kraft aus der Botschaft der Hoffnung im christlichen Evangelium“

„Fidei Defensor“ ist aber mehr als nur ein alter Titel. Bei der Krönung von Elisabeth II im Jahr 1953 überreichte ihr der Erzbischof von Canterbury eine Bibel und sprach diese feierlichen Worte: „Unsere gnädige Königin: Damit Eure Majestät immer des Gesetzes und des Evangeliums Gottes als der Regel für das ganze Leben und die Regierung der christlichen Fürsten gedenkt, überreichen wir Ihnen mit diesem Buch das Wertvollste, was diese Welt bietet. Hier ist Weisheit; dies ist das königliche Gesetz; dies sind die lebendige Aussprüche Gottes.“

Der britische Monarch ist keineswegs ein evangelischer Papst, sondern steht unter der Heiligen Schrift, die auch ihm Orientierung gibt. Und gerade die Weihnachtsansprachen der Königin in den letzten Jahren zeigen, dass Elisabeth ihre Rolle als Verteidigerin und Vorbild des Glaubens durchaus ernst nimmt (die Liste aller Ansprachen findet sich hier). Versteht der kontinentaleuropäische Betrachter das Konstrukt der Kirche von England nur schwer, so überrascht die Intensität des Glaubens der Queen nicht weniger. Sie erinnert die oftmals nur nominellen Christen daran, dass das Fest „die Geburt unseres Erlösers“ markiert, des „Friedefürstens“, der „unsere Quelle von Licht und Leben sowohl in guten wie in schlechten Zeiten“ ist. Im hohen Alter betont sie diese Botschaft stärker als sie es einst tat – und das nicht in einer aufdringlichen Art und Weise, die bei Nichtchristen Anstoß erregen würde. Sie ist aber klar und mutig genug, um einige in der weihnachtlichen Sofaruhe zu stören, denn man kann nur zu dem Schluss kommen: Sie glaubt wirklich, was sie sagt.

In ihren Weihnachtsansprachen blickt die Queen in der Regel auf das vergangene Jahr zurück. Meist greift sie ein Thema oder einen Akzent heraus und beleuchtet dabei natürlich die Aktivitäten der königlichen Familien. Dabei würdigt sie häufig und in besonderer Weise die Rolle der Streitkräfte und der Mitarbeiter in öffentlichen Diensten. Meist gegen Ende spricht sie den christlichen Glauben direkt an. Hier einige Zitate aus den Ansprachen der vergangenen Jahre:

„Für viele von uns sind unsere Überzeugungen von grundlegender Bedeutung. Für mich ist die Lehre Christi und meine eigene persönliche Verantwortung vor Gott ein Rahmen, in dem ich versuche, mein Leben zu führen. Wie so viele von Ihnen habe ich in schwierigen Zeiten aus den Worten und dem Beispiel Christi viel Trost gewonnen.“ (2000)

„Ich weiß, wie sehr ich mich auf meinen eigenen Glauben verlasse, der mich durch die guten und die schlechten Zeiten führt. Jeder Tag ist ein neuer Anfang, und ich weiß, dass der einzige Weg, um mein Leben zu leben, der Versuch ist, das Richtige zu tun, in die Zukunft zu blicken und mein Bestes zu geben in allem, was der Tag bringt, – und mein Vertrauen in Gott zu setzen. Wie andere von Ihnen, die Inspiration aus dem eigenen Glauben ziehen, gewinne ich Kraft aus der Botschaft der Hoffnung im christlichen Evangelium.“ (2002)

Obwohl wir zu großen Taten der Freundlichkeit in der Lage sind, lehrt uns die Geschichte, dass wir manchmal Rettung vor uns selbst brauchen – vor unserem Leichtsinn oder unserer Gier. Gott sandte eine einzigartige Person in die Welt – weder einen Philosoph noch einen General, so wichtig sie sind, vielmehr einen Erlöser mit der Kraft zu vergeben. Vergebung ist das Herzstück des christlichen Glaubens. Sie kann zerbrochene Familien heilen, Freundschaften wieder herstellen und getrennte Gemeinschaften versöhnen. In der Vergebung spüren wir die Kraft der Liebe Gottes. In der letzten Strophe des schönen Lieds ‘O Little Town Of Bethlehem’ gibt es ein Gebet: O Heiliges Kind von Bethlehem, Steig zu uns herab, so beten wir, Werfe unsere Sünde fort, Komm herein, Werde heute in uns geboren. – Es ist mein Gebet, dass wir alle an diesem Weihnachtstag in unserem Leben Raum für die Botschaft der Engel und die Liebe Gottes durch Christus, unseren Herrn, finden. Ich wünsche Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest.“ (2011)

„Dies ist die Zeit des Jahres, in der wir uns daran erinnern, dass Gott seinen einzigen Sohn sandte, um zu dienen, nicht um bedient zu werden. In der Person Jesu Christi stellte er Liebe und Dienst in den Mittelpunkt unseres Lebens. Es ist mein Gebet an diesem Weihnachtstag, dass sein Beispiel und seine Lehre Menschen auch weiterhin zusammenbringen wird, um ihr Bestes für den Dienst an anderen zu geben.“ (2012)

„Besinnung, Meditation und Gebet helfen Christen – wie allen Menschen des Glaubens – uns in Gottes Liebe zu erneuern, wenn wir täglich danach streben bessere Menschen zu werden. Die Weihnachtsbotschaft zeigt, dass diese Liebe für alle da ist. Es ist niemand außer Reichweite. Als die Hirten beim ersten Weihnachten auf den Feldern von Bethlehem in der Kälte der Nacht saßen und ihre ruhenden Schafe betrachteten, hatten sie keinen Mangel an Zeit zum Nachdenken. Plötzlich änderte sich alles. Die demütigen Hirten waren die ersten, die die wunderbare Nachricht von der Geburt Christi hörten und darüber nachdachten – das erste Noel – die Freude, die wir heute feiern.“ (2013)

„Das Licht leuchtet in der Finsternis“

Im vergangenen Jahr gedachten die Briten in besonderer Weise des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges einhundert Jahre zuvor. Die Königin stellte ihre Ansprache unter das Thema „Versöhnung“ (reconciliation) und nahm Bezug auf den wundersamen „Weihnachtsfrieden“ (Christmas truce) in den Schützengräben 1914: britische und deutsche Einheiten verbrüderten sich am Heiligen Abend und darüber hinaus.

„Für mich ist das Leben Jesu Christi, des Friedefürstens, dessen Geburt wir heute feiern, eine Inspiration und ein Anker in meinem Leben. Als ein Vorbild für Versöhnung und Vergebung streckte er seine Hand in Liebe, Annahme und Heilung aus. Das Beispiel Christi hat mich gelehrt danach zu streben, alle Menschen, gleich welchen Glaubens oder ohne Gauben, zu respektieren und zu schätzen. Manchmal scheint es, dass angesichts von Krieg und Zwietracht für Versöhnung kaum eine Chance besteht. Aber der Weihnachtsfrieden vor einem Jahrhundert erinnert uns daran, dass Frieden und guter Wille eine anhaltende Macht in den Herzen von Männern und Frauen besitzen.“ (2014)

In diesem Jahr knüpfte die Monarchin an der Tradition des Weihnachtsbaumes an, eine Tradition, die durch ihren deutschen Ururgroßvater Prinz Albert auf die Insel gelangte und dort schnell populär wurde. Das Licht ragt aus dem Dunklen in der Welt hervor:

„Es ist wahr, dass die Welt in diesem Jahr Momenten der Dunkelheit gegenüberstehen musste, aber das Johannesevangelium enthält einen Vers großer Hoffnung, der häufig bei Weihnachtsgottesdiensten gelesen wird: ‘Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht auslöschen können’. [Joh 1,5]“

Und weiter: „Trotz Vertreibung und Verfolgung in seinem kurzen Lebens war die unveränderliche Botschaft Christi nicht eine von Rache oder Gewalt, sondern einfach, dass wir einander lieben sollen. Obwohl dieser Botschaft nicht einfach zu folgen ist, sollten wir uns nicht entmutigen lassen; vielmehr werden wir durch sie angeregt, uns mehr anzustrengen: dankbar für die Menschen zu sein, die Liebe und Glück in unser Leben bringen; und nach Wegen zu suchen, um diese Liebe anderen weiterzugeben, wann und wo immer wir können.“

The Servant Queen and the King she serves

Im kommenden Jahr begeht die Monarchin ihren neunzigsten Geburtstag. Mehrere christliche Organisationen, die britische Bibelgesellschaft, „Hope“ und das einst von John Stott mitgegründete „London Institute for Contemporary Christianity“ (LICC), nehmen dies zum Anlass, um ein evangelistisches Büchlein herauszugeben: The Servant Queen and the King she serves – Die dienende Königin und der König, dem sie dient. Einer der Koautoren ist LICC-Leiter Mark Greene. In dem längeren Traktat geht es um den Glauben der Queen – in ihren eigenen Worten und denen anderer. Das Vorwort stammt aus der Feder der Monarchin selbst.

Interessanterweise ist The Servant Queen kein Projekt der anglikanischen Kirche selbst. Diese hat einen anglo-katholischen, liberalen und evangelikalen Flügel, die sich theologisch wie äußerlich mitunter recht stark unterscheiden. So wundert es einerseits nicht, dass die Monarchin auch in ihren Ansprachen nicht direkt evangelisiert wie z.B. der ein paar Jahre jüngere Michael Green, ein bekannter anglikanischer Evangelist. Sie muss ihrer ganzen Kirchengemeinschaft gerecht werden. Dass ihre Sympathien aber offensichtlich bei dem evangelikalen Flügel der Kirche liegen, zeigt die Teilnahme an dem Projekt. Hundertausende Exemplare der Schrift werden nächstes Jahr unter das (Kirchen)Volk gebracht werden.

Mark Greene in einer Rundmail des LICC in der Adventszeits: „In der Erzählung von Jesu Geburt bei Lukas lehnt nur eine Person die gute Nachricht ab. Es sind nicht die sozial marginalisierten Hirten auf Mindestlohn, nicht die alte Witwe im Tempel, nicht der Zimmermann und seine jungfräuliche Verlobte… Es ist die Person mit Reichtum und Macht. Es ist Herodes. Es ist der König.“ Welchen einen Gegensatz bildet da, so Greene, „unsere Königin: eine Monarchin, die besonders in ihren Weihnachtsansprachen ihre persönliche Treue zu Christus Millionen gegenüber deutlich macht. Sie hat ihn als ihre Inspiration, ihren Anker und als ihre Quelle von Stärke im Angesicht von Widrigkeiten bezeichnet. Ein wunderbares Beispiel von ganzheitlicher Jüngerschaft im öffentlichen Leben.“

Die Klarheit der Königin wird von der Presse gewürdigt: „Wenn nur der Erzbischof von Canterbury oder der Erzbischof von Westminster sich mit so einer einfachen Beredsamkeit ausdrücken könnten.“„In einer Zeit der schwachen Bischöfe trägt Elizabeth, die christliche Königin, dazu bei, dass der Glaube lebendig bleibt.“ – God save our gracious Queen! Long live our noble Queen!

PS: Man vergleiche die Ansprachen von Elisabeth II mit denen anderer Staatsoberhäupter. Bei der litauischen Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė ist nicht erkennbar, dass es sich bei Weihnachten um ein christliches Fest handelt – die schon in der Sowjetunion begonnene radikale Säkularisierung setzt sich fort. Auch bei Joachim Gauck, dem ehemaligen Pfarrer, ist vom christlichen Glauben außer kurzen Bezügen zur Weihnachtsgeschichte von der christlichen Botschaft nicht viel übrig geblieben.